Titel: Ueber das Kalken des Getreides ohne Arsenik, den französischen Ministern des Innern, des Ackerbaues und Handels von einer Commission der Central-Ackerbau-Gesellschaft erstatteter Bericht.
Fundstelle: Band 125, Jahrgang 1852, Nr. XX., S. 63
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XX. Ueber das Kalken des Getreides ohne Arsenik, den französischen Ministern des Innern, des Ackerbaues und Handels von einer Commission der Central-Ackerbau-Gesellschaft erstatteter Bericht.Die Commission bestand aus den HHrn. Chevreul, Präsident. – v. Gasparin, Vice-Präsident. – Vilmorin, Darblay, Debonnaire, v. Gif, Bourgeois, Pasquier, Becquerel, Boussingault, Dumas, v. Tracy, und Payen, Berichterstatter. Aus dem Moniteur industriel, 1852, Nr. 1643. Ueber das Kalken des Getreides ohne Arsenik. Der Société nationale et centrale d'agriculture wurden folgende Fragen vorgelegt: 1) ob die Regierung im Interesse des Ackerbaues und der Gesundheit fortfahren solle, die Anwendung des Arseniks (der arsenigen Säure) zum Kalken des Getreides zu verbieten; 2) welches die den Landwirthen zu empfehlenden wirksamsten Mittel gegen die Fäulniß des Getreides seyen, um das Kalken mit Arsenik zu ersetzen. In letzterer Hinsicht wurde eine zur Verbreitung auf dem Lande geeignete praktische Anleitung gewünscht. Das Resultat der Gutachten der correspondirenden Mitglieder, der gründlichen Berathung in zwei Generalversammlungen und der Commission selbst, legen wir hiermit vor. Ueber die erste Frage erhob sich gar kein Zweifel und man war einstimmig der Ansicht, daß die Anwendung des Arseniks von Uebelständen und selbst großen Gefahren begleitet sey, welche durch beklagenswerthe Thatsachen hinlänglich dargethan sind, weßhalb dieses Verfahren schon an vielen Orten aufgegeben und andere Schutzmittel statt der Kalkung mit Arsenik eingeführt wurden. Wir werden diese Verfahrungsweisen angeben, die Bedingungen ihrer Wirksamkeit aber vorausschicken. Die Aufrechthaltung des Verbots, den Arsenik zur Kalkung anzuwenden, erscheint daher allen Mitgliedern der Gesellschaft als unerläßlich. Was die zweite Frage anbelangt, so beweisen die von Olivier v. Serres, Benedict Prevost, Tillet, Tessier, Mathieu de Dombasle etc. angeführten Thatsachen und Versuche, sowie die bisherige Erfahrung, daß mehrere einfache und nicht kostspielige Zubereitungen noch größere Sicherheit gewähren als die Kalkung mit Arsenik. Es wird heutzutage allgemein angenommen, daß mehrere Krankheiten des Getreides, die man mit den Namen Fäulniß, Brand, Rost (Bildung von Mutterkorn) bezeichnet, durch sehr kleine Pilze veranlaßt werden, deren höchst zarte Keimkörner die das Uebel verursachende Schmarotzerpflanze fortpflanzen können. Die Entwickelung vorzüglich einer dieser Krankheiten, unter dem Namen Brand (caries) bekannt, zu verhüten, ist der Zweck aller Kalkungsmittel. Das Verfahren muß um so sorgfältiger angewandt werden, da in gewissen Gegenden und zu gewissen Jahreszeiten das Zusammenwirken von Feuchtigkeit und Wärme die Fortpflanzung der kryptogamischen Gewächse mehr begünstigt. Bekanntlich pflanzt sich der Brand durch den Getreidekörnern anhängende Samenkörnchen fort, welche mit unbewaffnetem Auge nicht sichtbar sind; es müssen daher alle Punkte der Oberfläche dieser Körner mit dem Schutzmittel in Berührung kommen, sonst kann das Verfahren mit dem besten Mittel mißlingen. Ein vollständiges Untertauchen (Einweichen) erfüllt in dieser Beziehung alle Bedingungen und gewährt nebenbei noch andern Nutzen, indem dadurch die Körner zur Keimung vorbereitet werden und es möglich wird, die verdorbenen Körner, welche obenauf schwimmen, abzusondern und an