Titel: | Ueber die Adhäsion der Triebräder auf den Schienen; von R. Paulus. |
Fundstelle: | Band 144, Jahrgang 1857, Nr. LX., S. 243 |
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LX.
Ueber die Adhäsion der Triebräder auf den
Schienen; von R.
Paulus.
Aus der Eisenbahnzeitung, 1857, Nr. 13.
Paulus, über die Adhäsion der Triebräder auf den
Schienen.
Jeder mit dem Locomotiven-Betrieb vertraute Techniker erkennt die schwache
Seite dieses Betriebes in den großen Anforderungen, welche man an die Adhäsion der
Triebräder auf den Schienen zu stellen genöthigt ist.
Bei Gebirgsbahnen tritt diese Schattenseite des Locomotiven-Betriebes noch
deutlicher hervor, und die natürliche Folge dieser Erkenntniß ist, daß man mit allen
Mitteln darauf hinzuwirken sucht die Adhäsion zu vergrößern.
Das nächstliegende Mittel ist die Erhöhung des Gewichtes, womit die Triebräder auf
die Schienen drücken, und man ist nach und nach selbst mit Hintansetzung aller
übrigen Rücksichten so weit gegangen, daß durch die großen Zerstörungen an den
Radreifen und den Schienen die Anwendung von Eisen für diese Theile der Eisenbahn in
Frage gestellt ist, und man bald erwarten darf, Stahlbahnen statt Eisenbahnen
auftauchen zu sehen.
Wenn es nun auch gelingen sollte, die Zerstörungen an Radreifen und Schienen durch
Anwendung eines zum Mindesten den Bau der Eisenbahnen vertheuernden Materials zu
vermindern, so bleiben dennoch manche Nachtheile einer übermäßigen Belastung der
Triebräder übrig.
Das Fatalste ist aber die Thatsache, daß selbst die übermäßige Belastung der
Triebräder der neuesten Gebirgslocomotiven nicht genügt, wenn der
Reibungscoefficient sich nur auf seinen mittlern Werth stellt. Noch viel weniger
genügt aber diese theuer erkaufte Belastung der Triebräder, wenn sich dieser
Coefficient auf seinen niedersten Werth stellt, was der häufiger eintretende Fall
ist.
Nach meinen Beobachtungen ist die Annahme (Redtenbacher,
Gesetze des Locomotivbaues), daß dieser Reibungscoefficient von 1/3 bei trockener
Schiene bis auf 1/10 bei feuchter Schiene sinkt, mit der Praxis übereinstimmend, und
es müßte somit eine Locomotive, um für alle Fälle geschützt zu seyn, das Dreifache
desjenigen Adhäsionsgewichtes besitzen, welches genügen würde, wenn die Schienen
immer trocken wären.
Bei Gebirgsbahnen kommen, abgesehen von den Tunnels, häufig Bahnstrecken vor, welche
der Sonne oder trockenen Winden nicht zugänglich sind, wo also die Schienen fast
immer feucht sind. Der feuchte Zustand der Schienen ist aber erfahrungsgemäß der
schlimmste hinsichtlich der Größe der Adhäsion, während die Adhäsion sich günstiger
gestaltet, wenn anhaltender Regen die Schienen gewaschen hat, und es würde mit einer
einfachen Rechnung zu beweisen seyn, wenn dieß nicht schon durch unangenehme
Erfahrungen in der Praxis nachgewiesen wäre, warum eine Belastung der Triebräder,
welche selbst das Doppelte der dem trockenen Zustand der Schienen entsprechenden
Belastung betragen würde, so wenig nutzt, wenn die Schienen ihren trockenen Zustand
verlieren.
Das Adhäsionsgewicht auf das Doppelte zu stellen, hat schon seine großen
Schwierigkeiten, weil damit für eine einigermaßen kräftige Maschine die Anwendung
von mehr als sechs Triebrädern mit einer größeren Belastung, als rathsam ist,
nothwendig wird.
Die Schwierigkeit der Anwendung von mehr als sechs Triebrädern, die großen Kosten,
welche die Erhaltung der Räder erfordert, die ungünstigen Einwirkungen auf den
Mechanismus der Locomotiven und der damit verbundene Kraftverlust, welcher schon bei
zweifach-gekuppelten Rädern namentlich in den Curven eintritt, sind
bekannt.
