Titel: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf die Parfümerie.
Fundstelle: Band 123, Jahrgang 1852, Nr. XXIV., S. 150
Download: XML
XXIV. Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf die Parfümerie. Aus einem Briefe von Dr. A. W. Hofmann in London an Prof. Justus Liebig, in den Annalen der Chemie und Pharmacie, Januar 1852, S. 87. Hofmann, die organische Chemie in ihrer Anwendung auf die Parfümerie. Die schöne Arbeit des Hrn. Cahours über das Oel der Gaultheria procumbens, welche uns mit der Natur dieser in der Parfümerie vielfach angewendeten Verbindung bekannt gemacht hat, scheint für die Industrie nicht verloren gegangen zu seyn. Die Einreihung des Wintergrünöls in die Gruppe der zusammengesetzten Aether konnte nicht fehlen, die Aufmerksamkeit der Parfümeriefabrikanten auf diese ausgedehnte Körperclasse zu lenken, deren Anzahl sich täglich durch die rege Thätigkeit im Felde der organischen Chemie noch weiter vermehrt. Der auffallende Obstgeruch vieler dieser Aether war den Chemikern nicht entgangen, allein es war der Praxis vorbehalten, die Auswahl zu treffen und die Verhältnisse zu ermitteln, in denen einzelne derselben das Aroma gewisser Früchte in so hohem Grade nachahmen, daß man sich fast zu dem Glauben versucht fühlt, es seyen gerade diese Verbindungen die Ursache des Geruchs der bezüglichen Früchte, und man würde dieselben darin auffinden, wenn man in hinlänglichem Maaßstabe arbeitete. Die künstliche Erzeugung aromatischer Oele für die Zwecke der Industrie kann erst seit wenigen Jahren im Gange seyn; so jung aber diese Fabrication auch ist, so scheint sie nichtsdestoweniger schon in den Händen vieler Destillateure zu seyn, von denen einige ziemlich beträchtliche Mengen darstellen. Hiervon konnte sich die Jury der Londoner Industrie-Ausstellung bei ihrer Untersuchung des in diesem Felde Ausgestellten überzeugen. Wir fanden bei unsern Umgängen in der Exhibition sowohl in der englischen als auch in der französischen Abtheilung eine reiche Auswahl dieser chemischen Parfümerien, deren Anwendbarkeit überdieß durch die gleichzeitige Ausstellung der damit aromatisirten Confituren überzeugend illustrirt war. Leider sind die meisten dieser Oele nur in kleinen Quantitäten eingesendet worden, so daß die Proben, welche ich nehmen konnte, nur in wenigen Fällen eine genauere Untersuchung erlaubten. Die am häufigsten ausgestellte Verbindung war eine Pear Oil (Birnöl) etiquetirte Flüssigkeit, welche sich bei der Untersuchung als eine alkoholische Auflösung von reinem essigsaurem Amyloxyd erwies. Da ich nicht genug hatte, um die Verbindung hinlänglich für die Verbrennung reinigen zu können, so zerlegte ich sie mit Kali, wo sich alsbald freies Fuselöl ausschied, und bestimmte die Essigsäure in der Form des Silbersalzes. 0,3089 Grm. Silbersalz gaben 0,1994 Grm. Silber. Silberprocente im essigsauren Silber:       Theorie.       Versuch.         64,68.         64,55. Das essigsaure Amyloxyd, nach dem gewöhnlichen Verfahren (1 Thl. Schwefelsäure, 1 Thl. Fuselöl und 2 Thle. essigsaures Kali) dargestellt, zeigte allerdings einen auffallenden Obstgeruch, allein das angenehme Aroma der Jargonelle-Birne trat erst bei der Verdünnung mit etwa dem sechsfachen Volum Weingeist deutlich hervor. Auf nähere Erkundigung bei den Ausstellern erfuhr ich, daß ziemlich beträchliche Quantitäten dieses Oeles (von einigen zwischen 15 und 20 Pfund wöchentlich) fabricirt werden. Es dient vorzugsweise zur Aromatisirung der in England sehr beliebten Birn-tropfen (pear-drops), welche beinahe nur aus gewöhnlichem Gerstenzucker