Titel: Ueber Aufbewahrung des Getreides; von Hrn. L. Doyère.
Fundstelle: Band 139, Jahrgang 1856, Nr. CVII., S. 451
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CVII. Ueber Aufbewahrung des Getreides; von Hrn. L. Doyère. Aus den Comptes rendus, Dec. 1855, Nr. 27. Doyère, über Aufbewahrung des Getreides. Bei Gelegenheit des mir gewordenen Auftrags, die Insecten der Getreidearten einer näheren Untersuchung zu unterziehen, fand ich mich veranlaßt, der Conservirung des Getreides meine Aufmerksamkeit zu widmen. Seit Duhamel, also seit einem Jahrhundert, wurde dieser Gegenstand von den Physikern und Naturforschern nur vorübergehend besprochen und die in diesem Betreff angestellten Versuche ließen in wissenschaftlicher Hinsicht sehr viel zu wünschen übrig. Dennoch gelangen sie oft, und nachdem ich die wahrscheinliche Ursache dieser guten Erfolge durch die Theorie der Nahrungen entdeckte, glaube ich jetzt behaupten zu können, daß das Getreide in dem Zustand der Trockenheit, in welchem es selbst bei uns häufig vorkommt, sich unterirdisch, in verschlossenen und der Feuchtigkeit unzugänglichen Behältern beliebig lang ohne zu verderben und ohne Verlust aufbewahren läßt, und daß hierin die vollkommene praktische Lösung des Problems besteht. Diese Ansicht wird durch die aus dem Alterthum noch vorhandenen unterirdischen Speicher, in welchen ehedem Vorräthe lange aufbewahrt wurden und durch das in manchen Gegenden noch jetzt gebräuchliche, ähnliche Verfahren bestätigt. Um hinsichtlich der Einwürfe, welche gegen die unterirdische Aufbewahrung des Getreides gemacht worden sind, ins Reine zu kommen, besuchte ich im Auftrag des Ministeriums für landwirthschaftliche Angelegenheiten die Länder wo dieses Verfahren von jeher gebräuchlich war und es noch ist. Ich durchreiste Andalusien und suchte dort die alten maurischen Silos auf; in Estramadura sah ich Getreide in die Silos bringen und aus denselben nehmen; ich besah die Silos in Tanger und sammelte genaue Berichte über diejenigen zu Marocco. In den Provinzen Oran und Algerien hielt ich mich einen Monat lang auf, um das Verfahren kennen zu lernen, wie die Araber das Getreide unter die Erde bringen, sowie die noch vorhandenen römischen Getreidespeicher des alten Numidiens und die vom französischen Kriegsministerium überirdisch erbauten Proviant-Magazine, endlich die unterirdischen Speicher der HHrn. Duprè und Héricart. Die Vorrathspeicher zu Burjasot bei Valencia und die Silos zu Barcelona kenne ich aus den sehr genauen Berichten, welche mir Hr. Hudelo darüber erstattete. Aus allem, was ich selbst gesehen und was ich aus glaubwürdiger Quelle erfahren habe, konnte ich nichts herausfinden, was sich mittelst unserer jetzigen Kenntnisse nicht hätte voraussagen lassen. Nach allen Beobachtungen und Erfahrungen komme ich zu folgenden Schlüssen: Ueberall, wo sich die Bedingungen vorfinden, welche die Gährungen verhindern oder mäßigen, läßt sich das Getreide unter der Erde aufbewahren; diese Aufbewahrung steht hinsichtlich ihrer Resultate und ihrer Dauer in geradem Verhältniß zu der mehr oder weniger großen Vollkommenheit, mit welcher diese Bedingungen erfüllt sind; überall, wo die unterirdische Aufbewahrung des Getreides nicht gelang, fehlten diese Bedingungen. Worin bestehen nun diese Bedingungen? Ich fand durch meine Untersuchungen, daß bei der Temperatur von 12° Reaumur und darunter, wie diejenige einer Tiefe von 2 Met. (6 Fuß) und darunter des Bodens ist: 1) in gesundem Getreide, welches weniger als 16 Proc. Wasser enthält, sich nur eine äußerst schwache geistige Gährung, ohne Entwickelung von Geschmack oder Geruch erzeugt, die nur mittelst chemischer Mittel erkannt werden kann. Selbst diese, fast unmerkliche Gährung, hört aber, wenn das Getreide nicht mehr als 15 Proc. Wasser enthält, in verschlossenen Behältern auf, nachdem durch sie die vollständige Absorption des Sauerstoffs und dessen Ersetzung durch Kohlensäure darin bewirkt worden ist; 2) bei einem Wassergehalt gegen 16 Proc. beginnt eine nachtheilige Veränderung des Getreides einzutreten, welche mit der Feuchtigkeit rasch zunimmt, wobei sich die Erscheinungen der käse- und buttersauren Gährung einstellen. Bekanntlich hat schon Lucian Bonaparte die Producte dieser Gährung im verdorbenen Getreide gefunden. Es müssen sonach, wenn das Getreide sich conserviren soll, weniger als 16 Proc. Wasser darin enthalten sehn; ist aber diese Bedingung vorhanden, so ist nicht einzusehen, weßhalb es in verschlossenen Behältern unter dem Boden leichter verderben sollte, als an freier Luft; vielmehr sind Veranlassungen zu seinem Verderben an freier Luft vorhanden, welche in verschlossenen Behältern unter dem Boden wegfallen. Diese Ursachen sind die Einwirkung der sich unaufhörlich erneuernden Luft; die Feuchtigkeit, welche so veränderlich ist, wie die Atmosphäre; die Temperatur, welche während