das Vieh zu verfüttern. Aus diesen Gründen wurde schon zu den Zeiten Virgils das Einweichen, anfangs in reinem Wasser, empfohlen und dann von Olivier de Serres in Erinnerung gebracht, welcher Mistjauche zusetzen ließ, die seitdem mit gutem Erfolge angewandt wurde. Die besten Methoden zum Kalken wurden von Ben. Prevost, Math. de Dombasle und Tessier angegeben und dann in der Praxis noch zweckmäßiger abgeändert. Die Thatsachen, welche wir darüber in Erfahrung bringen konnten, stimmen hinsichtlich der Wirksamkeit der drei vorzüglichsten hier zu beschreibenden Mittel überein: 1) Kalkung mit schwefelsaurem Kupfer (Kupfervitriol) [Vitriolisirung]; 2) Kalkung mit schwefelsaurem Natron (Glaubersalz); 3)         „         mit Kalkhydrat (gelöschtem Kalk) unter Zusatz von Salz oder Kuhharn. Praktische Anleitung zum Gebrauch der besten Mittel gegen den Brand des Getreides. 1. Vitriolisirung oder Kalkung mit Kupfervitriol. Man löst 1 Kilogr. Kupfervitriol in 1 HektoliterWenn das Gefäß, in welchem die Einweichung stattfinden soll, zu weit wäre, als daß das Hektoliter Korn ganz unter 1 Hektoliter Flüssigkeit Platz hätte, so bereite man gleich 1 1/2 oder 2 Hektoliter der Auflösung. Diese Bemerkung gilt für jedes Einweich-Verfahren. Wasser auf. Die Auflösung wird sehr leicht dadurch bewerkstelligt, daß man den Vitriol in einem an einem Seil aufgehängten Korb in die Flüssigkeit taucht; das Wasser dringt leicht durch dessen Wände, ohne daß die Krystalle hindurch könnten. Sobald die Krystalle aufgelöst sind, wird die Flüssigkeit mit einer Schaufel gut umgerührt, um alle Theile der Auflösung zu vermischen. Hierauf bringt man 1 Hektoliter Getreide in einen länglichen Korb und taucht das Ganze vollständig unter die Kupfervitriollösung. Die obenauf schwimmenden Körner, welche man nicht mit den andern zu Boden des Gefäßes bringen kann, müssen mittelst eines Schaumlöffels herausgenommen und beseitigt werden, um sie dem Futter des Geflügels zuzusetzen.Die Erfahrung lehrt, daß dieser Zusatz dem Geflügel keinen Nachtheil bringt; doch wäre es gut, die vitriolisirten Körner zu waschen, ehe man sie den Hühnern vorwirft. Man nimmt nun den Korb heraus, läßt einen Augenblick abtropfen und wirft das ganz nasse Korn alsdann auf den Boden, wo es abtropft. Man setzt hierauf das Einweichen neuen Getreides mit gleicher Sorgfalt fort, nachdem man in den dazu dienenden Zuber 10–12 Liter einer ähnlichen Auflösung, wie er schon enthält, zugegeben hat (von welcher Auflösung man mehrere Hektoliter in Fässern oder Kufen, je nach der Menge des zu behandelnden Getreides in Vorrath bereiten kann). Jedes Hektoliter eingeweichten, mit dem Schaumlöffel abgeschöpften, einen Augenblick abgetropften Getreides wird auf den Haufen des vorher schon gekalkten Getreides geworfen. Man läßt das Getreide durch 12–24stündiges Einsaugen der Flüssigkeit trocken werden, und kann es sodann aussäen. Sollte ein zufälliger Umstand oder schlechtes Wetter die Aussaat verzögern, so brauchte man das Saatkorn, um die Erhitzung, Keimung, überhaupt jede nachtheilige Veränderung desselben zu verhüten, nur in einer dünnen Schicht auszubreiten. Im Cher-Departement erhält man auch gute Resultate mit der Kupfervitriollösung, indem man dem noch ganz damit befeuchteten Korn 1 Kilogr. gelöschten Kalks als Pulver zusetzt.Die überschüssige Flüssigkeit wird hierbei schnell absorbirt; es bildet sich schwefelsaurer Kalk mit Kupferoxyd und überschüssigem Kalkhydrat gemengt. Der zu dieser Vitriolisirung anzuwendende Kupfervitriol muß rein seyn, was man bei einiger Uebung schon durch bloße Besichtigung erkennen kann, denn die Krystalle desselben erscheinen um so