Titel: | Allgemeine Betrachtungen über die Natur der positiven Lichtbilder und über die Ursachen ihrer Veränderung; von Dr. Weiler. |
Fundstelle: | Band 144, Jahrgang 1857, Nr. CXI., S. 440 |
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CXI.
Allgemeine Betrachtungen über die Natur der
positiven Lichtbilder und über die Ursachen ihrer Veränderung; von Dr. Weiler.
Aus Horn's photographischem Journal, 1857, Nr.
11.
Weiler, über die Natur der positiven Lichtbilder und über die
Ursachen ihrer Veränderung.
Die Veränderungen, welche die auf photographischem Wege nach den bisher
gebräuchlichen Methoden erzeugten positiven Abdrücke unter dem Einflusse des Lichtes
und der Atmosphäre nach einer relativ längeren oder kürzeren Zeit erleiden, haben
die Aufmerksamkeit der Chemiker auf die verschiedenen Vorgänge geleitet, welche das
Licht auf die zum Copiren angewendeten Substanzen ausübt, um hierauf zunächst die
Natur der chemischen Bestandtheile des photographischen Bildes zu constatiren. Die
Untersuchungen, welche namentlich von verschiedenen berühmten englischen Chemikern:
Hardwich, Hunt, Malane u.a. hierüber angestellt
worden, müssen lobend anerkannt werden; dessenungeachtet halten wir diese für die
Photographie so außerordentlich wichtige Frage noch lange nicht gelöst, glauben
jedoch, daß man auf einem rein chemisch-analytischen Wege zu einem sicheren
Resultate gelangen wird.
Indem wir unsere Ansichten über den betreffenden Gegenstand der Oeffentlichkeit
übergeben, sind wir weit entfernt unsere Theorie als maaßgebend betrachten zu
wollen, überlassen es vielmehr dem Urtheile unparteiischer Männer vom Fache, unsere
Ansichten mit den ihrigen zu vergleichen und dieselben einer ferneren gründlichen
Prüfung zu unterwerfen.
Was zunächst die Einwirkung des Lichtes auf das salpetersaure Silberoxyd betrifft, so
ist aus alter herkömmlicher Observanz in vielen chemischen Lehrbüchern es als
irrthümliches Factum aufgenommen worden, daß das salpetersaure Silberoxyd am Lichte
geschwärzt werde, während dieß doch durchaus nicht der Fall ist.
Reines salpetersaures Silberoxyd verhält sich gegen das
Licht vollständig indifferent; in einem weißen mit eingeriebenem Glasstöpsel
verschlossenen Gefäße kann man dasselbe wochenlang dem intensivsten Sonnenlichte
aussetzen, ohne daß man auch nur im Entferntesten eine Schwärzung wird wahrnehmen
können. Ist jedoch nur die geringste Spur einer organischen Substanz darin
enthalten, hat man die salpetersaure Lösung durch Fließpapier filtrirt, oder haben
während der Krystallisation oder beim Abdampfen in der Atmosphäre suspendirte
Staubtheilchen sich auf dem Salze niedergeschlagen, so wird durch diese organischen
Substanzen nach und nach eine Schwärzung, resp. Reduction des Salzes eingeleitet.
Wir legen auf dieses Verhalten des Silbernitrats ein ganz besonderes Gewicht, wie
aus unseren ferneren Auseinandersetzungen hervorgehen wird.
