Titel: Schützenbach's neue Art, den Saft aus den Zuckerrüben zu gewinnen.
Fundstelle: Band 132, Jahrgang 1854, Nr. XVI., S. 67
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XVI. Schützenbach's neue Art, den Saft aus den Zuckerrüben zu gewinnen. Aus dem Reisebericht des Prof. Siemens von Hohenheim nach Norddeutschland und Holland im Herbst 1853, durch das Wochenblatt für Land- und Forstwissenschaft, 1854, Nr. 14. Schützenbach's neue Art, den Saft aus den Zuckerrüben zu gewinnen. Der Hauptzweck meiner Reise war ursprünglich, das neue Verfahren von Schützenbach zum Auslaugen des Rübenbreies für die Zuckerfabrication, welches derselbe im verflossenen Winter in der Nähe von Valenciennes im Großen ausgeführt, kennen zu lernen. Erst später erfuhr ich aus den Mittheilungen des Vereins der Rübenzuckerfabrikanten, daß Schützenbach mit diesem Vereine in Verbindung getreten und in der Fabrik von Vrede und Klamrott in Halberstadt einen Auswaschapparat seiner Art aufgestellt habe, um die damit zu erzielenden Resultate von einer Commission jenes Vereins prüfen zu lassen. Hiedurch sah ich mich um so mehr veranlaßt, die Gegend von Magdeburg zu besuchen, als diese den Mittelpunkt der landwirtschaftlichen Intelligenz durch den Betrieb technischer Gewerbe bildet. Zunächst besuchte ich einige Fabriken in der Nähe von Köthen und Halle, wo erst in neuerer Zeit die Rübenzuckerfabrication eine größere Verbreitung gefunden. Mehrere dieser Fabriken sind dort durch die Vereinigung benachbarter Gutsbesitzer und Pächter, der Vortheile des Rübenbaues und der Fabrication wegen, gegründet. Der mißlich gewordene Kartoffelbau macht den Betrieb der Brennerei auch dort weniger lohnend; die Rübenzuckerfabrication gewährt dagegen durch die Preßrückstände den Wirthschaften ein länger dauerndes und nährendes Futter, was die Erhaltung eines größeren Viehstandes selbst bei dem Mangel natürlicher Wiesen möglich macht. Die Vortheile des Rübenbaues und ihrer Verwendung zum Zucker haben sich auch hier bereits für die Wirthschaften so erheblich gezeigt, daß diese Fabrication den Landwirthen auch dann noch vortheilhaft scheint, wenn selbst durch höhere Besteuerung die Fabrication an und für sich kaum noch einen directen Gewinn versprechen sollte. Es mag diese Ansicht wohl vorzugsweise dem Ausspruche des königl. preußischen Landesökonomie-Kollegiums zu Grunde liegen, wonach die Fortdauer der Rübenzuckerfabrication durch eine höhere Besteuerung nicht gefährdet werde. Es ist dabei mehr als wahrscheinlich, daß man gerade durch die höhere Besteuerung diese Fabrication für die unmittelbare Verbindung mit der Landwirthschaft auf gleiche Weise zu reserviren sucht, wie der Betrieb der Brennerei nur dadurch der unmittelbaren Verbindung mit der Landwirthschaft erhalten blieb, daß sich der Landwirth mit den Vortheilen begnügen konnte, die ihm dieß Gewerbe durch zweckmäßige Benützung der Abfälle (vermehrte Düngerproduction) gewährte. In den dortigen Fabriken traf ich auch einige der neueren Verbesserungen der Rübenzuckerfabrication, wie z.B. die Walzenreibe von Keusemann und Woltersdorf, bei welcher die Poussoirs zum Vorschieben der Rüben durch eine cannelirte Walze ersetzt werden. Am meisten bestätigt sich bei dieser Einrichtung die bedeutend größere Leistungsfähigkeit einer solchen Reibe. Es wird dieser Vortheil hauptsächlich wohl dadurch erlangt, daß die Kraft, womit die Rüben gegen den Reibcylinder gedrückt werden, der Umdrehung der Reibe nicht gerade entgegen, sondern zum Theil in der Richtung ihrer Drehung wirkt. Eine Verminderung des Drucks gegen den Reibcylinder läßt zugleich einen