intensiver blau, je größer sie sind, während sie bei gleicher Größe hell oder doch nicht sehr dunkel grünlichblau aussehen, wenn sie eine bedeutende Menge Eisenvitriols enthalten. Zur Sicherheit kann man den Kupfervitriol von dem Apotheker des Orts prüfen lassen. Bekanntlich wirkt der Kupfervitriol, wie alle andern Kupfersalze, nachtheilig auf den thierischen Organismus und in gewisser Menge innerlich genommen, kann er sogar den Tod veranlassen; sein sehr unangenehmer Geschmack dürfte jedoch hinreichen, um Unglücksfälle zu verhüten. Jedenfalls ist der Kupfervitriol bei weitem nicht so giftig wie die arsenige Säure. Jede Möglichkeit eines derartigen traurigen Vorfalls ließe sich durch folgendes Verfahren des Kalkens vermeiden, welches ebensogut gegen den Brand des Getreides sichert. 2. Vitriolisirung oder Kalkung mit Glaubersalz. Auf 1 Hektoliter Wasser werden 5 Kilogr. rohen Glaubersalzes in Stücken, wie es aus den Cylindern der Sodafabriken kömmt, genommen und bloß zerstoßen, oder man verwendet das im Flammofen calcinirte pulverförmige Glaubersalz. Man bringt das Glaubersalz in einen Korb, den man mitten im Wasser aufhängt. Wenn es aufgelöst ist, nimmt man den Korb heraus und rührt die Lösung mit einer Schaufel oder einem Stocke um. Nun bringt man in einen länglichen Korb 1 Hektoliter des zu kalkenden Getreides, setzt ihn ganz unter die Salzlösung und entfernt mit dem Schöpflöffel die leichten Körner, welche man nicht zum Untergehen bringen konnte; sie werden zum Verfüttern an das Vieh benutzt. Man nimmt nun den länglichen Korb aus der Flüssigkeit und wirft das nasse Getreide auf ein Steinpflaster, bestreut es dann mit 1–2 Kilogr. gelöschtem Kalk, in Pulverform, vermengt hierauf das Getreide und den Kalk bestmöglich durch Umschaufeln und bringt das Ganze wieder in Haufen. So fährt man fort, jedesmal ein Hektoliter Getreide nehmend und 10–12 Liter Glaubersalzlösung zusetzend, damit die Flüssigkeit, welche jedes Hektoliter Getreide fortnimmt, ersetzt wird. So oft wieder 1 Hektoliter gut mit Kalk vermengt ist, setzt man es dem Haufen zu u.s.f. Das so zubereitete Getreide erscheint bald trocken, weil die Flüssigkeit sich zwischen dem Getreide und dem Kalk theilt; es kann schon nach einigen Stunden ausgesäet, oder auch mehrere Wochen aufbewahrt werden, wobei es aber, wenn man befürchtet daß es sich erhitzt, ausgebreitet oder öfters umgeschaufelt werden muß. Das Kalkpulver wird wie folgt bereitet. Wenn man 20 bis 100 Liter Kalk auf einmal löschen will, so gibt man ihn in einen Korb und taucht das Ganze unter Wasser; man läßt ihn so eine Minute lang das Wasser ansaugen und zieht den Korb dann rasch wieder heraus, um allen Kalk mit dem Wasser, das er ansaugen konnte, in eine Ecke des Steinpflasters zu werfen. Man kann der völligen Löschung versichert seyn, wenn man den Haufen gleich darauf noch mit 5 Proc. oder 1 Liter Wasser auf 20 Liter gebrannten Kalks besprengt. Nach diesem Verfahren erhält man in 25–30 Minuten ein wohlgesättigtes Kalkhydrat als sehr feines weißes Pulver, welches sich zum Kalken des Getreides eignet. Das Kalkpulver läßt sich leicht aufbewahren, indem man es in Fäßchen mit nur einem Boden bringt und seine Oberfläche, um den Zutritt der Luft zu verhindern, mit alter Leinwand und Faßdauben bedeckt. Die Gestehungskosten dieser beiden Kalkungsmethoden sind gering. Die Kosten des Materials kommen bei Anwendung von Kupfervitriol (je nachdem das mehr oder weniger trockene Korn 10–15 Liter der Auflösung aufnimmt) dem Werthe von 1–1,50 Kilogr. Kupfervitriols gleich, welcher, 100 Kilogr. zu 90 Fr. berechnet, für 10 Hektoliter auf 90 Centimes bis 1 Fr. 35 Centimes, also für 