Titel: | Ueber die Darstellung des neutralen schwefligsauren Kalkes und dessen Anwendung; von E. F. Anthon, technischem Chemiker in Prag. |
Fundstelle: | Band 159, Jahrgang 1861, Nr. XXXIX., S. 137 |
Download: | XML |
XXXIX.
Ueber die Darstellung des neutralen
schwefligsauren Kalkes und dessen Anwendung; von E. F. Anthon, technischem Chemiker in
Prag.
Aus dem österreichischen Gewerbeblatt, 1860, Nr.
1.
Anthon, über die Darstellung des neutralen schwefligsauren Kalkes
und dessen Anwendung.
Die beiden praktisch besonders wichtigen Eigenschaften der schwefligen Säure bestehen
in der Fähigkeit, einerseits „Farbstoffe zu zerstören,“
andererseits „organische Stoffe vor Verwesung zu schützen.“
Diese beiden, sowie verschiedene andere Eigenschaften der schwefligen Säure sind im
Gebiete der
Industrie und Landwirthschaft noch lange nicht in dem Grade dem praktischen Leben
dienstbar gemacht worden, als sie es verdienen. Der Grund hiervon liegt unverkennbar
darin, daß einerseits die gewöhnliche Darstellung dieser Säure sehr belästigend ist,
andererseits aber die chemischen Fabriken die schweflige Säure bis jetzt noch nicht
in einem solchen Zustande in den Handel gesetzt haben, daß das Product Haltbarkeit,
leichte Transportfähigkeit und billigen Preis vereinigte. Der Zweck dieser
Mittheilung besteht nun darin, eine Verbindung vorzuschlagen, welche vollkommen dazu
geeignet ist und es in hohem Grade verdient, ein chemisches Product des Handels zu
werden.
Es ist dieß der einfach-schwefligsaure Kalk, welcher nach den neueren
Untersuchungen von Rammelsberg und Muspratt folgende Zusammensetzung hat:
in 100 Theilen
1 Aeq. Kalk
28
35,90
1
„ schweflige Säure
32
41,03
2
„ Wasser
18
23,07
–––––––––––––––––
78
100,00.
Was nun die Darstellung dieses Salzes betrifft, welches sich wesentlich von dem
seither hier und da schon erzeugten sauren schwefligsauren Kalke unterscheidet, so
ist diese eine höchst einfache und kann in den meisten Fällen mit denselben
Vorrichtungen ausgeführt werden, mit denen der trockene Chlorkalk hergestellt wird.
Man leitet die gasförmige schweflige Säure in oder über pulverförmiges Kalkhydrat,
welches man, auf Hürden flach (1 bis 2 Zoll hoch) ausgebreitet, in verschließbaren
Kammern aufgestellt hat, oder welches sich in hölzernen tonnenartigen und um ihre
Achse sich drehenden Gefäßen befindet, in welchem letzteren Falle, wegen steter
Erneuerung der Berührungsflächen, die Absorption der schwefligen Säure natürlich
eine raschere ist.
Die anzuwendende schweflige Säure braucht man nur in seltenen Fällen und zwar nur
dann zu waschen, wenn sie mit Schwefelsäure oder anderen stärkeren Säuren
verunreinigt ist, während ein Gehalt an Kohlensäure nicht schadet. Die schweflige
Säure kann je nach den örtlichen Verhältnissen durch Verbrennen von Schwefel oder
Schwefelkies oder aus Schwefelsäure und Schwefel nach dem vom Verf. angegebenen
Verfahren (polytechn. Journal Bd. CL S. 379)
erzeugt werden.
Die Anwendung eines ganz frisch gebrannten Kalkes ist nicht durchaus nothwendig, da
es nichts zu sagen hat, wenn derselbe bereits etwas Kohlensäure angezogen, indem
diese von der stärkeren schwefligen Säure vollständig wieder ausgetrieben wird.
