Titel: Ueber die Anwendung des Rauches, um das Erfrieren der Weinstöcke zu verhindern; von Hrn. Boussingault.
Fundstelle: Band 149, Jahrgang 1858, Nr. XVIII., S. 69
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XVIII. Ueber die Anwendung des Rauches, um das Erfrieren der Weinstöcke zu verhindern; von Hrn. Boussingault. Aus den Annales de Chimie et de Physique, April 1858, S. 485. Boussingault, über die Anwendung des Rauches, um das Erfrieren der Weinstöcke zu verhindern. Während des letzten Herbstes las ich zufällig im Echo rochelois folgende Stelle: „Ein originelles Mittel die Weinstöcke gegen das Erfrieren zu schützen, wurde kürzlich mit bestem Erfolg an mehreren Orten des Bezirks von la Rochelle versucht. Es besteht darin, die Weinstöcke vor Sonnenaufgang mit einer Rauchwolke zu bedecken. Alle Winzer, welche den Rauch gegen 3 Uhr Morgens zu erzeugen begannen und ihn bis 5 1/2 Uhr unterhielten, erreichten ihren Zweck vollständig. Wir begnügen uns einen einzigen Fall anzuführen. Ein Weinberg von 4 Hektaren, welcher von anderen Weinbergen umgeben ist, wurde von 3 Uhr bis 5 1/2 Uhr Morgens mit einer Rauchschicht bedeckt erhalten und dadurch vollständig gerettet, sowie ein Theil des benachbarten Weinberges, auf welchem sich der Rauch ausbreitete. Alle anderen Weinberge erfroren. Diese Thatsache ist wichtig genug, um sie zur Kenntniß der Winzer zu bringen, welche die Unbeständigkeit der Temperatur in Angst erhält. Ein Gärtner zu Lafond räucherte seinen Garten, um seine Erdbeeren zu sichern.“ Ich will im Folgenden versuchen, die Lücken dieses interessanten Artikels auszufüllen. Man darf sich z.B. nicht einbilden, daß der Rauch das Vermögen besitzt, den Weinstock zu verhindern während eines sehr strengen Winters zu Grunde zu gehen. Es handelt sich hier offenbar nur um ein Mittel gegen die Frühlingsfröste welche sich während der Nacht zeigen, selbst dann, wenn die Temperatur der Atmosphäre über dem Gefrierpunkt ist, und welche ihre Wirkung besonders auf die zarten Knospen, auf die Blüthenorgane nicht nur des Weinstocks, sondern aller Pflanzen ausüben. Auf den ersten Blick muß man es sehr sonderbar finden, daß eine Knospe, eine Blüthe erfriert, wenn der Thermometer einige Grade über Null zeigt, mit anderen Worten, daß eine Pflanze durch den Frost zu Grunde geht, wann es nicht gefriert, wenigstens scheinbar. Bekanntlich hat aber Wells die wichtige Thatsache entdeckt, daß die Körper, und folglich die Knospen, die Blüthen, bei heiterem Wetter, in Abwesenheit der Sonne, kälter sind als die sie umgebende Luft. Auf diese Thatsache hat der berühmte englische Physiker seine sinnreiche Theorie der Thaubildung gegründet. während der Nacht, wenn die Atmosphäre ganz ruhig, der Himmel ohne Wolken ist, kühlen sich die Pflanzen ab und erlangen bald eine Temperatur, welche merklich niedriger als diejenige der sie umgebenden Luft ist. Unter solchen Umständen strahlen die Pflanzen, wie alle Körper, gegen die sichtbaren Theile des Himmels mehr Wärme aus, als sie empfangen, denn die hohen Regionen der Atmosphäre sind außerordentlich kalt, indem bekanntlich die Wärme rasch abnimmt in dem Maaße als man über die Bergabhänge hinaufkommt, auch die Gipfel der hohen Berge ewig mit Schnee bedeckt sind. So zeigt unter den erwähnten meteorologischen Umständen ein auf dem Rasen