Titel: Ueber das Verfahren von André Jean, um die Seidenwürmer-Race zu verbessern und die sogenannten Cocons der Bronski-Race zu erhalten; Bericht von Professor Alcan.
Fundstelle: Band 139, Jahrgang 1856, Nr. LIII., S. 229
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LIII. Ueber das Verfahren von André Jean, um die Seidenwürmer-Race zu verbessern und die sogenannten Cocons der Bronski-Race zu erhalten; Bericht von Professor Alcan. Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement, August 1855, S. 465. Ueber Jean's Verfahren die Seidenwürmer-Race zu verbessern. Auf allen, seit 16 Jahren aufeinander gefolgten Industrie-Ausstellungen zu Paris wurden die Seidencocons der Race bewundert, welche anfänglich nach André Jean, dann nach Jean und Bronski und zuletzt nach Bronski allein benannt wurde. Dem letztern verschafften sie nacheinander alle von den Jurys zu gewährenden Auszeichnungen. Die Seiden-Industrie hoffte eine Zeitlang in den Besitz der Mittel zu kommen, durch welche nicht nur Producte von unbestrittener Vorzüglichkeit erzielt werden, sondern auch der fortschreitenden Entartung der inländischen Racen Einhalt geschieht; aber sie wartete vergebens, und fühlte sich schon zu glauben versucht, daß jene guten Erfolge einem glücklichen Zufall zuzuschreiben, oder als das Resultat einer mit den Erfordernissen einer praktischen Zucht unverträglichen Pflege zu betrachten seyen. Endlich hinterlegte Hr. André Jean im März vorigen Jahres bei der Société d'Encouragement ein versiegeltes Packet, welches die Beschreibung seines Verfahrens der Seidenwürmerzucht enthielt, und erbot sich dasselbe vor einer Commission der Gesellschaft im Großen auszuführen und zu beweisen, daß die vielbesprochenen Producte wirklich das Resultat eines neuen, vollkommen praktischen Verfahrens seyen. Die Entdeckung dieses Systems verdankt man der Frau des Hrn. Jean; die Ausführung und Vervollkommnung desselben kostete Herrn und Frau Jean bedeutende Opfer an Zeit und Geld. Die Gesellschaft ernannte zur Prüfung des neuen Verfahrens eine Commission, und ließ zu diesem Zweck in Neuilly, wegen der daselbst befindlichen Maulbeerpflanzung und der Nähe von Paris, eine Seidenzuchtanstalt herstellen. Ohne die uns auferlegte Verschwiegenheit zu verletzen, können wir so viel sagen, daß dieses Verfahren auf einem Naturgesetz beruht und in Einklang steht mit unsern positiven Kenntnissen, daß es ferner von Jedermann ausgeführt werden kann, jedoch eine bei den Seidenzüchtern oft vermißte Pünktlichkeit erheischt. Die Eier wurden am 26. Mai aus dem Keller geholt und zum Ausbrüten in ein erwärmtes Zimmer gebracht; 33 Tage später, am 29 Jun., begannen die Raupen ihre Cocons zu spinnen, und am 17. Jul. kamen die Schmetterlinge zum Vorschein. Das Ausbrüten dauerte 4–7 Tage. Die ganze Zeit, vom ersten Tag des Auskriechens aus dem Ei bis zur Beendigung des Einspinnens, betrug daher 55 Tage. 62 Gramme Eier wurden in zwei gleiche Theile getheilt; der eine diente zur Ermittlung des Ertrags an Cocons, und der andere zu speciellen Versuchen. Es wurde ein genaues Tagebuch geführt, durch dessen dereinstige Veröffentlichung die Seidenzüchter in den Besitz einer wichtigen Entdeckung kommen werden. Für jetzt begnügen wir uns zu bemerken, daß die Resultate der Zucht möglichst befriedigend ausfielen; das Auskriechen verlief höchst regelmäßig, die Raupen waren alle gleich kräftig und gleichartig und erlangten eine seltene Größe. Während der ganzen Dauer der Zucht konnte man keinen kranken Wurm entdecken. Eben so genügend ging das Einspinnen und die Coconbildung vor sich. Der Ertrag von 31 Grammen Eier und 1,051 Kil. verzehrter Blätter betrug 49,614 Kil. Cocons, welche erst nach 12 Tagen gewogen wurden. Wären sie, wie gewöhnlich, 5–6 Tage früher von den Lattengerüsten genommen worden, so hätte man wahrscheinlich 55–60 Kil. gefunden, ein Ertrag, welcher selten übertroffen wird. Diese Resultate sind um so merkwürdiger, da die Umstände in verschiedenen Beziehungen sehr ungünstig waren. Das Verfahren ist für die gelbe Race eben so anwendbar als für die weiße, und bewährte sich in Paris eben so gut, als zu Bordeaux, wo die neue Race schon acclimatisirt war. Es ist zuverlässig ohne größere Kosten überall anwendbar, wo Seidenzucht betrieben wird. Die Möglichkeit, die Seidenwürmer-Racen in der Art zu verbessern, daß sie nach einer gewissen Zeit ihre Constitution ändern und von den meisten sie gewöhnlich befallenden Krankheiten verschont bleiben, ist hiemit ebenfalls nachgewiesen – ein Resultat von bedeutendem Werthe, wenn man bedenkt, daß wegen der Ausartung der Racen in Frankreich fast alle unsere Seidenzüchter genöthigt sind Eier aus dem Auslande zu beziehen. Obwohl letztere oft verfälscht sind und nur mittelmäßige Ernten liefern, so nimmt diese Einfuhr doch fortwährend zu; sie betrug im Jahre 1854 nach den Zollregistern 43513 Kil., was ziemlich den Gesammtbetrag der in Frankreich verwendeten Eier und einen Mittlern Werth von 9 Millionen Francs repräsentirt, womit man für ungefähr 100 Millionen Francs Cocons jährlich erzielt, welche durch das neue Verfahren wenigstens verdoppelt würden. Wäre das neue Verfahren in seiner Ausführung nicht so einfach, so könnte das Jean'sche Ehepaar unter dem Schutz eines Patents sich bald für seine großen Opfer entschädigen und seiner Entdeckung den ihm gebührenden Vortheil ziehen. Dieß ist aber nicht möglich, weil man die Anwendung dieses Verfahrens nicht controliren kann. Es bleibt sonach nur übrig, daß der Staat in diesem besondern Falle die Interessen des Publicums mit denjenigen des Erfinders auf eine billige Weise auszugleichen sich herbeiläßt.