feineren Brei gewinnen; ich fand diesen bei jenen Reiben äußerst fein, aber nicht frei von Stücken oder Schalen. Ferner traf ich in mehreren Fabriken die Anwendung der Kohlensäure zur Neutralisation des Safts nach dem Kleeberger'schen Verfahren, mit der Erzeugung der Kohlensäure aus einer Mischung von Kohks mit Holzkohle, wobei eine Waschung des Gases durch kohlensaure Natronlösung stattfand. Die durch die Anwendung der Kohlensäure erlangten besseren Resultate schienen mir auch hier nicht erheblicher, als ich solche in der Zuckerfabrik in Hohenheim gefunden. Nur wo eine schlechtere Rübe den Zusatz einer größeren Menge Kalks nöthig macht, dürfte es vortheilhaft seyn, durch die Anwendung der Kohlensäure auf die größere Einfachheit der Fabrication zu verzichten. Gut cultivirte Rüben liefern sicher bei schneller Saftgewinnung und gehöriger Reinlichkeit mit einem wenig größeren Aufwande an guter Kohle einen eben so schönen Zucker, als bei einer Neutralisation durch Kohlensäure. Vermeidet man mit Sorgfalt eine Verunreinigung der Kohle durch trüben Saft, so ist auch der Aufwand an Säure zur Wiederbelebung nicht so bedeutend. Dagegen erlangt man durch die Kohle allein auf einfachere Weise ein sicheres Resultat, indem der neutralisirte Saft anderen nachtheiligen Einflüssen leichter unterliegt. Eine Beschleunigung der Verarbeitung des Safts wird aus diesem Grunde hier dringend nöthig, und namentlich hat die unmittelbar nach der Neutralisation vorzunehmende Filtration sehr rasch zu erfolgen. Eine Temperaturverminderung zeigt sich dabei besonders nachtheilig, und da sie hier durch eine Verzögerung des Processes um so leichter eintritt, so trägt sie sicher in den meisten Fällen die Schuld, wenn bei der Anwendung von Kohlensäure ein weniger gutes Resultat erlangt wird. In Halberstadt hatte ich das Vergnügen, Hrn. Schützenbach und viele der ersten Zuckerfabrikanten zu treffen. Es wurde mir gestattet, den so eben beginnenden Probearbeiten beizuwohnen, und ich fand dadurch Gelegenheit, das neue Verfahren sowie die Ansicht jener Fabrikanten kennen zu lernen. Im Wesentlichen besteht dieß neue Verfahren in einem Auswaschen des durch Reiben gewonnenen Rübenbreies. Ueberraschend ist die Schnelligkeit, mit welcher dieß auf die einfachste Weise ausgeführt wird. Die Rückstände halten dem Geschmacke nach keine Spur von Zucker, und selbst eine nähere Prüfung mit dem Polarisationsapparate sollte jenen kaum noch erkennen lassen. Der Saft zeigte durchschnittlich 1° Baumé weniger als der reine Preßsaft oder der Saft in den Rüben. Sein Verhalten bei den verschiedenen Operationen der weiteren Verarbeitung ließ gar nichts zu wünschen übrig, namentlich erschien er nach der ersten Reinigung oder Defecation weit schöner, als dieß sonst bei dem durch Maceration gewonnenen Safte der Fall ist. Nach dem ersten Eindampfen, wobei der Saft eine äußerstänßerst schnelle Verdampfung zuließ, war die Menge des mehr zu verdampfenden Wassers dem durch Pressen gewonnenen Safte gegenüber auf 1/10 zu schätzen, indem man in der dortigen Fabrik zur Gewinnung einer gewissen Menge auf 12° Baumé concentrirten Saftes 11 Abdampfungen oder Pfannen des dünneren Safts bedurfte, während früher dazu nur 10 erforderlich waren – eine Vermehrung des Aufwands an Brennmaterial, der durch eine größere Ausbeute an Zucker leicht zu ersehen wäre. Große Beachtung wurde von den Fabrikanten der Prüfung über die Brauchbarkeit der Rückstände als Viehfutter geschenkt. Durch Pressen von Wasser befreit fraß das Vieh diese Rückstände eben so gern, als die von dem gewöhnlichen Preßverfahren. Man traf sogleich