Titel: Ueber die Empfindlichkeit des menschlichen Ohres für Höhe und Tiefe der musikalischen Töne; von F. Fessel.
Fundstelle: Band 158, Jahrgang 1860, Nr. XXXVII., S. 153
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XXXVII. Ueber die Empfindlichkeit des menschlichen Ohres für Höhe und Tiefe der musikalischen Töne; von F. Fessel. Aus Poggendorff's Annalen der Physik, 1860, Bd. CXI S. 189. Fessel, über die Empfindlichkeit des menschlichen Ohres für Höhe und Tiefe der musikalischen Töne. Das Conservatorium der Musik in Cöln hat jetzt auch die neue Pariser Stimmgabel als Normal-Gabel angenommen; und die hiesige Concertgesellschaft wird ebenfalls in den nächsten Winterconcerten die neue Stimmung einführen. Von befreundeter Hand wurde mir die von Paris bezogene Stimmgabel zur Verfügung gestellt, weil ich den Wunsch geäußert hatte, eine Gabel von der nämlichen Zuverlässigkeit zu besitzen, wie sie dem hiesigen Conservatorium zu Theil geworden ist. Bei dem Stimmen der Gabeln befolge ich immer die Scheibler'sche Methode, welche sich bis jetzt als die einzig zuverlässige bewährt hat. Bevor man die Schwebungen nach einem genauen Secundenpendel beobachtet, stimmt man die Gabeln bekanntlich vorher, so gut als möglich, nach dem Gehöre. Meine Werkzeuge und das Secundenpendel befanden sich dieß mal in verschiedenen Räumen, und es war daher natürlich, daß ich der Bequemlichkeit wegen den Versuch machte, die Gabel nach dem Gehöre fertig zu stimmen. Jedoch wollte mir dieß nicht gelingen. Als ich nun mit der größten Sorgfalt alle Nebenumstände ins Auge faßte, kam ich zu dem folgenden merkwürdigen Resultate. Ich bemerkte, daß die neue Gabel, wenn ich sie nach dem rechten Ohre gestimmt, und die Normalgabel an das linke gehalten hatte, mit der zum exacten Stimmen benutzten Gabel nach Verlauf einiger Secunden eine Schwebung zu viel machte; während sie, nach dem linken Ohre gestimmt, wobei die Normalgabel an das rechte kam, mit der nämlichen Hülfsgabel zu wenig Schwebungen gab. Die Hülfsgabel war die tiefere. Folglich höre ich mit dem rechten Ohre alle Töne etwas höher als mit dem linken. Ich habe demnächst an meinen musikalischen Freunden Beobachtungen angestellt, und bis jetzt, selbst unter den Musikern von Fach, Niemanden gefunden, dessen beide Ohren für das Taxiren der Höhe und Tiefe musikalischer Töne gleich wären. Durch fortgesetzte Uebung bin ich im Stande, durch ein einfaches Experiment zu entscheiden, welches Ohr einer Person am höchsten hört (noch bevor sie selbst sich darüber geäußert hat). Bis jetzt ist mir in dieser Beziehung noch kein Versuch mißlungen. Die betreffende Person hält in jeder Hand eine sorgfältig gestimmte Normalgabel, und führt nach dem gleichzeitigen Anschlagen abwechselnd bald die eine nach dem rechten, bald die andere nach dem linken Ohre. Ich richte mein rechtes Ohr so, daß es von den beiden zu untersuchenden Ohren gleich weit absteht, während mein linkes Ohr abgewandt und leicht mit der Hand bedeckt ist. Dasjenige Ohr, bei welchem mir die Stimmgabel höher klingt, hört auch alle Töne höher als das andere. Werden die Stimmgabeln gewechselt, so erfolgt sowohl auf Seiten des Hörers, als auf Seiten des Beobachters, genau dieselbe Erscheinung. Soweit meine jetzigen Erfahrungen reichen, hören (hier in Cöln) die meisten Leute mit dem rechten Ohre höher als mit dem linken. Die Versuche sind so schlagend, daß bis jetzt Niemand denselben widersprochen hat. Ich hatte mich dadurch vor Widerspruch gesichert, daß ich die Herren, deren Gehör ich untersuchte, vorher bat, ihr Urtheil bestimmt abzugeben, bevor ich sie damit bekannt machte, worauf es im vorliegenden Falle ankomme. Diese Vorsicht schien mir nöthig; denn man kann es wahrhaftig keinem Musiker verdenken, wenn er sich gegen die Beschuldigung sträubt, daß er mit beiden Ohren ungleich hören solle. Schließlich waren doch alle im höchsten Grade erstaunt. Der Grund des ungleichen Hörens ist wahrscheinlich der, daß der äußere Gehörgang durch jeden ins Ohr dringenden Ton nach Art der Schallröhren in Vibration gesetzt wird, und je nach seiner Beschaffenheit die Schwingungszahlen der eindringenden Töne modificirt. Unwahrscheinlicher wäre die Annahme, daß die Schallstrahlen, bevor sie zum Trommelfell gelangen, einen dünnen Ueberzug desselben durchbrechen müßten, welcher Ueberzug sich allerdings im Laufe der Zeit verändern, und dadurch die ganze Erscheinung umkehren könnte. Wie sich von selbst versteht, konnte ich bis jetzt hierüber keine Erfahrungen sammeln. Wenn beim Messen der Schwingungszahlen musikalischer Töne obiger Umstand nicht mit in Betracht gezogen worden ist, so möchten wohl hin und wieder einige bescheidene Zweifel nicht ganz ungerechtfertigt seyn. Cöln im September 1860.