Titel: | Verbesserungen im Bau der Eisenbahnen in Gebirgen wo bedeutende Schneefälle vorkommen; von dem Baron Seguier. |
Fundstelle: | Band 128, Jahrgang 1853, Nr. LVII., S. 249 |
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LVII.
Verbesserungen im Bau der Eisenbahnen in Gebirgen
wo bedeutende Schneefälle vorkommen; von dem Baron Seguier.
Aus den Comptes rendus, Febr. 1853, Nr.
9.
Seguier's Verbesserungen im Bau der Eisenbahnen in
Gebirgen.
In einer Sitzung der (französischen) Akademie der Wissenschaften, bald nach der
fürchterlichen Katastrophe auf der Versailler Eisenbahn, habe ich Modelle eines
Locomotivsystems vorgelegt, deren Einrichtungen zum Hauptzweck hatten, die
Wiederkehr eines solchen Unglücks auf den Eisenbahnen zu verhindern. Unter den
Eindrücken des traurigen Ereignisses untersuchte ich vor allem die Anwendbarkeit des
atmosphärischen Eisenbahnsystems; ich wurde von den Vortheilen überrascht, welche
die Verbindung des Eisenbahnzuges mit der Bahn selbst mittelst des Kolbens in einer
fest auf der Bahn liegenden Röhre gewährt, und machte daher den Vorschlag, zu den
drei alleinigen Ursachen der Sicherheit, welche der Eisenbahnbetrieb mit
Dampflocomotiven darbietet, d.h. zur Festigkeit der auf den Achsen sitzenden Räder,
dem Parallelismus der Achsen, den Radbüchsen, einen neuen Grund der Stabilität auf
der Bahn hinzuzufügen, indem man zur Vermeidung des Ausspringens der Räder aus den
Schienen, eine dritte mittlere Schiene anbringt, gegen welche die horizontal
angebrachten Treibräder der Locomotive sich wie die Walzen eines Walzwerks
stützen.Polytechn. Journal Bd. XCI S.
107.
Ich bemerkte, daß der Widerstand des Bahnzuges selbst die nothwendige Kraft liefert,
um die Treibräder der mittleren Schiene zu nähern, wobei man mit der Sicherheit noch
Kraftersparung gewinnt, weil auf den Achsen der horizontalen Treibräder stets nur
eine Reibung stattfindet, die dem Widerstande des Bahnzugs proportional ist, d.h.
ein Minimum der Reibung, während bei dem gewöhnlichen Betrieb die Reibung der
Treibräderachsen der Locomotiven, welche ihre Adhärenz nur in der eigenen Masse
schöpfen, fortwährend im Maximum bleibt, indem diese Reibung stets dieselbe ist, mag
sich nun die Locomotive allein bewegen oder einen langen Wagenzug mit sich führen.
Zu der Zeit als ich der Akademie diese Vorschläge machte, hatten die Eisenbahnen
noch nicht die jetzige ungeheure Entwickelung erlangt, welche fortwährend zunimmt.
Unmittelbar nach einem Unglück, wie dasjenige auf der Versailler Bahn, kam natürlich
das Leben der Menschen mehr in Betracht als die ökonomische Frage, und die täglichen
Eisenbahnfahrten in Ländern mit verschiedenen Klimaten hatten gewisse Nachtheile
noch nicht aufgedeckt, die man jetzt zu verbessern suchen muß, worunter die
Unterbrechung im Gange der Bahnzüge in Folge der Schneeanhäufung auf den Bahnen
gehört. Dieses Hinderniß, welches meistens nur einige Wochen in jedem Jahre
andauert, verdient dessenungeachtet beseitigt zu werden, da bei der Anlegung der
neuerdings projectirten Straßen in den Gebirgsländern, wie z.B. in der Schweiz,
häufiger Schnee auf den Bahnen vorkommen kann. Die Bedeckung einer Bahn mit Schnee
ist um so nachtheiliger, da man zu dessen Fortschaffung nur die Locomotiven selbst
anwenden kann; nun nimmt aber der Schnee einen Theil ihrer Kraft weg, weil der
Reibungscoefficient des Eisens gegen Eisen mit einer Schnee- oder Eisschicht
dazwischen, offenbar geringer als derjenige des Eisens auf Eisen bei trockener
Witterung ist, in welchem letzteren Fall eine Staubschicht zwischen beiden liegt,
welche der Wind und die Erschütterung der Luft durch den Wagenzug auf die Schienen
führt; die Centrifugalkraft der Wagenräder ist der Art, daß man, um die Reisenden
auf manchen Bahnen von der Unannehmlichkeit des Staubes zu befreien, es für nöthig
erachtet hat, die zwischen den Speichen gelassenen Zwischenräume auszufüllen, so daß
die Räder ganz massiv erscheinen.
