Titel: Ueber Chlorometrie und über die freiwillige Umwandlung der unterchlorigsauren Salze in chlorigsaure; von M. J. Fordos und A. Gelis.
Fundstelle: Band 138, Jahrgang 1855, Nr. XCIV., S. 373
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XCIV. Ueber Chlorometrie und über die freiwillige Umwandlung der unterchlorigsauren Salze in chlorigsaure; von M. J. Fordos und A. Gelis. Aus dem Journal de Pharmacie, Novbr. 1855, S. 370. Fordos, über Chlorometrie. Wir haben im Jahr 1847 vorgeschlagen, bei den chlorometrischen Proben anstatt der Auflösung von arseniger Säure eine Auflösung von unterschwefligsaurem Natron als Probeflüssigkeit anzuwenden, hauptsächlich um eine so gefährliche Substanz wie es der Arsenik ist, aus den Probirlaboratorien der Fabriken zu entfernen.Die Verfasser fanden nämlich, daß die unterchlorigsauren Salze alle Polythionsäuren (mit Ausnahme der Unterschwefelsäure) schon in der Kälte, und ohne daß ein Ueberschuß davon erforderlich wäre, sogleich in Schwefelsäure verwandeln, und benutzten dieses Verhalten zur Bestimmung des Sauerstoff- und Schwefelgehalts dieser Säuren, welche wie ein chlorometrischer Versuch ausgeführt wird. Annales de Chimie et de Physique t. XXII. p. 60. Liebigs und Kopp's Jahresbericht für 1847 und 1848, S. 950.A. d. Red. Seitdem wurde das unterschwefligsaure Natron auch in Deutschland zu demselben Zweck empfohlen,Man s. C. Noellner's Aufsatz über Chlorometrie, im polytechn. Journal Bd. CXXXVII S. 202. aber mit wenig glücklichen Abänderungen in der Operationsweise, wozu hauptsächlich (?) die Beobachtung Veranlassung gab, daß eine Auflösung von arseniger Säure sich mit der Zeit in Arseniksäure umwandelt. Eine zufällig gemachte Beobachtung veranlaßt uns auf diesen Gegenstand zurückzukommen. Eine Gay-Lussac'sche Probeflüssigkeit von arseniger Säure, und eine derselben äquivalente von unterschwefligsaurem Natron (welche 2,77 Gramme unterschwefligsaures Natron per Liter enthielt) gaben nämlich übereinstimmende Resultate, wenn man sie zum Probiren frisch bereiteter Auflösungen von unterchlorigsauren Salzen anwendete; dieß war aber nicht mehr der Fall, wenn man sie zum Probiren einer alten Auflösung letzterer Salze benutzte. – Wir operirten bald mit unterchlorigsaurem Kalk, bald mit unterchlorigsaurem Natron, und unsere zwei erwähnten Probe-Flüssigkeiten, welche bisweilen ganze Monate ohne Erneuerung benutzt wurden, waren in Glasflaschen enthalten, welche auf einem ziemlich stark beleuchteten Gestell unseres Laboratoriums standen, bis wohin aber die Sonnenstrahlen fast niemals drangen. Wenn wir eine oder mehrere Chlorbestimmungen zu machen hatten, ermittelten wir durch eine doppelte Probe die Veränderungen welche der Titre der Flüssigkeit seit dem letzten Versuch durch die Zeit erlitten hatte; das unterchlorigsaure Salz hatte jedesmal von seiner Stärke verloren, aber die Gehaltsverminderungen welche die Gay-Lussac'sche Probeflüssigkeit und die Auflösung von unterschwefligsaurem Natron anzeigten, stimmten nicht überein. Auffallend war uns besonders, daß eine alte Lösung von unterchlorigsaurem Alkali, welche auf die Gay-Lussac'sche Probeflüssigkeit gar nicht mehr reagirte, noch merklich auf das unterchlorigsaure Natron wirkte und auch eine letzterer Reaction entsprechende Quantität von Descroizilles' Indigolösung zerstörte. Diese Thatsache war für die Chlorometrie sehr wichtig, daher wir sie weiter verfolgten; durch die chemische Untersuchung der Flüssigkeiten fanden wir bald, daß die abweichenden Resultate der theilweisen Umwandlung der unterchlorigsauren Salze in chlorigsaure, welche unter dem Einfluß des zerstreuten Lichts erfolgt, zugeschrieben werden müssen. Die Bleichflüssigkeit welche für die Arseniklösung indifferent war, aber doch das unterschwefligsaure Natron und den Indigo noch zersetzte, nahm