Titel: | Ueber den Kautschuk und die Gutta-percha; von Professor Payen. |
Fundstelle: | Band 123, Jahrgang 1852, Nr. LXX., S. 383 |
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LXX.
Ueber den Kautschuk und die Gutta-percha;
von Professor Payen.
Aus den Comptes rendus, Januar 1852, Nr.
1.
Payen, über den Kautschuk und die Gutta-percha.
Seit einigen Jahren bildet der Kautschuk mittelst neuer Behandlungen den Rohstoff
mehrerer großen Industriezweige, welche eine Menge Artikel und Geräthe für den
häuslichen Gebrauch, für die Chirurgie, die mechanischen, physischen und chemischen
Gewerbe, sowie für die Schifffahrt liefern.
Obwohl Faraday die Zusammensetzung des Milchsafts, welcher
den Kautschuk enthält, untersucht, und die Elementar-Analyse des Kautschuks
gemacht hat, kannte man bisher doch nicht alle Eigenschaften des Kautschuks in den
verschiedenen Zuständen, wie er im Handel vorkommt; feine näheren Bestandtheile
waren noch nicht ermittelt. Derselbe Fall ist es hinsichtlich der
Gutta-percha, welche wegen der sie vom Kautschuk unterscheidenden
Eigenschaften noch merkwürdiger ist als wegen ihrer Aehnlichkeiten mit
demselben.
Um diese Lücken, zum Theil wenigstens, auszufüllen, nahm ich eine Untersuchung vor,
deren Hauptresultate hier folgen:
Sorten des festen Kautschuks. – Unter den im
Handel vorkommenden Sorten unterscheidet man: 1) den weißen undurchsichtigen
Kautschuk, in mehr oder weniger großen Massen; 2) denjenigen in unregelmäßigen,
schwach gelblichen und durchsichtigen Blättern; 3) eine Sorte in dicken Blättern
oder in kugelförmigen, hohlen oder vollen Massen von graulichbrauner Farbe, welche
undurchsichtig sind; 4) endlich den in denselben Formen vorkommenden braunen
Kautschuk, welcher mehr oder weniger durchsichtig und fahlgelb ist, wenn man ihn in
dünne Stücke zerschneidet.
Inneres Gefüge. – Untersucht man sehr dünne
Blättchen dieser Sorten unter dem Mikroskop, so beobachtet man darin zahlreiche Poren, welche
unregelmäßig abgerundet sind, mit einander in Verbindung stehen, und sich sogar
unter dem capillären Einfluß solcher Flüssigkeiten, welche die Substanz nicht
aufzulösen vermögen, ausdehnen.
Einwirkung des Wassers. – Die Porosität des
Kautschuks erklärt uns, daß er von verschiedenen Flüssigkeiten, welche keine
merkliche chemische Einwirkung auf ihn äußern, so leicht durchdrungen wird; das
Wasser bietet eines der merkwürdigsten Beispiele dieser Art dar. Dünne Schnitten
trockenen Kautschuks der beiden ersten Sorten, welche 30 Tage im Wasser eingetaucht
blieben, hatten auf 100 Theile, die einen 18,7, die andern 26,4 absorbirt; die
erstern hatten an Länge um 5, und an Volum um 15,75 Procente zugenommen.
Ein gleiches Eindringen der Flüssigkeit kann mit der Zeit auch bei Massen oder dicken
Blättern von Kautschuk stattfinden und natürlich ist dann eine beträchtliche Zeit
erforderlich, um es wieder ganz abzusondern; denn da die Schichten an der Oberfläche
zuerst austrocknen, so ziehen sich deren Poren bedeutend zusammen und widersetzen
sich folglich dem Austrocknen derjenigen Theile welche mehr der Mitte zu liegen.
Diese mechanische Verbindung des Kautschuks mit Wasser muß man bei seinem Ankauf
berücksichtigen, weil dadurch sein wirklicher Werth um 18 bis 26 Proc. verringert
werden kann, während die weißere Farbe eine bessere Qualität anzuzeigen scheint.
Ueberdieß widersetzt sich das vorhandene Wasser dem Eindringen der zum Auflösen oder
Aufschwellen des Kautschuks gebräuchlichen Flüssigkeiten, und vermindert dessen
Zähigkeit sowohl als Dehnbarkeit.Es ist schon lange bekannt, daß die Dehnbarkeit und die Elasticität des
Kautschuks mit der Temperatur zunehmen, bei abnehmender Temperatur sich aber
vermindern und bei 0° fast ganz aufhören; ferner daß bei + 15 oder
25° C. ausgezogene und bei 0° erkaltete Fäden oder Riemchen
bei gewöhnlicher Temperatur ihre Ausdehnung und Steife beibehalten, sich
aber, sobald sie auf 35–40° C. erwärmt werden, plötzlich
zusammenziehen und ihre frühere Elasticität wieder annehmen. Die nützliche
Anwendung, welche die HHrn Rattier und Guibal von diesen Eigenschaften für die Verfertigung
elastischer Gewebe machten, sind bekannt.