Vergebens bringt man auf schneebedeckten Bahnen vor den Treibrädern der Locomotiven
Sandgefäße an, die den Sand zwischen dem Rad und der Schiene ausstreuen, um den
Reibungscoefficienten zu erhöhen.
Mit den jetzigen Locomotiven hat man die Anwendung der Schneeschaufeln oder
sogenannten Schneepflüge vor den Rädern, welche den Schnee auf die Seiten werfen,
immer nur eine Kraft, die gleich der Adhärenz des Rades auf der Schiene in Folge der
Masse der Locomotive ist. Nun ist aber diese Kraft nicht ganz so groß wie diejenige,
welche der bis zur höchsten Belastung des Ventils gespannte Dampf eines Kessels
geben kann, wie wir es so häufig im Augenblick der Abfahrt eines Zuges sehen, wo
sich die Räder um sich selbst drehen, bevor sie die Trägheit des Zuges überwinden
konnten. Würde man aber bei der Beseitigung von Schnee auf einer Bahn die Locomotive
mit einem weitern Gewicht belasten, so ginge wieder ein Theil der Kraft des Dampfes
für den Transport dieser überschüssigen Masse verloren.
Die großen Nachtheile der Verspätung der Eisenbahnzüge in Folge starker Schneefälle
haben sich in der letzten Zeit genügend herausgestellt; dieß veranlaßt mich, auf mein
System des Eisenbahnbetriebes zurückzukommen. Bei wiederholtem genauem Studium der
erwähnten Modelle und Zeichnungen in dem langen Zwischenraume seit ich zuerst damit
auftrat, habe ich neue Eigenschaften daran entdeckt, und da durch dieselben
bedeutende Ersparungen im Eisenbahnbetrieb erzielt werden können, so will ich sie
hier kurz auseinandersetzen.
Früher habe ich nachgewiesen, daß bei meinem Locomotivsysteme mit horizontalen
Rädern, welche in Folge des Widerstandes des Bahnzuges selbst gegen eine mittlere
Schiene drücken, die Wagen stets auf der Bahn bleiben müssen, wie bei dem
atmosphärischen System, und daher eine vollständige Sicherheit gewähren. Auch habe
ich damals bemerkt, daß die Treibachsen dieser Wagen sich stets mit der geringsten
Reibung drehen; jetzt will ich kurz zeigen, daß mittelst dieses Systems die
Anlagekosten einer Eisenbahn und ihr Material bedeutend vermindert werden
können.
Bei dem jetzigen Bahnbetriebe hängt die Adhärenz der Räder nur von der Masse der
Locomotive ab, und man hat daher durchaus kein Interesse ihr Gewicht zu vermindern;
dennoch ist es das Gewicht der Locomotive allein, welches die Stärke der Schienen
bestimmt. Ohne allen Zweifel könnten sie schwächer seyn, wenn sie stets nur Räder
mit der Belastung der gewöhnlichen Waggons zu tragen hätten; dieß hat die Erfahrung
auf beiden Versailler Bahnen bewiesen, denn so lange sie nur zum Personentransport
dienten, wurden auch nur leichtere Locomotiven angewendet, und man konnte sich mit
leichteren Schienen begnügen; seitdem aber auf der einen Versailler Bahn, auf
derjenigen des linken Seineufers, die Gütertransporte der Westbahn befördert werden,
mußte man die Bahn mehr befestigen, da die Schienen die Belastung der schweren
Locomotiven nicht aushielten; statt vier Schwellen unter einer Schienenlänge wurden
daher fünf gelegt. Ich bin weit entfernt behaupten zu wollen, es sey bei dem
jetzigen Standpunkte des Maschinenbaues möglich, kräftige Locomotiven (d.h. solche
mit einer zweckmäßigen Heizfläche, um viel Dampf zu erzeugen, sowie mit Cylindern
von hinreichenden Dimensionen, um denselben nützlich zu verbrauchen), die viel
leichter sind als die jetzt im Betrieb befindlichen, zu erbauen; ich will bloß
nachweisen, daß man durch Einführung meines Systems das Gewicht, welches die
Treibräder belastet, fast auf die gewöhnlichste Belastung der Personen- und
Güter-Wagen-Räder vermindern kann.