auf Zusatz einer verdünnten Säure, und namentlich von Salzsäure, eine deutliche grüne Farbe an und besaß dann den charakteristischen Geruch der von Millon entdeckten chlorigen Säure; letztere verwandelt bekanntlich die arsenige Säure nicht in Arseniksäure. Diese Flüssigkeit, mit einer besonders bereiteten Auflösung von chloriger Säure verglichen, zeigte alle charakteristischen Eigenschaften derselben. Die Veränderung der Bleichsalze durch das Licht kann bei der Bestimmung ihres Gehalts Irrthümer veranlassen, welche in manchen Fällen so bedeutend sind, daß man die Anwendung der arsenigen Säure bei den chlorometrischen Proben nothwendig aufgeben muß; denn was der Kaufmann und der Färber bei diesen Proben suchen, ist nicht der Gehalt der bleichenden Verbindung an unterchloriger Säure, sondern die Menge von Farbstoff, welche ein bestimmtes Gewicht dieser Verbindung zu zerstören vermag. Wir empfehlen daher den Fabrikanten neuerdings, die arsenikalische Probeflüssigkeit durch eine Normallösung von unterschwefligsaurem Natron zu ersetzen. Um diese Normalflüssigkeit zu bereiten, braucht man nur 2,77 Gramme unterschwefligsaures Natron in soviel Wasser aufzulösen, daß man einen Liter Flüssigkeit herstellen kann. Diese Flüssigkeit, welche der Gay-Lussac'schen Arseniklösung äquivalent ist, würde genau ihr gleiches Volum Chlor zerstören. Das unterschwefligsaure Natron ist ein gut krystallisirtes, in Wasser leicht lösliches Salz von constanter Zusammensetzung, welches sich an der Luft nicht verändert; es ist der Gesundheit nicht schädlich, und in jeder Hinsicht der giftigen arsenigen Säure vorzuziehen. Bei der Chlorometrie mit unterschwefligsaurem Natron befolgt man übrigens alle Vorschriften von Gay-Lussac (polytechn. Journal Bd. LX S. 128), dessen Verfahren wegen des neuen Reagens nur folgende Abänderungen erheischt: Nachdem man in das Mischungsglas 10 Kubikcentimeter der Normallösung von unterschwefligsaurem Natron gegossen hat, muß man 100 Theile Wasser zusetzen, dieses Gemisch schwach säuern und es mit einigen Tropfen Indigolösung färben. Wenn man dann die zu probirende Bleichsalzlösung hineingießt, so wird sie sich wie die Arseniklösung verhalten, d.h. die blaue Farbe wird sehr lange verbleiben und nur dort allmählich zerstört werden, wo die Chlorflüssigkeit hinfällt; dieß gestattet den Zeitpunkt wo die Operation ihr Ende erreicht hat, genau zu erkennen. Die Auflösungen von unterchlorigsauren Salzen sind neutral oder alkalisch; damit ihre Reaction auf das unterschwefligsaure Natron vollständig erfolgen kann, muß aber die Flüssigkeit schwach sauer seyn. Deßwegen empfehlen wir sie anzusäuern. Die Säure, welche wir der Lösung von unterschwefligsaurem Natron zusetzen, veranlaßt nicht unmittelbar einen Niederschlag von Schwefel, wenn die Flüssigkeit auf angegebene Weise mit Wasser verdünnt worden ist; und wenn man rasch operirt, läßt sich nach dieser Methode der Titre des Bleichsalzes genau bestimmen. Man kann aber auch eine erste Probe auf angegebene Weise ausführen und zur vollständigen Sicherheit noch eine zweite Probe machen, wobei man der Normallösung von unterschwefligsaurem Natron zwei Drittel der zu probirenden Flüssigkeit zusetzt, bevor man sie säuert. Man hat dann keine Fällung von Schwefel zu befürchten und das Resultat der Operation wird also durch keine Fehlerquelle verdächtig. Das unterschwefligsaure Natron absorbirt das Chlor mit auffallender Leichtigkeit, daher wir es neuerdings als das beste Gegenmittel bei Vergiftungen durch Javel'sche Lauge und andere unterchlorigsaure Salze, welche gegenwärtig so gebräuchlich sind, empfehlen. Es ist auch das beste Mittel gegen die giftigen Wirkungen des Broms und Jods, welche in photographischen Anstalten leicht vorkommen können, wo man überdieß das unterschwefligsaure Natron zu Hand hat.