Die anscheinende Weiße und die Undurchsichtigkeit haben in der Regel bloß das
zwischengelagerte Wasser zur Ursache, denn eine völlige Austrocknung genügt um die
Färbung und Durchscheinenheit zum Vorschein zu bringen.
Wirkung des Alkohols. – Wasserfreier Alkohol
durchdringt ebenfalls den Kautschuk leicht, besonders bei einer Temperatur von +
78° C.; trockne, durchscheinende, dünne Schnitten wurden undurchsichtig, als man sie acht Tage
lang zu wiederholtenmalen in solchem Alkohol erhitzte; sie nahmen an Länge um 46
Tausendstel und an Volum um 94 Tausendstel zu und hatten eine beträchtliche
Klebkraft, selbst inmitten des Alkohols, erlangt. Ihr Gewicht hatte im Verhältniß
von 100: 118,6 zugenommen, und doch hatten sie an den Alkohol 21 Tausendstel einer
schmelzbaren, fahlgelben Fettsubstanz abgegeben. Diese Schnitten waren nach der
Verdunstung des Alkohols durchsichtiger und adhärirten einander mehr als vor dieser
Behandlung.
Wirkung der Auflösungsmittel. – Aether, Benzin,
Terpenthinöl, Schwefelkohlenstoff und mehrere Gemenge derselben unter sich und mit
andern Flüssigkeiten dringen rasch in die Poren des Kautschuks ein, schwellen ihn
stark auf und scheinen ihn aufzulösen; was man in diesem Fall aber für eine
vollständige Auflösung zu halten pflegt, ist in der That Folge einer
Zwischenlagerung des aufgelösten Theils in dem stark angeschwollenen Theil, welcher
letztere die anfänglichen Formen erweitert beibehalten hat und dann leicht aus
seinem Zusammenhang zu bringen ist.
Mittelst einer hinreichenden Menge jedes Auflösungsmittels können diese beiden Theile
fast vollkommen getrennt werden, indem man die Flüssigkeit erneuert, ohne umzurühren
und ohne den sehr stark aufgeschwollenen, aber nicht aufgelösten Rückstand
auseinander zu reißen.
Das Verhältniß des sich leicht auflösenden Theils wechselt, je nach der
Kautschuksorte und der Natur des Auflösungsmittels, zwischen 30 und 70 Proc., aber
die Eigenschaften der beiden Bestandtheile bleiben nach ihrer Trennung und der
Verdunstung der Flüssigkeit verschieden.
Die nicht aufgelöste Substanz ist minder adhäsiv, aber zäher; sie hält den größten
Theil des braunen Farbstoffs zurück. Die auflösliche Substanz, besonders die zuerst
aufgelöste, ist beträchtlich adhäsiver, weicher, minder elastisch, minder zähe und
weniger gefärbt.
Wasserfreier Aether zieht aus durchscheinendem, ambrafarbigem Kautschuk 66 Proc.
weiße auflösliche Substanz aus und hinterläßt 34 Theile von fahlgelber Farbe.
Wasserfreies, gut rectificirtes Terpenthinöl entzog der gewöhnlichen braunen
Kautschuksorte 49 Proc. auflösliche ambrafarbige Substanz, und hinterließ 51 Proc.
unlösliche, durchscheinende Substanz von brauner Färbung.
Im Terpenthinöl enthaltene Spuren von harziger Materie reichen schon hin, um beide
Bestandtheile adhäsiv zu machen und den aufgelöst gewesenen lange klebrig zu
lassen.Durch Reinigen des Terpenthinöls von aller Harzsubstanz mittelst Destillation
in einem Rectificir-Apparat mit vielen Abtheilungen, gelang es Hrn.
Fritz-Solier, die geschmeidigen Ueberzüge und großen
glatten Blätter zu erhalten, welche das Eigenthümliche seines übrigens durch
mehrere merkwürdige Erfindungen vervollkommneten Industriezweigs bilden.
Terpenthinöl-Dampf auf den Kautschuk gerichtet, entzieht ihm ein wesentliches
Oel, welches man aus dem condensirten Product durch Erhitzen desselben in einer
Retorte, die sich im siedenden Wasserbad befindet, abdestilliren kann.
Dieses ätherische Oel ist farblos und besitzt einen starken, an den des unveränderten
Kautschuks erinnernden Geruch.
