Titel: | Ueber ein neues Verfahren den rohen Talg auszulassen, ohne daß sich unangenehme und ungesunde Dünste verbreiten; erfunden von dem Civilingenieur Evrard in Paris. Bericht von Hrn. Bussy. |
Fundstelle: | Band 120, Jahrgang 1851, Nr. XLVI., S. 204 |
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XLVI.
Ueber ein neues Verfahren den rohen Talg
auszulassen, ohne daß sich unangenehme und ungesunde Dünste verbreiten; erfunden von dem
Civilingenieur Evrard
in Paris. Bericht von Hrn. Bussy.
Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement, Febr.
1851, S. 54.
Evrard, über ein neues Verfahren den rohen Talg ohne ungesunde
Dünste auszulassen.
Der rohe Talg ist das Fettgewebe (die Fettmasse), sowie man es aus den Thieren
erhält; die Fettsubstanz befindet sich darin in einer Menge kleiner Zellen
eingeschlossen, welche selbst von mehr oder weniger starken Häuten umgeben sind,
denen fast immer noch Fleischtheile anhangen.
Das Auslassen (Ausschmelzen) des rohen Talgs hat den Zweck, die Fettsubstanz von
Fleischtheilen, den Häuten, dem Wasser, überhaupt allen anderen Substanzen zu
trennen.
Das bloße Erwärmen des rohen Talgs auf eine Temperatur, welche nur das Fett zu
schmelzen vermag, würde nicht hinreichen um letzteres abzusondern; man würde hierbei
nur ganz unbedeutende Mengen Fetts erhalten, sogar gar keines, wenn man es mit
völlig unverletzten Geweben zu thun hätte.
Um die Fettsubstanz zu gewinnen, ist es durchaus nothwendig die sie einschließenden
Zellen zu zerreißen.
Der gegenwärtig zu diesem Zweck gebräuchlichen Verfahrungsweisen sind zwei: das
Auslassen über freiem Feuer und das Ausschmelzen mit Säure.
Beim Ausschmelzen des Fetts nach dem ersten Verfahren wird der rohe Talg (die
Talgliesen), nachdem er in möglichst kleine Stückchen zerschnitten worden ist, in
einen Kessel gebracht und darin über freiem Feuer erhitzt. Durch die Einwirkung der
Wärme verlieren die häutigen Theile ihr Wasser, trocknen aus, ziehen sich zusammen
und zerreißen; die Fettsubstanz trennt sich von der noch festen Masse und gelangt an
die Oberfläche, wo sie eine klare Schicht bildet und leicht abgenommen werden kann.
Der Rückstand von dieser Operation, Grieben genannt,
besteht aus allen Ueberresten der häutigen Theile, des Muskelfleisches etc., und da
die Temperatur, welcher diese Rückstände beim Ausschmelzen ausgesetzt sind,
nothwendig eine sehr hohe seyn muß, so erleiden sie theilweise eine Art Röstung,
welche ihnen eine braune Farbe und einen mehr oder weniger brenzlichen Geruch
ertheilt, den man auch am Talg selbst wahrnimmt. Die Grieben werden dann ausgepreßt,
um noch einen Theil der darin enthaltenen Fettsubstanz zu gewinnen; der Rückstand
von diesem Auspressen, welcher unter der Benennung Griebenpreßkuchen als Viehfutter
und anderm Gebrauch verkauft wird, enthält ungefähr 20 Proc. Fettsubstanz.
Beim Ausschmelzen mit Säure werden die Talgliesen mit Wasser und Schwefelsäure in
einen kupfernen Kessel gebracht, worin man sie mehrere Stunden kochen läßt. Hier
übersteigt die Temperatur den Siedepunkt der Flüssigkeit nicht. Die häutigen Theile
werden von der Schwefelsäure angegriffen und größtentheils aufgelöst; das Fett
schwimmt über der sauren Flüssigkeit, und im untern Theil findet man als
Niederschlag (boulée) die mehr oder weniger veränderten
häutigen und fleischigen Theile.
Letzteres Verfahren kann in offenem Gefäße ausgeführt werden; gewöhnlich wendet man
aber verschlossene Gefäße an und heizt mittelst Dampfs, welcher in eine doppelte
Hülle eingelassen wird, wobei die Temperatur auf 84 bis 88° Reaumur
gesteigert wird.
Auf 1000 Pfd. Talgliesen werden 200 Pfd. Wasser und 10 Pfd. concentrirte
Schwefelsäure angewandt.
Der mittelst Schwefelsäure gewonnene Talg ist in der Regel weißer als der andere;
aber die ölige Substanz scheidet sich durch das Pressen oder eine schwache
Temperatur-Erhöhung leichter aus ihm ab, was ihm, besonderes im Sommer, ein
fetteres Ansehen verleiht.
Beide Methoden sind für diejenigen welche sie ausführen, besonders aber für die
Nachbarschaft, mit sehr großen Uebelständen verbunden; während des Schmelzens
verbreitet sich weithin ein außerordentlich unangenehmer Geruch, weßhalb die
Talgschmelzereien in die erste Classe der ungesunden und belästigenden Fabriken
gereiht wurden. Hierzu kommt bei dem Talgschmelzen über freiem Feuer noch die
Feuergefährlichkeit.
Wird das Talgschmelzen mit Säure hingegen in geschlossenen Gefäßen vorgenommen, so
verbreitet es nur wenig Geruch.
