Titel: | Ueber eine neue Einrichtung des Jacquard-Webstuhls; vom Oberlehrer Seydel an der höheren Webschule in Glauchau. |
Fundstelle: | Band 159, Jahrgang 1861, Nr. XCII., S. 330 |
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XCII.
Ueber eine neue Einrichtung des
Jacquard-Webstuhls; vom Oberlehrer Seydel an der höheren Webschule in
Glauchau.
Aus den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins,
1860 S. 316.
Mit Abbildungen auf Tab.
VI.
Seydel, über eine neue Einrichtung des
Jacquard-Webstuhls.
Bei einem Jacquard-Webstuhl erfolgt bekanntlich die Fachbildung, die in dem
Heben der Kettfäden aus dem Unterfach in das Oberfach besteht, durch das Heben der
Platinen der Maschine; um nun nach geschehenem Einlegen des Schußfadens in dasselbe,
das zum Uebergang zu dem nächsten Fach erforderliche Niederfallen der Platinen zu
bewirken, wird jede derselben durch ein Gewicht beschwert.
Da aber nicht nur die Platinen, sondern auch die Harnischschnüre sammt den daran
hängenden Litzen nach geschehener Hebung sich selbst überlassen sind, so werden
diese Gewichte, um zu gleicher Zeit auch die Harnischschnüre und Litzen mit
herabzuziehen und dieselben außerdem stets gleichmäßig straff zu erhalten, in der
Weise angebracht, daß jede einzelne Litze durch ein besonderes Gewicht beschwert
wird.
Diese Gewichte sind entweder aus Blei- oder Eisendraht (Bleie, Eisen)
gefertigt, oder bestehen aus gebrannten, eigens dazu geformten Thonröhrchen
(Pfeifenröhrchen).
Die Schwere dieser Gewichte ist verschieden und richtet sich ganz nach dem zu
erzeugenden Stoffe, so daß ein einzelnes Gewicht 1/4 Loth bis 2 Loth Schwere haben
kann; nur kommt bei sehr schmalen Vorrichtungen (schmalen Stoffen) mit in Betracht,
daß zum gehörigen Niederfallen der Platinen allein ein 2 Loth, unter Umständen auch
3 Loth schweres Gewicht erforderlich ist.
Die Anwendung dieser Gewichte zu verdrängen und an Stelle derselben, also an Stelle
der Schwerkraft, die Spannkraft wirken zu lassen, wurde schon verschiedenemale versucht. Nach
einer vor einigen Jahren bekannt gewordenen Erfindung wurde an Stelle dieser
Gewichte in das untere Ende jeder einzelnen Litze ein Kautschukfaden geknüpft, der
dann in ein, ungefähr 24–30 Zoll unter dem Chorbret angebrachtes zweites Chorbret eingezogen und
daran befestigt war, oder auch an eiserne Stäbchen gebunden wurde, die in derselben
Entfernung vom gewöhnlichen Chorbret mit demselben parallel liefen. – Beim
Heben der Platinen gaben diese Kautschukfäden selbstverständlich nach und zogen,
sobald die Hebung der ersteren nachgelassen, vermöge ihrer Elasticität die Litzen
und Harnischschnüre sowie die Platinen wieder zurück.
Da die Spannkräfte aber bei fortgesetztem Gebrauch zu leicht entgehen und sich
dieselben daher als unbeständig erweisen, so hatte sich auch diese Erfindung nicht
als praktisch bewährt und daher keine weitere Verbreitung gefunden; man hat der
Spannkraft stets die Schwerkraft vorgezogen und sie auch stets in Anwendung
gebracht.
Bei der gewöhnlichen Vorrichtung des Jacquard-Webstuhls richtet sich, wie
schon erwähnt, die Schwere eines jeden einzelnen Gewichtes immer nach dem zu
erzeugenden Stoffe, und man hat vorzüglich etwas schwerere Gewichte für solche
Stoffe anzuwenden, die eine reine Theilung der Kettfäden ganz besonders erfordern,
wie z.B. leinwandbindige Stoffe u.s.w.; ebensowohl aber auch für Stoffe mit dichtem
Kettstand, wo durch das Gedrängtseyn der Kettfäden und Litzen, wie durch die etwa
vorhandene faserige Eigenschaft des angewandten Kettenmaterials, sehr leicht
fehlerhafte Stellen in der Ware vorkommen können.
