Titel: | Ueber ein neues Verfahren in der Zurichtung des Leders für Handschuhmacher und andere Gewerbe; von Dr. Wilhelm v. Schwarz in Paris. |
Fundstelle: | Band 159, Jahrgang 1861, Nr. XIX., S. 69 |
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XIX.
Ueber ein neues Verfahren in der Zurichtung des
Leders für Handschuhmacher und andere Gewerbe; von Dr. Wilhelm v. Schwarz in Paris.
Aus dem württembergischen Gewerbeblatt, 1860, Nr.
52.
v. Schwarz, über ein neues Verfahren in der Zurichtung des Leders
für Handschuhmacher etc.
Jedem Fachmann ist es bekannt, daß bei der Bereitung und Zurichtung des
Ziegen-, Lamm- und Schafleders für Handschuhmacher, Buchbinder,
Portefeuille-, Ledergalanteriewaaren-Arbeiter etc. das sogenannte
Falzen, Ausschlichten oder Dolliren, d.h. das Entfernen der rauhen, überflüssigen
Fasern, Knötchen und Schorfen der Fleischseite, um dem gegerbten Felle nicht nur
eine durchaus gleichmäßige Dicke, sondern auch die für die verschiedenen Artikel
erforderliche Geschmeidigkeit zu geben, eine der wichtigsten, aber auch
schwierigsten Operationen bildet.
Die in Rede stehende Arbeit wurde bisher mit verschieden geformten, scharf
geschliffenen Messern, den sogenannten Dollirmessern, verrichtet, indem man das zu
bearbeitende Fell auf einen glatten, festen und völlig ebenen Stein, am besten eine
polirte Marmorplatte, ausspannt und jede unebene, rauhe und vorstehende Stelle der
Haut durch das möglichst flach aufgelegte, in etwas bogenförmiger Bewegung über die
rauhe Fläche geführte Messer abgleicht.
Es ist begreiflich, daß diese Arbeit eine große Uebung, eine nicht geringe manuelle
Fertigkeit und eine ununterbrochene Aufmerksamkeit von Seite des Arbeiters
erfordert. Auch geschieht es nicht selten, daß selbst der geschickteste Arbeiter bei
aller Vorsicht mit dem sehr scharfen Dollirmesser ausgleitet oder zu tief
einschneidet und ausschürft, dadurch das Fell beschädigt und somit letzteres, wenn
auch nicht ganz unbrauchbar macht, so doch wesentlich entwerthet.
Dieser Umstand, vereint mit den vielfältigen Klagen der französischen
Handschuhfabrikanten über den immer fühlbarer hervortretenden Mangel an tüchtigen
Arbeitern, über die dadurch stetig steigenden und zu den Leistungen in keinem
Verhältnisse stehenden Lohnforderungen derselben, sowie über die daraus
resultirende, den Geschäftsgang vielseitig und empfindlich störende Abhängigkeit der
Arbeitsgeber von den Launen der Arbeitsnehmer haben den als Autorität im Fache der
Spinnerei und Weberei rühmlichst bekannten Professor am hiesigen Conservatoire des arts et métiers, Hrn. Alcan, zu der Idee geführt, ob es nicht möglich wäre, die
bisherige Arbeitsmethode zu umgehen und das Dolliren des Handschuhleders auf
mechanischem Wege durch Maschinen zu bewerkstelligen.
Nachdem Prof. Alcan zunächst versucht hatte, das Princip,
welches den in Baumwoll- und Schafwoll-Manufacturen benützten
Cylinder-Schermaschinen von Lewis und Davis zu Grunde liegt, auf die Zurichtung des
Handschuhleders zu übertragen, gelangte er im Laufe seiner unermüdet fortgesetzten
Forschungen zu der Ueberzeugung, daß das gesuchte Ziel mit Sicherheit und Vortheil
nur durch eine Art Abreiben oder Abschleifen der Felle sich erreichen läßt.
Wie es oft im gewerblichen Leben zu geschehen pflegt, daß eine und dieselbe Idee
gleichzeitig von mehreren Seiten aufgegriffen und verfolgt wird, so trat auch hier
der Fall ein, daß ein Pariser Appreteur, Hr. Chouillon,
mit derselben Aufgabe sich beschäftigend, zu den ganz gleichen Resultaten wie Prof.
Alcan gelangte.
