Titel: | Ueber die Anwendbarkeit der Kohlenstickstoffsäure (Welter's Bitter) zum Gelbfärben der Seide und Wolle; von Prof. J. Girardin in Rouen. |
Fundstelle: | Band 123, Jahrgang 1852, Nr. LXVI., S. 371 |
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LXVI.
Ueber die Anwendbarkeit der Kohlenstickstoffsäure
(Welter's Bitter)
zum Gelbfärben der Seide und Wolle; von Prof. J. Girardin in
Rouen.
Aus dem Journal de Pharmacie, Januar 1852, S.
30.
Girardin, über die Anwendbarkeit der Kohlenstickstoffsäure in der
Färberei.
Hr. Guinon, ein geschickter
Färber in Lyon, wendet die Kohlenstickstoffsäure – welche bekanntlich die
Eigenschaft hat, der Haut eine sehr haltbare und schöne gelbe Farbe zu ertheilen
– seit dem J. 1847 zum Färben der Seide an, nämlich um derselben ein Helles
und mittleres Gelb, bis zum Schwefelgelb oder hellen Citronengelb zu ertheilen. Auf
der Pariser Industrie-Ausstellung im J. 1849 bewunderte man die von Guinon auf diese Art gefärbten Seidenzeuge. Seitdem hat
er eine kleine
Abhandlung über die Bereitung der Kohlenstickstoffsäure und ihre Anwendung zum
Gelbfärben veröffentlicht.Annales de la Société d'agriculture,
d'histoire naturelle et des arts utiles de Lyon, 1849, 2e série, T. I p. 178. – Darnach
ist wohl der Artikel in Payen's Précis de Chimie
industrielle bearbeitet, welcher im polytechn. Journal Bd. CXVIII S. 425 mitgetheilt
wurde.A. d. R.
Das am wenigsten kostspielige Verfahren, um die Kohlenstickstoffsäure (Pikrinsäure)
in großer Menge zu erhalten, hat Laurent im J. 1841
angegeben; es besteht darin, 10 Theile Steinkohlentheer-Oel mit 12 Theilen
gewöhnlicher Salpetersäure zu behandeln. Guinon führt
dieses Verfahren für seinen Zweck folgendermaßen aus:
„In eine Schale von Steingut, welche wenigstens das dreifache Volum der
angewandten Substanzen faßt, bringt man zuerst 3 Theile käufliche Salpetersäure
von 36° Baumé, welche man auf 48° Reaumur erwärmt; man
nimmt die Schale dann vom Feuer, und gießt mittelst einer an ihrem unteren Ende
ausgezogenen Glasröhre, welche man in die Säure tauchen läßt, allmählich einen
Theil des Steinkohlenöls hinein. Jeder Zusatz von Oel bewirkt in der heißen
Säure sogleich eine lebhafte Reaction; die Masse erhitzt sich, indem sie
Kohlensäure und Stickoxyd mit Aufbrausen entbindet.“
„Wenn man befürchten muß, daß die Flüssigkeit über das Gefäß steigt, hört
man auf Oel zuzugießen, und hilft sich durch Zusetzen von ein wenig kalter
Säure. Nachdem alles Oel verwendet wurde, ist der größere Theil desselben schon
in Kohlenstickstoffsäure verwandelt; es bleibt aber viel davon im
Zwischenzustande, nämlich als eine röthliche harzige Substanz zurück. Um die
Umwandlung zu vervollständigen, setzt man drei neue Portionen Salpetersäure zu,
bringt die Flüssigkeit zum Kochen, und dampft sie zur Syrupconsistenz ab, indem
man besorgt ist das Product nicht austrocknen zu lassen; ohne diese Vorsicht
würde es sich entzünden und heftig verbrennen.“
„Man kann die Kohlenstickstoffsäure auch auf die Art bereiten, daß man 1
Theil Steinkohlenöl mit 2 Th. Salpetersäure in der Kälte vermischt. Die Masse
erhitzt sich dann ebenfalls, entbindet Kohlensäure und Stickoxyd; das Aufbrausen
ist aber nicht so lebhaft wie im ersten Falle, es bildet sich wenig Salpetergas,
und man erhält so eine klebrige harzige Substanz, welche man wie vorher in der
Wärme mit Salpetersäure behandeln und dann abdampfen muß.“
„Die syrupartige Flüssigkeit, welche man in diesen beiden Fällen erhielt,
gesteht beim Erkalten zu einer teigigen gelblichen Masse, deren Gewicht beiläufig das
Sechstel der angewandten Substanzen beträgt. Sie besteht aus
Kohlenstickstoffsäure, ein wenig harziger Substanz und Salpetersäure. Um die
Kohlenstickstoffsäure abzusondern, kocht man die Masse in Wasser, welches jene
Säure auflöst und woraus sie beim Erkalten krystallisirt. Zwei oder drei
Krystallisationen liefern die Kohlenstickstoffsäure ziemlich rein; um sie jedoch
chemisch rein zu erhalten, muß man sie mit einer Basis, z.B. Ammoniak verbinden,
dann mit einer Säure (Salpetersäure oder Salzsäure) niederschlagen und hierauf
krystallisiren lassen; dadurch erhält man sie in hell citronengelben
durchsichtigen Krystallen.“
„Für die Anwendung in den Färbereien braucht die Säure nicht ganz rein zu
seyn; man kann sich daher auf folgende Operation beschränken: nachdem man die
teigige Masse auf angegebene Weise erhalten hat, wäscht man sie mit kaltem
Wasser aus, um die überschüssige Salpetersäure zu beseitigen, und löst dann den
Rückstand in kochendem Wasser auf, welchem man Schwefelsäure (beiläufig 1 Theil
auf 1000 Theile Wasser) zugesetzt hat, um die der Kohlenstickstoffsäure
beigemengte harzige Substanz abzuscheiden. Letztere würde der Seide einen
unangenehmen Geruch und der Farbe einen unangenehmen röthlichen Ton ertheilen.
