Titel: | Ueber die Blutegelzucht in den Sümpfen der Gironde; der Société d'Encouragement von Hrn. A. Chevallier erstatteter Bericht. |
Fundstelle: | Band 138, Jahrgang 1855, Nr. LXII., S. 229 |
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LXII.
Ueber die Blutegelzucht in den Sümpfen der
Gironde; der Société d'Encouragement von Hrn.
A. Chevallier
erstatteter Bericht.
Aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement, Juli 1855, S. 390.
Chevallier, über die Blutegelzucht in den Sümpfen der
Gironde.
Noch vor ganz kurzer Zeit befürchtete man, daß an Blutegeln, deren Preis so hoch
stieg, daß sie armen Kranken unzugänglich wurden, wofern dieselben nicht ganz aus
dem Handel verschwinden, wenigstens großer Mangel eintreten werde. Dieser Mangel war
die Folge eines außerordentlich großen Verbrauchs, und der Erschöpfung zuerst der
französischen Sümpfe und bald darauf auch jener in Ungarn und der Türkei, durch
mehrmals auf einander folgendes Ausfischen derselben.
Die Société d'Encouragement stellte schon
im Jahr 1839 eine Reihe diesen Gegenstand betreffender interessanter Preisfragen
und, obwohl dieselben nicht gelöst worden waren, wurden doch 11 Medaillen im
Gesammtwerth von 2100 Francs zur Ermunterung bewilligt; ferner wurde noch im Jahr
1854 dem Hrn. Borne in St. ArnouldMan vergl. den Bericht über dessen Verfahren im polytechn. Journal Bd. CXXXI. S. 452. eine silberne Medaille für eine Abhandlung über Zucht, Aufbewahrung und
Vermehrung der Blutegel zuerkannt.
Trotz der Veröffentlichung dieser Preisfragen und der stattgefundenen Belohnungen
wurde die Gesellschaft doch nicht in Kenntniß gesetzt von den Bestrebungen, welche
vom Jahr 1835 an in der Gegend von Bordeaux gemacht und die später von solchem
Erfolg gekrönt wurden, daß heutzutage die Blutegelzucht in der Gironde zu einem
großen Industriezweig geworden ist, worin ein Capital von etwa 40 Millionen Francs
steckt.
Ihre Commission hat daher die Sümpfe in der Gegend von Bordeaux einer Untersuchung
unterzogen und sich dabei folgende Fragen gestellt:
1) Wie viel Hektaren Sümpfe dienen zur Blutegelzucht?
2) Welche Personen haben sich zuerst mit dieser Zucht beschäftigt?
3) Welcher Verfahrungsarten bedient man sich dabei und welche verdient den
Vorzug?
4) Wie werden die Blutegel in den Sümpfen der Gironde gefüttert?
5) Welche Resultate haben sich bis jetzt ergeben?
6) Ist die Blutegelzucht der dortigen Gegend hinsichtlich der Gesundheit
nachtheilig?
7) Welche Vorschriften sind zu geben, damit die Blutegelzucht Nutzen gewähre, ohne
daß durch sie ein Nachtheil für die öffentliche Gesundheit entsteht?
ad 1. – Der von den Blutegelzüchtern benutzte
Flächenraum wird allgemein zu 5000 Hektaren angeschlagen; ein Drittheil desselben
wird zur Vermehrung der Blutegel verwendet und die andern zwei Drittheile dienen den
sowohl zur Blutegelzucht als zu den häuslichen Arbeiten bestimmten Pferden als
Weide.
