Titel: Ueber die Fabrication von gebleichtem Strohpapier; von Dr. W. Reißig, Chemiker aus Darmstadt.
Autor: W. Reißig
Fundstelle: Band 154, Jahrgang 1859, Nr. LXVII., S. 310
Download: XML
LXVII. Ueber die Fabrication von gebleichtem Strohpapier; von Dr. W. Reißig, Chemiker aus Darmstadt. Reißig, über die Fabrication von gebleichtem Strohpapier. Allgemein macht sich die Thatsache fühlbar, daß der Verbrauch des Papiers von Jahr zu Jahr mit rascher Schnelligkeit sich steigert. Mit Hülfe der Statistik läßt sich leicht nachweisen, daß derselbe nicht proportional der Zunahme der Bevölkerung, sondern in weit größeren Verhältnissen gestiegen und noch fortwährend im Steigen begriffen ist. In dem Maaße wie das hauptsächlichste Rohmaterial für die Papierbereitung, die Lumpen, seltener und folglich auch theurer geworden sind, trat auch die Forderung immer dringender heran, sich nach neuen Surrogaten für die Fabrication umzusehen. Hierzu scheint nun keines geeigneter wie das Stroh, besonders dasjenige unserer Getreidearten, das alljährlich in großen Massen erzeugt wird und fast überall leicht und billig zu beschaffen ist. Die vielfachen Versuche, welche schon mit diesem Materiale angestellt worden sind, um aus demselben ein weißes und gutes Papier herzustellen, unter denen die von Hrn. Piette die namhaftesten sind, haben aber, wie es scheint, noch nicht alle Schwierigkeiten in der Fabrication überwinden können. Daß dieß der Fall ist, scheint mir besonders in dem Umstände zu liegen, daß man mehr empirisch als mit vorhergehender Untersuchung des Gegenstandes und daraus folgender richtigerer Erkenntniß der zu beseitigenden Hindernisse sich der Aufgabe unterzogen hat, die Strohfaser in eine reine Cellulose umzuwandeln, d.h. sie von ihren fremden Bestandtheilen zu befreien, wornach alle Bleichversuche, die mit der erhaltenen mehr oder minder unreinen Pflanzenfaser angestellt wurden, natürlich nur in selteneren Fällen oder gar nicht das gewünschte Resultat lieferten. Wenn man das Stroh von unseren Getreidearten oberflächlich betrachtet, so findet man (abgesehen von Wurzel und Aehre) Stengelglieder die von den Blattscheiden umhüllt werden, und Knoten in abwechselnder Reihenfolge. Zergliedert man diese Gebilde anatomisch, so findet man, daß die Stengelglieder aus concentrischen Kreisen von Gefäßbündeln bestehen, die sich nach Oben und Unten verdicken und so die Knoten bilden. Ihre äußere Wandung erhält, was man meistens übersehen zu haben scheint, durch einen größern Gehalt von Kieselsäure Festigkeit und Zusammenhang. Die Entfernung dieses Körpers macht es allein möglich ein gutes Papier herzustellen, da dieser Körper sehr hart und in der innigen Durchdringung der Wand der Gefäßbündel die Veranlassung ist, daß alles aus nicht präparirtem Stroh hergestellte Papier brüchig und spröde ist. Daß dieß wirklich der Fall ist, kann man leicht sehen, wenn man nach Entfernung der übrigen in Wasser löslichen Bestandtheile des Strohs dasselbe zur Auflösung der Kieselsäure in einer Kalilauge maceriren läßt. Die Faser, die davon befreit ist, wird dann ganz weich und biegsam und bleibt es auch nach dem Auswaschen, obwohl sie hierin doch etwas der Lein- und Baumwollfaser nachsteht, da sie etwas starrer ist als diese. Ihre mikroskopische Prüfung zeigt dann, daß die Gefäßbündel von besonderer Länge sind, dabei vollkommen cylindrisch, die Wandung derselben nicht besonders verdickt ist, so daß sich im Inneren ein großer Zwischenraum deutlich erkennen läßt. Sie schließt sich deßhalb in der Form einestheils an die Flachsfaser (deren verdickte Wandung sich aber leicht zertrennt und verfilzt) und andererseits an die Baumwollfaser in der geringen Stärke ihrer Wandung an. Durch die genannten Eigenschaften wird man denn auch darauf hingewiesen, die weniger guten Eigenschaften der Strohfaser, die keinen besonders dichten Filz zu liefern im Stande ist, durch Mischen mit andern Fasern zu compensiren, welches Verfahren man auch in der Praxis schon längere Zeit befolgt hat. Als einen Beitrag zur Literatur dieses Industriezweiges und weil es nicht uninteressant seyn dürste die verschiedenen Verfahren der Papierbereitung aus Stroh kennen zu lernen, veröffentliche ich hiemit ein schon vor mehreren Jahren