Titel: Ueber das Clavierstimmen, dessen Schwierigkeiten und deren theilweise Beseitigung; von F. Mahr, Instrumentenmacher.
Fundstelle: Band 135, Jahrgang 1855, Nr. XLIII., S. 194
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XLIII. Ueber das Clavierstimmen, dessen Schwierigkeiten und deren theilweise Beseitigung; von F. Mahr, Instrumentenmacher. Aus dem Gewerbeblatt für das Großherz. Hessen, 1854, S. 257. Mahr, über das Clavierstimmen dessen Schwierigkeiten und deren theilweise Beseitigung. Es ist dem Manne von einschlägigem Fache, dem Instrumentenmacher sowie dem Claviervirtuosen, nicht unbekannt, daß dem Stimmen von Clavieren manche sehr erhebliche Schwierigkeiten entgegentreten, und daß es nur durch große Beharrlichkeit und lange Uebung zur Meisterschaft im Stimmen gebracht werden kann, denn es ist das Stimmen nicht allein und ausschließlich Sache des Gehörs, und, wie Manche glauben, ausschließlich Sache eines musikalisch gebildeten Gehörs, sondern es ist zugleich Sache eines zum Stimmen außerordentlich geübten Gehörs und dieses ist sehr wesentlich verschieden von jenem. Es ist das Stimmen ferner noch Sache einer großen Uebung der Hand des Stimmers, um das mit Sicherheit erreichen und darstellen zu können, was das verfeinerte musikalische, so wie das zum Stimmen geübte Gehör zu hören beansprucht. Es würden, wäre dieß Alles nicht der Fall, die guten Stimmer häufiger seyn, und es würde auch jeder Claviervirtuose sein Instrument sich selbst stimmen können, selbst gut stimmen und mit Leichtigkeit gut stimmen lernen, ebenso wie dieß bei den Violinen und allen sonstigen Streichinstrumenten der Fall ist, bei welchen die Hauptschwierigkeit des Stimmens von Tasteninstrumenten überhaupt gar nicht vorkommt. Die Hauptschwierigkeit ist das Temperiren, oder das Legen der Temperatur, wie die technische Sprache dieß benennt, und besteht in einer gleichmäßigen Vermittelung von Differenzen, von Ueberschüssen, welche in dem Bereich der Töne, in ihren mathematischen und akustischen Verhältnissen, divergirend zu einander bestehen. Aufgabe des Stimmers bleibt es, diese Ueberschüsse, diese Differenzen, vermittelst seines Gehörs durch Schätzung zu theilen und die aus seiner Schätzung hervorgegangenen Größen durch die Geschicklichkeit seiner Hand, vermittelst des Stimmschlüssels, auf die reinen Terzen, Quarten, Quinten, Sexten u.s.w. zu übertragen, indem er denselben entweder zusetzt oder entziehet, wodurch solche um ein Weniges von ihrer Reinheit abweichen müssen. Diese Abweichungen werden Schwebungen genannt. Der Stimmer muß also, indem ex die Temperatur legt, Unreinheiten, denn dieß sind die Schwebungen, durch sein Ohr in außerordentlich kleinen Abstufungen zu messen, zu theilen und durch seine Hand zu beschaffen, zu fixiren, die Geschicklichkeit besitzen, um dadurch das gebildete musikalische Gehör, welches die höchstmögliche Reinheit beansprucht, befriedigen zu können. So widersprechend und ungereimt dieß dem Laien auch erscheinen mag, es ist dennoch genau so und nicht anders; denn nur durch das Verfahren des Temperirens (des Unreinmachens) wird es für das Clavier ermöglicht, dem musikalisch gebildeten Gehör die beanspruchten möglichst reinen Harmonien durch alle Tonarten vorführen zu können. Es wird die Temperatur in den mittleren Octaven gelegt, sie durchläuft 12 Quinten, welche man den Quintenzirkel nennt. Die übrigen Tonarten sind Wiederholungen des Quintenzirkels und erscheinen, auf- und abwärts nach den temperirten Tönen in reinen Octaven gestimmt, ebenfalls temperirt. Die Theorie des Stimmens oder vielmehr des Temperirens weist das Bestehen der zu vermittelnden Ueberschüsse in einer wissenschaftlichen Berechnung nach und drückt die zu entziehenden oder zuzusetzenden Größen in Zahlen aus. Die praktische Vermessung derselben fällt ausschließlich dem Gehöre, die Fixirung der Größen lediglich der hierzu befähigten Hand des Stimmers anheim, und es mag wohl keine sonstige Verrichtung geben, für welche die