Nichtsdestoweniger ist es besser, frischgebrannten Kalk anzuwenden, weil die zum Löschen des
Kalkes anzuwendende Wassermenge und daher ihre rasche Bestimmung im vorliegenden
Falle von Wichtigkeit ist. Gewöhnliches Kalkhydrat (CaO, HO) nimmt nur so viel
schweflige Säure auf, daß 1 Aeq. derselben auf 2 Aeq. Kalk kommt, so daß das Product
eine Mischung von neutralem schwefligsauren Kalk und freiem Kalk oder vielleicht ein
basisch- oder halbschwefligsaurer Kalk ist. Der Grund dieses Verhaltens liegt
darin, daß der schwefligsaure Kalk 2 Aeq. Wasser enthält, welche eine wesentliche
Bedingung seiner Existenz sind. Es muß sonach denn auch der zur Darstellung des
schwefligsauren Kalkes zu verwendende Kalk mit so viel Wasser abgelöscht werden, daß
dieses Verhältniß hergestellt wird. Man muß nämlich 28 Gewichtstheilen reinem Kalke
18 Gewichtstheile Wasser zuführen. Zu viel Wasser ist aber auch zu vermeiden, weil
dieses ein feuchtes Präparat zur Folge hätte, welches man entweder in diesem
fehlerhaften Zustande verpacken oder vor der Verpackung einer Trocknung unterwerfen
müßte, was nicht nur Zeit erfordern und Kosten verursachen, sondern auch nachtheilig
auf die Qualität des Productes einwirken würde, während bei Anwendung der
vorgeschriebenen Wassermenge dasselbe so trocken aus dem Apparate kommt, daß man es
sogleich verpacken kann. Selbstverständlich hat man das Löschen so vorzunehmen, daß
sich dabei keine erhebliche Menge Wasser verflüchtigt, oder zum Löschen um so viel
mehr Wasser anzuwenden, als sich dabei verflüchtigt. Ehe man den gelöschten Kalk der
Wirkung der schwefligen Säure aussetzt, hat man denselben zu sieben.
Die Sättigung des Kalkes geht mehr oder minder rasch von Statten, je nach der Höhe,
welche man den Kalkschichten gibt, oder je nachdem man diese ruhig liegen läßt, oder
zuweilen umrührt, oder den Kalk in anderer Weise in Bewegung erhält. In der Regel
ist die Sättigung in 4 bis 8 Stunden vollendet, man kann sonach täglich in einem und
demselben Absorptionsgefäße zwei- bis dreimal neue Kalkmengen der Sättigung
unterwerfen.
Die voranschreitende Sättigung des Kalkes mit der schwefligen Säure erkennt man nicht
nur daran, daß die weiße Farbe des Kalkhydrates in eine blaßgelbe übergeht und diese
bis zur vollständigen Sättigung zunimmt, sondern auch an der durch die Absorption
bedingten Wärmeentwickelung. Endlich kann man die vollendete Sättigung auch noch
daran erkennen, daß man eine kleine Probe nimmt und in einer Glasflasche heftig und
anhaltend durch einander schüttelt, wodurch der Geruch nach schwefliger Säure, den
die Probe besitzt, wenn man sie aus dem Apparate nimmt, so lange verschwindet, als
noch keine vollständige Sättigung eingetreten ist. Wendet man bei der Sättigung
schweflige Säure an, welche Kohlensäure enthält, so wird nicht nur die schweflige Säure, sondern
auch die Kohlensäure vom Kalke absorbirt, jedoch nur so lange, als noch freier Kalk
vorhanden ist. Sobald aber aller freie Kalk gesättigt ist, beginnt die weiter
zugeleitete schweflige Säure die absorbirte Kohlensäure auszutreiben, was so lange
fortdauert, bis alle Kohlensäure beseitigt und der Rückstand reiner schwefligsaurer
Kalk ist.
So lange freier Kalk im Apparate vorhanden, findet in Folge der großen
Absorptionsfähigkeit desselben Luftverdünnung, nach beendigter Sättigung desselben
aber eine Luftverdichtung (daher ein Streben aus dem Apparate herauszublasen) statt.