Beide Herren haben diesemnach in Folge eines gemeinschaftlichen Uebereinkommens die
Früchte ihres Strebens vereinigt, ihre beiderseitig genommenen Erfindungspatente
fusionirt und nunmehr die Industrie mit einer neuen Arbeitsmethode bereichert, die
ebenso sinnreich als einfach genannt werden muß.
Dieselbe beruht wesentlich auf der Anwendung eines rauhen, an seinen beiden Enden
conisch zulaufenden und abgeplatteten Steincylinders, welcher auf eine
schmiedeeiserne Achse aufgeschoben ist und in rotirende Bewegung gesetzt wird. Diese
Achse ruht auf gußeisernen Ständern, welche mittelst starker Schrauben auf dem
Fußboden befestigt werden. Diese Ständer sind durch schmiedeeiserne Querschienen verbunden, welche
gleichzeitig zur Stütze und Befestigung einer senkrecht vor dem Cylinder in die Höhe
steigenden Holztafel, einem sogenannten „Brustbrete,“ wie bei
Drehbänken dienen.
Der Arbeiter legt nun das zu dollirende LederUm das Fell geschmeidig zu erhalten, wird dasselbe vorher einige Zeit in
angefeuchtete Sägespäne eingelegt; ein weit
besseres und zweckmäßigeres Verfahren, als das bisher im Gebrauche stehende
Einschlagen der Felle in nasse Tücher.A. d. Verfasser. über den Cylinder, indem er gleichzeitig ein Ende des Felles mit dem Leibe
gegen das Bret drückt und auf diese Weise einklemmt und festhält.
Nachdem er das Fell über den rotirenden Cylinder mit der linken Hand glatt
ausgebreitet, drückt und streicht er gleichzeitig mit der rechten Hand über
diejenigen Stellen des Felles, welche dünner gemacht werden sollen.
Die rauhe körnige Fläche des Cylinders reibt und schleift nun durch die schnelle
Rotation die auszuschürfenden Stellen des Leders in dem Maaße mehr oder weniger ab,
als der Arbeiter mit der rechten Hand einen größeren oder geringeren Druck auf das
Fell ausübt.
Den wesentlichsten Theil des neuen Verfahrens bildet die Masse, aus welcher der
abreibende und abschleifende Cylinder geformt wird. Die HHrn. Alcan und Chouillon hatten zuerst Walzen aus
möglichst homogenen natürlichen Gesteinen, wie kalk- und thonfreiem
Sandstein, Porphyr, Quarz, Granit, schlackigem Basalt u.s.w. mit entsprechend
geschärfter, d.h. abgemeißelter Oberfläche versucht, im Verfolge ihrer Arbeiten aber
gefunden, daß künstliche, d.h. aus Mineralien mit Zerstörung ihrer natürlichen
Cohäsionsverhältnisse bereitete und mit anderen Substanzen gemischte Massen aus dem
Grunde weit bessere Dienste leisten, weil die Herstellung der auf künstlichem Wege
nachgeahmten natürlichen festen Massen, nicht nur bedeutend billiger ist, sondern
der Fabrikant es auch vollkommen in seiner Macht hat, eine gleichförmige Structur
und Härte und je nach Bedürfniß ein gröberes oder feineres Korn zu gewinnen.
Die HHrn. Alcan und Chouillon
erzeugen ihre Walzen demnach auf die jedem Techniker bekannte Weise durch innige
Vermengung von Kaolin (Porzellanerde) mit Feldspath, Quarz, gestoßenem Glas,
Bimsstein und Porzellanthon, dann etwas Eisenoxyd, und leichtes Brennen der aus
diesem Gemenge geformten Cylinder in Töpfer- oder Steingutöfen.
Die Vortheile der neuen Dollirmethode bestehen in der Erzielung einer billigeren
Arbeit, deren Ziffer nach der verschiedenen Höhe des Arbeitslohnes und den Kosten der bewegenden
Kraft wechselt; vorzugsweise aber in der Herstellung eines besseren, stets
schnittfreien und gleichförmigen Productes, indem manche Felle mehr geschont, andere
durch die ermöglichte Darstellung einer größeren Feinheit einen höheren Werth
erlangen. Endlich werden die selbst dem geübtesten und geschicktesten Arbeiter bei
der gegenwärtigen Zurüstung mit dem Dollirmesser nicht selten begegnenden
Beschädigungen und Entwerthungen des Felles durch Schnitte und Löcher gänzlich
vermieden.