der Hälfte des Jahres denjenigen Grad, über welchem alle Währungen eine außerordentliche Thätigkeit gewinnen, erreicht oder übersteigt. Den Wassergehalt des Getreides, wie es der Feldbau erzeugt und in den Handel liefert, fand ich in Spanien unmittelbar nach der Ernte zu 8–12 Proc. Das algerische Getreide ist feuchter, und dasjenige, welches die Araber aus ihren Silos nehmen, um es auf die Märkte zu bringen, kömmt in dieser Beziehung beinahe dem französischen feuchten Getreide gleich. Die Feuchtigkeit des französischen Getreides ist sehr veränderlich; das trockenste enthält 14–16 Proc. Wasser; von 46 Getreidemustern des Calvados aber, die mir am Anfang des Jahres 1854 zukamen, enthielten nur sechs unter 18 Proc., zwei derselben aber 23 Proc. Wasser. Das meiste Getreide läßt sich daher nicht aufbewahren, wenn zu diesem Behufe nicht Mittel in Anwendung kommen, durch welche die Bedingung, die Wirkung der Feuchtigkeit aufzuheben, erreicht wird. Die hierzu vorgeschlagenen Verfahrungsweisen, welche sich darauf gründen, daß man das Getreide in verschlossene und mit künstlichen Atmosphären angefüllte Behälter bringt, haben keine hinreichende wissenschaftliche Begründung und stehen mit der Thatsache in Widerspruch, daß feuchtes Getreide in einer verstöpselten Flasche verdirbt, obwohl der Sauerstoff der Luft darin bald verschwindet und durch Kohlensäure ersetzt wird. Die Methoden welche auf der Lüftung und der Ventilation beruhen, verbessern zwar den Zustand des sich freiwillig erhitzenden Getreides, indem sie es unaufhörlich auf die atmosphärische Temperatur zurückbringen, darauf beruht ihr praktischer Nutzen; damit sie aber auch die Gährung verhindern könnten, müßte die Luft selbst ein fäulnißwidriges Mittel seyn, was Niemand behaupten wird, oder es müßte das feuchte Getreide bei Temperaturen von 12 bis 40° R. (welche die in Frankreich und Algier während der Hälfte des Jahres in die Speicher von außen eindringende Luft besitzt) nicht gähren können, was eben so wenig behauptet werden kann, oder endlich die Ventilation müßte so stark auszutrocknen vermögen, daß die Körner schnell in trockenen Zustand übergeführt würden, wogegen ich mich durch Versuche überzeugt habe, daß sie große Massen von feuchtem Getreide nur in sehr geringem Grade austrocknet. Uebrigens muß letztere Wirkung bei blindem Fortarbeiten eben so wandelbar seyn, wie der hygrometrische Zustand der Atmosphäre selbst und die Ventilation ist also ein ebenso kräftiges Mittel um trockenes Getriebe feucht zu machen, als um feuchtes zu trocknen. Durch directe Versuche habe ich gefunden, daß bei gleicher Temperatur und Feuchtigkeit des Getreides die Ventilation, mit dem Zustand der Ruhe verglichen, die Erzeugung von Kohlensäure in einer Schicht oder einem Speicher verdreifacht. Aus dem Vorhergehenden folgt, daß das einzige Verfahren, von welchem man sich für die Aufbewahrung des Getreides ohne Verderben und ohne Verlust, aus guten Gründen etwas versprechen kann, darin besteht, dasselbe in hinlänglich trocknem Zustande in hermetisch verschlossenen Behältern unterirdisch aufzubewahren, womit noch der große Vortheil verbunden ist, daß das Verfahren keine anderen Kosten veranlaßt als die Interessen des unbeweglichen Kapitals. Solche Baue sind bereits in großem Maaßstab ausgeführt und scheinen allen Anforderungen zu entsprechen. Es sind große Flaschen von dünnem Eisenblech, welche durch eine äußere Verkleidung gegen Oxydation geschützt und mit einer alle Lasten tragenden Hülle von Mauerwerk (mit Steinmörtel) versehen sind. Am obern Theil angebrachte verschließbare Oeffnungen gestatten das darin enthaltene Getreide stets zu überwachen und mittelst einer Sonde dessen Beschaffenheit zu ermitteln. Bevor ich das Getreide in diese Silos bringe, bestimme ich seinen Feuchtigkeitsgrad mittelst des Saussure'schen Hygrometers, und das zu feuchte Getreide trockne ich zuvor in einer mittelst des Thermometers regulirten Trockenkammer. Solche Speicher kommen für 1000 Hektoliter Inhalt höchstens auf 3500 Francs zu stehen. Versuche, welche seit sechs Monaten im Gang sind, rechtfertigen meine Erwartungen. Das im Monat Juli in die Silos gebrachte Getreide erkaltete allmählich bis es im Gleichgewicht mit der Temperatur des Bodens war. Eine Getreidesorte mit 19 Procent Wassergehalt verdirbt, jedoch außerordentlich langsam; eine andere, welche 17 Procent Wasser enthält, erlitt gar keine Veränderung, aber der Sauerstoff ist aus der darin enthaltenen Luft verschwunden und durch Kohlensäure ersetzt. Endlich wurden zwei bereits verdorbene Sorten eingefüllt, nachdem sie durch künstliches Trocknen auf nur 14 und 13 Procent Wassergehalt gebracht worden waren; sie verloren ihren frühern Geschmack und Geruch und haben den Sommer und Herbst über unter der Erde so wenig gegohren, daß die mit ihnen in den Silos enthaltene Luft nicht merklich verändert wurde.