Titel: | Berg-Locomotive mit sechs gekuppelten Rädern und mit Holzfeuerung; vorgeschlagen von Hrn. Tourasse, Civilingenieur und ehemaligem Director der Maschinenbau-Werkstätten der Eisenbahnen von St. Etienne nach Lyon und von Roanne nach Andrezieur. |
Fundstelle: | Band 124, Jahrgang 1852, Nr. XIX., S. 90 |
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XIX.
Berg-Locomotive mit sechs gekuppelten
Rädern und mit Holzfeuerung; vorgeschlagen von Hrn. Tourasse, Civilingenieur und ehemaligem
Director der Maschinenbau-Werkstätten der Eisenbahnen von St. Etienne nach Lyon
und von Roanne nach Andrezieur.
Aus Armengaud's Génie industriel, Januar 1852, S.
25.
Mit Abbildungen auf Tab.
II.
Tourasse's Berg-Locomotive.
Bei Annahme der Einrichtungen, die hier beschrieben werden sollen, hat der Verfasser
folgende Hauptbedingungen im Auge gehabt:
1) Locomotiven zu construiren, deren Kraft und Gewicht hinreichen, um eine Bruttolast
von wenigstens 225 Tonnen auf einer Steigung von ein
Vierzigstel ziehen zu können;
2) die Entfernung der Räder von einander so viel als möglich zu vermindern, wobei
dieselben ohne Gefahr oder Schwierigkeit auf Curven von 200 Meter Halbmesser laufen
können;
3) das Adhäsionsgewicht dadurch zu vervollständigen, daß man auf die Räder der
Maschine die Last bringt, welche gewöhnlich auf den Tender kommt;
4) die Maschine nach Belieben in Beziehung auf Gewicht und Kraft verändern zu
können;
5) dem Kessel, sowie den übrigen Theilen des Verdampfungsapparates solche
Einrichtungen, Formen und Dimensionen zu geben, welche gestatten: a) große Heizoberflächen zu erlangen, ohne einen zu
langen Kessel anwenden zu müssen; b) mögliche Annäherung
der beiden Hinterräderpaare; c) Widerstand gegen einen
Probedruck von zwanzig Atmosphären;
6) Benutzung mächtiger Bremsen, welche schnell wirken und wodurch eine Beschädigung
der Radreife der Maschine vermieden wird;
7) die Einrichtungen so zu treffen, daß jedes Rad nicht mehr als 7000 Kilogramme
trägt;
8) endlich Locomotiven zu construiren, welche alle Bedingungen des Programmes
erfüllen, welches im März 1850 von dem Minister der öffentlichen Arbeiten in
Oesterreich für die Preis-Locomotiven der Semmering-Bahn publicirt
worden ist.Die Hauptbedingungen für diese Locomotiven waren nach dem (im polytechn.
Journal Bd. CXVI S. 163 mitgetheilten) Programm: sie sollen bei
gewöhnlicher Witterung eine Bruttolast von wenigstens 141 Tonnen auf einer
Reihe sehr langer Rampen von höchstens ein Vierzigstel Steigung
transportiren können; sie sollen mit einer mittleren Geschwindigkeit von
ungefähr 12 Kilometer in der Stunde gehen können; sie sollen Curven von 200
Meter Halbmesser durchlaufen; sie sollen bei der Probe 30 Kilometer in der
Stunde durchlaufen und bei dieser Geschwindigkeit auf Abhängen von ein
Vierzigstel innerhalb eines Raumes von 160 Metern angehalten werden können;
die Belastung per Rad soll 7000 Kilogr. nicht
übersteigen; endlich soll kein Theil der Maschine über eine Breite von 2,84
Meter hervortreten.
Beschreibung der Maschine.
Fig. 26
Gesammtansicht der Locomotive in einem Längenaufriß;
Fig. 27
Grundriß oder Horizontalaufriß des Ganzen;
Fig. 28
Ansicht vom hinteren Ende;
Fig. 29
Durchschnitt des unteren Theils des Feuerkastens.
Diese neuen Einrichtungen der Locomotive bedingen durchaus keine wesentliche
Veränderung in dem Mechanismus, und daher stellen unsere Zeichnungen nur das Ganze
der Maschine und deren Veränderungen dar. In allen Figuren bezeichnen gleiche
Buchstaben gleiche Gegenstände.
c Dampfcylinder.
d Behälter für das Speisewasser, der gänzlich oder zum
Theil aus Gußeisen besteht, je nachdem man ihm ein größeres oder geringeres Gewicht
geben will. Seine Räumlichkeit muß wenigstens 4 Kubikmeter betragen, und er ist
mitten über dem Kessel angebracht. Der Zweck dieser Einrichtung ist, das
Adhäsionsgewicht möglichst zu vermehren, den Tender entbehrlich zu machen, und das
Gewicht der Maschine auf 42 Tonnen zu erhöhen.
e Platz für den Locomotivenführer und Heizer, sowie für
das zur Feuerung erforderliche Holz.
f Feuerthüren; dieselben sind zu beiden Seiten
angebracht, damit sie den Maschinisten nicht hinderlich werden.
g Platz für den Holzvorrath.
h Gefäß für den Sand, der das Gleiten der Locomotiveräder
auf den Schienen verhindern soll.
