Titel: Ueber das Conserviren des Getreides vermittelst gebrannten Kalks; von Hrn. J. Persoz.
Fundstelle: Band 146, Jahrgang 1857, Nr. LXXV., S. 311
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LXXV. Ueber das Conserviren des Getreides vermittelst gebrannten Kalks; von Hrn. J. Persoz. Aus den Comptes rendus, Juni 1857, Nr. 22. Persoz, über das Conserviren des Getreides vermittelst gebrannten Kalks. Die widersprechenden Ansichten über die Aufbewahrung des Getreides in Silos in unsern Climaten sind dem Umstand zuzuschreiben, daß der Sinn des Wortes: trocknes Getreide nicht genügend definirt worden ist. Ich habe mich überzeugt, daß der Wassergehalt des Getreides von 8 1/2 bis 18 1/2 Procent variiren kann.Bei den betreffenden Austrocknungsversuchen habe ich folgende Thatsache beobachtet. Bis zur Gränze von etwa 7 Procent Wassergehalt zieht das Getreide beim Trocknen, indem es sein Wasser fahren läßt, sich zusammen und nimmt, wie zu erwarten war, an specifischem Gewicht zu. Von dieser Gränze ab verliert es aber sein Wasser, ohne das Volum zu verändern, und nimmt folglich beständig an Dichtigkeit ab. Bei zwei Getreidesorten von geringem spec. Gewicht kann also letzteres bei dem einen von überschüssiger Feuchtigkeit, und beim andern von übermäßiger Trockne herrühren. Es können sonach bei den als trocken betrachteten Getreidesorten Differenzen im Wassergehalt vorkommen, die sich bis auf 10 Proc. belaufen; diese Differenzen modificiren auch die Eigenschaften des Getreides, wornach sich dasselbe in zwei Kategorien theilen läßt: 1) solches, das mehr als 9 Procent Wasser enthält, und 2) solches, das 9 Procent oder darunter enthält. Bringt man Getreide beider Kategorien in Fläschchen mit eingeriebenen Stöpseln und setzt letztere an gewissen Punkten der strahlenden Einwirkung der umgebenden Körper aus, so tritt eine Erscheinung ein, welche wir Ausdünstung oder Schwitzen nennen können. Auf den der einwirkenden Wärme direct entgegengesetzten innern Wänden sieht man Wasser in Form von Tröpfchen sich verdichten, daher die von demselben befeuchteten Getreidekörner an gewissen Punkten adhäriren. Da die Wärmequelle immer dieselbe bleibt und in gleicher Richtung fortwirkt, so kann man diese Erscheinung nach Belieben, je nachdem man das Fläschchen stehen läßt oder anders stellt, an einem Punkt verstärken oder sie verschwinden und an den verschiedenen Theilen des Gefäßes wieder zum Vorschein kommen lassen. Das Getreide der ersten Kategorie schwitzt bei niederen Temperaturgraden und um so leichter, je mehr Wasser es enthält. Es versteht sich mithin, daß es nur bei niederen Temperaturen und gleichbleibender Einwirkung derselben sich unversehrt conserviren kann, indem die geringste Temperatur-Verschiedenheit zur Folge hat, einen Antheil des Wassers auf einen Punkt zu übertragen und daselbst anzuhäufen, wo es endlich eine Zersetzung veranlaßt, die sich in die ganze Masse fortpflanzt. So beobachtete ich, daß in Fläschchen mit eingeriebenem Stöpsel eingeschlossenes Getreide, welches nur 15 Proc. Wasser enthielt, in ein paar Wochen verdarb. Das Getreide der zweiten Kategorie schwitzt niemals bei niederen Temperaturen; es ist dazu die Wirkung der Sonnenstrahlen nothwendig, und dann erscheint, statt der Wassertröpfchen, ein leichter Duft an der innern Glaswand; niemals aber hängt sich das Getreide