Zur Vermeidung dieses Uebelstandes hat nun eben die besondere Schwere der Gewichte
die Bestimmung: das erforderliche Strafferhalten der Litzen und Harnischschnüre zu
bewirken, um dadurch dem Anhängen der für das Unterfach
bestimmten Kettfäden und Litzen an die gehobenen
hindernd in den Weg zu treten.
Es hat sich nun aber erwiesen, daß bei besonderen Stoffen selbst ziemlich schwere
Gewichte nicht ausreichend sind, diese unangenehmen Vorkommnisse zu beseitigen; man
ist dadurch auf den Gedanken gekommen, die Schwerkraft so anzuordnen, daß eine jede
Litze, die nicht direct zum Heben bestimmt ist, genöthigt wird, unbedingt in der
gehörigen Lage zu bleiben und zwar dadurch, daß auf eine solche Litze, die etwa
durch den Nachbarfaden oder durch die Nachbarlitze mit gehoben wurde, ohne daß sie
gehoben werden sollte, ein 3 bis 5 Loth schweres Gewicht wirkt. Dieses schwerere
Gewicht wirkt nun allerdings bei dieser Einrichtung nur in solchen oder ähnlichen
Fällen mit seiner ganzen Schwere auf eine einzelne Litze, während es für gewöhnlich
seine Schwere auf mehrere Litzen zugleich äußert.
Das Eigenthümliche dieser Erfindung besteht sonach in der besondern Verwendung der
Gewichte und zwar der Hauptsache nach darin, daß alle die Litzen, die ein und
dieselbe Platine hebt, auch durch ein und dasselbe Gewicht niedergezogen und
gesträfft werden. Die Einrichtung selbst, durch Fig. 17–20
verdeutlicht, ist folgende.
Nach vollendetem Einziehen der Harnischschnüre a, Fig. 17, in
das Chorbret b (dem Eingalliren) und dem Anhängen der
Litzen c an diese Harnischschnüre (dem Egalisiren)
schlingt man in das untere Ende d jeder Litze eine
Harnischschnur e, zieht diese dann ganz in derselben
Weise in ein zweites Chorbret f, wie die oberen
Harnischschnüre a in das Chorbret b eingezogen sind. Dieses zweite Chorbret f
befestigt man im Stuhle parallel unter dem obern Chorbrete a und zwar so, daß es 1 bis 1 1/2 Zoll unter der Verbindung der Litze mit
der Harnischschnur e, bei 6 Zoll langer Unterlitze
demnach 7 bis 8 Zoll unter dem Fadenauge g der Litzen zu
liegen kommt und somit ungefähr 20 Zoll vom Chorbret a
entfernt ist.
Dieses niedere Chorbret ist nun, um die Reibung zu vermindern, so construirt, daß es,
aus einem Rahmen bestehend, mittelst der in demselben befestigten parallelen
Längen- und Querdrähte die Beschaffenheit eines Gitters erhält, wobei die
Vierecke, die von den sich kreuzenden Drähten gebildet werden, die Stelle der
gebohrten Löcher eines hölzernen Chorbrets vertreten. Gewöhnlich verwendet man dazu
ein passendes Drahtgewebe – Drahtsieb – Drahtnetz.
Ist nun dieses zweite Eingalliren erfolgt und das Chorbret in gehörige Lage gebracht,
so vereinigt man die unteren Harnischschnüre mit den Gewichten h, und zwar so, daß alle
diejenigen Schnüre, deren Litzen niemals anders als gemeinschaftlich
gehoben werden, die also ihre Bewegung durch ein und dieselbe Platine erhalten, zusammen an ein Gewicht
kommen. Hätte man 10 Muster (Rapporte) über die Breite der Waare, so kämen an jedes
Gewicht 10 Schnüre und es folgt hieraus, daß man demnach bei einer angewandten 400r
Jacquardmaschine (Maschine mit 400 Platinen) nur 400 Gewichte gebraucht, und bei
einer 6- oder 800r nur 6 oder 800 Gewichte erforderlich sind, mag die
Dichtheit und Breite des Stoffes selbst ziemlich umfänglich seyn.
