Titel: Chemische und physiologische Untersuchungen über die Seidenwürmer; von Eugen Peligot.
Fundstelle: Band 123, Jahrgang 1852, Nr. LXXI., S. 389
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LXXI. Chemische und physiologische Untersuchungen über die Seidenwürmer; von Eugen Peligot. Aus den Comptes rendus, Nov. 1851, Nr. 18. Peligot's Untersuchungen über die Seidenwürmer. Ich habe mir vorgenommen die verschiedenen chemischen und physiologischen Erscheinungen zu studiren, welche während des Lebens und der Metamorphosen des Seidenwurmes auf einander folgen. In diesem ersten Theil meiner Arbeit verfolgte ich die Entwickelung eines gegebenen Gewichtes Larven, indem ich das Gewicht der von ihnen verzehrten Maulbeerblätter, dasjenige der Blattüberreste und das der von ihnen zurückgelassenen Auswürfe bestimmte. In gleicher Weise studirte ich mit der Waage die Bildung der Seide, der Puppe und des Schmetterlings. Im zweiten Theil meiner Arbeit, welchen ich der Akademie bald vorlegen werde, untersuchte ich die chemische Zusammensetzung der verschiedenen Substanzen, welche ich im Verlauf meiner Seidenraupenzucht erhielt. Vom Blatte des Maulbeerbaums ausgehend, war ich bemüht, den Uebergang oder die Verwandlungen der pflanzlichen und mineralischen Substanzen zu verfolgen, aus welchen die Producte desselben, die ich nacheinander sammelte, bestehen. Um vergleichbare Resultate zu erhalten, ist es nothwendig die verschiedenen Producte der Seidenraupenzucht im trockenen Zustand zu wägen oder auf denselben zu berechnen; die Zucht wurde in sehr kleinem Maaßstab bewerkstelligt, um feine Waagen anwenden zu können; nichtsdestoweniger trachtete ich möglichst wenig von den Regeln abzuweichen, welche in gut geleiteten Seidenraupenzuchten befolgt werden, die ich durch mehrjähriges Beobachten der Einrichtungen von Camille Beauvais zu Senard kennen lernte. Außer den zum Versuch angewandten Loosen von Würmern unterhielt ich stets eine gewisse Menge unter gleichen Umständen aufgezogener Würmer, theils um die Kranken und die in ihrer Ausbildung zurückgebliebenen zu ersetzen, theils um die Zusammensetzung der Würmer in ihrem verschiedenen Alter vergleichen zu können. Um das Gewicht der verfütterten Blätter im trocknen Zustande zu erfahren, mußte ich täglich ein gleiches Gewicht der frischen Blätter, wie ich sie den Würmern vorlegte, zum Trocknen aufbewahren. Die zu verfütternden und die aufzubewahrenden Blätter wurden gleichzeitig gewogen; der Wassergehalt der Blätter ist so wandelbar, daß ich es nicht anders machen konnte. Die angewandten Blätter enthielten 17 bis 32 Proc. feste Substanz. Was das Austrocknen der Würmer anbelangt, welches geschehen mußte, um ihren Zuwachs durch ein gegebenes Gewicht Blätter zu erfahren, so ergab die Erfahrung, daß die Menge der in ihnen enthaltenen trocknen Materie, abgesehen von den im Darmcanal befindlichen Nahrungsmitteln und Faeces, während der ganzen Dauer ihrer Entwickelung sich gleich bleibt; für große wie kleine Würmer beträgt sie nur 14 Procent ihres Gewichts, sie mögen nun vor oder nach ihren Häutungen (während welcher sie zu fressen aufhören) ausgetrocknet werden, oder nach 12–24stündigem unfreiwilligen Fasten. Wann die Würmer reif sind, und nachdem sie eine große Menge fester und flüssiger Faeces abgegeben haben, beläuft sie sich auf 20 Procent. Bei den in ihrer Ernährung begriffenen Larven nimmt sie in dem Maaße zu, als dieselben wachsen, und erhält sich zwischen den beiden angegebenen Zahlen. Meine Abhandlung enthält in den beigegebenen Tabellen 1) das Gewicht von 100 Würmern in ihrem verschiedenen Alter, im natürlichen und im getrockneten Zustand, während sie fressen, oder nachdem sie gefastet haben; 2) die Details der in den drei letzten Jahren mit der Waage in der Hand betriebenen Seidenraupenzucht. Diese Details umfassen: 1) das Gewicht der einem bestimmten Gewichte Würmer täglich gegebenen frischen Blätter; 2) das Gewicht derselben, als trocken berechneten Blätter, ermittelt durch Trocknen gleichzeitig gesammelter und abgewogener Blätter; 3) das Gewicht der nicht gefressenen, bei 110° C. getrockneten Blätter; 4) das Gewicht der von diesen Blättern gesonderten und bei derselben Temperatur getrockneten Faeces; 5) das Gewicht der nach kurzen Zwischenräumen alle 2–3 Tage herausgenommenen Würmer. Zieht man von letzterm Gewicht das