Die neue Arbeitsmethode ist ferner leicht zu erlernen, und jeder im Falzen,
Ausschlichten und Dolliren des Leders ganz unerfahrene Arbeiter kann sich dieselbe
in vierzehn Tagen vollkommen aneignen, während das gegenwärtige Verfahren eine lange
Lehrzeit bedingt und die Zahl tüchtiger und gewandter Arbeiter demungeachtet eine
sehr beschränkte bleibt.
Hier in Paris werden zum Dolliren des Handschuhleders nach dem Alcan- und Chouillon'schen Systeme
ausschließlich nur Mädchen und Frauen verwendet, und dasselbe hat sich aus diesem
Grunde auch in überraschend kurzer Zeit in den vorzüglichsten Handschuhfabriken der
französischen Hauptstadt Bahn gebrochen.
Es sind nämlich gegenwärtig in den Etablissements der HHrn.:
Alexandre, 75 Rue Rochechuart
18
Maschinen
(bezgsw. Walzen)
Ernest Compère und Dufort
(Marque: Bajou) 21 Rue St. Louis
Grenelle
8
„
Ph. Courvoisier, 5 Rue de Val. S. Mancel
3
„
Emile Bertin, 40 Rue de la Chaussée d'Antin
2
„
Progean, 48 Rue de Bondy
2
„
mit bewährtem Erfolge in Anwendung.
Eine große Zahl anderer Pariser Fabrikanten hätte das neue System ebenfalls bereits
adoptirt, wenn nicht der Mangel an bewegender Kraft dieser Absicht bisher hindernd
entgegengestanden wäre. Doch wird durch die in den Pariser Gewerben immer mehr
Wurzel fassende Lenoir'sche Gasmaschine dieses Hemmniß
baldigst gehoben seyn.
Inzwischen lassen viele Handschuhfabrikanten ihre Felle in dem 298 Quai Jemappes befindlichen Atelier der HHrn. Chouillon und Jäger (Professor
Alcan hat kürzlich seinen Antheil an der Erfindung an
den eben Genannten abgetreten) dolliren, wo vier Maschinen (Walzen) stetig im Gange
sind, um die Vortheile des neuen Systems denjenigen Fabrikanten, welche dasselbe zu
adoptiren Willens seyn sollten, erläutern und darlegen zu können.
Außer den Vorgenannten hat auch der Leder-Appreteur Hr. Brucelin in der unmittelbaren Umgebung von Paris zu Gentilly (im Departement de la Seine, Arrondissement de Sceaux), 14 Rue de la Gracière, 12 Walzen im Betriebe, auf
welchen schwerere Felle, namentlich in Sumach gegerbte Ziegen- und
Schaffelle, Saffiane, Maroquins, dann Hammel- und Kalbfelle in Lohe gegerbt, für verschiedene, derlei Leder
verarbeitende Gewerbe gefalzt oder geschlichtet werden. Zu diesen schwereren Fellen
werden Cylinder von gröberem Korne bei größerer Rotirungsgeschwindigkeit
verwendet.
Endlich sind noch in Grenoble im Departement de
l'Isère und in Millau im Departement d'Aveyron,
nach Paris den bedeutendsten Orten Frankreichs für die Handschuhfabrication –
in Grenoble werden allein jährlich 1 1/2 Millionen rohe Zickelfelle zu
Handschuhleder verarbeitet – eigene Ateliers zum Dolliren des Handschuhleders
nach dem Systeme Alcan's und Chouillons eingerichtet worden, welche binnen Kurzem noch weiterer
Ausdehnung zugeführt werden sollen.
Was nun die Kosten der neuen Arbeitsmethode betrifft, so stellen sich diese per Walze hier in Paris wie folgt:
Ein Stein-Cylinder
1 Fr. – C. per Tag
Dampfkraft
1 Fr. – C.
„ „
Arbeitslohn
2 Fr. 50 C. „
„
––––––––––––––––
4 Fr. 50 C. „
„
Da nun ein Mädchen mit einer Maschine (einem Cylinder) per Tag in zwölf Arbeitsstunden
7 – 8
Dutzend
Ziegenfelle
für Herrenhandschuhe,
12 – 14
„
„
„ Damenhandschuhe
je nach Größe und Stärke der Felle dollirt, ein geübter
Arbeiter bei der bisherigen Verfahrungsweise mit dem Dollirmesser 70 Centimes per Dutzend Ziegenfelle für Damenhandschuhe und 85
Centimes per Dutzend Felle für Männerhandschuhe an
Arbeitslohn erhält, und nur besonders fleißige und geübte, daher sehr wenige
Arbeiter in der Productionsmenge den obigen Ziffern sich nähern, so ist es
begreiflich, daß das neue System immer größere Verbreitung findet.
