Titel: Ueber rationelle und billige Ernährung der Menschen.
Fundstelle: Band 141, Jahrgang 1856, Nr. XXXVIII., S. 145
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XXXVIII. Ueber rationelle und billige Ernährung der Menschen. Aus Böttger's polytechnischem Notizblatt, 1856, Nr. 11. Ueber rationelle und billige Ernährung der Menschen. Ueber diese wichtige Frage hat Director Scheibler in einer Sitzung des landwirtschaftlichen Vereins zu Liegnitz nachstehenden interessanten Vortrag gehalten: Wenn man sieht, wie groß die Noth in Folge einiger unzureichender Ernten und der dadurch herbeigeführten Theuerung der Lebensmittel gestiegen ist, so muß man sich wundern, daß, geleitet und gestützt durch die neueren Erfahrungen der Wissenschaft, in Verbindung mit der Praxis, bis jetzt unter der großen Masse des Volks noch nicht gesündere Ansichten über die vortheilhaftesten Methoden der Ernährung der Menschen Platz gegriffen haben. Besonders auffallend ist, daß der sogenannte kleine Mann, welcher in der Haltung seiner Milchkuh, oder in der Aufzucht und Mastung seines Schweins, häufig ganz vernünftig zu Werke geht, bei seiner eigenen, so wie bei seiner Familie Ernährung meistens noch so arge Mißgriffe begeht. Diejenigen Arbeiterfamilien, welche sich fast ausschließlich mit Kartoffeln oder, wie ihnen in neuerer Zeit angerathen worden ist, mit Reis ernähren, leben heutigen Tages weit theuerer als die reicheren Leute, die außer Kartoffeln und Brod auch noch Fleisch, Hülsenfrüchte u. dergl. verzehren. Eins der wichtigsten Principien nämlich, welche die Lehre von den Nahrungsmitteln und die Arzneikunde festgestellt haben, ist, daß der Mensch im Genusse seiner Nahrungsmittel wechseln muß, um die Fülle der Kraft und Gesundheit zu erlangen; bei der ausschließlichen Ernährung mit Kartoffeln oder mit Brod ist den Anforderungen dieses Princips nicht genügt. Die genossenen Nahrungsstoffe dienen zu zwei verschiedenen Zwecken: a) um die zum Leben notwendige thierische Wärme im Körper zu erhalten; b) um die Verluste zu ersetzen, welche der Körper jeden Augenblick durch die Ausübung der Lebensthätigkeit erleidet. Professor Liebig bezeichnet die jenem ersten Zwecke dienenden Nahrungsstoffe mit dem Namen Respirationsmittel, die zweiten, zur eigentlichen Ernährung des Körpers dienenden Stoffe, nennt derselbe Blutbilder oder plastische, d.h. Fleisch, Blut, Muskeln erzeugende Nahrungsmittel. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Nahrungsmittel, welche der Mensch täglich gebraucht, circa 22 Loth Respirationsmittel (als: Stärkmehl, Zucker, Gummi, Fett), und circa 9 Loth plastische, d.h. Fleisch, Blut und Muskeln producirende Nahrungsmittel (als: Kleber oder Fibrin, Albumin oder Eiweiß, und Casëin oder Käsestoff) enthalten müssen. Untersuchungen, welche die berühmtesten Chemiker anstellten über die Quantitäten dieser Urstoffe, die in den gewöhnlichsten Nahrungsmitteln enthalten sind, haben ergeben, daß im Durchschnitt: Respirat. Mittel. Plast. Nahrungstheile. in 100 Pfund Möhren       10 Pfund, und            2 Pfund  „ 100     „ Kartoffeln       18     „   „            2     „  „ 100     „ Reis       43     „   „            7     „ Respirat. Mittel. Plast. Nahrungstheile. in 100 Pfund Hafergrütze       41 Pfund, und           12 Pfund  „ 100     „ Brod       30     „   „             8     „  „ 100     „ Fleisch ohne Knochen       11     „   „           20     „  „ 100     „ Erbsen       50     „   „           27     „  „ 100     „ Bohnen       40     „   „           30     „ vorhanden sind. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß bei alleiniger Ernährung mit: a) Reis, mindestens 4, mit b) Kartoffeln beinahe 15, mit c) Brod beinahe 3 1/2 Pfund nothwendig sind, damit ein arbeitender Mensch täglich 9 bis 10 Loth Fleisch, Blut und Muskeln erzeugende Nahrungsstoffe sich daraus aneignen könne. Diese Gaben führen der Oekonomie des menschlichen Körpers aber im ersteren Falle 55 Loth Respirationsmittel, also 2 1/2 mal so viel als nothwendig ist, im zweiten Falle 86 Loth Respirationsmittel oder beinahe 4mal so viel als nothwendig ist, und im dritten Falle 36 Loth Respirationsmittel oder beinahe doppelt so viel als nothwendig ist, zu, welche Ueberschüsse in den Excrementen meistens unverdaut mit abgehen und