festgestelltes und öfter geprüftes Verfahren, das stets befriedigende Resultate gegeben hat und welchem ich namentlich auch den Vorzug vindiciren zu dürfen glaube, daß die hergestellte Papiermasse durch eine besondere Weiße ausgezeichnet ist. Die erste Operation die man mit dem Stroh vornimmt, ist ein vorläufiges Reinigen. Alles Stroh ist mehr oder minder mit den verschiedenen Pflanzen vermischt, welche zwischen demselben wachsen und die oft, namentlich in gewissen Jahrgängen und besondern Localitäten, eine beträchtliche Menge ausmachen. Die zum Theil sehr holzigen und festen Stengel dieser Pflanzen sind nicht allein sehr schwer zu bleichen, sondern ihre Fasern sind auch zur Papierfabrication nicht geeignet. Man hat daher einige Sorgfalt darauf zu verwenden, daß dieselben entfernt werden, und erreicht diesen Zweck sehr einfach dadurch, daß man das obere Ende eines Strohbündels anfaßt und es, senkrecht auf- und abfahrend, rüttelt, wodurch der größte Theil dieser Pflanzen und auch sonstige Unreinigkeiten zwischen den Halmen durchfallen. Die Ackerwinde, deren Stengel die Halme fest umschlingt, kann aber nur durch Auslesen getrennt werden. Das so gereinigte Stroh muß nun behufs der Entfernung der Knoten und gleichzeitig zur Erleichterung des Auskochens, d.h. der Entfernung der in Wasser löslichen Stoffe (Zucker etc.) zerkleinert werden. Die ersteren zu entfernen ist aus dem Grunde sehr zweckmäßig, weil sie sich viel schwieriger als die Stengel- und Blattgebilde bleichen, und die letzteren bei der Operation zu sehr leiden würden, wollte man sie so lange mit der Bleichflüssigkeit in Berührung lassen, bis auch die Knoten gebleicht sind. Zur Zerschneidung resp. Zerkleinerung des Strohes wendet man am zweckmäßigsten geradezu eine Häckselschneidmaschine an, die mit Wasser oder Dampf getrieben wird und so wirken muß, daß das Stroh in 4–5''' lange Stückchen zertheilt wird. Man erhält zwar die Knoten unter den Halmgliedern und diese selbst, gröbere und feinere, gemischt, aber mit einer einfachen Spreumühle lassen sich dieselben leicht sortiren, weil die Knoten als die schwereren Theile leicht zurückbleiben. Wenn man auf diese Art zwischen Knoten- und Stengelgliedern eine Trennung vorgenommen hat, so kocht man dieselben zur Entfernung aller extractiven Stoffe am besten mit Dampf aus. Die verbesserten Vorrichtungen, die zum Auskochen der Lumpen dienen, können hier vortheilhaft gebraucht werden. Man kocht so lange bis das abfließende Wasser nicht mehr extractartig braun gefärbt erscheint, das Stroh sich weich anfühlt und leicht biegen läßt. Ein zweimaliges, mehrstündiges Kochen ist hinreichend, besonders wenn man bei diesem Kochen dem Strohe circa 10 Proc. Aetzkalk zusetzt, wodurch man den vorgesteckten Zweck schneller und sicherer erreicht. Das Auskochen unter mehreren Atmosphären Druck muß auch hier ein sehr günstiges Resultat geben, wenigstens waren die Proben im Kleinen sehr befriedigend. Man kann auch das Stroh ebensowohl durch längeres Einweichen in Wasser, z.B. in gemauerten, cementirten Behältern, ausziehen; nur wird diese Art nicht in vielen Fällen anwendbar seyn, da sie bei einiger Ausdehnung der Fabrication ein ziemliches Areal in Anspruch nimmt. Man wird deßhalb meistens zum schnelleren Auskochen seine Zuflucht nehmen. Die kalkhaltige Flüssigkeit, welche nach dem Kochen von aufgelösten Stoffen dunkelbraun erscheint, läßt man vom Strohe möglichst vollständig ablausen. Auf dasselbe bringt man dann zweckmäßig in den nämlichen Kessel eine Lauge die pro 100 Pfund Stroh aus 6–8 Pfund Potasche und der doppelten Menge Aetzkalk besteht. Verarbeitet man Roggenstroh, so muß man die größere Menge, also circa 8 Proc. kohlensaures Kali nehmen, bei den weicheren Strohsorten genügt die geringere Quantität von 4–6 Pfund pro Centner. Man kocht dann die Lauge und das Stroh mehrere Stunden heftig mit einander und beendigt diese Operation, wenn sich alle Kieselsäure und ein kleberartiger Körper vollständig gelöst haben, so daß sich die Fasern des Strohs mit Leichtigkeit trennen und biegen lassen. Bei dem hohen Preise der Potasche ist diesem Verfahren der Vorwurf zu machen, daß es kostspielig sey. Man wird deßhalb sogleich daran denken, daß man die Potasche durch die billigere Soda