Letzteres jedoch besonders dann, wenn man kohlensäurehaltige schweflige Säure oder
solches Kalkhydrat angewendet hat, welches aus der Atmosphäre bereits Kohlensäure
angezogen. Diese Erscheinung muß man aus dem Grunde berücksichtigen, weil man sich
sonst sehr leicht veranlaßt sehen könnte, den Proceß als beendigt zu betrachten,
wenn der Apparat auszublasen beginnt.
Sobald nun der oben bezeichnete Zeitpunkt eingetreten, ist das Product fertig und
soll nun aus dem Apparate genommen und sogleich in gut gedichtete und trockene
Fässer verpackt werden.
Die Ausbeute stellt sich derart heraus, daß man aus 100 Pfd. frisch gebrannten Kalkes
(in noch ungelöschtem Zustande gewogen) gegen 275 Pfd. fertiges pulverförmiges
trockenes Product erhält.
Was nun die. Anwendung des schwefligsauren Kalkes betrifft, so ist zu bemerken, daß
derselbe für sich nicht die Wirkung der schwefligen Säure besitzt, letztere daher
erst aus dieser Verbindung frei gemacht werden muß, was entweder durch Schwefelsäure
oder durch Salzsäure geschieht. Erstere wählt man, wenn es sich darum handelt, eine
reine flüssige schweflige Säure zu erhalten. Man bringt zu diesem Behufe den
schwefligsauren Kalk in gut zertheiltem Zustande mit der erforderlichen Wassermenge
zusammen und setzt dann unter stetem Umrühren und bei möglichst niedriger Temperatur
und ganz allmählich die zur Zersetzung nothwendige, mit der vier- bis
sechsfachen Menge Wasser verdünnte und wieder erkaltete Schwefelsäure hinzu. Der
sich abscheidende Gyps wird durch Decantiren oder Filtriren abgesondert. Noch
einfacher ist die Anwendung der verdünnten Salzsäure zur Zersetzung des
schwefligsauren Kalkes, welche jedoch nur in jenen Fällen gewählt werden darf, in
welchen die Gegenwart von salzsaurem Kalke in der flüssigen schwefligen Säure nicht
schadet.
Bezüglich der nöthigen Menge von Schwefelsäure oder von Salzsäure zur Zersetzung des
schwefligsauren Kalkes hat man zu berücksichtigen, daß zur Zersetzung von 1 Aeq. (78
Gewichtstheilen) schwefligsauren Kalkes 1 Aeq. (49 Gewichtstheile) concentrirter Schwefelsäure
oder statt dieser 1 Aeq. (36,4 Gewichtstheile) wasserfreie Salzsäure nothwendig
sind, welche letztere z.B. in nahe 98 Gewichtstheilen Salzsäure von 1,182 spec.
Gewichte enthalten sind. Weiter hat man zu beachten, daß die höchste Dichte, welche
die flüssige schweflige Säure bei gewöhnlicher Temperatur und gewöhnlichem
Atmosphärendrucke zu erlangen vermag, beiläufig nur 6° B. (nach des Verf's.
Ermittelung 1,046 bei 12° R.) beträgt, daß also auf eine bestimmte Menge
Wasser niemals mehr schwefligsaurer Kalk genommen werden darf, als nothwendig ist,
um eine flüssige schweflige Säure von jenem Gehalte zu erzielen, welcher der
bemerkten Dichte entspricht.
Da bis jetzt keine Untersuchungen über den Gehalt der flüssigen schwefligen Säure bei
verschiedenen Dichtigkeitsgraden veröffentlicht worden sind, so sah der Verf. sich
veranlaßt, diese Lücke zu ergänzen, und zu diesem Behufe eine Versuchsreihe
durchzuführen, deren Resultate in folgenden Zahlen zusammengestellt sind.
A. Dichte der flüssigen schwefl.
Säure. B. wasserfreie schwefl. Säure.
A.
B.
1,046
9,54 Proc.