ad 2. – Sicherm Vernehmen haben die HHrn. Béchade das Verdienst, Frankreich mit einem so
wichtigen Industriezweig beschenkt zu haben. Ihre ersten Versuche machten dieselben
im Jahr 1835. Als Landleute ohne Vermögen und Pächter der Sümpfe des Baron Pichon, sammelten sie in denselben etwas Binsen und zur
Fütterung ihres Viehes unzureichende Kräuter; auch fischten sie alljährlich eine
kleine Anzahl Blutegel, welche sie nach Bordeaux zum Verkaufe brachten. Sie machten
die Beobachtung, daß Sümpfe, in welche oft Pferde kommen, mehr Blutegel erzeugen,
und erkannten den Vortheil, welchen die Anwendung des Bluts von Säugethieren für die
Fütterung, Vermehrung und Zucht der Blutegel gewährt. Leider machte aber der Mangel
an Capital ihr Unternehmen schwierig und legte ihnen viele Opfer auf. Sie enthielten
sich nicht nur mehrere Jahre lang des Fischens, um der Fortpflanzung fähige Blutegel
zu haben, sondern sie holten deren noch häufig aus dem Landes-Departement. In
der Absicht, ein rasches Heranwachsen ihrer Blutegel zu befördern, fütterten sie
dieselben, indem sie sie an dem Thiere selbst das erforderliche Blut saugen ließen;
sie fanden ferner, daß, um die Eierlegung zu beschützen, nicht nur die
Ueberschwemmung der Sümpfe verhindert, sondern überdieß in den Monaten Julius und
August zum Austrocknen geschritten werden muß. Durch beharrliche Anwendung dieses
hier in Kürze erwähnten Verfahrens erwarben sich die HHrn. Béchade nicht nur Vermögen, sondern bereicherten auch ihren
Pachtherrn, indem der Pachtzins, welcher anfänglich 300 Francs betrug, allmählich
auf 25,000 Francs stieg.
ad 3. – Bei unserer Einsichtnahme in der Umgegend
von Bordeaux fanden wir, daß mehrere Methoden der Blutegelzucht gebräuchlich sind. Die gewöhnlichste
besteht in der Benützung der natürlichen Sümpfe. Der Sumpf wird zugerichtet und in
länglich viereckige Flächen (barrails genannt)
abgetheilt; jede solche Abtheilung ist von einem Graben umgeben, der zum Ein-
und Ablassen des Wassers dient. Die nähere Beschreibung müssen wir uns für ein
andermal vorbehalten.
Wir besahen zwei Sümpfe, welche nach der neuen Methode angelegt sind, die darin
besteht, kleinere Flächenräume als früher zu verwenden und Wasser darin zu halten.
Es ist dieß übrigens das von Hrn. L. Vayson in seinem
Buch über Blutegelzucht empfohlene Verfahren.Polytechn. Journal Bd. CXXXI S.
147. Der eine dieser von uns besuchten Sümpfe ist auf der Herrschaft Monsalut und
verdankt seine Entstehung dem Hrn. Rollet, Oberarzt des
Militär-Hospitals zu Bordeaux; der andere wurde von Hrn. Wilman auf seinem Gute Belfort, in den Landes,
hergerichtet, und überall fanden wir eine sehr reiche Zucht.
Was das zu wählende Verfahren anbelangt, so wird von den meisten Blutegelzüchtern die
Anwendung der natürlichen Sümpfe vorgezogen. Wenn indessen der Vorzug des neuen
Verfahrens, welches darin besteht, die Blutegel innerhalb eines kleinen Flächenraums
zu erzeugen und aufzuziehen, unbestreitbar erwiesen würde, so wäre damit offenbar
für die Landwirthschaft, in Folge des ihr dadurch zurückgegebenen Bodens, sehr viel
gewonnen.
ad 4. – Ihre Nahrung erhalten die Blutegel durch
Pferde, Kühe und Esel. Wie wir erfuhren, beträgt die Anzahl der in den Sümpfen der
Gironde verwendeten Pferde 1500, und dieselben halten noch mehrere Jahre aus,
namentlich bei den Züchtern, welche genug Weide besitzen. Es kam sogar zuweilen vor,
daß Pferde, welche in sehr schlechtem Zustand die Sümpfe betraten, sich in Folge der
zahlreich erlittenen Aderlässe soweit erholten, daß sie mit Vortheil wieder verkauft
werden konnten. Es gehen aber doch jährlich nicht weniger als 700 bis 750 zu
Grunde.
Die Pferde verwendet man vorzugsweise, weil sie mehr Blut haben als die andern Thiere
und den Anbiß besser aushalten. Die wohlhabendem Züchter lassen sie bis zur
Schneezeit auf der Weide und bringen sie dann in die Stalle zurück.