Organische Substanzen, sowohl vegetabilischen als animalischen Ursprungs, gehen mit
dem salpetersauren Silberoxyde eine chemische Verbindung ein, welche die Eigenschaft
besitzt am Lichte geschwärzt zu werden. Tränken wir ein Stück Papier mit einer
Lösung von Silbernitrat und setzen dasselbe der Einwirkung des Lichtes aus, so wird
das Silberoxyd zu metallischem Silber reducirt. Diese Reduction muß natürlich auch
von einem gleichzeitigen Freiwerden von Salpetersäure begleitet seyn, welche
letztere im Augenblicke ihres Entstehens auf die Cellulose des Papiers einwirkt und
eine neue organische Verbindung erzeugt; denn würde
die freiwerdende Salpetersäure nicht sogleich wieder eine Verbindung mit der
organischen Substanz eingehen können, so würde überhaupt keine Reduction von
metallischem Silber erfolgen können. Bringt man etwas mit einer organischen Substanz
gemengtes salpetersaures Silberoxyd in eine vollkommen trockene Glasröhre, legt
neben diese Mischung ein Stückchen Kalium, schmilzt die Röhre zu und exponirt
dieselbe dem Sonnenlichte, so findet man, daß sich das Kalium oxydirt und mit der
frei gewordenen Salpetersäure zu salpetersaurem Kali verbunden hat.
Ganz in derselben Art verhalten sich auch animalische Substanzen. Man hat in neuerer
Zeit das zu positiven Copien zu verwendende Papier zu bestimmten Zwecken mit
Albumin, Caseïn, Gelatine u. dgl. präparirt und darauf mit einer Lösung von
Silbernitrat getränkt. Diese eben genannten Stoffe gehören einer besonderen
eigenthümlichen Classe chemischer Verbindungen an, welche unter dem Namen
Proteïn-Substanzen bekannt sind. Die
Proteïn-Verbindungen enthalten sämmtlich Schwefel und besitzen die
Eigenschaft, durch Salpetersäure gelb gefärbt zu werden. Wird ein mit Albumin
überzogenes Papier mit einer Lösung von salpetersaurem Silberoxyde getränkt, so wird
ersteres zunächst vollständig coagulirt und in eine in Wasser unlösliche Verbindung
übergeführt; unter der Einwirkung des Lichtes entsteht eine Reduction des Silbersalzes und die frei
werdende Salpetersäure bildet mit dem Albumin die sogenannte Xanthogensäure, woher
die gelbbraune Färbung und der sogenannte Sepia-Ton dieser Abdrücke.
Anders nun verhält sich die Wirkung des Lichtes auf das Chlorsilber, welche bereits
von Scheele richtig erkannt wurde; dasselbe wird am
Lichte ohne Gegenwart einer organischen Substanz geschwärzt und ist diese Schwärzung
stets von einem Freiwerden von Chlor begleitet.
Das zum Copiren der Bilder gebräuchliche Papier enthält Chlorsilber und gleichzeitig
auch salpetersaures Silberoxyd in nicht genau bestimmten Verhältnissen. Hat man sich
längere Zeit der positiven Silberlösung bedient und zuvor mit Kochsalzlösung
behandelte Papiere mittelst derselben imprägnirt, so bildet sich nach einiger Zeit
eine chemische Doppelverbindung von Chlornatrium + salpetersaurem Silberoxyd, welche
in der Kälte in langen seidenglänzenden Nadeln öfter herauszukrystallisiren pflegt.
Gasförmiges Chlor wirkt auf trockenes salpetersaures Silberoxyd in der Art ein, daß
das Silbernitrat seinen Sauerstoff abgibt, sich in Chlorsilber verwandelt und
wasserfreie Salpetersäure erhalten wird. Eine derartige Zersetzung scheint uns aus
der Einwirkung des Lichtes resultiren zu müssen, und die in statu nascente freiwerdende Salpetersäure wird nach unserm Dafürhalten
eine höchst energische Reaction auf die Cellulose des Papiers auszuüben im Stande
seyn und damit eine Verbindung von folgender Zusammensetzung eingehen:
C¹²H⁷(NO⁴)O¹º + 3 O, in welcher 3 Atome
Wasserstoff der Cellulose durch 3 Atome Untersalpetersäure vertreten sind.
