Titel: Ueber mikroskopische Vegetationen, welche den festen Zucker angreifen; von Professor Payen.
Fundstelle: Band 122, Jahrgang 1851, Nr. LXXX., S. 381
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LXXX. Ueber mikroskopische Vegetationen, welche den festen Zucker angreifen; von Professor Payen. Im Auszug aus den Comptes rendus, October 1851, Nr. 15. Payen, über mikroskopische Vegetationen, welche den Zucker angreifen. Während des Sommers 1843 zeigte sich in mehreren Pariser Zuckerraffinerien an dem krystallisirten Zucker, sowohl dem rohen als raffinirten, eine eigenthümliche Veränderung, nämlich eine röthliche Färbung und kleine, in unregelmäßigen Längenstreifen zerstreute Höhlungen, welche das äußere Aussehen der weißen Zuckerhüte veränderten und sie unverkäuflich machten. Die Ursache dieser Beschädigung der Zucker erkannte ich in einem kryptogamischen Gewächs, dessen äußerst zarte Keimkörner einen Durchmesser von höchstens 1 bis 2 Tausendstel eines Millimeter hatten. (Zwei Abbildungen desselben befinden sich auf der colorirten Tafel Nro. 1 der Abhandlung, welche von mir und Hrn. v. Mirbel im Febr. 1845 der französischen Akademie der Wissenschaften eingereicht wurde und in Bd. XX ihrer Memoiren abgedruckt ist.) Im heurigen Jahre wurde von Hrn. Bayvet zur selben Jahreszeit in seiner Raffinerie eine ähnliche Veränderung, jedoch ohne röthliche Färbung, beobachtet. Die Zuckerhüte, an welchen bis dahin kaum etwas graue Punkte zu bemerken waren, hatten nämlich einige Tage, nachdem sie aus der Trockenstube gekommen, statt einer glatten, krystallinischen, weißen und glänzenden Oberfläche, ein mattes Ansehen und eine runzelige Oberfläche; hie und da hatten sich kleine unregelmäßige (aber nicht in Streifen geordnete) Höhlungen von 1,4 bis zu 2 Millimeter Tiefe gebildet. Hr. Bayvet schickte mir zwei Proben dieser Zuckerhüte, deren eine vom untern Theil, die andere von der kegelförmigen Spitze abgeschlagen war; indem ich einige, am Boden der kleinen Höhlungen gesammelte Stückchen der zerfallenen Krystalle unter das Mikroskop brachte, überzeugte ich mich, daß an allen angegriffenen Theilen der Oberfläche dieses Zuckers eine kryptogamische Pflanze vorkommt, jener vom Jahr 1843 ähnlich, mit Ausnahme der rothen Farbe, welche hier durch eine sehr blasse graue Färbung ersetzt ist; die Dimensionen mehrerer Keimkörner und Fäserchen sind jedoch diesesmal stärker. Noch eine Eigenthümlichkeit beobachtete ich, welche ich im Jahr 1845 anzugeben unterließ und die doch bemerkt zu werden verdient; es hatte sich nämlich an den Wänden der Höhlungen ein äußerst dünnes, membranähnliches Häutchen gebildet, welches den Verzweigungen der Fäserchen als Stütze diente; ihrer Farbe und ihrem Verhalten nach schien diese Membran zur Entwicklung des Gewächses selbst zu gehören, indem sie, wie dieses, von wässeriger Jodlösung orangegelb gefärbt wurde, denselben Reagentien (Ammoniak, Essigsäure, verdünnten Mineralsäuren) widerstand und ebenso durch concentrirte Schwefelsäure ihren Zusammenhang verlor. Behufs ihrer botanischen Bestimmung übergab ich die Pflanze Hrn. Dr. Montagne, der in ihr eine neue Gattung erkannte, welche er (ihres Sitzes wegen) Glycyphila benannte. Von dem Gedanken sie unter die Algen zu ordnen, ist er abgekommen, weil ein Hauptcharakter dieser Algen (Mycophyceen) der ist, sich in einer Flüssigkeit zu entwickeln, was hier nicht der Fall ist. Der Gattungscharakter dieser neuen, der Familie der Schimmelpilze sich anreihenden Schmarotzerpflanze ist folgender: Glycyphila, Montagne. – Fila arachnoidea, hyalina, ramosissima, membranula anhista (ut videtur) religata, septatat, hologonimica. Rami dichotomi, attenuati, sporas (?) seriatas includentes. Sporae mox liberatae, globosae, coloratae, tandem conglomeratae, juniores limbo gelatinoso cinctae. Die im Jahr 1843 beobachtete, rothe und die neuerdings beobachtete grauliche Species dieser Pflanze beschreibt Dr. Montagne im Wesentlichen wie folgt: 1. – G. erythrospora M.