Für das Dolliren von besonders starken und großen Lammfellen wird 1 Frank 50 Cent.
per Dutzend bezahlt, und ein Mädchen kann bei dem
neuen System 6 Dutzend per Tag ausschlichten.
Die künstliche Steinmasse, aus welcher die Cylinder geformt werden, reibt sich bei
der Arbeit nach und nach ab, und die Erfahrungen, welche in den Pariser Fabriken in
den letztverflossenen zwölf Monaten, während welcher das neue System in Anwendung
steht, gemacht worden sind, lehren, daß ein Cylinder bei täglicher zwölfstündiger
Arbeit sechs Monate benützt werden kann und somit alle
halbe Jahre durch einen neuen ersetzt werden muß.
Die HHrn. Chouillon und Jäger
haben nun den Anschaffungspreis für Frankreich auf 300 Franken per Cylinder und per Jahr
gestellt, wofür sie zwei Cylinder liefern. Aus diesem Preise erklärt sich in der
obenstehenden Kostenberechnung die Annahme von 1 Frank per Tag.
Die drei gußeisernen Ständer für zwei Cylinder kosten hier in Paris mit Querschienen,
Schrauben u.s.w. 350 Franken, in Brüssel nur 275 Fr. und können nach Plan von jedem
Mechaniker aufgestellt werden.
Jeder Cylinder wiegt 60–65 Kilogramme und macht je nach Bedarf, d. i. je nach
der Qualität des zu dollirenden Leders, 3–400 Umdrehungen per Minute. Der Betrieb erfordert ungefähr 1/4
Pferdekraft per Cylinder.
Die HHrn. Chouillon und Jäger
haben bisher außer in Frankreich bereits nach Belgien und England Apparate
abgeliefert; nach Deutschland wurden noch keine gesendet, doch sind die eben
Genannten gerne bereit, solche zu dem Preise von 240 Franken per Cylinder und per Jahr oder zu 120 Fr. für
eine einzelne Walze frei ab loco Paris an deutsche
Industrielle abzugeben.
Auch sind sie erbötig, Musterfelle zu bearbeiten, im Falle man wünschen sollte, den
Effect auf irgend einer speciellen Sorte von Fellen zu ersehen. Alle dießfälligen
Briefe und Anfragen wären an das Pariser Comptoir der HHrn. Chouillon und Jäger, 17 Rue de la grange Batélière zu richten.
Schließlich sey noch bemerkt, daß das bisherige sogenannte Ponciren des Leders, d.h.
das Abreiben der Felle mit Bimsstein, um demselben eine egale, dehnbare, milde und
sanft anzufühlende Oberfläche zu geben, wie dieß bei allen sämischgaren Fellen,
Castor, Waschleder, Wildbüffel-, Rennthier- und Rehleder, sowie bei
dem sogenannten dänischen (mit Weidenrinde bereiteten lohgaren Leder), dann dem
sogenannten schwedischen Leder, d.h. weißgegerbten Ziegen- und Lammfellen zu
Handschuhen, wobei die Fleischseite nach Außen getragen wird, stattfindet, durch das
vorstehend geschilderte neue Verfahren mit besonderem Vortheile bewerkstelligt
wird.
Der Unterschied zwischen einem auf der Walze und einem auf dem alten Wege mit
Bimsstein poncirten Leder ist so augenfällig, daß kein Fabrikant mehr den letzteren
betreten wird. Auch lassen bereits viele Pariser Fabrikanten ihr ganz fertiges
Waschleder nochmals in dem Atelier der HHrn. Chouillon
und Jäger ponciren, wodurch die Felle einen höheren Werth
erlangen. Die Erfinder nennen ihre Walzen-Vorrichtungen daher auch mit vollem
Rechte: Machines à doller, drayer et poncer les peaux
et cuirs.