Das Adhäsionsgewicht aber auf das Dreifache zu stellen ist vollends unthunlich, und
man muß sich somit in der That begnügen, Maschinen zu besitzen, welche die
Nachtheile der stark belasteten Triebräder, ohne die gewünschten Vortheile für die
gedachten Fälle besitzen.
Ich habe an einer Locomotive eine Vorrichtung (beschrieben im „Organ für
die Fortschritte des Eisenbahnwesens“, Jahrgang 1855) angebracht,
womit Theile des Tendergewichts als Adhäsionsgewichte der Locomotive verwendet
werden können, und habe mich auch mittelst dieser Vorrichtung überzeugt, wie unzulänglich
selbst eine namhafte Erhöhung des Adhäsionsgewichtes bei feuchtem Zustand der
Schienen ist, weil in der That dieser Zustand in den weit aus meisten Fällen sich
auf das äußerste Maaß stellt, nämlich dahin, wo das Adhäsionsgewicht das Dreifache
des bei trockener Schiene nöthigen Gewichtes betragen sollte.
Sollte man aber nicht suchen den Zustand der Schienen in die Gewalt zu bekommen, wie
dieß theilweise mittelst Sandapparaten geschehen kann, statt die zerstörende, dem
Zwecke so wenig entsprechende übermäßige Belastung der Triebräder anzuwenden?
Es handelt sich ja nur um die Beseitigung der äußerst dünnen Feuchtigkeitsschichte
der Schienen, um die Locomotiven so construiren zu können, daß die Triebräder nur
diejenige Belastung erhalten müssen, welche dem trockenen Zustand der Schienen oder
also dem Reibungscoefficient 1/3 entspricht. Ein solcher Grad der Belastung wird
auch für kräftige Maschinen nicht zu groß.
Man hat in der Rauchkammer der Locomotiven eine große Masse erhitzter Luftarten,
welche ohne weitere Benützung zum Rauchfang entweichen. Wenn man nun einen Theil
dieser erhitzten Luftmenge mittelst einer bei nassen Schienen in Gang zu setzenden
doppeltwirkenden Luftpumpe aus der Rauchkammer auf die Schienen vor die Triebräder
leiten würde, so müßte wahrscheinlich bei nicht zu schnellem Gang der Locomotiven
die sehr dünne Feuchtigkeitsschichte der Schiene beseitigt werden können und die
Schienen den günstigsten Zustand erhalten, welcher nämlich eintritt, wenn die
Schiene naß war und gerade abgetrocknet hat. Die Kraft zur Bewegung der Pumpe ist
jedenfalls sehr gering und wird sich wieder dadurch bezahlen, daß die Anfachung des
Feuers unterstützt wird und also die Wirkung des Blaserohres verringert werden kann.
Das Saugrohr der Pumpe müßte unterhalb dem Blaserohr angebracht seyn, um nur heiße
Luft aber keinen Dampf zu saugen; es müßte auch gegen den Eintritt von größern
Kohlenstücken geschützt seyn. Sollte gegen Erwarten die erhitzte Luft und die
Wirkung des Blaserohres dem Auspumpen der Luft Hindernisse bieten, so könnte auch
atmosphärische Luft benützt werden, welche mittelst Röhrenleitungen in der
Rauchkammer erhitzt würde.
Anzustellende Versuche werden das Nähere ergeben.
Ich glaube, daß es die Aufgabe der gegenwärtigen Zeit ist, den über alles Maaß veränderlichen Zustand der Schienen einigermaßen in die
Gewalt zu bekommen, statt das thatsächlich wenig nützende Mittel der übermäßigen
Belastung der Triebräder auf Kosten des Oberbaues der Bahn, auf Kosten der Radreife,
ja selbst auf Kosten zweckmäßiger Konstruktionen der Locomotiven anzuwenden.
Nur der lebhafte Wunsch, durch Anregung dieses Gegenstandes vielleicht zur Lösung
dieser Aufgabe beitragen zu können, hat mich veranlaßt, obige auf die Praxis
gestützte Betrachtungen zu veröffentlichen und ein wahrscheinlich ausführbares
Mittel vorzuschlagen.
Zürich, im März 1857.