Volum-Vergrößerung. – Wenn man den in Form
rechtwinkeliger Prismen geschnittenen Kautschuk in einem großen Quantum des
Auflösungsmittels eingetaucht hält, so schwillt derselbe von der Oberfläche gegen
die Mitte zu allmählich auf und man kann, wenn diese Aufschwellung ihr Ende erreicht
hat, die Volum-Vergrößerung an dem nicht aufgelösten Theil bestimmen. In
Benzin, wasserfreiem Aether, Terpenthinöl, sowie in einer Mischung von 100
Schwefelkohlenstoff mit 4 wasserhaltigem Aether haben sich die Dimensionen der
Seiten ziemlich verdreifacht; das Gesammtvolum ist folglich 27mal so groß geworden
als das ursprüngliche Volum, obwohl sich diese Vergrößerung nur auf den nicht
aufgelösten Theil beschränkt, indem sich der andere Theil in der Flüssigkeit
auflöste.
Eine Mischung von 6 Vol. Aether und 1 Vol. Alkohol, beide wasserfrei, schwellt den
Kautschuk bis zum vierfachen Volum auf und löst bloß den minder zusammenhängenden,
nicht sehr zähen, aber sehr adhäsiven Theil merklich auf.
In rectificirtem Steinöl beobachtete ich in der Kälte eine 30fache Volumvergrößerung,
ohne Rücksicht auf den aufgelösten Theil.
Der Theil des Kautschuks, welcher den Auflösungsmitteln am meisten widersteht, zeigt
unter einem 300fach vergrößernden Mikroskop ein netzartiges Gefüge, dessen
ineinandergehende Fäden, indem sie die erwähnten Flüssigkeiten absorbiren, sich
ausdehnen und aufschwellen, worauf sie sich nach Maaßgabe der Verdunstung wieder
verengen.
Die Kautschuklösungen selbst, namentlich die letzte, auf den Objectträger gebracht,
nehmen beim Vertrocknen dieses seltsame Gefüge an, welches in diesem Falle durch
Versetzen des Rückstands mit Wasser noch augenfälliger gemacht wird.
Das beste unter den von mir versuchten Auflösungsmitteln des Kautschuks ist eine
Mischung von 6–8 Theilen wasserfreien Alkohols und 100 Thln.
Schwefelkohlenstoff; setzt man nämlich dem Schwefelkohlenstoff, welcher soviel
Kautschuk enthält, daß er seit mehreren Tagen im Zustand einer etwas consistenten,
trüben oder opalisirenden Gallerte verblieb, besagte Menge Alkohols zu, so wird die
Masse schnell flüssig und klar; diese Veränderungen sind eine Folge des Auflösens
der Fettsubstanz durch den Alkohol und der größern Zertheilung aller Theile; doch
sind die zuerst aufgelösten Theile flüssiger und die zuletzt aufgelösten stufenweise
klebriger.
Setzt man dieser klebrigen Flüssigkeit ihr doppeltes Volum wasserfreien Alkohols zu,
so schlägt sich aller Kautschuk nieder; die Auflösung enthält den größten Theil des
Schwefelkohlenstoffs, ferner Alkohol, Fettstoffe und Farbstoffe. Der consistente und
zähe Niederschlag, welcher von Alkohol und Schwefelkohlenstoff ganz imprägnirt ist,
löst sich durch einen Zusatz dieser letzteren Flüssigkeit natürlich leicht wieder
auf, und durch öfteres Wiederholen dieser Behandlung kann folglich der Kautschuk
besser gereinigt und seine Auflösung durchsichtiger gemacht werden.
In dem von Hrn. Gérard
zu Grenelle gegründeten Etablissement zum Ausziehen des Kautschuks in cylindrische
Fäden bereitet man einen Teig, indem man den mit 5 Proc. gewöhnlichen Alkohols
vermischten Schwefelkohlenstoff verwendet; dieser Alkohol enthält 15 Proc. Wasser,
welches sich der Auflösung des Kautschuks widersetzt; man vereinigt so die
günstigsten Umstände zum Aufschwellen des Kautschuks, so daß er leichter durchknetet
werden kann und besser durch das Zieheisen geht, ohne daß er wirklich aufgelöst
würde, wodurch das Product an Zähigkeit sehr verlieren würde.
Man verdankt Hrn. Gérard
eine neue Beobachtung, welche er zur Darstellung äußerst feiner Fäden zu benutzen
wußte. Als er Fäden, welche so stark ausgezogen waren, daß sie die sechsfache Länge
erreicht hatten, auf 100° C. erhitzte, wurde diese Ausdehnung eine bleibende
und diese Fäden eigneten sich nun zu einer zweiten ähnlichen Ausdehnung. Wenn man
die erhaltene Länge fünfmal nacheinander versechsfacht, so muß die anfängliche Länge
sich natürlich in dem Verhältniß von 1 zu 16625 vergrößern, und da der Durchmesser
sich im Verhältniß dieser ungeheuren Verlängerung vermindert, so müssen die Fäden
einen bisher noch nicht gekannten Grad von Feinheit erlangen. Die von Hrn. Gérard entdeckte neue
Eigenschaft des Kautschuks ist gewiß eine der merkwürdigsten.
