Titel: Der neue Buchstaben-Schreibtelegraph des Mechanikus Matth. Hipp aus Reutlingen (Württemberg).
Autor: E. Dingler
Fundstelle: Band 122, Jahrgang 1851, Nr. VII., S. 41
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VII. Der neue Buchstaben-Schreibtelegraph des Mechanikus Matth. Hipp aus Reutlingen (Württemberg). Hipp's Buchstaben-Schreibtelegraph. Bei dem amerikanischen Buchstaben-Schreibtelegraphen, dessen im polytechn. Journal Bd. CXX S. 103 Erwähnung geschah, findet der nicht zu beseitigende Uebelstand statt, daß alles was telegraphirt werden soll, vorher auf ein die Elektricität leitendes Papier geschrieben werden muß. In vielen Fällen kommt es aber vor, daß die Zeit, während welcher geschrieben und die Tinte getrocknet wird, wenn sie auch nur etwa 10 Minuten beträgt, so erheblich ist (z.B. bei dem Eisenbahnverkehr), daß der Hauptzweck der augenblicklichen Mittheilung verfehlt ist. Dieser und einige andere Umstände veranlaßten Hrn. Hipp darauf zu denken, einen Telegraphen zu construiren, der im Besitz aller wesentlichen Vortheile der Schreibtelegraphen ist, deren Nachtheile aber ausschließt, welcher also die leichte Handhabung des Zeichen-Telegraphen mit der Geschwindigkeit des Morse'schen und der bequemen Lesbarkeit des Schreib- oder Druck-Telegraphen verbindet. Diesen Anforderungen entspricht – wie den Lesern des polytechn. Journals durch eine Notiz in Bd. CXXI S. 234 bekannt ist – ein neuer von Hipp erfundener Schreibtelegraph, auf welchem durch Anschlagen von Tasten, die mit den einzelnen Buchstaben bezeichnet sind, telegraphirt, und gleichzeitig auf der andern Station von einer Feder mit gewöhnlicher Tinte und den Buchstaben des lateinischen Alphabets auf gewöhnliches Papier, das um eine Walze gelegt ist, geschrieben wird. Auf die Erfindung dieses neuen Schreibtelegraphen leitete Hrn. Hipp eine eigenthümliche Entdeckung; er ermittelte nämlich eine Figur, welche in einem Zug von einem Schreibstift gemacht werden kann, und in der das lateinische Schreibe-Alphabet inbegriffen ist; diese fand er in der Form in derselben sind alle kleinen Buchstaben des lateinischen Alphabets mit Ausnahme von x und y enthalten, mit der Abänderung, daß das m seinen letzten Strich vorn hat, das r nur gleich einer rasch geschriebenen 2 ist, und bloß das lange s gebraucht wird. Sein Apparat besteht in der Hauptsache aus zwei Theilen, von denen der eine die Depesche schreibt, während der andere das hierzu erforderliche Oeffnen und Schließen der elektrischen Kette vermittelt. Der die Depesche schreibende Theil besteht aus zwei auf einer und derselben Achse befindlichen excentrischen Scheiben, welche durch ein Gewicht in Rotation versetzt werden, das zu gleicher Zeit einen mit Papier umwickelten Cylinder unter einem sich bewegenden Schreibstift langsam dreht. Die Bewegung des Schreibstifts hängt von der Bewegung der Scheiben ab, indem durch deren verschieden geformte Erhöhungen ein Doppelhebel so bewegt wird, daß der Endpunkt desselben immerfort die oben angeführte Figur auf dem Papier beschreibt, so lange nicht durch Unterbrechung des Stroms und Abfallen der Armatur eine Feder frei gemacht wird, welche den Schreibstift vom Papier abhebt. Dieser Schreibstift ist ein kleiner Heber, dessen eines Ende in einen Tintenbehälter geht; das Ausströmen der Tinte wird aber durch die Capillarität der feinen Röhre so zurückgehalten, daß es nur dann erfolgt, wenn