der vorhergehenden Wägung ab, so erhält man die Menge, um welche sie sich durch die ihnen gegebenen Blätter vermehrt haben. Diese Menge ist für den trockenen Zustand nach den in der Tabelle enthaltenen Daten berechnet worden. Das Gewicht der nicht gefressenen Blätter und dasjenige der Excremente, zu diesem Quantum addirt, müssen dem Gewicht der verfütterten Blätter fast gleich seyn, vorausgesetzt, daß alle diese Producte durch Berechnung auf den trockenen Zustand reducirt sind. Die sich jederzeit ergebende geringe Differenz welche zwischen der Summe der drei ersteren Angaben und dem Gewicht der verfütterten Blätter stattfindet, rührt von der Respiration der Würmer her, und von den Versuchsfehlern. Diese Tabellen führen zu folgenden Resultaten für 1000 Gewichtstheile verfütterte Blätter: Textabbildung Bd. 123, S. 391 Blätter in trockenem Zustand; Trockne Würmer (14 Proc. feste Stoffe); Von diesen Würmern nicht gefressene Blätter; Excremente Die Würmer haben also von nicht gefressenen Blättern 45,49 und 46 Procent hinterlassen und 100 Gewichtstheile Blätter (im trockenen Zustande) haben um 8 bis 9 Theile das Gewicht der Würmer vermehrt und 40,36 und 38 Proc. Excremente hervorgebracht. Um eine Vermehrung von 100 Trockengewicht zu erlangen, geben die Würmer 450, 426 und 490 Blätterrückstände und Extremente, so daß angenommen werden kann, daß die von den Würmern assimilirten Nahrungsstoffe nur etwa den sechsten Theil des Gewichts der von ihnen gefressenen Blätter ausmachen, die fünf andern als Excremente wieder von ihnen gehen oder den Larven zur Respiration dienen. Mittelst dieser Tabellen läßt sich das Maximum der Cocons, welche ein gegebenes Gewicht zur Ernährung von Würmern verzehrter Blätter liefern kann, leicht und mit Sicherheit bestimmen. Da man nämlich weiß, daß das Gewicht der ausgebildeten Würmer nahezu die Hälfte des Gewichts der Cocons beträgt, so findet man, daß, abgesehen von den nicht verzehrten Blättern, 1000 Gewichtstheile verzehrter frischer Blätter 166,167 und 136 frischer Cocons liefern können. Ein solches Resultat ist jedoch in der Praxis offenbar unerreichbar, weil die Hälfte der Blätter, gewöhnlich noch viel mehr, unverzehrt zurückbleibt. Ein Ertrag von 60 Gewichtstheilen Cocons wird von den Seidenzüchtern bekanntlich schon als ein sehr befriedigendes Resultat angesehen. Es sind demnach die vor einigen Jahren gemachten Angaben einer mehr als doppelt so großen Ausbeute in Zweifel zu ziehen. Mehrere im Verlaufe dieser Studien beobachtete Thatsachen verdienen noch mitgetheilt zu werden. Bekanntlich tritt bei den Seidenwürmern zur Zeit ihrer Ausbildung eine Ausleerung ein, indem sie sich der in ihrem Darmcanal befindlichen Excremente und unverdauten Blätter entledigen; sie verlieren dabei in einigen Stunden 8–10 Proc. ihres Gewichts. Hierbei bleibt aber diese Gewichtsverminderung nicht stehen; denn wenn der Wurm sich die ihm passende Stelle gewählt hat, wo er sein Cocon spinnen will und dort feinen ersten Faden befestigt hat, so entledigt er sich noch weißer oder grüner fester Excremente, welche eine große Menge Harnsäure enthalten. Einige Zeit darauf entläßt er eine farblose, wasserhelle Flüssigkeit, die jedoch eine sehr deutliche alkalische Reaction besitzt; diese Art Harn ist aber nicht, wie bisher geglaubt wurde, ammoniakalisch, sondern eine Auflösung von kohlensaurem Kali, welche 1,5 Procent dieses Salzes enthält. Woher dieses Excrement rührt, welches 15 bis 20 Procent des wirklichen Gewichts der Larve beträgt, und wozu es dient, werden die Entomologen uns ergründen. Eine andere Beobachtung, die ich machte, betrifft die mehr oder weniger beschleunigte Reife der Würmer. Um ihren Gewichtsverlust in Folge einer längeren oder kürzeren Entziehung der Nahrung zu bestimmen, ließ ich zwei Würmer fasten, die ihr letztes Lebensalter erreicht hatten, aber noch begierig fraßen. Jeder wog 1,870 Gramme; sie hatten aber nicht 2/3 ihrer ganzen Größe erreicht, denn diejenigen, unter welchen sie herausgenommen wurden, wogen bei ihrer höchsten Ausbildung 2,70 bis 3 Gramme. Dessenungeachtet wurden diese beiden Würmer nach fünftägigem Fasten weiß, als wären sie reif und begannen ihre Cocons zu spinnen, welche nach Verlauf der gewöhnlichen Zeit von männlichen Schmetterlingen durchbohrt wurden. Diese waren eben so wie die Cocons sehr klein; sie wogen nur 