- filis dichotomis, sporis rubris primitus inclusis, tandem medio conglomeratis. 2. – G. elaeospora M. – filo primario proratione crasso subnodoso, ramis dichotomis varie versis intricatisque, sporis ex umbrino olivaceis secundum ramos sparsis aut conglbatis. Aus meiner Untersuchung ergeben sich folgende Thatsachen: 1) Ein kryptogamisches Gewächs, welches durch seine Keimkörner fortgepflanzt wird, die in der Luft herbeigeführt und ungleich ausgestreut werden, greift den Zucker an. 2) Diese Körperchen fallen in unwägbarer Menge auf die glatte Oberfläche des weißen, festen, krystallisirten Zuckers, welcher bald davon angegriffen und dann stellenweise in Wasser und Kohlensäure umgesetzt wird. 3) Der consumirte Zucker dient der unmerklichen Vegetation zur Nahrung; ohne Zweifel bemächtigt sie sich auch der zwischen den Krystallen eingeschlossenen Spuren stickstoffhaltiger Substanzen, welche zur Entwickelung der Pflanze in keinem Fall entbehrlich sind. Wir haben hier ein neues Beispiel der unermeßlichen Zerstörungskraft sich in Anzahl vermehrender mikroskopischer Gewächse. Die manchmal schwieriger, als es hier der Fall ist, nachzuweisende Wirkung dieser Geschöpfe niederster Gattung kann unter gewissen natürlichen Umständen in einem Grade eintreten, wo sie für den Landwirth ein wahres Unglück werden. Zusatz. In obiger Abhandlung ist des den Zucker heimsuchenden Schmarotzerpilzes in botanischer Hinsicht auf das Ausführlichste gedacht; aber keineswegs der Ursache des Verderbens der Zucker und der Mittel es zu bekämpfen. Ich hatte öfters Gelegenheit, Beobachtungen über diese Krankheit anzustellen, und fand häufig 1/5, 1/4 bis 1/3 einer Scheibe, namentlich an der Spitze des Huts dadurch verdorben. Die Ursache davon liegt keineswegs im Zucker selbst und ebensowenig in den Operationen, welche man beim Raffiniren mit ihm vornimmt; vielmehr glaubte ich sie in den Formen suchen zu müssen als Folge eines in deren Poren eingeschlossenen Ferments. Ist dieses der Fall, so kann dieses Ferment erst dann wirken, wenn die Circulation des Syrups oder des Klärfels in den Zwischenräumen der Krystalle unterbrochen wird, und das ist der Fall zu der Zeit, wo der letzte Decksyrup abtröpfelt. Dieser sogenannte Nalop läuftlauft bekanntlich nicht in großer Menge und nur langsam ab, und geht wegen seiner verhältnißmäßig geringeren Dichtigkeit leicht in Gährung über, eine allen Raffineurs bekannte Thatsache. Ich ließ daher alle Formen, welche verdorbene Zuckerhüte geliefert hatten, zusammenstellen und suchte das in ihren Poren vermuthete Ferment zu zerstören. Ich setzte sie zu diesem Behufe fünf Minuten lang der Einwirkung directen Dampfes aus, um allen gegohrnen Zucker welchen sie zu enthalten pflegen und den man mit Wasser nicht herauswaschen kann, zu verkohlen, worauf sie in heißem Wasser gespült und wieder mit Zucker gefüllt wurden. Ich brachte nämlich die Hälfte eines Suds in solche mit Dampf gereinigte Formen, und die andere Hälfte in Formen, welche auf gewöhnliche Weise gewaschen waren. Meine Erwartung ging ganz in Erfüllung. Die aus den ersten Formen hervorgegangenen Hüte (Brode) waren vollkommen rein, während die andern mit dem bekannten kryptogamischen Gewächs überzogen waren. Somit war die Ursache des Nebels und das Mittel dagegen gefunden. Wiederholte Versuche, auch an andern Orten, z> B. in Amerika, lieferten dieselben Resultate. Die sogenannte Krankheit des Zuckers ist mithin nichts anderes, als ein sehr natürliches Verderbniß desselben, veranlaßt durch das ansteckende Ferment, mit welchem die Formen getränkt sind, und womit er also in Berührung kommt; man kann sich davon leicht überzeugen, wenn man die, einige Zeit sich selbst überlassenen Formen besichtigt, wo man dann an ihren Innenwänden eine röthliche, streifige Vegetation von derselben Art, wie die des erkrankten Zuckers, bemerkt. B. Dureau. (Moniteur industriel, 1851, Nr. 1600.)