Titel: Zur Theorie der Cementstahlbereitung; von Professor W. Stein.
Fundstelle: Band 121, Jahrgang 1851, Nr. LXVI., S. 280
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LXVI. Zur Theorie der Cementstahlbereitung; von Professor W. Stein. Aus dem polytechn. Centralblatt, 1 stes Augusthest 1851, S. 897. Stein, zur Theorie der Cementstahlbereitung. Eine wirklich wissenschaftliche Erklärung des Processes der Cementstahlbereitung scheint vor dem Jahre 1836 gar nicht versucht worden zu seyn. Man begnügte sich mit der Vorstellung, daß der Kohlenstoff direct, als Kohle, an das Eisen übergehe, und gewöhnte sich, diesen Fall einer gegenseitigen chemischen Einwirkung zweier vollkommen fester Stoffe als eine einzige Ausnahme von der allgemein gültigen Regel corpora non agunt, nisi fluida zu betrachten. Im Jahre 1836 versuchte zuerst Arago in einem Vortrage, welchen er in der französischen Akademie der Wissenschaften hielt und der im Auszuge im polytechn. Journal, Bd. LX S. 75 mitgetheilt ist, das Problem zu lösen, indem er nicht bloß den Proceß der Cementstahlbereitung, sondern auch den der Roheisenerzeugung zu erklären unternahm. Seine Erklärung beschränkt sich jedoch für den letzten Fall nur auf die Behauptung, daß die Gegenwart des Kohlenoxyds das Eisenoxyd reducire und für den ersteren auf eine Präsumtion. Er sagt nämlich: „Das Eisen wird (bei der Cementstahlbereitung) in einer Atmosphäre von Kohlenoxydgas erhitzt, aber dieses Gas kann keinen Kohlenstoff an das Metall abgeben. Auf welche Art durchdringt nun aber der Kohlenstoff das Metall? — offenbar geschieht dieß durch den Wasserstoff.“ — Die so aufgestellte Theorie genügte also durchaus nicht, denn sie erklärte in keiner Weise die Aufnahme des Kohlenstoffs durch das Eisen. Durch die Versuche von StammerDissert. de oxydi carb. vi reducendi. Berolini, 1850, und polytechn. Journal Bd. CXX S. 428. ist bekannt geworden, daß das Kohlenoxyd allerdings im Stande ist, Kohlenstoff an das Eisen abzugeben; hätte Arago diese schon gekannt, so würde das Vorhandenseyn dieses Gases im Hohofen ihm zur Erklärung des Kohlenstoffs im Roheisen vollkommen ausreichend gewesen seyn, und wenn seine Gegenwart auch in den Cementirkästen nachgewiesen worden wäre, so würde über seine Wirkung in denselben kein Zweifel obwalten. In den Jahren 1845 und 1846 veröffentlichten zuerst Laurent und Leplay, und dann Gay-Lussac, ihre Ansichten über diesen Gegenstand. Die Ersteren stellten eine Theorie des Hohofensprocesses und der Cementation auf, indem sie erklärten, daß das Kohlenoxyd nicht bloß reducire, sondern auch Kohlenstoff an das Metall abgebe. Die letztere Annahme ist von ihrer Seite nur eine Hypethese, die sie später widerrufen, an ihre Stelle die setzend, daß der Kohlenstoff flüchtig sey und so als Kohlendampf wirke. Gay-LussacPolytechn. Journal Bd. CI S. 122. sucht die Theorie der Vorgenannten zu widerlegen, oder vielmehr nachzuweisen daß der Kohlenstoff auch im festen Zustande, vorausgesetzt, daß er sehr fein zertheilt sey, sowohl bei der Reduction als Cementation des Eisens wirke. Schon seit mehreren Jahren glaubte ich, von der Thatsache ausgehend, daß Ferrocyankalium weiches Eisen in Stahl verwandeln kann, es müsse auch bei der Cementstahlbereitung das Cyan als Ueberträger des Kohlenstoffs an das Eisen betrachtet werden.Diese Ansicht ist von mir schon vor mehreren Jahren in öffentlichen Vorträgen, auch neuerdings von Dr. R. Wagner sowohl in seiner technischen Chemie, als bei seiner Promotion ausgesprochen worden. In dieser Ansicht wurde ich bestärkt, als Bunsen die Beobachtung machte, daß im Hohofen eine Menge Cyankalium vorhanden sey, denn es schien mir nun unzweifelhaft, daß auch das Roheisen seinen Kohlenstoff durch Cyan erhalte. Ich stellte deßhalb Versuche mit gasförmigem Cyan sowohl als mit Cyankalium in Dampfform an, und fand in beiden Fällen daß eine Verstählung von weichem Eisen bewirkt wurde. 