Evrard's Verfahren weicht von dem vorhergehenden
wesentlich ab; es gründet sich auf die Eigenschaft der sehr verdünnten kaustischen
Alkalien, die Häute aufzulösen welche das Fettgewebe bilden, ohne die Fettsubstanzen
selbst merklich anzugreifen.
Dieses Verfahren wird auf folgende Weise ausgeführt. In einen cylindrischen Kessel,
welcher mit einem durchlöcherten, doppelten Boden versehen ist, bringt man die
Talgliesen, etwa 300 Pfd.; andererseits wird 1 Pfd. kohlensaures Natron (calcinirte
Soda) mittelst Kalks ätzend gemacht. Die Aetznatronlauge wird, mit 200 Pfd. Wasser
verdünnt, dem Talg zugesetzt und dann zum Sieden gebracht, mittelst eines
Dampfstromes, welchen man unter den doppelten Boden leitet. Durch den Einfluß der
Wärme und der alkalischen Lauge schwillt das Fettgewebe bedeutend auf, die
Fettsubstanz scheidet sich davon ab und gelangt auf die Oberfläche, wo sie leicht
abzunehmen ist. Man braucht sie dann nur mit warmem Wasser auszuwaschen und
6–8 Stunden lang flüssig zu erhalten, damit sie ganz klar wird.
Die so in offenen Gefäßen ausgeführte Operation veranlaßt keinen andern Geruch als
denjenigen warmer Fleischbrühe; sie ist nicht mit der geringsten Unannehmlichkeit
für die unmittelbare Nachbarschaft verbunden.
Das erhaltene Product ist geruchlos oder besitzt einen nur schwachen Geruch, welcher
nichts Unangenehmes hat und von demjenigen des gewöhnlichen Talgs sehr verschieden
ist; solches Fett wird auch nicht so bald ranzig.
Der so bereitete Hammel-, Schweine- und Kalbstalg ist vollkommen weiß;
der Rindstalg hat unmittelbar nach seiner Bereitung einen gelben Ton, der aber unter
dem Einfluß des Lichts bald verschwindet. Diese vollkommene Weiße in Verbindung mit
der völligen Geruchlosigkeit, gestattet die so erhaltenen Fette nicht nur zur
Bereitung von Pommaden
und ähnlichen Erzeugnissen der Pharmacie und Parfumerie, sondern auch zur Bereitung
vieler Speisen anzuwenden, bei welchen sie Producte von größerem Werth ersetzen
können, z. B. für gebackene Speisen, welchen sie nicht den geringsten
eigenthümlichen Geschmack ertheilen. Vorzüglich eignen sich zu letzterer Anwendung
das Kalbs- und Schweineschmalz.
Die bessere Beschaffenheit der Producte des Hrn. Evrard
ist leicht zu erklären; der gewöhnliche Talg und die Fette verdanken nämlich ihren
Geruch in der Regel gewissen flüchtigen Fettsäuren, welche mit ihnen im Thiere
selbst enthalten sind oder durch eine anfangende Veränderung erzeugt werden. Indem
nun Hr. Evrard die stets mehr oder weniger veränderten
Talgliesen mit einer schwachen Alkalilösung behandelt, neutralifirt er diese
riechenden Säuren, und befreit so die Fettsubstanz von dem Geruch welchen sie ihr
mittheilen.
Diese Erklärung läßt sich auch durch das Experiment beweisen. Wenn man nämlich dem
alkalischen Wasser, welches zum Ausschmelzen des Talgs gedient hat, eine Säure
(Schwefelsäure) zusetzt, so scheidet sich eine mehr oder weniger riechende
Fettsubstanz davon ab, welche einen ähnlichen Geruch hat wie das Thier, von dem der
Talg herrührte.
Dieses riechende Fett nennt Evrard
deßhalb specifisches Fett.
Das specifische Fett, welches nicht nur die riechenden Säuren, sondern auch eine
kleine Menge gewöhnlicher Fettsäuren enthält, beträgt ¼ bis ½ Proc.
des erhaltenen Talgs.
Ein Umstand verdient bemerkt zu werden; daß nämlich bei dem beschriebenen Verfahren
die Fettsubstanz durch die alkalische Lauge keineswegs verseift wird, vielmehr der
erhaltene Talg selbst lange der Verseifung widersteht. Er verändert sich nicht, wenn
man ihn mit einer Auflösung kohlensauren Natrons von 10–20° Baumé
erhitzt; doch erlangt er mit der Zeit die Eigenschaft sich zu verseifen, besonders
wenn man ihm eine kleine Menge ranzigen Fetts oder einer leicht verseifbaren
Fettsubstanz zusetzt, wo dann die Verseifung sehr leicht vor sich geht.
Im Allgemeinen hält die Commission der Société
d'Encouragement das Evrard'sche Verfahren des
Talgausschmelzens mittelst Alkalien für eine wahrhafte Verbesserung in diesem
Industriezweig:
1) bezüglich der Gesundheit, weil der Talg dabei ohne alle Belästigung für die
Nachbarschaft und ohne alle Feuersgefahr ausgeschmolzen wird;
2) weil dasselbe minder kostspielige Apparate als das Ausschmelzen mittelst Säuren
erfordert, indem es in Kesseln von Eisenblech, Gußeisen oder Zink vorgenommen werden
kann, welche bei dem angewandten Verdünnungsgrade von der Lauge nicht angegriffen
werden;
3) endlich weil die nach dieser Methode bereiteten verschiedenen Talge sich als
reiner und besser erwiesen.