liegender Thermometer häufig eine um 7 bis 8 Centisimalgrad niedrigere Temperatur als ein in der Luft aufgehängter Thermometer; und der Unterschied ist um so größer, je größer die Himmelsfläche ist, gegen welche der an einem freien Orte gelegene Rasen ausstrahlt. Alle Ursachen welche die Luft in Bewegung setzen, ihre Durchsichtigkeit aufheben, das Feld der sichtbaren Halbkugel des Himmels maskiren oder verengen, vermindern auch die nächtliche Strahlung. Die Wirkungen der Strahlung sind im Frühling den Pflanzen am schädlichsten, aus dem einfachen Grunde weil die nächtliche Abkühlung so groß seyn kann, daß sie deren Organe auf mehrere Grade unter Null herabbringt. In den heiteren Nächten des April und Mai sieht man deßhalb in Frankreich nur zu oft die jungen Triebe ihre grüne Farbe verlieren, die Blüthen verwelken und abfallen nachdem sie erfroren sind. Die Gärtner schreiben dieß dem Lichte des rothen Mondes zu, und ihre Meinung gründet sich auf eine ganz richtige Beobachtung, nämlich daß bei bedecktem Himmel, wenn die Pflanzen durch die Strahlen unseres Trabanten nicht belichtet werden, die schädlichen Wirkungen sich nicht einstellen. Arago hat gezeigt, daß die dem Lichte des Mondes zugeschriebene Kälte einzig die Folge der Strahlung ist, in einer Jahreszeit wo der Thermometer sich während der Nacht in der Luft sehr oft auf 5 oder 6 Centesimalgrad erhält. Daraus geht hervor, daß eine Pflanze, indem sie gegen den Himmelsraum strahlt, leicht auf mehrere Grade unter Null abgekühlt werden und folglich von Frost leiden kann. Die Temperatur-Erniedrigung wird aber nur bei heiterm Wetter stattfinden, und nur in diesem Falle wird der Mond sichtbar seyn; man wird ihn niemals unter Umständen sehen, welche der Strahlung ungünstig sind. Die Beobachtung der Gärtner, sagt Arago, ist daher nicht unrichtig, aber sie ist unvollständig, denn es ist unbestreitbar, und die Landwirthe wissen es wohl, daß in den Monaten April und Mai die Pflanzen manchmal während der Nacht erfrieren, selbst wenn der Mond nicht am Horizonte ist. Wenn das Erfrieren der zartesten Organe der Pflanzen, unter Umständen wo die umgebende Luft mehrere Grade über Null zeigt, wirklich davon herrührt, daß die Pflanze Wärmestrahlen gegen den Himmelsraum aussandte, so muß offenbar ein Schirm, indem er den Himmel maskirt, die Abkühlung verhindern oder wenigstens vermindern. Dieß ist auch in der That der Fall. So zeigt nach den schönen Versuchen von Wells ein Thermometer, der auf einem dicken Bret liegt, welches horizontal 3 Fuß über dem Boden angebracht ist, bei ruhigem Wetter und reinem Himmel manchmal 5 Grad (Celsius) weniger als ein zweiter Thermometer, welcher an der dem Boden zugekehrten Seite des Brets befestigt Ist. Bei dieser Anordnung kühlt sich der erste Thermometer ab, weil er gegen den Himmel ausstrahlt. Dieses Resultat erklärt den Nutzen der Matten, Strohdecken, Glasfenster, überhaupt aller der leichten Schutzdächer, womit man die Pflanzen gegen die Kälte verwahrt. „Ich habe, sagt Wells, früher oft die Mittel belächelt, wodurch die Gärtner die zartesten Pflanzen gegen die Kälte zu schützen hoffen; denn es schien mir unmöglich, daß eine dünne Matte oder irgend eine andere eben so leichte Decke sie verhindern kann die Temperatur der Atmosphäre zu erlangen, welche allein nach meiner damaligen Meinung ihnen schaden würde; nachdem ich aber entdeckt hatte, daß in den ruhigen und heitern Nächten die an der Oberfläche der Erde befindlichen Körper kälter werden als die Atmosphäre, indem sie ihre Wärme gegen den Himmel ausstrahlen, wurde mir sogleich die Wichtigkeit jenes Gebrauchs einleuchtend, den ich bisher für unnütz gehalten hatte.