1) 38,775 Gramme Eisendraht, in Stücken von 2–3″ Länge und der Dicke eines Federkieles, wurden in eine Porzellanröhre eingelegt und in der Glühhitze während einer halben Stunde Cyangas darüber geleitet. Die Entwickelung des Cyangases wurde dann, nachdem das Feuer entfernt war, noch kurze Zeit fortgesetzt, bis die Porzellanröhre sich etwas abgekühlt hatte, und hierauf das Eisen schnell in kaltes Wasser geworfen. Nach dem sorgfältigen Abtrocknen auf einem 60° C. warmen Sandbade wogen die Drahtstücke 38,920; das Gewicht derselben hatte mithin um 0,145, oder ungefähr 0,3 Procent zugenommen. Auf dem Bruche zeigten die Drahtstücke einen Kern von faserigem Eisen von dunklerer Farbe und eine Schale von weißer Farbe und feinkörnigem Gefüge; von der Feile wurde die Oberfläche nur schwer angegriffen und eine blank gemachte Stelle wurde durch einen Tropfen Salpetersäure dauernd schwarz gefärbt. 2) Cyankalium wurde in einen glühenden Tiegel gethan und dazu einige Drathstücke von der in 1) erwähnten Art. Nach 10 Minuten wurden sie herausgenommen und abgelöscht. Auf der Oberfläche waren sie sehr weiß und so hart geworden, daß die Feile nicht griff. Auf dem Bruche zeigten sie ein sehr feines Korn und nur eine Spur des sehnigen Gefüges zeigte sich in der Mitte. Ein Tropfen Salpetersäure brachte einen schwarzen Fleck hervor. Bei diesem Versuche waren indeß nicht alle Stücke gleichmäßig verändert. 3) In eine lange Verbrennungsröhre wurde an das eine Ende Eisendraht, an das entgegengesetzte Cyankalium gelegt und beide Enden durch Quecksilber passend abgesperrt. Nach dem Glühen, welches eine Viertelstunde gedauert haben mochte, war alles Cyankalium von seiner Stelle verschwunden und das Eisen zeigte sich, nach dem Ablöschen in Wasser, so hart, daß die Feile es nicht angriff. Zudem war die Oberfläche weiß, der Bruch feinkörnig, nur im Innern stellenweise sehnig, und Salpetersäure machte einen schwarzen Fleck. Aus diesen Versuchen geht, was auch vorher kaum zu bezweifeln war, hervor, daß durch Cyangas sowohl, als durch Cyankalium das weiche Eisen in Stahl bei einer Temperatur verwandelt werden kann, die weit unter seinem Schmelzpunkte, oder dem Punkte liegt, bei welchem es weich wird. Die Annahme nun, daß das Cyan bei der Cementstahlbereitung eine besonders wichtige Rolle spiele, wird übrigens auch noch dadurch unterstützt, daß bekanntermaßen thierische Kohle ein weit wirksameres Cementirpulver ist, als Holzkohle; daß die Oberflächen- oder Einsatzhärtung nach RinmannKarsten's Handbuch der Eisenhüttenkunde, Bd. IV S. 400. am besten mit Hülfe eines Cementpulvers, bestehend aus 4 Theilen Birkenkohlen, 3 Theilen Ruß und 1 Theil verkohltem Leder, erfolgt u. s. w. Seine Entstehung würde unter dem Einflusse eines metallischen Körpers aus seinen Elementen, seine Wirkungsweise aber so gedacht werden müssen, daß es zuerst entweder bei Abwesenheit von Kali nur Cyaneisen, oder bei Gegenwart von Kali Cyaneisenkalium bildet. In beiden Fällen wird dann weiter das Cyaneisen zersetzt in Kohlenstoffeisen und Stickstoff, welcher entweicht. Der entweichende Stickstoff würde die Veranlassung zur bekannten Blasenbildung beim Cementstahl seyn und diese selbst wieder beweisen, daß das zunächst auf der Oberfläche durch die Zersetzung von Cyaneisen gebildete Kohleneisen im Momente seiner Entstehung erweicht oder dickflüssig gewesen seyn muß. Der freiwerdende Stickstoff wird zum Theil sich von Neuem mit Kohlenstoff zu Cyan verbinden, zum Theil aber wohl entweichen und daraus ließe sich die Erfahrung erklären, daß das Cementpulver nach dreimaligem Gebrauche untauglich wird. Indessen erscheint die eben entwickelte Theorie der Cementstahlbildung nur für den Fall ohne weiteres annehmbar, wo das Cementpulver aus thierischer Kohle besteht oder solche enthält, und es mußte nachgewiesen werden, ob auch in jedem Holzkohlenpulver die Bedingung zur Cyanbildung, oder irgend ein anderer Stoff vorhanden sey, der das Cyan vielleicht vertreten könnte. Um dieß zu ermitteln, wurden folgende Versuche angestellt: 1) Es wurde in einer Probirröhre trocknes Kohlenpulver mit Kalium nur einen Augenblick erhitzt und deutliche Mengen von Berlinerblau erhalten. 