Vorkehrungen, um sie länger aufzubewahren, denn hierauf legen die Landwirthe den größten Werth, weil ihnen die bisherigen Preßrückstände das ganze Jahr ein nahrhaftes und gesundes Futter liefern. Den Zuckergehalt der Rückstände glaubte man ganz außer Acht lassen zu können, da dieser doch nach kurzer Aufbewahrung verschwindet; man suchte deßhalb nur zu erfahren, ob bei der Aufbewahrung der ausgelaugten oder ausgewaschenen Rückstände eine gleiche Säuerung oder Gährung wie bei jenen eintrete, denn dieser Säuerung schreibt man vorzugsweise die größere Nahrungs- oder Assimilationsfähigkeit der aufbewahrten Preßrückstände zu. Ein Versuch zeigte denn auch bald, daß schon nach wenigen Tagen diese Säuerung eintrat. Das Auspressen der ausgelaugten Rückstände erfolgt sehr rasch, da man die Füllungen der Säcke weit stärker machen kann, es genügten deßhalb auch in der dortigen Fabrik zwei Pressen, um binnen 24 Stunden den ausgelaugten Brei von 800 Centner Rüben zu pressen. Ein genaueres Resultat über die Ausbeute an Zucker lag während meiner Anwesenheit in Halberstadt noch nicht vor. Die Mehrausbeute an Zuckermasse zeigte sich in dem Verhältnisse zu der vollständigern Gewinnung aus den Rückständen nicht entsprechend, was dem noch nicht geregelten Gange des Betriebs wohl zuzuschreiben war, wenn nicht vielleicht auch auf andere Weise ein noch nicht beachteter Verlust an Zucker stattfinden sollte. Es wäre in dieser Beziehung wohl näher zu untersuchen, ob nicht ein solcher Verlust durch die größere Menge des zu verdampfenden Wassers herbeigeführt werde, da bei einer lebhaften Verdampfung stets auch eine mechanische Trennung oder Fortleitung einer geringen Menge der verdampfenden Flüssigkeit stattfindet, wie ich dieß bei meinen Destillationsversuchen gefunden und worauf sich die Construction meines Dephlegmators vorzugsweise gründet. Möglich scheint es aber auch, daß diese geringere Mehrausbeute durch einen Verlust beim Auslaugen herrührt und hier in der Menge von Wasser, die mit den Rückständen verbunden ist, der Beobachtung und Beachtung entgeht. Die Qualität der gewonnenen Zuckermasse befriedigte dagegen mehr, sie polarisirte einen größeren krystallinischen Zuckergehalt als die aus gleichen Rüben durch Pressen gewonnene Zuckermasse. Auch scheint mir der „grüne“ Syrup von jener reinschmeckender, als von dieser, seine Verkochung lieferte eine schöne feste zweite Zuckermasse ohne allen Schaum. Der inzwischen in den Mittheilungen des Vereins der Rübenzuckerfabrikanten erschienene Commissionsbericht spricht sich in seiner Ansicht über das neue Verfahren in gleicher Weise lobend aus, jedoch kann auch er, bei der Kürze des Betriebs, noch keine ganz zuverlässigen Resultate vorlegen. Nach weiteren Mittheilungen haben bereits mehrere größere Fabriken das neue Verfahren noch im Laufe des Winters in Anwendung gebracht und sollen von diesen meist günstige Resultate (was wohl nur Urtheile seyn werden) vorliegen. Durch die Wichtigkeit der neuen Saftgewinnungsart sah ich mich veranlaßt, im Laufe der jetzt beendigten Campagne in der hiesigen technischen Werkstatt die wesentlichste Einrichtung zu der Auswaschung des Rübenbreies mit zum Theil vorhandenen Gefäßen herzustellen. Wenn die Unvollständigkeit des Apparats auch kein genügendes Resultat erlangen ließ, so gestattete sie doch für den Unterricht eine bessere Einsicht in das wesentlich Neue und für mich einige nicht unwichtige Beobachtungen, die mich das neue Verfahren näher kennen, aber auch minder günstig beurtheilen lassen, indem sie dasselbe nicht freisprechen von den allgemeinen Mängeln der Maceration. Außer der