1 Hektoliter auf 13 1/2 Centimes zu stehen kommt. Hinsichtlich des zweiten Verfahrens bestehen die Kosten für 10 Hektoliter Korn, wenn man annimmt, daß per Hektoliter Korn mindestens 10, und höchstens 15 Liter der Auflösung absorbirt werden, 1) aus dem Werthe von 5 bis 7,50 Kil. rohen Glaubersalzes,       100 Kil. zu 14 Fr. berechnet, 70 Cent. bis 1 Fr. 05 Cent. 2) aus dem Preis von 10 bis 20 Kil. Kalk, 30    „       „          60    „ ––––––––––––––––––––––                                                         Summa   1 Frank bis 1 Fr. 65 Cent. oder per Hektoliter Korn 10 bis 16 1/2 Centimes. Hinsichtlich des Glaubersalzes ist kein Betrug zu befürchten, vorausgesetzt daß es sich in Wasser ganz auflöst; denn es kommt im Handel kein auflösliches Salz zu niedrigerem Preise vor. Um bei dem wechselnden Preis dieser Materialien möglichst gut zu fahren, wäre es am besten, wenn mehrere Landwirthe sich vereinigten; sie könnten sich dann direct an Fabriken oder Großhandlungen wenden und die gekaufte Waare unter sich vertheilen. Einige andere Verfahrungsweisen zu kalken sind, obgleich sie nicht soviel Sicherheit gewähren wie obige Mittel, doch der Anwendung des Arseniks vorzuziehen. Wir theilen sie deßhalb mit. 3. Kalken mit Zusatz von Harn oder Kochsalz. Man bringt in einen Zuber 1 Liter gebrannten Kalks und schüttet 10 Liter warmes oder fast siedendes Wasser darauf; das Löschen erfolgt schnell und man erhält einen dünnen Kalkhydratbrei, welchem 2 Liter Kuh- oder Pferdeharn zugesetzt werden. Dieses wohlumgerührte Gemenge wird auf 1 Hektoliter Getreide geschüttet, welches man dann nach allen Richtungen gut umschaufelt, um den Körnern eine Art Ueberzug (pralinage) zu geben; nach 24 Stunden kann zur Aussaat geschritten werden. Sollte damit länger gewartet werden, so müßte das Korn dünn ausgebreitet werden, um Erhitzung und Keimung zu vermeiden. Die Landleute in Beauce wenden dieses Verfahren mit gutem Erfolge an. Ein ähnliches Verfahren ist noch wirksamer. Man bereitet in einer Kufe Kalkmilch, indem man 10 Kil. gebrannten Kalks 120 Liter Wasser, in dem Maaße als sich der Kalk löscht, allmählich zusetzt. Man setzt dann 1 1/2 Kil. Kochsalz in Pulverform zu, dessen Auflösung man durch einige Minuten dauerndes Umrühren bewirkt. In dieses Gemisch taucht man einige Minuten lang einen länglichen Korb, welcher 1 Hektoliter Getreide enthält; man rührt um, damit alle Körner gehörig getränkt werden und der Kalk sich nicht absetzen kann; man zieht dann den Korb wieder heraus und wirft das Getreide auf den Boden. Dieselbe Operation wird fortgesetzt, indem man ebenso bereitete Kalkmilch nach Maaßgabe des herausgenommenen Getreides zusetzt. 24 Stunden nach dem Kalken kann das Aussäen vorgenommen werden. Hätte man damit längere Zeit zuzuwarten, so müßte man das Getreide ausbreiten. Statt des Einweichens könnte man auch jedes Hektoliter Korn mit 10–12 Liter gesalzener Kalkmilch besprengen; die Vermengung müßte dann durch öfteres Umschaufeln sehr sorgfältig geschehen. Doch wäre diese Abänderung keine glückliche, weil manches Korn auf einem Theil seiner Oberfläche der Berührung entgehen könnte. Die beiden letztern Methoden wurden mit gutem Erfolge auch so abgeändert, daß man statt des Salzes oder des Harns allein, beide mit einander anwandte. Dabei wird an der Quantität des Kalks nichts geändert, von welchem ungefähr 1 Kil. auf 1 Hektol. Korns kömmt. Die beschriebenen Methoden haben sich bereits durch mehr oder weniger lange Erfahrung bewährt; bei ihrer sorgfältigen Anwendung wird der Arsenik ohne Nachtheil entbehrlich und man vermeidet andererseits die mit dessen Gebrauch verbundenen großen Gefahren.