bestehen. Neben dem Birnöle figurirt das Apfelöl (apple-oil). Es ist, wie die Untersuchung zeigt, nichts anderes als valeriansaures Amyloxyd, und Jedem fällt dabei der unerträgliche Geruch nach faulen Aepfeln ein, der das Laboratorium erfüllt, wenn man Valeriansäure darstellt. Behandelt man das rohe Destillat dieser Operation mit verdünntem Alkali, so wird die Valeriansäure entfernt und man erhält den Aether, dessen Lösung in etwa dem 5- oder 6fachen Volum Alkohol ein höchst angenehmes Aepfelarom besitzt. Die in größter Menge vorhandene Essenz war das Ananas-Oel (pine apple-oil), welches, wie Ihnen bekannt, nichts Anderes als buttersaures Aethyloxyd ist. Auch diese Verbindung, wie die beiden vorigen, zeigt den angenehmen Geruch erst bei der Verdünnung mit vielem Alkohol. Der Buttersäureäther, der in Deutschland vielfach den schlechteren Rumsorten zugesetzt wird, dient hier vorzugsweise zur Aromatisirung eines limonadeartigen Getränkes (pine apple-ale). Zu diesem Zweck wird er aber selten aus reiner Buttersäure bereitet, sondern häufig nur durch Verseifung der Butter und Destillation der abgeschiedenen Seife mit concentrirter Schwefelsäure und Alkohol. Die auf diese Weise gewonnene Flüssigkeit enthält natürlich neben Buttersäure-Aether noch andere Aetherarten, kann aber ohne Weiteres zum Aromatisiren verwendet werden. Die von mir analysirte Probe schien indessen reiner, aus Buttersäure bereiteter Aether zu seyn. Mit Kali zerlegt, und in Silbersalz verwandelt, gaben 0,4404 Grm. Silbersalz 0,2437 Grm. Silber. Silberprocente eines buttersauren Silbers:       Theorie.       Versuch.         55,38.         55,33. Sogenanntes Cognac-oil und Grape-oil (Traubenöl) waren sowohl von englischen, als auch von französischen und deutschen Ausstellern eingesendet worden. Sie scheinen ziemlich häufig angewendet zu werden, um geringen Branntweinen den beliebten Cognac-Geruch zu ertheilen. Leider waren die ausgestellten Proben zu gering, als daß sich eine genauere Untersuchung mit diesen Oelen hätte anstellen lassen. Namentlich war von dem Cognacöl nur wenig vorhanden; aus der ganzen Probe schieden sich auf Zusatz von Wasser nur wenige Tropfen aus, welche überdieß eine Mischung waren. Das Traubenöl ist jedenfalls eine Amylverbindung, in vielem Alkohol gelöst, denn mit concentrirter Schwefelsäure zersetzt lieferte das durch Waschen mit Wasser von Alkohol befreite Oel Amylschwefelsäure, welche durch die Analyse des Bariumsalzes identificirt wurde. 1,2690 Grm. amylschwefelsaures Barium gaben 0,5875 Grm. schwefelsaures Barium. Dieß entspricht 45,82. Procent schwefelsaurem Barium. Das von Cahours und neuerdings wieder von Kekulé analysirte krystallisirte amylschwefelsaure Barium mit 2 Aeq. Wasser enthält 45,95 Procent schwefelsaures Barium. Es ist gewiß bemerkenswerth, daß wir hier einen Körper, der wegen seines unerträglichen Geruchs mit der größten Sorgfalt aus dem Branntwein entfernt wird, in veränderter Form wieder zur Aromatisirung desselben Getränkes verwendet sehen. Noch muß ich des künstlichen Bittermandelöls gedenken. Mitscherlich, als er im Jahre 1834 das Nitrobenzol entdeckte, hat gewiß nicht geahnt, diesen Körper nach zwanzig Jahren in beträchtlicher Menge auf einer Industrie-Ausstellung zu finden. Zwar machte er schon damals auf die bemerkenswerthe Aehnlichkeit aufmerksam, welche der Geruch des Nitrobenzols mit dem des Bittermandelöls hat, allein die einzigen Quellen für die Darstellung des Benzols zu jener Zeit, nämlich das Oel des comprimirten Gases und die Destillation der Benzoësäure, waren viel zu kostspielig, und