Titel: | Noch etwas zur Theorie des Polarplanimeters. |
Autor: | J. Amsler |
Fundstelle: | Band 141, Jahrgang 1856, Nr. LXXV., S. 326 |
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LXXV.
Noch etwas zur Theorie des
Polarplanimeters.
Zur Theorie des Polarplanimeters.
Hr. Professor Decher nöthigt mich, durch die mir auf S.
29–33 dieses Bandes des polytechn. Journals
zugedachte Zurechtweisung, nochmals auf vorgenannten Gegenstand zurückzukommen.
Ich kann diese Zurechtweisung nicht annehmen, indem ich bei meiner Behauptung bleiben
muß, daß Hrn. Prof. Decher's Theorie des Polarplanimeters
unrichtig ist. Wer
mit den Elementen der Differential- und Integralrechnung vertraut ist, dürfte
dieses wohl nach den in meinem Aussatz „über das
Polarplanimeter“ (S. 321 ff. des vorhergehenden Bandes) gemachten
Andeutungen einsehen; indeß soll hier der ausführliche Beweis folgen.
Bezeichnet in Fig.
24 auf Tab. I (dieses Bandes) A die Spitze des Fahrstiftes, C den Pol, D den Punkt in welchem das Rädchen
seine Unterlage berührt, und setzt man r = CA, ω = < XCA, ω' =
XCD
, so ist klar, daß r,
ω und ω' sich gleichzeitig
ändern, während A eine vorgeschriebene Curve durchläuft,
und daß daher r eine durch die Gestalt und Lage dieser
Curve bestimmte Function von ω oder ω' ist.
Der Drehungswinkel φ des Rädchens ist eine
Function von ω und r,
oder von ω allein, da man sich r als Function von ω
ausgedrückt denken kann; der totale Differentialquotient
von φ nach ω
ist daher
dφ/dω = (dφ/dω) + (dφ/dr) dr/dω
(1)
Hierin bezeichnen die eingeklammerten Ausdrücke, nach Euler's Schreibweise, partielle Differentialquotienten. Die Begründung dieser Gleichung darf ich
übergehen, da sie in die Elemente der Differentialrechnung gehört.
Da bei der Bildung von (dφ/dω) die Größe r als constant angesehen
wird, so erkennt man leicht, daß (dφ/dω) = (dφ/dω') gesetzt werden kann. Die Gleichung (1) kann
daher auch geschrieben werden
dφ/dω = (dφ/dω') + (dφ/dr) dr/dω
(2)
Nun ist aber offenbar die von Hrn. Prof. Decher durch Δφ₁ bezeichnete Größe aus der
Gleichung
Textabbildung Bd. 141, S. 327
zu bestimmen, wo dφ/dω den totalen
Differentialquotienten bezeichnet, wie schon bemerkt. Allein Hr. Prof. Decher verwechselt den totalen Differentialquotienten dφ/dω mit dem
partiellen (dφ/dω) oder (dφ/dω'); denn der Ausdruck
Textabbildung Bd. 141, S. 327
welchen er für dφ/dω setzt, ist so gebildet worden, daß r dabei als constant behandelt wurde. Aber die Gleichung
(2) zeigt, daß dφ/dω von (dφ/dω') verschieden ist, und daß der richtige
Ausdruck Δφ₁ folgende Form hat
Textabbildung Bd. 141, S. 328
wo r₀ und r₁ die den Werthen ω₀ und ω₁
entsprechenden Werthe von r bezeichnen. – Ein
ähnlicher Ausdruck gilt für Δφ₂.
– Man zeigt leicht, daß (dφ/dr) die Veränderliche ω nicht explicite enthält; also ist
Textabbildung Bd. 141, S. 328
wo Φ₀ und Φ₁ die Winkel bedeuten, um welche sich das
Rädchen dreht, wenn bei constantem ω die Größe
r von ihrem kleinsten Werth bis zu r₀ und r₁
wächst. – Hieraus ergibt sich leicht die Richtigkeit der in meinem Aufsatz
„über das Polarplanimeter“ über Δφ₁ und Δφ₂ aufgestellten Behauptungen.
Zum nämlichen Resultat führt die, hier offenbar gestattete, Anwendung der
Differentialen.
Auch die „Fläche-Elemente-Theorie“ sagt mir etwas
ganz anderes, als Hr. Prof. Decher meint, –
nämlich wenn sie richtig angewendet wird. – Da offenbar φ sich nicht allein mit ω, sondern auch mit r ändert (während
ω constant seyn kann), so ist klar, daß der
von Hrn. Prof. Decher auf S. 30 für Δφ aufgestellte Ausdruck unvollständig
ist, und heißen sollte
Textabbildung Bd. 141, S. 328
r' bezeichnet einen Mittelwerth zwischen den
Fahrstrahlen r und (r +
Δr), welche die dort betrachtete Fläche begränzen; ψ (r') bedeutet eine
gewisse Function von r', auf deren nähere Bestimmung es
hier nicht ankommt.
Weiterhin enthält der Aufsatz des Hrn. Prof. Decher eine
Reihe von Behauptungen, die sich bei näherer Untersuchung als ungenau oder unrichtig
erweisen. So z.B. heißt es auf S. 32, das Rädchen des Polarplanimeters wälze den Weg
(a² + b² +
2ac)/2a (ω₁ – ω₀) nutzlos zweimal ab, wenn der Pol außerhalb der
umfahrenen Figur liege. Allein Hr. Prof. Decher hat
übersehen, daß in dem Ausdruck für Δφ₁ das Vorzeichen jenes Gliedes dem Vorzeichen des
Gliedes
Textabbildung Bd. 141, S. 329
entgegengesetzt ist, daß also die von dem Rädchen ausgeführte
gesammte (absolute) Drehung umgekehrt um jenen Betrag kleiner ist, als wenn das Instrument geradezu das Integral
Textabbildung Bd. 141, S. 329
darstellte; es besteht also hierin gerade ein Vorzug des
Polarplanimeters gegenüber dem Decher'schen
Instrumente.
Eine weitere Erörterung der streitigen Punkte werde ich in einem mathematischen
Journale folgen lassen, da für die meisten Leser eines technischen Journals solche
theoretische Untersuchungen ohne Interesse sind; außerdem sind für Praktiker allein
Versuche mit wirklich ausgeführten Instrumenten maßgebend.Die praktischen Bedenken des Hrn. Prof. Decher
möchten vielleicht durch die von Fachmännern gemachten Erfahrungen
geschwächt werden, worüber mir von verschiedenen Seiten Mittheilungen
gemacht wurden. So schrieb mir z.B. Hr. General Dufour, Director der schweizerischen topographischen Aufnahmen,
über ein in seinem Bureau dienendes Polarplanimeter: „Cet instrument facile à manier et d'un
usage, extrêmement commode, donne des résultat
suffisamment éxacts pour la practique et plus éxacts
peut-être que ceux qu'on obtient d'instruments plus
volumineux, d'un emploi délicat et plus dispendieux
etc.“ – Hr. Obergeometer Mayer in Carlsruhe schreibt von einem andern Instrument dieser
Art, daß dasselbe „die gemessenen Flächen (von 1000 bis 5500
□''') richtig und mit einer Uebereinstimmung der einzelnen
Messungen angab, daß das Instrument allgemeine Bewunderung
erregte.“
Schaffhausen, den 16. August 1856.
J. Amsler.