i sogenannte Laignel'sche
Bremse, welche mittelst einer Schraube bewegt wird und durch Druck auf die Schienen
wirkt.
j sogenannte Tourasse'sche
augenblicklich wirkende Bremse, welche sich von selbst unter die Räder stellt und
mittelst Reibung auf den Schienen wirkt.
k augenblicklich wirkende Bremse nach Chapuy's System; sie steht mit der Bremse j in Verbindung. Sie hat aber eine ganz andere
Wirkungsweise, denn statt sich zwischen die Räder und die Schiene zu stellen, stützt
sie sich auf die Schienen, so daß die Locomotive gehoben wird, sobald man diese
Bremse in Wirksamkeit setzt. Wie die Bremse j erfordert
sie daß die Maschine rückwärts geht, damit dieselbe stehen bleibt.
Die Hebel zur Bewegung der Bremse i und k sind im Bereiche der Heizer, wogegen die Bremse j lediglich von dem Locomotivenführer in Wirksamkeit
gesetzt werden kann.
I massive gußeiserne Räder.Solcher Räder hat Hr. Tourasse schon 40 Paar seit
15 Jahren mit gutem Erfolg benutzt.
m Oeffnung, welche durch den Feuerkasten geht. Diese
Einrichtung gewährt den Vortheil, daß man die beiden Hinterräderpaare einander
nähern kann, und daß man die Entfernung der äußersten Räder vermindern kann.
Daten zur Bestimmung der Kraft und Leistung dieser
Locomotive:
Dampfcylinder, Durchmesser 0,54 Meter.
Kolbenlauf 0,33 × 2.
Sechs Treibräder, Durchmesser 1,30 Meter.
Verhältniß der Geschwindigkeit der Räder zu derjenigen der Kolben, gleich
4082/2 × 0,66 = 3,092.
Spannung des Dampfes im Kessel, acht Atmosphären.
Dauer des Einströmens des Dampfes in die Cylinder gleich der Hälfte der Dauer des
Kolbenlaufes.
Oberfläche beider Kolben, in Quadratcentimetern, gleich 2289 × 2 = 4578.
Mittlerer Druck auf die Kolben, per Quadratcentimeter,
gleich 8–1 × 1,033 × 0,50 + 7231 × 0,50/2 = 5,423
Kilogr.
Kraft der Maschine in Kilogrammen,
F = P
× S/R.
P bezeichnet die mittlere Kraft auf die Kolben, in
Kilogrammen, per Quadratcentimeter.
S Oberfläche beider Kolben in Quadratcentimetern.
R Verhältniß der Geschwindigkeit der Räder zu derjenigen
der Kolben.
Bei einem Druck von acht Atmosphären im Kessel, und wenn der Dampf während der Hälfte
des Kolbenlaufes einströmt, ist:
F = 5,423 × 4578/3,092 oder
8026 Kilogrammen.
Wirkung oder Leistung. — Nehmen wir den durch
Reibung aller Art veranlaßten Widerstand zu zehn
Kilogrammen per Tonne Bruttogewicht an, und den von der
Schwerkraft herrührenden Widerstand zu einem Kilogr.
ebenfalls per Tonne Bruttogewicht für jeden Millimeter
Neigung, so folgt, daß eine solche Locomotive über Rampen von 25 Millimeter oder von
ein Vierzigstel bei günstiger Witterung eine Bruttolast von
8024/10 + 25 oder 229,90 Tonnen
fortzuschaffen im Stande ist.
In den gewöhnlichen Fällen schätzt man den Widerstand durch Reibung aller Art auf sechs Kilogr. per Tonne; wir
haben ihn hier zu zehn Kilogr. angenommen, um beim
Befahren der Curven sicher nicht unter der Wahrheit zu bleibeu.
Diese Locomotive hat eine solche Einrichtung, daß sie allen Bedingungen des Programms
auf eine genügende Weise entspricht. Ihre Zugkraft und ihre Adhärenz werden z. B.
mehr als hinreichend seyn, um das Minimum der bestimmten Last zu ziehen; die
Entfernung ihrer äußersten Räder gestattet ihr, Curven von 200 Meter Halbmesser ohne
Gefahr und Schwierigkeit zu durchlaufen, hauptsächlich auf einer Bahn von der
Einrichtung der Linie über den SemmeringIn den Curven von 200 Meter Halbmesser, welche die kleinsten der Bahn sind,
muß die Bahn um 0,0473 Meter breiter uud die äußere Schiene um 0,129 Meter
höher werden.; diese Locomotive kann auch leichter angehalten
werden, als dieß mit den gebräuchlichen Vorrichtungen möglich ist. Endlich wird
wegen ihrer großen Heizoberflächen die Wärme sehr vortheilhaft benutzt werden, was
in Verbindung mit der angenommenen Expansion des Dampfes in den Cylindern, den
Brennmaterialverbrauch auf ein Minimum vermindern muß.
Die Vorderräder sind von den Hinterrädern 3,62 Meter entfernt, allein diese Dimension
kann auch auf 3,14 Meter reducirt werden, ohne daß dadurch ein wesentlicher
Kraftverlust veranlaßt würde. In diesem Fall müßte der Herd um etwa 0,50 Meter
verkürzt werden.