1,036
8,59 „
1,031
7,63 „
1,027
6,68 „
1,023
5,72 „
1,020
4,77 „
1,016
3,82 „
1,013
2,86 „
1,009
1,90 „
1,005
0,95 „
Zur weiteren Erleichterung der Anwendung des schwefligsauren Kalkes hat der Verf.
noch folgende Tabellen entworfen, aus welchen ohne weitere Berechnung ersichtlich
ist, wie viel Wasser, schwefligsaurer Kalk und Schwefelsäure oder Salzsäure
nothwendig ist, um flüssige schweflige Säure von beliebiger Stärke (von einem
Gehalte von 1–9 Proc.) herzustellen, wobei es sich von selbst versteht, daß
in den angegebenen Wassermengen auch jene mit inbegriffen ist, mit welcher man die
Schwefelsäure vor dem Zusatze zum schwefligsauren Kalke zu verdünnen hat.
A. Bereitung der schwefligen Säure aus schwefligsaurem
Kalke und Schwefelsäure. Zu 100 Pfd. flüssiger schwefliger Säure sind erforderlich
(in abgerundeten Zahlen):
Schwefl. Säure Proc.
Wasser
schwefligsaurer Kalk
concentrirte Schwefelsäure
1
98 3/4 Pfd.
2
7/16 Pfd.
1 17/32 Pfd.
2
97 1/2 „
4
7/8 „
3 1/16 „
3
96 1/8 „
7
5/16 „
14 19/32 „
4
94 7/8 „
9
3/4 „
6 1/8 „
5
93 5/8 „
12
3/16 „
7 21/32 „
6
92 3/8 „
14
5/8 „
9 3/16 „
7
91 „
17
1/16 „
10 23/32 „
8
89 3/4 „
19
1/2 „
12 1/4 „
9
88 1/2 „
21
15/16 „
13 25/32 „
B. Bereitung der schwefligen Säure aus schwefligsaurem
Kalke und Salzsäure von 22–23° B.
Schwefl. Säure Proc.
Wasser
schwefligs. Kalk
Salzsäure
1
94 1/2 Pfd.
2 7/16 Pfd.
3 1/16 Pfd.
2
89
„
4 7/8
„
6 1/8 „
3
83 1/2 „
7 5/16 „
9 3/16 „
4
78
„
9 3/4
„
12 1/4 „
5
72 1/2 „
12 3/16 „
15 5/16 „
6
67
„
14 5/8 „
18 3/8 „
7
61 1/2 „
17 1/16 „
21 7/16 „
8
56
„
19 1/2 „
24 1/2 „
9
50 8/10 „
21 15/16 „
29 9/16 „
Ueber die Vortheile, welche die Anwendung des schwefligsauren Kalkes gewährt, bemerkt
der Verf. noch Folgendes:
1) Die Anwendung des neutralen schwefligsauren Kalkes ist viel ökonomischer, als jene
des bisher zuweilen angewendeten sauren schwefligsauren Kalkes, weil bei der Art,
wie der letztere bis jetzt angewendet worden ist, im günstigsten Falle nur die
Hälfte der schwefligen Säure zur Ausnutzung kam.
2) Der schwefligsaure Kalk erleichtert in hohem Grade die Anwendung der flüssigen
schwefligen Säure, welche vor der Anwendung dieser Säure im gasförmigen Zustande so
wesentliche Vorzüge voraus hat, da durch jene die kostspieligen Einrichtungen für
die letztere entbehrlich werden, dann großen Verlusten an schwefliger Säure und den
Belästigungen der Arbeiter und der Nachbarschaft, die ein stetes Gefolge bei der
Benutzung der gasförmigen Säure sind, vorgebeugt und endlich eine gleichförmige
Wirkung der Säure erzielt wird.
3) Der schwefligsaure Kalk ist aber nicht allein zur Darstellung der flüssigen
schwefligen Säure ein sehr passendes Material, sondern auch zur Darstellung dieser
Säure im gasförmigen und festen (krystallisirten) Zustande, und zwar auf kaltem
Wege.