2) Acht Unzen lufttrocknes Kohlenpulver wurden in einer eisernen Flasche mit frisch ausgeglühtem und dann gelöschtem Kalkhydrat geglüht, das entwickelte Gas durch Salzsäure geleitet und 13 Gran Salmiak erhalten. 3) Ebensoviel Kohlenpulver, auf gleiche Weise behandelt, lieferte 19 Gran Salmiak. 4) Zehn Unzen Kohlenpulver wurden mit 1 Unze reinem kohlensaurem Kali in einem hessischen Tiegel mit auflutirtem Deckel geglüht, die geglühte Masse mit Wasser ausgelaugt, eingedampft und mit Eisenchlorid versetzt. Aus dem entstandenen Niederschlage wurde durch Salzsäure das Eisenoxyd entfernt und im Rückstand eine Menge Berlinerblau erhalten, welche nach dem Glühen einen Rückstand von 7/10 Gran hinterließ. Die angeführten Gewichtsverhältnisse können keinen Anspruch auf Genauigkeit machen und sollen nur beweisen, daß die Menge des Stickstoffs oder einer Stickstoffverbindung in den untersuchten Kohlen eine wägbare ist. Die Versuche 1 und 4 beweisen aber zur Genüge, daß der in den Kohlen vorhandene Stickstoff sehr leicht in Cyan verwandelt werden kann, und der Versuch 4 läßt keinen Zweifel darüber zu, daß das schon von ReaumurKarsten's Handbuch der Eisenhüttenkunde, Bd. IV S. 469. als das beste erkannte Cementirpulver, welches aus 2 Ruß, 1 Kohlenstaub, 1 Asche und ½ Kochsalz bestand, durch Bildung von Cyankalium wirksam seyn mußte. 5) Kohlenpulver wurde in einer eisernen Flasche geglüht und das Gas in einem Pepy'schen Gasometer aufgefangen. Es wurde eine sehr bedeutende Menge Gas erhalten, welches mit kaum leuchtender, bläulichgelb gefärbter Flamme brannte. Von 4 Loth Holzkohlenpulver, welche den Raum von 16 Loth Wasser einnahmen, wurde eine Gasmenge erhalten, welche den Raum von 32,5 Pfund Wasser erfüllte, mithin das 65fache Volumen. Dieses Gas enthielt Kohlensäure, Kohlenoxydgas, Kohlenwasserstoff (Grubengas) und Stickstoff. Die Kohlensäure wurde durch Kali ermittelt und ihre Menge betrug im Anfang der Entwickelung 6 Procent, zu Ende derselben war sie gar nicht mehr in dem Gase vorhanden. Das Kohlenoxydgas wurde durch in Salzsäure gelöstes Kupferchlorür bestimmt und seine Menge zu 15 Procent gefunden; auch dieses war in den letzten Gasportionen nicht mehr zu bemerken. Das Kohlenwasserstoffgas wurde durch Absorption mittelst Chlor und Aetzkali abgeschieden. Die Gesammtmenge des durch Chlor und Aetzkali absorbirten Gases betrug 70 Procent. Daß dasselbe weder reines Wasserstoffgas noch schweres Kohlenwasserstoffgas enthalten habe, ist allerdings nur dadurch bestimmt worden, daß weder Chlor im Dunkeln, noch geschmolzenes Kalium etwas Namhaftes davon absorbirte. Phosphor brachte ebensowenig eine Volumverminderung hervor, es war sonach auch kein Sauerstoff vorhanden. Das Gas, welches nach Abscheidung der genannten Gasarten übrig blieb, unterhielt das Verbrennen nicht und mußte sonach Stickstoff seyn; seine Menge betrug 9 Procent. Bunsen und Playfair haben bekanntlich früher schon beim Glühen von Kohlen ähnliche Resultate erhalten,Rammelsberg, Lehrbuch der chemischen Metallurgie S. 46 geben jedoch keinen Stickstoffgehalt an, was darin seinen Grund haben könnte, daß sie vielleicht eine ganz frische Kohle zu ihren Versuchen verwendeten. Die angeführten Versuche beweisen, wie mir scheint, zur Genüge, daß auch die Holzkohle Stoffe in sich enthält, durch deren Gegenwart die Stahlbildung bei der Cementstahlbereitung sich erklären läßt. Da es nämlich bekannt ist, daß das Leuchtgas zu der Cementstahlfabrication zu benutzen ist, was eben nur darin seinen Grund haben kann, daß dieses Gas bei einer höhern Temperatur