Die Kühe, sagt man, nähren schlecht; wenn ihnen das Wasser nämlich nicht bis zu den
Knieen heraufgeht, bringen sie die Blutegel mittelst ihrer runzeligen Zunge zum
Abfallen und verhindern sie so ihre Nahrung einzunehmen. Ferner darf man sie nicht
allzuhäufig benutzen, weil sie sonst aufhören Milch zu geben.
Der Maulesel kann man sich mit Nutzen bedienen; für Torfmoore aber taugen sie nicht,
weil ihr zu dünner Fuß sich in den Torf einsenkt und bald empfindlichen Schaden
anrichtet.
Die Esel sind wegen ihres ruhigen Verhaltens sehr gut; man bedient sich ihrer
gewöhnlich nur in Sümpfen mit stetigem Wasserzufluß.
Mit der Fütterung der Blutegel wird gewöhnlich im April angefangen und gegen den 15.
Junius zu aufgehört; man beginnt hierauf im October wieder damit und fährt fort bis
Mitte Novembers, je nachdem die Witterung mehr oder weniger warm ist. Man verfährt
dabei so, daß man die Pferde 5 bis 6 Mal im Monat in jede Abtheilung führt; sobald
man wahrnimmt, daß ein Pferd schwach wird, führt man es heraus und schickt es zu
seiner Erholung auf die Weide.
ad 5. – Die Beantwortung dieser Frage haben wir
verschoben, weil wir die dazu erforderlichen Nachweise noch nicht erhalten
haben.
ad 6. – Die Blutegelzucht war der Gegenstand
vieler Klagen; man suchte nachzuweisen, daß dieser Industriezweig der öffentlichen
Gesundheit nachtheilig sey, und behauptete, daß in mehreren Gemeinden die Bewohner
alle mit Fiebern behaftet seyen, wodurch sie kränklich werden und abzehren. Diese
Behauptungen sind offenbar irrig. Als der Industriezweig der Blutegelzucht noch
nicht in dem großen Maaßstab betrieben wurde, wie gegenwärtig, hielt der arme
Pächter, um seine armselige Ernte an Binsen und Gras besorgt, das Wasser in seinem
Laufe nach den Sümpfen auf, welche dadurch zu Krankheitsherden wurden, durch die
sich das Fieber in der Gegend verbreitete. Jetzt ist alles anders; die
Blutegelzüchter mußten Vorkehrungen treffen, um den Sümpfen zu gewissen Zeiten
entweder frisches Wasser zuführen, oder das Wasser daraus ablaufen lassen zu können;
in Folge der neuen Industrie trat bei den Landleuten eine gewisse Behaglichkeit ein
und Krankheil und Elend nahmen bald ab.
ad 7. – Unseres Erachtens wäre, um die
Blutegelzucht in jeder Weise der Gesundheit unschädlich zu machen, dieser
Industriezweig verordnungsmäßigen Vorschriften zu unterwerfen, um die Blutegelsümpfe
und ihre Ausbeutung unter Aufsicht zu haben, vorzüglich aber, um die sofortige
Hinwegschaffung der Pferdeleichen zu überwachen.
Folgerungen. – Aus allem, was wir gesehen und
beobachtet haben, geht hervor:
1) daß sich seit dem Jahr 1835 zu Bordeaux ein großer Industriezweig, die
Blutegelzucht, gebildet hat, welche die Erzeugung und Aufziehung der Blutegel zum
Zwecke hat;
2) daß dieser Industriezweig beträchtlich ist und 5000 Hektaren Flächenraum
erfordert, theils zu Sümpfen, theils zu Weiden, viele Arbeiter beschäftigt und ein
Capital zunutze macht, welches man auf vierzig Millionen Francs anschlägt;
3) daß sich die HHrn. Béchade zuerst mit der
Blutegelzucht befaßten und zu diesem neuen Industriezweig den ersten Anstoß gegeben
haben;
4) daß auch die von den HHrn. Rollet und Wilman abgeänderten Verfahrungsarten beachtenswerth
sind.