“ Um sich über diesen Gegenstand noch genauer zu unterrichten, steckte Wells dünne Pfähle von 4 Zoll Länge an den vier Ecken eines Quadrats von 2 Fuß Breite in den Boden, und befestigte horizontal ein Taschentuch von außerordentlich feinem Batist auf den Pfählen. Es zeigte sich nun, daß der unter diesem leichten Gewebe befindliche Rasen, manchmal um 6 Grad (Celsius) wärmer war als der nicht geschützte Rasen. Der Hagel, welchen häufig Sturmwind und Donner begleiten, ist ohne Zweifel eine schreckliche Geißel; in kurzer Zeit vernichtet er oft die schönstenn Ernten. Aber der durch Strahlung entstehende Frost, obgleich er sich während absoluter Ruhe der Natur einstellt, ist vielleicht noch mehr zu fürchten. Eine Sturmwolke schleudert den zerstörenden Hagel gewöhnlich nur auf eine sehr beschränkte Zone, während die verderblichen Wirkungen der nächtlichen Strahlung ganze Gegenden umfassen. Weinberge, Obstgärten, deren junge und kräftige Vegetation, der Zustand des Blühens zu großen Hoffnungen berechtigen, erfrieren plötzlich während der Nacht, nicht durch die Kälte der Atmosphäre, sondern weil der Himmel sternhell und die Luft ganz ruhig ist. Nachdem wir nun die Ursachen kennen, welche den Frost durch nächtliche Strahlung veranlassen, so entsteht die Frage, ob es kein Mittel gibt, die Wanzen gegen seine zerstörende Wirkung zu schützen. Dieses Mittel ist vorhanden; es besteht darin, die Durchsichtigkeit der Atmosphäre aufzuheben, und schon die alten Indier haben es mit dem größten Erfolg angewandt; wenn nämlich bei einbrechender Nacht die Sterne lebhaft glänzten und die Luft ruhig war, so zündeten sie Haufen feuchten Strohes oder Mist an, um Rauch zu erzeugen und so die Durchsichtigkeit der Atmosphäre aufzuheben, von welcher sie das Erfrieren der jungen Pflanzen oder der Maisblüthen zu befürchten hatten. Plinius sagt (Buch XVIII): „Befürchtet man während der Nacht, wenn nämlich das Wetter heiter und die Luft vollkommen ruhig ist, das Erfrieren der Weinstöcke und Pflanzen, so verbrenne man in den Weinbergen und auf den Feldern Rebholz oder Strohhaufen, oder Kräuter: der Rauch ist ein Schutzmittel.“ Wir haben gesehen, daß in der letzten Zeit bei la Rochelle der Rauch mit entschiedenem Vortheil angewandt wurde, um das Erfrieren des Weinstocks, der Erdbeeren zu verhüten; und von dem Director des botanischen Gartens zu Montpellier, Hrn. Martins, erfuhr ich, daß man ihn auch in der Umgegend von Avignon zum Schutz der Olivenbäume benutzt. Ferner geht aus Obigem hervor, daß das Mittel um die Culturen den nachtheiligen Wirkungen einer zu raschen Erniedrigung der Temperatur zu entziehen, indem man die Durchsichtigkeit einer ganz ruhigen Atmosphäre aufhebt, in der alten wie in der neuen Welt angewendet wurde; man muß sich daher mit Recht verwundern, daß es jetzt fast allgemein aufgegeben ist. In Europa dürfte die Schwierigkeit, die erwähnte Vorsichtsmaßregel immer rechtzeitig anwenden zu können, wohl am meisten zum Aufgeben