Man erhält so eine hinreichend reine Auflösung von Kohlenstickstoffsäure, welche
man bloß mit einer der gewünschten Nüance entsprechenden Quantität Wasser zu
verdünnen braucht, um sie unmittelbar zum Färben verwenden zu können. Es ist
keinerlei Beizmittel nöthig, um die Verbindung des Farbstoffs mit der Seide zu
begünstigen. Damit die Vereinigung gleichmäßig stattfindet, muß man eine
Temperatur von 24 bis 32° Reaumur anwenden; die aus dem Bad kommende
Seide muß man in die Trockenstube bringen ohne sie vorher zu
waschen.“
Ein Fabrikant, welcher die Kohlenstickstoffsäure in Krystallen in den Handel zu
bringen beabsichtigte, ersuchte mich mit derselben Seide, Wolle und Baumwolle zu
färben; dabei erhielt ich folgendes Resultat:
1) Die Seide nimmt in der wässerigen Auflösung der
Kohlenstickstoffsäure, bei einer Temperatur von 24 bis 32° R., sehr schnell
eine strohgelbe Farbe an. Ich brauchte 6 Gramme und 84 Centigr. krystallisirte
Säure, um 1 Kilogr. Seide in dieser Nüance zu färben. – Aber die so ohne
irgend ein Beizmittel gefärbte Seide gibt einen großen Theil ihres Farbstoffs an das
Wasser beim Auswaschen ab. Wenn man die Seide vorher mit Alaun und Weinstein beizt,
so befestigt sich die Kohlenstickstoffsäure viel haltbarer und man kann dann die
gefärbte Seide ohne Nachtheil mehrmals waschen. In keinem Falle widersteht jedoch die Farbe den
schwachen Säuren, den schwachen Alkalien und schwachem Chlorkalk. Der Luft und Sonne
widersteht sie aber ziemlich gut.
2) Die Wolle verhält sich wie die Seide, nur nimmt sie
eine intensivere Farbe an, und färbt sich schön citronengelb. Man kann 1 Kilogr.
Wolle mit bloß 3 Grammen und 73 Centigr. Kohlenstickstoffsäure in dieser Nüance
färben. Die Farbe widersteht dem Waschen nur dann, wenn die Wolle vorher mit Alaun
und Weinstein gebeizt worden ist. Die Farbe hält sich an der Luft und der Sonne,
widersteht aber den chemischen Agentien nicht.
3) Die Baumwolle, sie mag gebeizt seyn oder nicht, nimmt
in dem Bad der Kohlenstickstoffsäure keine Farbe an.
Die zahlreichen Versuche, welche ich angestellt habe, ergaben also:
1) daß die Kohlenstickstoffsäure für die Seide und die Wolle ein sehr ergiebiger
Farbstoff ist;
2) daß man durch sie den seidenen und wollenen Geweben schöne gelbe Nüancen ertheilen
kann, ohne die Weichheit dieser Gewebe im geringsten zu beeinträchtigen, und zwar
mittelst höchst einfacher Operationen;
3) daß man diese Gewebe vor dem Färben mit Alaun und Weinstein beizen muß, damit sie
das Waschen im Wasser vertragen können;
4) daß die mit Kohlenstickstoffsäure erzeugten Nüancen der Luft und Sonne gut
widerstehen, aber keineswegs den chemischen Agentien, nämlich den Säuren, den
Alkalien und bleichenden Chlorverbindungen;
5) daß die Kohlenstickstoffsäure daher kein ächter Farbstoff ist;
6) daß diese Substanz jedoch beim Färben der Seide und Wolle sehr gute Dienste
leisten kann, besonders wenn sie nicht theuer zu stehen kommt;
7) daß sie in keinem Falle zum Färben der Baumwolle und anderen vegetabilischen
Faserstoffe anwendbar ist.
Ich bemerke noch, daß Hr. Lemoine in Paris (rue de Varenne. No.
22) die Kohlenstickstoffsäure in Krystallen das Kilogramm für 25 Fr. liefert.