Kohlenstoff in sehr fein zertheiltem Zustande abscheidet, so folgt daraus von selbst, daß auch jedes andere Gas, welches sich bei höherer Temperatur in ähnlicher Weise zersetzt, dem Leuchtgas ähnlich wirken muß. Dahin gehören aber das leichte Kohlenwasserstoff- und, nach Stammer's Versuchen, das Kohlenoxydgas bei Gegenwart von Eisen. Diese beiden Gase sind es, welche bei der Bereitung des Cementstahles mittelst reiner Kohle den Kohlenstoff in einem Zustande so feiner Zertheilung liefern, daß er vom glühenden Eisen aufgenommen werden kann. Indessen geht auf diesem Wege die Stahlbildung jedenfalls schwieriger von statten, als bei Gegenwart von Cyan, was ich durch Versuche mit Kohlenoxydgas einestheils selbst erprobt habe, womit es mir nicht gelang, unter denselben Verhältnissen Stahl zu erzeugen, unter welchen ich mittelst Cyan oder Cyankalium denselben mit Leichtigkeit erhalten hatte; was aber auch dadurch sehr deutlich zu erkennen ist, daß alle Sachverständigen darin übereinstimmen, daß durch Zusatz von Potasche zur Holzkohle, oder durch Anwendung von thierischer Kohle ein besserer Stahl erhalten werde, als mit Holzkohle allein. Jedenfalls wird die Stahlbildung erleichtert und beschleunigt, wenn die zur Bildung von Cyankalium nöthigen Bedingungen erfüllt werden und darum ist es rationell, und, wie schon Reaumur auf empirischem Wege ermittelt hat, vortheilhaft, der Holzkohle Holzasche beizumischen. Auch bin ich fest überzeugt, daß ein mehrmals gebrauchtes Kohlenpulver, nachdem es einige Zeit an der Luft gelegen hat, mit Zusatz von Asche immer von Neuem wieder zum Cementiren benutzt werden kann, vorausgesetzt, daß die Kohle nicht durch oft wiederholtes Glühen ihre Fähigkeit, atmosphärische Luft zu absorbiren, verliert. Die Erklärung der Carbonisation des Eisens im Hohofen ergibt sich nach dem Angeführten von selbst. Hier wirken Kohlenwasserstoff und Kohlenoxydgas, sowie Cyankalium, gemeinschaftlich, ja es kann wohl sogar zugegeben werden, daß hier, so wie in allen Fällen, wo geschmolzenes Eisen mit Kohle in Berührung kommt, eine unmittelbare Aufnahme stattfindet. Für die Wirksamkeit des Cyankaliums scheint die verschiedene Beschaffenheit der Hohofengase in verschiedenen Höhen über der Form ganz deutlich zu sprechen: BunsenRammelsberg, Lehrbuch der chemischen Metallurgie S. 109. fand nämlich unter den Gasen des Hohofens von Veckerhagen 5¾′ über der Form 64,58 Proc. Stickstoff 8¾′ 61,45 11¾′ 63,89 13⅓ ′ 62,47 14¾′ 66,29 16¼ ′ 62,25 Die Abnahme der Stickstoffmenge bei 8¾′ über der Form bis zu 14¾′ beweist, daß ein Proceß im Hohofen stattfindet, durch welchen ein Theil des Stickstoffs gebunden wird. Dieß ist die Bildung von Cyankalium. Die plötzliche und auffallende Zunahme der Stickstoffmenge aber bei 16¼′, die in ähnlicher Höhe bei anderen Experimentatoren und anderen Hohöfen stets wieder vorkommt,S. Rammelsberg a. a. O. S. 109 die Versuche von Langberg und Scheerer und S. 111 Bunsen's Versuche mit dem Hohofen von Alfreton. beweist ebenso klar, daß ein Theil von irgendwie gebunden gewesenem Stickstoff plötzlich wieder frei geworden ist. Die Ursache hiervon liegt, wie ich nicht zweifle, darin, daß in den höheren Teufen des Schachtes, wo die Analysen wiederum eine Abnahme des Stickstoffgehaltes nachweisen, Ferrocyancalium gebildet wird, welches beim Niedergehen mit der Gicht sich zersetzt in Cyankalium, Kohleneisen und freien Stickstoff. Für die Wirksamkeit des Kohlenoxyds läßt sich aus den Hohofengasen schwieriger der Nachweis führen, weil die Zersetzung des Kohlenoxyds durch das Eisen in Kohlensäure und Kohle nicht so auffällig bemerkbar wird, da sofort wieder eine Reduction der Kohlensäure stattfinden muß; dagegen finden sich nur höchst geringe Mengen von Grubengas und Wasserstoff, was darin seine Erklärung findet, daß das erstere zersetzt und der freie Wasserstoff, wie nicht anders möglich, zu Wasser wird.