Nur mein System des Bahntransportes, wobei die horizontalen Treibräder gegen eine
zwischen ihnen befindliche Schiene andrücken, gestattet nämlich die Locomotive in
zwei Hälften zu theilen, indem man Cylinder und Kessel auf verschiedene Züge vertheilt. Bei
diesem System erfolgt der Gang nicht mehr durch das Gewicht der Locomotive, sondern
bloß durch die Annäherung der Treibräder aneinander, welche durch den Widerstand des
Bahnzuges selbst bewirkt wird, und es ist daher nicht mehr nöthig, den größten Theil
der Masse des Motors auf die Treibachsen zu vertheilen.
Die Möglichkeit die Locomotive zu theilen, gewährt einerseits den Vortheil, die
Reibung der Treibachsen zu vermindern, die Anwendung schwächerer Schienen zu
gestatten, und die Unterhaltungskosten der Bahn, welche durch die schweren
Locomotiven der Güterzüge so bedeutend angegriffen wird, wesentlich zu vermindern.
Diese Trennung des Kessels von den Cylindern ermöglicht andererseits auch eine
Verminderung des Materials; denn es würde (wie die Erfahrung bei den Locomotiven
beweist, welche auf den großen Bahnhöfen fast beständig in Gebrauch sind um die Züge
herzustellen) vortheilhaft seyn, die Kessel so lange als möglich gefeuert zu
erhalten, um das Verziehen ihrer Theile zu vermeiden, welches eine natürliche Folge
der Abkühlung der Metalle ist. Dieß wäre dadurch ausführbar, daß man nach einer
gewissen Fahrt einen frisch geschmierten und revidirten Motor an die Stelle
desjenigen bringt, welchen der besonders montirte Kessel auf die Station geschafft
hat. Ich glaube, daß diese Theilung eine bedeutende Verminderung des Kesselmaterials
gestatten würde, weil ein Dampfgenerator, der keiner andern Unterhaltung bedarf, als
des Reinigens seiner Röhren und des Schmierens seiner Achsen, drei Locomotiven
versehen könnte, die auf den Stationen untersucht und gereinigt werden, welches in
diesem Falle um so leichter ist, da sie von dem Kessel getrennt sind, dessen
Anordnung bei der jetzigen Einrichtung der Maschinen die Untersuchung derselben für
den Locomotivführer zu einer sehr schwierigen Arbeit macht.
Die Kosten des Anfeuerns und des Auslöschens der Feuerung fielen zum Theil weg, und
die Zinsen von dem Capital, welches das rollende Material der Locomotiven darstellt,
würden auch vermindert werden. Der Dampfverlust, welchen die Drehung der Räder um
sich selbst veranlaßt, würde ganz für die Zugkraft gewonnen (ein an den Treibrädern
angebrachter Zähler beweist, daß selbst bei der günstigsten Witterung die
Entwickelung der Räder viel bedeutender ist als der durchlaufene Weg). Ist mein
Betriebssystem einmal angenommen, wobei das zur Adhärenz jetzt unerläßliche Gewicht
der Locomotiven wegfällt, so werden sich die Ingenieure mit der Herstellung leichter
Generatoren beschäftigen, womit bereits günstige Versuche gemacht worden sind. Mein
Hauptzweck bei dieser
Mittheilung war nur der, die Ingenieure welche Eisenbahnen in Gebirgsgegenden
erbauen sollen, auf mein System aufmerksam zu machen, mittelst dessen manche
Schwierigkeiten ihrer Aufgabe gelöst werden dürften.