Theorie entschieden weniger Werth für die Praxis hat, als gerade beim Stimmen von Tasteninstrumenten. Dieß als leichte Andeutung über das Wesen des Stimmens, insbesondere des Temperirens. Das Temperiren sammt seinen Schwierigkeiten kann beim Stimmen von Clavieren nicht beseitigt oder umgangen werden, indem solches in der Natur der Sache begründet erscheint. Es kann daher nicht Absicht seyn, hier näher darauf eingehen zu wollen. Es gibt indessen noch andere Schwierigkeiten, welche das Stimmen noch in hohem Maaße erschweren, ja, das Reinstimmen selbst dem besten Stimmer oft ganz unmöglich machen und die Folgen eines verfehlten technischen Verfahrens beim Bau von Instrumenten sind, und daher auch vermieden oder beseitigt werden können. Von einer dieser letzteren Schwierigkeiten soll vorzugsweise die Rede seyn. Aus Vorgesagtem wird es begreiflich werden, daß beim Baue von Clavieren, um eine reine Stimmung zu ermöglichen, Alles was darauf Bezug hat, mit möglichster Vorsicht, mit der größten Sorgfalt zu behandeln ist und ganz besonders zwei Bedingungen zu erfüllen sind: Einmal, daß die Stimmnägel, durch die Art und Weise wie dieselben beschaffen und an Platz gebracht worden sind, es dem Stimmer möglich machen, solche in eine stäte, successive Bewegung versetzen und so in allen beliebigen, allerkleinsten Abstufungen mit Sicherheit rücken und wieder feststellen zu können. – Zum Andern, daß dieselben dabei dennoch so fest stehen müssen, daß sie dem Zuge der Saiten für die Dauer genügenden Widerstand zu leisten im Stande sind. Dem aufmerksamen Stimmer kann es nicht entgehen, daß er indessen nur selten Instrumente zu behandeln hat, wobei beide Bedingungen neben einander bestehen, in richtigem Maaße neben einander bestehen. Er wird finden, daß entweder die Stimmnägel zu leicht gehen, zu locker stecken und dem Zuge der Saiten den genügenden Widerstand nicht zu leisten vermögen, oder, daß dieselben zu fest gehen und die Hand des Stimmers nicht im Stande ist, solche in gehöriger, eben angedeuteter Weise, bewegen zu können. Die Ursache, warum beide Bedingungen vereinigt so selten bestehen, werden sich indessen nicht Alle, vielleicht nur Wenige zu erklären wissen. Es ist dieselbe in der Art und Weise, in der Manipulation zu suchen, welche beim Beziehen der Instrumente, beim Einsetzen der Stimmnägel und was damit in Verbindung steht, eingehalten worden ist. Die meisten Instrumentenmacher verfahren dabei auf folgende Weise: Sind die Löcher, worin die Stimmnägel gesetzt werden und ihre Bewegung beim Stimmen machen sollen, gebohrt, dann wird, ohne weitere Vorbereitung, mit dem Beziehen der Anfang gemacht. Es wird der Saite eine Schlinge gedreht und nachdem dieselbe eingehängt ist, deren anderes Ende um einen Stimmnagel gewickelt und derselbe dann durch wiederholt kräftige Schläge mit schwerem Hammer bis zur entsprechenden Tiefe eingetrieben und die Saite dann durch einen Ruck mit dem Stimmhammer gespannt. Damit glaubt man nun alles für die zukünftige Verrichtung und Bestimmung des Stimmnagels gethan, ihn vollkommen als Stimmnagel qualificirt zu haben. Dieses Verfahren ist indeß das verwerfliche und werten die danach behandelten Instrumente niemals die erforderlichen Eigenschaften besitzen, mehr oder weniger, je nachdem dabei noch mit mehr oder weniger Vorsicht bei der Wahl des Bohrers im Verhältniß zur Stärke des Stimmnagels und in Betracht der größeren oder geringeren Festigkeit des zum Stimmstock verwendeten Holzes, verfahren worden ist. Es ist unglaublich, wie leichtsinnig dieser gewiß nicht unwichtige Theil des Instrumentenbaues oft behandelt wird. Es kommen dem Stimmer nicht selten Instrumente unter die Hand, woran die Saiten im wahren Sinne des Worts festgenagelt sind und der Stimmer eine so große Kraft der Hand anwenden muß, daß sich die Stimmnägel theilweise in sich selbst drehen, winden, und aufspalten, ohne dabei auch nur entfernt im Stimmstock zum Rücken gebracht worden zu seyn. Es wird begreiflich seyn, daß