die Spitze mit dem Papier wirklich in Berührung ist. Den zweiten Theil der Hipp'schen Maschine bildet der Unterbrechungs-Apparat, welcher veranlaßt, daß der galvanische Strom stets während derjenigen Zeit unterbrochen wird, wo der Schreibstift seinen Zug nur in der Luft und nicht auf dem Papier machen soll. Es ist nämlich ein System von Tasten, welche den zu schreibenden Buchstaben entsprechen, mit einer Walze in Verbindung gebracht, so daß der Druck auf eine Taste einen Hebel nach der Walze zu sich neigen macht, auf der sich eine Reihe von excentrischen Scheiben befindet. Diese Walze hat Aehnlichkeit mit derjenigen einer Drehorgel, nur ist sie nicht mit Stiften versehen, weil der Schreibstift nicht bloß einen Punkt machen oder nur einen Moment auf dem Papier aufliegen soll; sondern sie ist mit längern vorstehenden Erhöhungen versehen, welche den Schreibstift gerade so längere Zeit mit dem Papier in Berührung erhalten, wie die Drahtbügel einer Drehorgel-Walze die Klappe einer Pfeife so lange geöffnet erhalten, bis diese Walze sich um einen der Erhöhung entsprechenden Winkel gedreht hat. Von der Länge dieser Erhöhungen hängt die Größe desjenigen Theils der ganzen das Alphabet enthaltenden Figur ab, welchen man auf dem Papier abbilden will, und von der Stellung (Verdrehung) der Erhöhungen ist es alsdann wieder abhängig, ob der erste, zweite, dritte etc. Theil der ganzen Schreibfigur, nämlich der Buchstabe a, b, c etc., durch Tinte auf dem Papier bezeichnet wird. Ueberdieß greift eine Feder bei jedem Zug in die 60 Zähne eines Regulatorrades und regulirt ganz unabhängig durch die Größe ihrer Spannung die Bewegung vollkommen, was bei dem Apparat durchaus nöthig ist.Denselben Regulator wendet Hr. Hipp bei seinem im polytechn. Journal Bd. CXIV S. 255 beschriebenen Chronoskop an, einem Uhrwerk, welches 1/1000 Theil einer Secunde angibt und in Verbindung mit einer galvanischen Batterie und sehr einfachen Nebenapparaten es möglich macht, die Bewegungszeit frei fallender Körper, selbst wenn der Fallraum nur einige Linien beträgt, sowie die Geschwindigkeit der Projectile mit der größten Zuverlässigkeit zu bestimmen. – Mit einem solchen Chronoskop, welches gegenwärtig für Hrn. Wheatstone angefertigt wird, beabsichtigt derselbe seine Versuche über die Geschwindigkeit der Elektricität zu wiederholen. Bei den Versuchen welchen wir beiwohnten, hat der Hipp'sche Telegraph 130 Buchstaben in der Minute mit gewöhnlicher Tinte auf feines Papier deutlich niedergeschrieben; diese Anzahl läßt sich aber nicht unbedeutend steigern, und überdieß kann man durch gleichzeitiges Niederdrücken zweier Tasten sehr verschiedene Zeichen hervorbringen, denen man eine besondere Bedeutung beilegt. Es ist also bei diesem Apparat eine Uebersetzung der gewöhnlichen Schrift in die telegraphische Zeichensprache und umgekehrt gar nicht nothwendig, wodurch offenbar die Möglichkeit von Fehlern sehr verringert wird, da solche nur im Original in Folge Anschlages einer unrichtigen Taste vorkommen können. Auch gestattet das lateinische Alphabet die Abfassung der Depeschen in jeder europäischen Sprache. Wir stellen im Folgenden die Vortheile zusammen, welche der neue Schreibtelegrah – anderen bekannten Telegraphen gegenüber – in sich vereinigt: 1) Die Construction desselben ist einfacher als die aller bis jetzt bekannt gewordenen Telegraphen, welche zum Zweck hatten, mittelst einer für Jedermann lesbaren Schrift zu telegraphiren. 