Gewöhnlich ist die in den positiven Bildern stattgehabte Reduction des Chlorsilbers
und auch des Silbernitrats nur eine partielle, indem durch eine zu lange andauernde
Lichteinwirkung das Bild unbrauchbar werden würde, und somit besteht das aus dem
Copirrahmen genommene positive Bild aus relativen Mengen fein zertheilten,
metallisch reducirten Silbers und geschwärztem Chlorsilber, so wie auch noch
unzersetztem salpetersaurem Silberoxyde.
Das Verhalten des am Lichte partiell geschwärzten Chlorsilbers gegen Ammoniak, worin
sich dasselbe auflöst, scheint zu der Annahme eines dem Silbersuboxyde analogen
Silberchlorürs zu berechtigen. Durch die nachherige Behandlung mit
unterschwefligsaurem Natron bildet sich Schwefelsilber, dessen Quantität jedoch nach
der relativen Beschaffenheit des positiven Abdruckes stets verschieden ausfallen
wird. Bedurfte das zu copirende Bild einer längeren und stärkeren Einwirkung des
Lichtes, hatte sich also eine größere Quantität der Silbersalze metallisch reducirt,
so wird das
unterschwefligsaure Natron eine verhältnißmäßig geringere Quantität Schwefelsilber
erzeugen können, als dieß der Fall ist, wenn die Reduction in einem bei weitem
geringeren Grade vorgeschritten war. In sämmtlichen positiven Bildern, welche wir
einer chemischen Analyse unterworfen haben, ist Schwefel in größerer oder geringerer
Menge gefunden worden. Kann nun gerade dieser Gehalt an Schwefel für die alleinige
Ursache des zerstörenden Einflusses angesehen werden, wie dieß bis jetzt so häufig
angenommen wird? Wir glauben vielmehr nach unserer oben entwickelten Ansicht diese
Veränderung ganz anderen Ursachen zuschreiben zu müssen. Wir betrachten das positive
Bild als eine chemische Verbindung von höchst fein zertheiltem metallischem Silber
mit der organischen Substanz und einer relativen Quantität mechanisch beigemengtem
Schwefelsilber. Wir haben oben zu zeigen gesucht, daß das Papier durch die
Einwirkung der frei werdenden Salpetersäure eine chemische Veränderung erleidet, und
eben diese scheint uns von ganz besonderer Wichtigkeit zu seyn; – wir
behaupten keineswegs, daß sich das Papier zum größten Theil in Xyloidin verwandelt
habe, dessenungeachtet hat sich durch die Einwirkung der freigewordenen
Salpetersäure eine demselben ähnliche Substanz in der Papiermasse gebildet.
Jedermann weiß, daß nachdem man das Xyloidin (Schießbaumwolle) wiederholt mit Wasser
ausgewaschen und jegliche saure Reaction auf Lackmuspapier verschwunden ist,
dasselbe dennoch Untersalpetersäure mit der Cellulose nach oben angeführter Formel
verbunden, enthält, selbst dann, wenn man dasselbe mit einer verdünnten Lösung von
kohlensaurem Natron behandelt hat. Als ich vor einigen Jahren ein mit einem
Glasstöpsel verschlossenes Gefäß, in welchem Schießbaumwolle enthalten war, öffnete,
entwickelten sich daraus intensiv rothe Dämpfe von salpetriger Säure. Diese
chemische Verbindung nun, welche die Salpetersäure mit der Papiersubstanz
eingegangen ist, scheint nach meinem Dafürhalten das zerstörende Agens für die
positiven Abdrücke zu seyn, indem die nach und nach durch freiwillige Zersetzung
daraus freiwerdende salpetrige Säure, resp. Salpetersäure, welche sich zwar der
äußeren Wahrnehmung entzieht, doch vollkommen hinreichend ist, das im höchst fein
zertheilten Zustande befindliche Silber anzugreifen und durch einen langsamen
Oxydationsproceß, durch die atmosphärischen Einflüsse unterstützt, das Bild zu
zerstören.