Nach den erwähnten Thatsachen ist der Kautschuk wohl als einer derjenigen Körper zu
betrachten, welche wegen ihrer verschiedenen Bestandtheile Eigenschaften besitzen,
die zwischen jenen der auflöslichen und der unauflöslichen Substanzen die Mitte
halten oder nahe an den Gränzen der Auflöslichkeit stehen. Durch seine physischen
Eigenschaften unterscheidet er sich sehr von jenen nähern Pflanzenbestandtheilen,
deren rasche und vollkommene Auflöslichkeit jene eigenthümlichen Formenveränderungen
nicht zuläßt, welche gewisse bildbare Materien des Pflanzenorganismus darbieten, wie
einerseits der Zellenstoff und die stärkmehlartigen Substanzen, und andererseits der
Kautschuk und die Gutta-percha.
Vorstehende Resultate zeigen überdieß, daß der im Handel vorkommende Kautschuk
beständig, aber in wandelbaren Verhältnissen enthält:
1) den leicht auflöslichen, dehnbaren, adhäsiven
Kautschuk;
2) den zähen, elastischen, ausdehnbaren und nur wenig
auslöslichen nähern Bestandtheil;
3) Fettsubstanzen;
4) ein wesentliches Oel;
5) einen Farbstoff;
6) stickstoffhaltige MaterienDie eine dieser Materien wird vom wasserfreien
Alkohol mit den Fettsubstanzen ausgezogen; man entzieht sie dem
ausgetrockneten Rückstand durch Wasser, welches sie auflöst, worauf man sie
durch Wiederauflösen in Alkohol reinigt, welchen letztteren man dann
verdunstet.;
7) Wasser, welches bis 26 Proc. betragen kann.
Wenn man diese verschiedenen näheren Bestandtheile isolirt, so behält keiner davon
die Elasticität und Ausdehnbarkeit in dem Grade bei, wie sie solche vereinigt
besitzen, was von der Adhärenz zwischen den Fasern, welche von der Fettsubstanz
schlüpfrig, von dem auflöslichen und weichen Bestandtheil überdieß geschmeidiger
gemacht werden, herzurühren scheint.
Die Proben, welche ich der Akademie vorlege, weisen einige der in dieser Abhandlung
angegebenen neuen Charaktere des Kautschuks direct nach; sie zeigen die Verschiedenheit, welche im
Aussehen, der Farbe, Adhärenz und Zähigkeit zwischen dem auflöslichen und dem
unauflöslichen Bestandtheil stattfindet; ferner zwischen dem wasserfreien und dem
wasserhaltigen Kautschuk; man bemerkt darunter den um sein siebenundzwanzigfaches
ursprüngliches Volum aufgeschwollenen Kautschuk, welcher inmitten des im Uebermaaß
vorhandenen Auflösungsmittels die flachen und eckigen Formen der zerschnittenen
Riemen beibehält.
Auch Proben der Gutta-percha habe ich beigelegt, welche auf dieselbe Weise
noch leichter in zwei besondere Bestandtheile zu zerlegen ist, nämlich in einen
unauflöslichen, worin die Farbstoffe zurückbleiben, und einen farblosen, welcher
übrigens zähe, dehnbar ist, kurz alle nützlichen Eigenschaften des Rohmaterials
besitzt.Der Schwefelkohlenstoff und noch besser diese mit 6–8 Procent
wasserfreiem Alkohol vermischte Flüssigkeit zerlegen so die
Gutta-percha, indem sie den größten Theil derselben (85 bis 90 Proc.)
auflösen. Steinöl, Alkohol, Benzin, Aether, selbst Terpenthinöl, scheinen
sie in der Kälte nicht aufzulösen, entziehen ihr aber ihren andern
Bestandtheil; Wasser durchdringt sie langsam und kann ihr Gewicht um 3
Procent erhöhen.
Im zweiten Theile dieser Abhandlung werde ich die nähere Zusammensetzung der rohen
Gutta-percha angeben, ferner einige Erscheinungen beim Vulcanisiren des
Kautschuks mittelst verschiedener Agentien und die Eigenschaften des vulcanisirten
Products beschreiben; der letzte Theil wird die Analysen, die unterscheidenden
Merkmale und die vorzüglichsten Anwendungen des Kautschuks und der
Gutta-percha enthalten.