2) Jeder einigermaßen gebildete Mann kann in weniger als einem Tag sich diejenigen Fertigkeiten aneignen, welche zur Handhabung des Telegraphen erforderlich sind, indem man nur auf diejenige Taste zu drücken nöthig hat, die mit dem betreffenden Buchstaben bezeichnet ist. 3) Verglichen mit den bis jetzt bekannten und in Anwendung gebrachten Telegraphen, übertrifft er diese an Geschwindigkeit, indem je nach Umständen 120 bis 160 Buchstaben in der Minute in der Schrift des kleinen lateinischen Alphabets telegraphirt werden können. 4) Die Richtigkeit des folgenden Buchstabens hängt nie von dem vorangegangenen ab, auch rückt das Papier nie weiter vor, als für den betreffenden Buchstaben bestimmt ist, so daß, ob langsam oder schnell telegraphirt wird, die Zwischenräume sich stets gleich bleiben; auch hat man die Größe derselben zwischen Worten und Sätzen ganz in seiner Gewalt. Es kann eine Depesche gleichzeitig so vielfach geschrieben werden als Telegraphen in der Kette eingeschaltet sind. 5) Es ist durchaus nicht nöthig, daß beim Beginn einer Depesche jemand bei der Hand ist, um das Werk in Gang zu setzen, indem die Auslösung desselben von selbst stattfindet. Ein Sachverständiger reicht hin, um eine Menge Telegraphen zu beaufsichtigen. 6) Die pecuniären Vortheile betreffend, wird nicht nur durch größere Geschwindigkeit der Mittheilung an Zeit gewonnen, sondern auch noch dadurch, daß eine Depesche nicht, wie es gegenwärtig bei den besten Telegraphen der Fall ist, abgeschrieben zu werden braucht, sondern im Original selbst den betreffenden Behörden oder Privaten übergeben werden kann. Da folglich alle Abschreibereien wegfallen, so wird das ganze Telegraphenwesen vereinfacht und weniger kostspielig gemacht. 7) Wenn man die gewöhnliche Schreibtinte durch die autographische ersetzt, so kann man die von dem Apparat auf glattes Papier geschriebenen Depeschen mittelst des Druckes auf Stein übertragen und dann die Schrift leicht und schnell vervielfältigen. (Wir legen ein mit dem Apparat geschriebenes Alphabet in lithographischem Ueberdruck bei.) 8) Die Bewahrung des Geheimnisses betreffend, ist einleuchtend, daß in wichtigen Fällen die Depesche nicht nur ohne Vermittlung des Telegraphisten von hohen Personen unmittelbar selbst abgegeben, sondern auch unmittelbar in Empfang genommen werden kann. 9) Endlich gewährt dieser Telegraph den Vortheil, daß wenn z.B. zwischen zwei Hauptstationen mehrere Zwischenstationen sich befinden, es ganz in der Gewalt der Telegraphisten der Hauptstationen liegt, bei Absendung der telegraphischen Depesche die Zwischenstationen zu umgehen oder nicht, in der Art daß letztere nicht angerufen zu werden brauchen, und solche auch gar nichts erfahren, wenn bloß zwischen den Hauptstationen Textabbildung Bd. 122, S. 45 correspondirt werden will, ohne daß dadurch der Möglichkeit Eintrag gethan wird, zu jeder Zeit mit allen Stationen gleichzeitig und gegenseitig in Verbindung zu treten. Die Rückhaltslosigkeit, mit welcher Hr. Hipp den Sachverständigen seine so sinnreiche und so wichtige Erfindung mittheilt, berechtigt zu der Erwartung, daß er auch die wohlverdiente Anerkennung finden und daß Behörden und Privaten bei Einführung seines Telegraphen ihn für die auf dessen Construction und Vollendung verwendete Zeit und Kosten entschädigen werden. Augsburg, den 8. Oct. 1851. E. Dingler.