Titel: Das Telestereoskop von Professor Helmholtz.
Fundstelle: Band 145, Jahrgang 1857, Nr. LXII., S. 268
Download: XML
LXII. Das Telestereoskop von Professor Helmholtz. Aus der Voßischen Zeitung, 1857, Nr. 149. Helmholtz's Telestereoskop. Professor Helmholtz hat jüngst einen Apparat construirt, der zunächst der wissenschaftlichen Optik bestimmt, doch zugleich eine so werthvolle Gabe für die Uebung und Gewandtheit im richtigen Gebrauch des Auges, sowohl für Schätzung von Fernen, als überhaupt für die Prüfung der Wahrheit einer Anschauung, eben so interessant für den Naturästhetiker, den Landschafter u.s.w., als angenehm anregend für den naiven Genuß der „schönen Gegend“ ist, daß eine nähere Notiz darüber nicht ohne Interesse seyn wird. Das Stereoskop lehrt uns, daß die lebendige Anschauung der Körperform, welche wir bei Betrachtung wirklicher Gegenstände von geringer Entfernung haben, darauf beruht, daß wir mit beiden Augen davon etwas verschiedene perspectivische Ansichten gewinnen. Aus zwei perspectivischen Ansichten, die von verschiedenen Punkten aufgenommen sind, läßt sich aber die körperliche Form und Entfernung der dargestellten Gegenstände vollständig construiren. Bei fernen Gegenständen jedoch sind die beiden Augen einander zu nahe, um merklich verschiedene Ansichten zu geben, daher ist die Beurtheilung ihrer körperlichen Form, Entfernung u.s.w., wenn nicht Schlagschatten und Luftperspective einzelne Aufschlüsse geben, höchst unvollkommen. Die den Horizont begränzenden Bergreihen erscheinen z.B. meist als glatte, gerad aufsteigende Wände, die der Fläche des ansteigenden Himmelsgewölbes anzuhaften scheinen. Im Stereoskop kann man nun zwei photographische Ansichten der Landschaft combiniren, welche von zwei beliebig weit von einander entfernten Standpunkten aufgenommen sind, und welche hinreichend von einander geschieden sind, um eine deutliche Vorstellung der körperlichen Form zu geben. Die stereoskopischen Landschaftsbilder geben also eine vollständigere Ansicht der Landschaft, als es die wirkliche Anschauung der wirklichen Landschaft thut. Nur indem der Beobachter sich von der Stelle bewegt und also wenigstens nach einander die perspectivischen Anschauungen verschiedener Standpunkte vergleicht, kann er allmählich seine Anschauung ergänzen. Wenn diese Bewegung des Beobachters ihrer zeitlichen Bedingungen entäußert, die verschiedenen Anschauungen, welche ihr Resultat sind, zu einer Gleichzeitigkeit zusammengedrängt werden könnten, so würde der Reiz der unmittelbar zusammenfassenden Anschauung auch der wirklichen Natur gegenüber ein solcher seyn, wie der photographirten Landschaft das Stereoskop ihn zu geben weiß. Helmholtz hat dieß mit seinem Instrument, das man als Stereoskop für ferne Gegenstände „Telestereoskop“ getauft hat, erreicht. Dasselbe besteht aus einem etwa vier Fuß langen Brete, an dessen Enden senkrecht gegen die Fläche und 45° geneigt gegen die Längenlinie des Bretes, zwei Spiegel befestigt sind. In der Mitte des Bretes sind, diesen Spiegeln parallel, zwei kleinere befestigt, in deren einen der Beobachter mit dem rechten, in den andern mit dem linken Auge hineinsieht. In den kleinen Spiegeln sieht er die großen, in den großen die Landschaft gespiegelt. Nach Bedürfniß können vor die Augen des Beobachters noch Brillengläser oder ein doppeltes Opernglas eingeschaltet werden, um Vergrößerungen hervorzubringen. Dabei sieht nun das rechte Auge des Beobachters die Landschaft so wie sie vom rechten Ende des Bretes, das linke Auge, wie sie vom linken Ende des Bretes erscheint. Dem Beobachter wird also künstlich gleichsam eine Augendistanz von vier Fuß, statt der gewöhnlichen von drei Zoll gegeben. Der Anblick ist ein überraschend zierlicher, da er die stereoskopischen Photographien um eben so viel übertrifft, wie ein vollendetes Oelgemälde einen Kupferstich. Gegenstände, welche eine Viertel- bis eine halbe Meile entfernt sind, lösen sich deutlich von ihrem Hintergrunde ab, nähere erscheinen in ihrer vollen körperlichen Gestalt und namentlich Baumgruppen gewähren einen eigenthümlichen Anblick, weil sich die Kronen und Zweige ganz von einander ablösen: die Landschaft tritt aus ihren Rahmen. Man wird zugeben, daß diese Vorzüge hinreichen, in dem Instrumente im Allgemeinen eine wesentliche Bereicherung der landschaftlichen Anschauungsfähigkeit zu erblicken, dem Maler insbesondere einen sehr heilsamen Cursus der natürlichen Perspective zu lesen und daß endlich jeder Ruhepunkt, der dem glücklichen Besitzer gestattet, über die Mauern des Hofes, über die Gegenfronten der Straßen den Blick schweifen zu lassen, fortan wohl gern dem abscheulich geschmacklosen Spielwerke der schwarzen Glaskugeln, jenen „besonderen Kennzeichen“ der schönen Gegend, gern zu Gunsten dieser einfachen und sinnigen Construction entsagen wird.