den Magen nur unnöthigerweise beschweren, wie die chemischen Analysen oder Untersuchungen der ausgeschiedenen Excremente dieß in vielen Fällen als unzweifelhaft bewiesen haben. Die nachstehenden einfachen Rechenexempel, welche sich auf die vorigjährigen Preise der Lebensmittel basiren, und in jedem einzelnen Falle eine Zusammenstellung zur vollständigen Ernährung eines arbeitenden Mannes auf einen ganzen Tag behandeln, werden aber zeigen, wie weit billiger und vortheilhafter ein Mensch lebt, welcher, anstatt sich mit einem einzigen Nahrungsmittel zu ernähren, mit demselben abwechselt: Es geben Respir. Mittel. Plast. Mittel. Diese kosten.         Loth.        Loth.     Sgr.  Pf.   4  Pfund Reis         55,04         8,96     10     – 15       „ Kartoffeln         86,40         9,60       6     –   3 1/4 „ Brod         36,00         9,60       5     7   1       „ 23 Loth Brod u. 2 Pf. 10 Loth Reis         55,47         9,02       8     4   1       „ Brod, 1 Pfund Reis und 22 Loth Fleisch         25,78         9,20       6     5   1 1/2 „ Brod und 8 Pfund Kartoffeln         60,84         9,00       5     6   1 1/2 „ Brod, 2 Pf. Kartoffeln u. 22 Loth Fleisch         28,34         9,52       5     5 1/2   2       „ Brod und 22 Loth Fleisch         21,62         9,52       5     5   1 1/2 „ Brod und 1 3/4 Pf. Hafergrütze         32,44         9,12       4     2   1 1/4 „ Brod, 18 Loth Erbsen und 8 Loth Fleisch         21,88         9,66       3     3 3/4   1 1/4 „ Brod, 16 L. Hafergrütze u. 14 L. Bohnen         24,16         9,32       3     1   1 1/4 „ Brod, 16 L. Hafergrütze u. 15 L. Erbsen         26,06         9,12       3     1/2   1 1/2 „ Brod und 18 Loth Bohnen         21,60         9,24       2   11   1 1/2 „ Brod und 20 Loth Erbsen         24,40         9,24       2   10 1/2 Die Zusammensetzungen von Schwarzmehl, Gerstengraupe, Heidegrütze, gestampftem Hirse- und Maisgries kann man als ähnlich mit derjenigen der Hafergrütze annehmen, mit welcher sie abgewechselt werden können. An Nahrhaftigkeit übertreffen dieselben sämmtlich den Reis, und zwar bei meistens kaum halb so hohem und noch niedrigerem Preise. Die anderen Gemüse, als Kohlarten (Sauerkraut) und Rüben stimmen in ihrer Zusammensetzung mit den Möhren überein, und können wegen ihres verhältnißmäßig großen Gehaltes an Respirationsmitteln meistens am vortheilhaftesten in Gemeinschaft mit Nahrungsstoffen, welche die entgegengesetzten Eigenschaften besitzen, verwendet werden. Aus obiger Berechnung geht hervor, daß die vollständige Ernährung eines arbeitenden Menschen gegenwärtig von 2 Sgr. 10 1/2 Pf., 2 Sgr. 11 Pf., 3 Sgr. 1/2 Pf., 3 Sgr. 1 Pf., 3 Sgr. 3 3/4 Pf., 4 Sgr. 2Pf., 5 Sgr. 5 Pf., 5 Sgr. 6 Pf., 5 Sgr. 7 Pf., 6 Sgr., 8 Sgr. 4 Pf. bis 10 Sgr. täglich, je nach der Zusammensetzung seiner Mahlzeiten kostet, und daß eigentlich die Nahrungsweise der Arbeiter mit fast ausschließlich Kartoffeln, nächst derjenigen mit Reis, im Verhältnis als die theuerste angesehen werden muß. Man wird vielleicht entgegnen, daß es bei uns wenige ländliche Arbeiter gebe, deren tägliche Mahlzeiten die obigen Quantitäten erreichen, wohingegen die höchsten wissenschaftlichen Autoritäten die Behauptung aufgestellt und auch bewiesen haben, daß wenn die Aufnahme von Nahrungsmitteln in einem geringeren Maaße stattfindet, eine in demselben Verhältniß geringere Leistung an Arbeit oder Kraftanstrengung die nothwendige Folge seyn müßte, und dieser Nachtheil sey nicht der einzige, sondern es würden später um so viel mehr Nahrungsmittel wieder nothwendig seyn, um die verringerten Körpertheile und verlorenen Kräfte wieder zu ersetzen. Möchten die Gebildeten sich angelegen seyn lassen, unter ihren ärmeren und unwissenden Mitbürgern richtige Begriffe über die richtigere Ernährungsweise zu verbreiten. Die allgemeine Wohlfahrt könnte hierdurch nur wesentlich gefördert werden; alle Theile würden dadurch gewinnen und der Arbeitgeber kräftigere und zufriedenere Arbeiter haben. Für das Wohl des Arbeiters müßte es natürlich von wesentlichem Einfluß seyn, ob er für seine tägliche vollständige Ernährung 2 Sgr. 10 1/2 Pf. oder 10 Sgr. täglich auslegen muß, oder, was heute vielleicht weit häufiger vorkommt, ob er für dasselbe Geld sich nur zur Hälfte oder aber vollständig ernähren kann.