Titel: | Ueber das Enthülsen und Conserviren der Getreidearten; von Hrn. H. Sibille. |
Fundstelle: | Band 137, Jahrgang 1855, Nr. LXII., S. 232 |
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LXII.
Ueber das Enthülsen und Conserviren der
Getreidearten; von Hrn. H. Sibille.
Aus den Comptes
rendus, Juni 1855, Nr. 23.
Sibille, über das Enthülsen und Conserviren der
Getreidearten.
Das gebräuchlichste Verfahren zum Enthülsen des Getreides war immer das Feuchten der
Körner; die Türken, Griechen, Aegyptier, und besonders die Araber pflegen noch
heutzutage ihr Getreide einige Minuten lang in Wasser zu tauchen, dann dasselbe auf
einem Tuch an der Sonne auszubreiten und es hernach zwischen die zwei Steine ihrer
Handmühlen zu bringen, um durch eine stufenweise Reibung das Enthülsen zu bewirken.
In einigen Gegenden Spaniens und Belgiens verfährt man in ähnlicher Weise, um für
Backwerk geeignetes Mehl zu erhalten. Wie man sieht, ist das Verfahren zum Enthülsen
auf nassem Wege nicht neu, aber es ist lang dauernd, schwierig und unvollkommen; es
verschleimt die Mühlsteine und konnte niemals im Großen ausgeführt werden. Noch vor
kurzer Zeit behauptete man ein vollkommenes Waschen und Enthülsen des Getreides ermittelt zu haben; aber
nach beträchtlichem Aufwand überzeugte man sich, daß diese Verfahrungsarten von den
Mühlbesitzern nicht angewendet werden können. Ich selbst verzichtete nach vielen
Versuchen auf das Feuchten mit Wasser und bemühte mich ein Agens zu ermitteln,
welches das Enthülsen leicht, schnell und ohne Veränderung des Korns bewirken kann.
Diese Versuche wurden mit Erfolg gekrönt. Mein Verfahren ist sehr einfach,
verursacht keine bedeutenden Kosten, und entfernt die erste holzige Hülle des Korns,
ohne auf das zweite Oberhäutchen zu wirken, so daß aller Holzstoff vollständig
beseitigt wird.
Folgendes ist die Vorschrift für die Flüssigkeit welche ich anwende:
gebrannter
Kalk
1
Theil
calcinirte
Soda
3
Theile
kochendes
Wasser
6
„
Man bereitet aus dem Ganzen eine Lauge von 3 Grad an der
gewöhnlichen Laugenwaage. Das Getreide wird in die kalte Lauge nur 2 1/2 bis 3
Minuten lang eingetaucht. Das nach dieser Methode enthülste Getreide ist von jeder
Unreinigkeit vollkommen befreit.
Man hat die Befürchtung geäußert, daß mein Verfahren der Güte des Mehls schaden
könnte, weil meine Lauge kalkhaltig ist. Die Versuche des Hrn. Professor v. Liebig über die Anwendbarkeit des Kalkwassers zur
BrodbereitungPolytechn. Journal Bd. CXXXIII S. 447. überheben mich einer Beantwortung dieser Frage.
Man hat ferner gefragt, ob das Eintauchen in eine alkalische Flüssigkeit, obleich es
nur 2 1/2 Minuten dauert, das Keimvermögen des Korns nicht beeinträchtigt. Die
Erfahrung hat aber bewiesen, daß diese Befürchtung ungegründet und im Gegentheil das
so präparirte Getreide einer raschen Keimung besonders fähig ist.