schlossen jeden Gedanken aus an die Anwendung des Nitrobenzols als Surrogat für Bittermandelöl. Indessen gelang es mir, wie Sie sich erinnern, im Jahr 1845 mittelst der bekannten Anilinreaction die oft vermuthete Gegenwart des Benzols in dem gewöhnlichen leichten Steinkohlentheeröle aufs Bestimmteste nachzuweisen, und 1849 zeigte C. B. Mansfield durch eine sorgfältige Untersuchung, daß sich das Benzol ohne Schwierigkeit und in großer Menge aus dem Steinkohlentheeröl gewinnen läßt. In seiner Abhandlung,Polytechn. Journal Bd. CXII S. 308. welche manche bemerkenswerthe Details über die praktischen Anwendungen des Benzols enthält, ist auch der Möglichkeit gedacht, daß man nunmehr das wohlriechende Nitrobenzol in größerer Menge erhalten könne. Wie die Ausstellung gezeigt, hat die Industrie diese Bemerkung nicht ungenützt gelassen. Unter den französischen Parfümerien fanden sich unter der Bezeichnung künstliches Bittermandelöl und unter dem Phantasie-Namen Essence de Mirbane verschiedene Proben von Oelen, welche sich bei genauerer Prüfung als mehr oder minder reines Nitrobenzol erwiesen. Ich war nicht im Stande, genaue Erkundigungen über die Ausdehnung dieser Fabrication einzuziehen, jedoch scheint dieselbe nicht unbeträchtlich zu seyn. Hier in London namentlich werden ziemliche Mengen dieses künstlichen Bittermandelöls dargestellt. Der benutzte, sehr einfache Apparat ist von Hrn. Mansfield angegeben. Er besteht aus einer großen Glas-Serpentine, deren oberes Ende sich gabelförmig in zwei Röhren spaltet, welche mit Eingießtrichtern versehen sind. In den einen dieser Trichter stießt langsam ein Strahl concentrirter Salpetersäure, während der andere zur Aufnahme des Benzols (welches zu diesem Ende natürlich nicht absolut rein zu seyn braucht) bestimmt ist. An dem Vereinigungspunkt der Trichterröhren treffen die beiden Körper zusammen, die gebildete chemische Verbindung fühlt sich beim Durchfließen durch die Serpentine hinreichend ab, und braucht nur noch mit Wasser und zuletzt mit etwas verdünntem kohlensaurem Natron gewaschen zu werden, um für den Gebrauch fertig zu seyn. Das Nitrobenzol, obwohl in seinen physikalischen Eigenschaften dem Bittermandelöl sehr nahe stehend, hat indessen doch einen etwas abweichenden Geruch, der von geübter Nase leicht erkannt wird. Indessen dient es sehr zweckmäßig zum Parfümiren der Seife, und dürfte auch in der Conditorei und für unsere Kochkunst vielfacher Anwendung fähig seyn. Für letztern Zweck hat es namentlich den Vortheil vor dem Bittermandelöl, daß es keine Blausäure enthält. Außer den genannten waren noch viele andere ähnliche Producte ausgestellt, allein die meisten waren zu complicirter Art und in zu geringer Menge vorhanden, als daß sich die Zusammensetzung mit Sicherheit hätte ermitteln lassen. Bei sehr vielen dieser Essenzen war überdieß die Aehnlichkeit mit den angegebenen Aromen äußerst zweifelhaft. Die Anwendung der organischen Chemie auf die Parfümerie ist noch neu; und es läßt sich erwarten, daß eine genauere Durchsicht der bekannten und täglich bekannt werdenden Aether oder ätherähnlichen Verbindungen zu weiteren Ergebnissen führen wird. Die interessanten Capryläther, welche Hr. Bouis neuerdings entdeckt hat, sind vielfach durch einen äußerst aromatischen Geruch ausgezeichnet – das essigsaure Capryloxyd z.B. besitzt einen ebenso intensiven als angenehmen Geruch – und versprechen, wenn sie anders sich in größerer Menge werden darstellen lassen, der Parfümerie neue Materialien zu liefern. Zusatz. Wir stellen im Folgenden für Techniker die Verfahrungsarten