derselben beigetragen haben. Das Erfrieren der Pflanzen durch die nächtliche Strahlung ist eine augenblicklich eintretende Erscheinung; man hat nicht überall und immer das erforderliche Brennmaterial zu seiner Verfügung, besonders ein geeignetes Brennmaterial, welches langsam mit starkem Rauche verbrennt. Ein Winzer wird sich auch nicht gern entschließen den Mist zu opfern, wovon er nie zu viel hat. Das Feuer von feuchtem Stroh kann aber ziemlich hoch zu stehen kommen, und wäre, wenn es eine gewisse Intensität erreicht, sogar gefährlich und unnütz, denn es handelt sich nicht darum, Flamme zu erzeugen. Welche unter den sehr wohlfeilen Substanzen verbreiten am meisten Rauch? Diese Frage habe ich mehreren meiner Collegen in der Akademie der Wissenschaften vorgelegt, und das Resultat der Besprechung war, daß man als Materialien, welche beim Brennen eine große Masse von Luft zu trüben vermögen, den Steinkohlentheer, das Naphthalin, das Harz, das Erdpech anwenden müßte. Diese Substanzen haben einen sehr geringen Werth; man könnte daraus z.B. Fackeln formen, wovon einige gewiß hinreichen würden, um die Durchsichtigkeit einer Luftschicht aufzuheben, welche eine Hektare Feld bedeckt. Das Naphthalin, eine weiße, feste, krystallinische, dem Wachs ähnliche Substanz, von welchem man keine Anwendung zu machen weiß, gerade weil es beim Brennen zu stark raucht, hätte vor dem Theer den Vorzug eines leichten Transports und daß es nicht beschmutzt was mit ihm in Berührung ist. Man wird vielleicht einwenden, daß man von den erwähnten Substanzen eine beträchtliche Menge verbrennen müßte, um so viel Rauch zu erhalten, daß derjenige ersetzt wird, welchen schon ein schwacher Wind wegzieht, und daß daher das vorgeschlagene Mittel ungeachtet des niedrigen Preises der Materialien am Ende doch sehr kostspielig würde. Diese Einwendung ist von keinem Belang; denn wenn man die oben auseinander gesetzten Thatsachen ganz begriffen hat, so wird man überzeugt seyn, daß die Anwendung des Rauches als Mittel zur Verhinderung der nächtlichen Strahlung nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Himmel unbedeckt und die Atmosphäre vollkommen ruhig ist; dieser letztere Fall ist aber gerade derjenige wo sehr wenig Rauch erforderlich ist um eine ungeheure Masse Luft zu trüben. Wenn die Luft in Ruhe und der Himmel mit Wolken bedeckt ist, so braucht man die Brennmaterialien nicht anzuzünden, weil die Wolken den Dienst einer Decke versehen; ist die Nacht heiter, der Himmel gesternt und besteht zugleich ein wenig Wind, so braucht man die Brennmaterialien ebenfalls nicht anzuzünden, denn der Rauch hätte keinen Zweck, weil die Pflanzen im Frühling selbst in einer schönen Nacht nicht erfrieren, wenn die Luft in Bewegung ist. Man müßte nur jederzeit Abends die Brennmaterialien immer in Bereitschaft haben, um sie anzuzünden wenn nach den meteorologischen Erscheinungen eine nächtliche Strahlung vorauszusehen, wenn der Himmel rein und die Atmosphäre ruhig ist. Ist man einmal durch lange Erfahrung in der verständigen Anwendung sehr wohlfeiler Brennmaterialien als Mittel die Luft nach Belieben zu trüben, geübt, so wird es sich wohl herausstellen, daß der Rauch der billigste und bequemste Schirm ist, um nöthigenfalls sowohl die Blumen eines Blumengartens als die Bäume eines Obstgartens zu schützen.