an. Aus diesen Versuchen hinsichtlich der Conservirung des Getreides ist zu folgern, daß man die Ausdünstung oder das Schwitzen verhüten und seine Wirkung nöthigenfalls durch ein kräftiges, leicht zu beschaffendes, vermöge seines geringen Preises überall anwendbares Mittel bekämpfen muß, welches, nachdem es seine Dienste zur Conservirung des Getreides gethan, noch im Feldbau verwendet werden kann. Ich habe zu dem Kalk, als alle diese Vorzüge in sich vereinigend, meine Zuflucht genommen. Ich begnüge mich zu bemerken: 1) daß es mit mittelst des Kalks gelungen ist, Getreide unter Umständen zu conserviren, die seinem Verderben so günstig waren, daß dasselbe Getreide in Fläschchen mit eingeriebenen Stöpseln sich kaum einen Monat lang conserviren konnte, wogegen dieses mittelst Kalk conservirte Getreide nach ungefähr 29 Monaten an Güte gar nicht eingebüßt hatte und noch seine völlige Keimkraft besaß; 2) daß Getreide, welches man hatte keimen lassen, nachdem es mit Kalk vermengt worden war, sogleich zu keimen aufhörte, dann gesiebt und ventilirt, durch den Geschmack sich gar nicht verändert zeigte; 3) daß endlich bei einem Getreide im Zustand der Zersetzung, nachdem es ebenso mit gebranntem Kalt behandelt worden war, die Gährung bald aufhörte, und daß dieses Getreide gesiebt, ventilirt, gewaschen und getrocknet, bis zu einem gewissen Grade mit gewöhnlichem Getreide verwechselt werden konnte, obwohl es ungefähr 25 Procent seines Gewichts durch die Gährung verloren hatte. Schließlich bemerke ich, daß durch das Siebwerk und die ventilirende Reinigungsmaschine das Getreide stets von dem ihm anhängenden Kalk befreit wird. Ein so conservirtes Getreide zeigt nur den Nachtheil, daß es ungemein hart und trocken ist, daher unter den Mühlsteinen zu Pulver wird, statt sich platt zu drücken; dieses Plattdrücken ist aber wegen der leichteren Trennung der Kleie vom Mehle nöthig, und man kann jenem Uebelstande leicht dadurch abhelfen, daß man das Getreide durch Zusatz einer gewissen Menge Wassers, ehe man es zwischen die Steine bringt, aufschwellen läßt. Nachtrag. Hr. Doyère nimmt in den Comptes rendus, Juli 1857, Nr. 2 die Priorität der Anwendung des Kalks zum Conserviren des Getreides in Anspruch, indem er seine Versuche darüber schon im September 1850 begonnen, und im J. 1852 in einer Abhandlung „über den Kornwurm“ mit aller Ausführlichkeit das Verfahren und die anzuwendenden Apparate veröffentlicht hat, also lange vor Hrn. Persoz. „So vortreffliche Resultate ich aber, bemerkt Doyère schließlich, mit dem Kalk erhalten habe, würde ich doch die Anwendung desselben zu diesem Zwecke nur ausnahmsweise anrathen, weil ich eine Aufbewahrung des Getreides in Silos ermittelt habe, die bei weitem nicht so hoch zu stehen kommt und minder umständlich ist. Ich construire die unterirdischen Silos ganz hermetisch, wodurch der Kalk und jede andere Vorbereitung des Korns fast für alle Fälle unnöthig wird (man s. polytechn. Journal Bd. CXXXIX S. 453). Ist ein Getreide auch zu feucht, um sich darin auf unbestimmte Zeit zu conserviren, so erhält es sich doch so lange ohne merkliche Veränderung, als dieß für die meisten Verwendungen erforderlich ist. In den sehr seltenen Fällen, wo ein Trocknen desselben vorausgehen muß, ist es für große Massen in jeder Hinsicht vorzuziehen, dasselbe in Trockenräumen vorzunehmen.“