zusammen, wonach die erwähnten aromatischen Oele sich künstlich mittelst Kartoffelfuselöls darstellen lassen. Kartoffelfuselöl (Fuselalkohol, Amyloxydhydrat). – Bei der Destillation des Kartoffelbranntweins erhält man am Ende eine trübe Flüssigkeit, aus welcher sich ein ölartiger Körper absondert. Man erhält ihn am besten, wenn man das, was bei der Rectification des Branntweins in der Blase und in dem Lutterkasten zurückbleibt (das Phlegma), rectificirt. Er schwimmt auf dem Wasser, welches zuletzt übergeht; er schwimmt gleichfalls auf dem Wasser, welches, wenn man von der Maische den Branntwein abdestillirt hat und die Destillation fortsetzt, übergeht. Man schüttelt ihn mehrere Male mit Wasser, und destillirt so lange davon ab, bis der Kochpunkt 132° C. (105°,7 R.) beträgt; was vor dieser Temperatur übergeht, ist wasserhaltiger, etwas fuselölhaltiger Alkohol. So lange die Temperatur 132° C. bleibt, geht Fuselöl über; steigt die Temperatur, so unterbricht man die Destillation. Die übergegangene Flüssigkeit unterwirft man noch einmal der Destillation; was bei 132° C. übergeht, ist reines Fuselöl.Mitscherlich's Lehrbuch der Chemie, Berlin 1844, Bd. I S. 309. Dasselbe ist farblos, dünnflüssig, schmeckt brennend und scharf, und hat den bekannten Fuselgeruch; sein spec. Gewicht ist 0,8184. Es ist wenig in Wasser, aber in Alkohol und Aether in jedem Verhältniß löslich; es Wird bei – 20° fest und kocht bei 132° C. Erhitzt brennt es mit bläulicher Flamme. An der Luft verändert es sich sehr wenig. Essigsaures Amyloxyd (sogenanntes Birnöl). – Es wird nach Cahours Journal für praktische Chemie, 1841, Bd. XXII S. 176. erhalten, wenn man 1 Th. Kartoffelfuselöl, 1 Th. concentrirte Schwefelsäure und 2 Th. essigsaures Kali vermischt und destillirt. Das Product wird mit alkalihaltigem Wasser gewaschen, mit Chlorcalcium getrocknet und über Bleioxyd rectificirt. – Es ist eine farblose Flüssigkeit, riecht ätherartig, nicht unähnlich dem Essigäther, kocht bei 125° C. und destillirt unverändert über, schwimmt auf dem Wasser, worin es unlöslich ist, löst sich in Alkohol, Aether und Kartoffelfuselöl. Durch eine Lösung von Kali in Alkohol wird es zersetzt und gibt essigsaures Kali. Valeriansaures Amyloxyd (sogenanntes Apfelöl). – Es wird nach Balard Journal für praktische Chemie, 1845, Bd. XXXIV S. 142. erhalten, wenn man eine in der Kältegesättigte Lösung von doppelt-chromsaurem Kali mit einem Ueberschuß von concentrirter Schwefelsäure mischt und zu der so bereiteten Flüssigkeit Kartoffelfuselöl setzt; es entwickelt sich Wärme, Chromalaun wird gebildet und Valeriansäure bleibt in der wässerigen Flüssigkeit gelöst, aus deren Oberfläche sich ein ölartiger Körper ansammelt, welcher valeriansaures Amyloxyd ist. – Diese Aetherart ist eine Flüssigkeit von einem Geruch, der an die in Zersetzung begriffenen Weintrestern erinnert; sie siedet bei ungefähr 196° C. Buttersaures Aethyloxyd (Buttersäureäther, sogenanntes Ananas-Oel). – Man erhält es nach Wöhler,Annalen der Chemie und Pharmacie, 1844, Bd. XLIX S. 359. wenn man Butter mit einer concentrirten Kalilauge verseift, die Seife in der kleinsten erforderlichen Menge starken Alkohols mit Hülfe von Wärme auflöst, diese Lösung mit einem Gemisch von Alkohol und concentrirter Schwefelsäure versetzt bis sie stark saurer reagirt, und sie der Destillation so lange unterwirft als noch das Destillat einen obstartigen Geruch hat. – Aus der so erhaltenen Auflösung des Buttersäureäthers in Alkohol kann man den reinen Aether durch wiederholte Rectification und Behandlung mit Chlorcalcium abscheiden. E. D.