ersetzen sollte; jedoch gelingt nach meiner Erfahrung das Auskochen mit einer Natronlauge, selbst wenn man eine größere Menge nimmt, nicht gleich gut wie bei der Kalilauge, so daß dieser immer noch der Vorzug gebührt. Von der größten Wichtigkeit für die Fabrication scheint mir aber die Thatsache zu seyn, daß unter einem Drucke von mehreren Atmosphären, selbst bei einem geringeren Kaligehalte der Flüssigkeit, das ausgekochte Stroh seine Kieselsäure und noch übrigen Bestandtheile mit Leichtigkeit an diese abgibt. Versuche im Kleinen, in zugeschmolzenen Gasröhren angestellt, gaben vorzügliche Resultate. Bei höchst geringen Mengen von Kali war die Strohfaser kieselsäurefrei, vollkommen weich und biegsam. Bei der großen Wichtigkeit, dieses Gegenstandes kann ich, da mir alle Gelegenheiten zu derartigen Versuchen im Großen abgeschnitten sind, es nur den Fabrikanten angelegentlich empfehlen, umsichtige Proben mit gespannten Dämpfen anzustellen, die, wie ich nicht zweifle, günstig ausfallen und ein nicht unbeträchtliches Ersparniß im Kostenpunkte in Aussicht stellen werden. Es scheint mir auch nicht unwahrscheinlich, daß dann eine einzige Auslochung genügt, um die Strohfaser schon fast rein zu erhalten. Das so weit vorbereitete, aber immer noch gelblich gefärbte Stroh, von dem man die Lauge möglichst entfernt und ausgewaschen hat, bringt man auf den Holländer, um es dort vollständig auszuwaschen und in Halbzeug zu verwandeln. Diesen Zeug kann man nun entweder mit gasförmigem Chlor, oder mit Chlorkalk, unterchlorigsaurem Kali oder Natron, entweder für sich allein oder noch besser in Verbindung mit Säure, oder auch bloß mit schwefliger Säure bleichen. Eine Papiermasse von ganz ausgezeichneter Weiße und seidenähnlichem Glanze erhält man aber nach folgender Methode: Den Halbzeug läßt man aus dem Holländer in hölzerne Bütten abfließen, worin man denselben mit reiner Schwefelsäure oder reiner Salzsäure schwach ansäuert. Von den beiden Säuren ist die erstere meistens in reinerem Zustande im Handel, und verdient darum den Vorzug. Auf 100 Pfd. Strohmasse sind 3–4 Pfd. englische Schwefelsäure hinreichend. Eine mehrstündige Digestion mit der Säure, die man natürlich schon verdünnt zugießen muß, ist dabei sehr rathsam, weil die Säure sich mit dem in der Faser zurückgehaltenen Wasser nur langsam mischt. Ist die Strohmasse vollständig imprägnirt, so läßt man den Ueberschuß derselben möglichst vollständig abfließen. Man kann diesen wieder aufs Neue mit Säure versetzen, um ihn zu einer nächstfolgenden Operation nochmals verwenden zu können. Auf den Zeug aber bringt man nun die Bleichflüssigkeit. Dieselbe ist eine klare Lösung von unterchlorigsaurer Magnesia, die, nach meinen Erfahrungen beim Bleichen des Strohes, alle anderen Bleichmittel übertrifft. Man bereitet sie, indem man eine klare Lösung von 1 Theil des besten Chlorkalks in 12 Theile reinen (Fluß- oder Regen-) Wassers durch eine Lösung von 2 Theilen Bittersalz (schwefelsaurer Magnesia) in ebenfalls 12 Theilen Wasser fällt. Man läßt den sich bildenden Gyps sehr gut absitzen, decantirt vorsichtig, wascht ihn dann mehrmals mit reinem Wasser aus, welches Waschwasser man zu einer neuen, aber baldigen Bereitung von Chlorkalklösung verwenden kann. Die Masse des Strohes wird in Berührung mit der Bleichflüssigkeit bald hell-rothbraun gefärbt; nach einer kurzen Zeit jedoch macht sich die Wirkung bemerklicher und nach 2 bis 3stündigem Stehen ist das Stroh vollständig gebleicht. Man läßt nun die überschüssige Bleichflüssigkeit abfließen, wascht gut aus, zerstört dann den Ueberrest des Chlors mit schwefligsaurem Natron, und wascht nochmals aus; die Papiermasse wird nun ganz zerkleinert und kann schließlich mit thierischem oder vegetabilischem Leim geleimt werden. Zum Schlüsse will ich die Bemerkung anfügen, daß mir die zweckmäßigste Art, das Eintauchen in die verdünnte Säure etc. vorzunehmen, die zu seyn scheint, daß man den Halbzeug auf Tücher in Körben von sehr dichtem Weidengeflecht ausbreitet, die man an einer beweglichen Rolle in die Höhe ziehen und so in die eine und andere Flüssigkeit bringen kann. Will man auswaschen, so braucht man nur diese Körbe in einen Strom fließenden, reinen Wassers längere Zeit unter Umrühren zu hängen.