bei solchen Eigenschaften an ein Reinstimmen nicht gedacht werden kann und solche Instrumente, wenn auch in ihren sonstigen Zusammensetzungen mit allem Fleiß und aller Vorsicht behandelt, dennoch als Instrumente betrachtet, gänzlich werthlos erscheinen müssen. Anders ist es indessen und ein vollkommen günstiges (das beste) Resultat wird erzielt, wenn man vor dem Beziehen des Instrumentes die Stimmnägel für ihre Bestimmung vorbereitet und zur Verrichtung ihres Dienstes geschickt macht, indem man dieselben, ehe sie noch mit einer Saite bekleidet sind, schon einmal einsenkt und wieder auszieht. Dieses Einsenken bewerkstelligt man indessen nicht durch Hammerschläge, sondern in folgender Weise: Zuerst bringt man den Stimmnagel durch einige leichte Schläge mit dem Hammer im Loche zum Haften, dann aber versenkt man denselben durch eine drehende Bewegung nach vorwärts, verbunden mit einem Drucke nach unten, und nachdem man den Stimmnagel so bis zur Tiefe seiner Bestimmung eingerieben und versenkt hat, zieht man solchen durch Rückwärtsdrehen wieder aus. Dieß erfolgt ganz so wie man eine Schraube einsenkt und wieder auszieht, denn ein richtig bearbeiteter Stimmnagel hat, es weiß dieß jeder Instrumentenmacher, die Eigenschaft, daß er sich, sowie die Schraube, beim Vorwärtsdrehen einsenkt, beim Rückwärtsdrehen aushebt. – Man bedient sich, um dieß zu bewerkstelligen, eines großen Stimmschlüssels, welcher ein langes Querheft hat und so geeignet ist, bei dessen Handhabung beide Hände benutzen zu können. Nach diesem Verfahren kann das Beziehen des Instrumentes vorgenommen werden. Selbstverständlich wird es seyn, daß dabei jeder Stimmnagel in dasselbe Loch verwendet werden muß, in welches derselbe durch eben erklärtes Verfahren schon einmal eingerieben und versenkt worden war. Ist die Saite um den Stimmnagel gewickelt, dann tauche man, vor dem Einstecken, dessen Spitze noch in fein pulverisirtes Colophonium und treibe ihn nun durch Hammerschläge bis zur entsprechenden Tiefe ein. Noch ist zu bemerken, daß die Löcher immer etwa 1/4 bis 1/2 Zoll tiefer gebohrt seyn müssen und der Stimmnagel niemals zum Aufsitzen kommen darf. Um die richtige Stärke des Bohrers für die Löcher zu ermitteln, stellt man Versuche an, indem man in ein Stück Holz, welches mit dem Stimmstock gleiche Festigkeit hat, am besten einen Abfall desselben selbst, Löcher von verschiedenen Dimensionen bohrt, dann in dieselben von den Stimmnägeln, welche man zu verwenden gedenkt, auf obige Weise einsenkt und nun die mit dem Stimmschlüssel prüfende Hand bestimmen läßt, welcher Bohrer zur Erzielung der gewünschten Eigenschaften der Stimmnägel als der geeignetste erscheint. Durch das vorbereitende Einsenken der Stimmnägel nach obigem Verfahren formirt sich das Loch nach der etwas conischen Form desselben und schließt sich, in allen seinen Theilen, ihm gleichmäßig an und folgt derselbe dann willig, in schon gewohnter Weise, der Hand des Stimmers, ohne dabei von seinem Vermögen, dem Zuge der Saiten vollkommen Widerstand leisten zu können, auch nur in etwas beeinträchtigt zu werden. Durch das Eintauchen des Stimmnagels in Colophonium werden diese guten Eigenschaften desselben noch erhöht, zugleich aber auch das so oft vorkommende Krachen der Stimmnägel und das damit jedesmal verbundene ruckweise Fortgleiten derselben gänzlich verhindert. Findet der Stimmer beide Bedingungen, beide gute Eigenschaften in richtigem Maaße an einem Instrumente vereinigt, dann darf er sicher annehmen, daß dieselben nur durch obiges Verfahren zu Stande gekommen sind. Auffallend und unbegreiflich ist es aber, daß beim Ankauf von Clavieren der Nachweis dieser Eigenschaften niemals beansprucht, oder dieser Gegenstand einer Prüfung und Untersuchung würdig erachtet wird, und so die Käufer solcher Instrumente nicht selten in den Fall kommen, auf reine Stimmung und damit zugleich auf einen vollkommen ästhetischen Genuß ihrer oft sehr kostspieligen Instrumente auf immer verzichten zu müssen.