Gewinnung eines dünneren Saftes selbst bei regelmäßigem Gange des Betriebs und dem damit verbundenen Zuckerverluste auf die oben angegebene Weise, steigert sich dieser bei jeder kaum zu vermeidenden Unterbrechung des Betriebs nicht unerheblich. Ebenso zeigte sich der immer fortwachsende nachtheilige Einfluß einer jeden minder guten Beschaffenheit des Safts durch eingetretene Störungen oder schlechtere Beschaffenheit, wenn auch nur weniger Rüben. Diese Nachtheile haben auch die Vortheile der bisher versuchten Auslaugungsmethoden (welche die Möglichkeit einer größeren Zuckerausbeute, Verminderung des Aufwandes an Capital, Unterhaltung und Arbeit in Aussicht stellten) mehr als absorbirt. Das neue Verfahren scheint die Nachtheile nur zu vermindern, für beseitigt kann ich sie, den angestellten Versuchen nach, nicht halten. Unverkennbar wirkt die Vermischung des kalten Wassers mit dem Brei außerordentlich günstig auf die Erhaltung des Safts; dennoch wurde hier bei einer Verzögerung des Processes, die, wie gesagt, wohl selten ganz vermieden werden kann, die wichtige Beobachtung gemacht, daß der Brei sehr bald eine gallertartige Beschaffenheit annahm (wohl durch die Bildung einer gallertsauren Verbindung aus dem Pektin der Rübe), welche keine weitere Verdrängung des darin enthaltenen Safts erreichen ließ. Es zeigte sich dieß mitunter so auffallend, daß dabei die bis zu drei Viertel gefüllten Gefäße nach und nach durch das Aufquellen des Breies ganz gefüllt wurden. Möglich, daß diese Erscheinung nur die Folge des hiesigen unvollständigen Apparats war, bei welchem namentlich durch den Mangel ganz geeigneter Siebböden eine Verzögerung des Wechsels der Flüssigkeit hie und da vorkam. Jedenfalls macht dieß das neue Verfahren doch weniger leicht ausführbar und sicher, was unter seinen angeblichen Vorzügen hervorgehoben wurde. Mein Mißtrauen gegen die Anwendung einer solchen Saftgewinnung gründet sich ferner auf die bei der Dombasle'schen Maceration gemachte eigene Erfahrung, wonach den besten Resultaten des einen Jahres die schlechtesten des anderen folgten, ohne daß ich die Ursache dieses Unterschiedes weiter als durch eine Verschiedenheit der Rüben hätte begründen können, – endlich auf das Mißlingen der Auswaschung des Rübenbreies mit kaltem Wasser mittelst des Pelletan'schm Apparats. Schon im Jahr 1837 sah ich in der Nähe von Luneville ein schönes Product mit diesem Apparate gewinnen, und dennoch fand diese Saftgewinnung, die der neuen Schützenbach'schen im Princip ganz gleich ist, inzwischen keine weitere Verbreitung. Dagegen zeigte mir die getroffene Einrichtung die Vortheile ihrer Verwendung zur Verarbeitung der Rüben behufs der Branntweinerzeugung, wobei die erwähnten Nachtheile theils weniger eintreten, theils weniger von Bedeutung sind, worüber ich bald ausführlicher berichten werde. Wenn ich aus den angeführten Gründen Bedenken trage, die neue Art der Saftgewinnung als einen so bedeutenden Fortschritt in der Rübenzuckerfabrication anzusehen, daß der dadurch zu erlangende Vortheil etwa die höhere Besteuerung ausgleichen werde, so würde ich es bedauern, wenn ich dadurch den verdienstvollen Bestrebungen des Hrn. Schützenbach entgegentreten sollte. Seine Verdienste um die Vervollkommnung der Rübenzuckerfabrication und andere Industriezweige sind so begründet, daß mein Bedenken über die Zweckmäßigkeit seiner neuen Erfindung nur verhüten soll, sofort alle Pressen aus den Fabriken zu verbannen (wie wir dieß schon namentlich bei der Dombasle'schen Maceration erlebten), bevor nicht einige Jahrgänge die Vortheile der neuen Saftgewinnung bestätigt haben.