170 bis 180 Milligr., während das Normalgewicht dieser Insecten doch 400–500 Milligr. ist. Die Seide jedes Cocons wog nur 50 Milligr. anstatt 160 Milligr., das mittlere Gewicht der Seide meiner Cocons. Für die Praxis scheint dieser Versuch zu beweisen, daß ein Seidenzüchter, im Falle Mangels an Blättern, noch Nutzen ziehen kann aus fast reifen Würmern, wenn er sie auch nicht vollständig ernähren könnte; der Ertrag der Ernte, so gering er auch ausfallen mag, stünde noch im Verhältniß zu den verzehrten Blättern. In wissenschaftlicher Hinsicht würde es wohl interessant seyn Würmer aufzuziehen, die von Eltern so schwächlicher Natur abstammten, um zu erfahren, bis zu welchem Grabe diese Beschaffenheit erblich ist und welchen Einfluß sie auf die Güte der Seide haben kann. Meine Resultate hinsichtlich der Ausbellte der Würmer an Cocons, der Cocons an Seide und der Schmetterlinge an Eiern, stimmen mit jenen Dandolo's und Robinet's ziemlich überein. Ich erhielt von 100 Grammen Würmer, die ich aufzog, 53,4 Gramme frische Cocons; aber dieses Verhältniß ist wandelbar, und aus den früher entwickelten Gründen, schwierig genau zu bestimmen. Bei Bestimmung der Menge der Seide, welche jeder Wurm in dem vom Schmetterling durchbohrten Cocon hinterläßt, erhielt ich das wichtige Resultat, daß das Gewicht der Seide durchaus nicht im Verhältniß steht mit dem der Würmer oder der Schmetterlinge; mit andern Worten, daß die schweren und die leichten Cocons ziemlich dieselbe Menge Seide enthalten. Der Unterschied rührt vom Gewicht der Schmetterlinge her; für die Männchen beträgt es zwischen 310 und 400 Milligr., während die Weibchen in der Regel mehr als doppelt so viel wiegen. Die Hälfte des Gewichts dieser letztern rührt von den Eiern her welche sie enthalten. Da wahrscheinlich die weiblichen Schmetterlinge von den schwersten Würmern herrühren, die verhältnißmäßig die größte Menge Blätter verzehrt haben, so folgt, daß wenn am Anfang der Zucht, und selbst nachdem die Larven sich bereits gehäutet haben, die Männchen von den Weibchen schon unterschieben werden könnten, es von Nutzen wäre, diese letztem (mit Ausnahme der zum Eierlegen bestimmten) zu opfern, um ausschließlich Männchen zu ziehen, welche wenig Futter verzehren und eine gleiche Menge Seide liefern. Wenn man die ungeheure Menge Blätter betrachtet, welche die Würmer zur Zeit ihrer größten Gefräßigkeit, einige Tage vor ihrer Reife, aufzehren, so leuchtet die Wichtigkeit dieser Sache hinsichtlich des Gestehungspreises der Seide ein. Leider vermag man die Geschlechter der Seidenwürmer noch nicht zu unterscheiden; indessen gelingt es bei den Puppen und Schmetterlingen, wo die Weibchen viel schwerer sind als die Männchen. Nichts beweist, daß diese Gewichtsunterschiede nicht schon bei den Larve stattfinden; ich muß bemerken, daß wenn sie vorkommen, die Sorgfalt, welche man auf Herstellung einer vollkommenen Gleichheit unter den Würmern verwendet, indem man die Spätlinge (Zurückgebliebenen) beseitigt und den andern Vorausgeeilten die Nahrung entzieht, daß diese Sorgfalt das Resultat, um das es sich handelt, befördern wird. Ich hatte Gelegenheit, eine große Anzahl reifer Larven zu öffnen und die Seidenbehälter oder Lappen davon zu trennen, um vergleichend die Seide und den sie erzeugenden rohen Stoff zu untersuchen. Ich kam auf die unerwartete Thatsache, daß das Gewicht von zwei getrockneten Lappen merklich geringer ist als das der Seide welche Würmer, die sich unter ganz gleichen Umständen befanden, lieferten; während zwei trockene Lappen im Mittel 100 Milligr. wiegen, beträgt das mittlere Gewicht der Seide 160 Milligr. Dieß läßt sich auf zweierlei Weise erklären: es ist möglich, daß die Absonderung von Seide bei dem Wurm auch während der Bildung seines Cocons fortdauert; man kann aber auch annehmen, daß der Wurm während seiner Arbeit der Substanz seiner Lappen einen fremden Stoff zuführt, vielleicht die Substanz, welche die Seide beim Auskochen (Entschälen) verliert; in diesem Falle wäre der Behälter dieser Materie aufzusuchen. Die erste Hypothese scheint mir daher wahrscheinlicher. Faßt man die im ersten Theil meiner Arbeit niedergelegten numerischen Werthe zusammen, so ergibt sich als Endresultat, daß die Würmer 5–6 Procent ihres Gewichtes Seide liefern. Die Menge der von ihnen verzehrten Blätter ist schon oben angegeben worden.