Bevor aber die Harnischschnüre e mit den Gewichten h verbunden werden, sind die ersteren durch ein zweites
Gitter, den sogenannten Recheni zu ziehen und 4 Zoll
unter diesem Rechen ist dann erst das Gewicht anzubringen. Dieser Rechen wird
ungefähr 10 Zoll vom Fußboden entfernt angebracht, ist gitterartig geformt, aus
parallelen Längenstäbchen und Querdrähten gebildet und kann entweder wie in Fig. 17 aus 8
Längenreihen à 50 Querreihen oder auch aus 16
Längenreihen à 25 Querreihen bestehen.
Das Einziehen der Harnischschnüre e in dem Rechen i erfolgt genau in derselben Ordnung, in der die
Reihenfolge der Platinen beim Eingalliren angenommen wird, und es entspricht sonach
die Reihenfolge der Gewichte vollkommen der Reihenfolge der Platinen.
Ueber die Schwere der Gewichte könnte man ungefähr feststellen, daß 1/2, selbst schon
2/5 der gewöhnlichen Schwere vollkommen hinreichend ist, um den gemachten Ansprüchen
zu genügen. Dieß beweist folgendes Resultat: Auf den hier im Gange befindlichen
Jacquard-Webstühlen fertigt man zur Zeit fast durchschnittlich nur broschirte
Ripsstoffe. Dieselben haben bei einer Breite von 90 bis 95 Centimeter und einer
Kettdichte von 60 Litzen pro Zoll sächsisch 6 bis 7
Muster über die Breite. In einer Litze um die andere ist ein Faden Baumwollzwirn
(Nr. 120/60 r), während in den anderen Litzen je zwei Faden gezwirntes Kammgarn (Nr.
34/17 r) eingezogen sind. Diese zwei Arten von Faden binden leinwandartig mit
einander und zwar so, daß wechselnd bald sämmtliche Wollfaden, bald sämmtliche
Baumwollfaden gehoben werden. Hier zeigte es sich nun bald, daß das Material
einerseits, andererseits die leinwandartige Verbindung es erforderte, jede einzelne
Litze durch ein 1 Loth schweres Gewicht zu belasten, und doch selbst bei dieser
Schwere kam es noch oft vor, daß Faden und Litzen an einander hängen blieben und
dadurch Faden in das Oberfach gingen, die von der Maschine nicht gehoben waren. Bei
den nach obiger Weise Vorgerichten Webstühlen dagegen waren 3 Loth schwere Gewichte
vollkommen schwer genug, um derartige Fehler zu verhindern. Man erzielte daher bei
dieser Vorrichtung mit 400 × 3 = 1200 Loth eine bessere Waare, als mit den
bei anderen Stühlen angewandten 6 × 400 × 1 = 2400 Loth.
Bei einem solchen Jacquard-Webstuhl kann nun aber der Trittschemel nicht in
der Mitte unter dem Stuhle angebracht werden, da in diesem Falle der Rechen in der
Mitte getheilt und 3 bis 4 Zoll auseinander gerückt werden müßte, wodurch die
– Reibung verursachende – Verkreuzung der Harnischschnüre vergrößert
wird, sondern man bringt denselben seitwärts (bei k oder
l, Fig. 17) an, und zwar
schräg, damit dessen hinteres Ende in die Mitte des Stuhles kommt; oder auch man
verwendet einen gabelförmigen Trittschemel dazu, dessen doppeltes Ende den Rechen
zwischen sich faßt; derselbe ist dann bei l und k (in Fig. 17) angebracht.
Das Weben selbst in einem so vorgerichteten Stuhle kann hauptsächlich noch
erleichtert werden durch einen möglichst großen Raum zwischen dem niedern Chorbret
und dem Rechen; dieser Zwischenraum stellt sich nach obiger Erklärung auf circa 1 Leipziger Elle, denn für den Raum von den Fadenaugen der Litzen
bis zum Fußboden rechnet man gewöhnlich 42 bis 45 Zoll; nimmt man nun für die
Unterlitze und den Raum von dieser bis zum Chorbret 8 Zoll, ferner die Entfernung
des Rechens vom Fußboden als 10 Zoll an, so bleibt für den niederen Harnisch noch
ein Raum von 24 bis 27 Zoll.
Diese Einrichtung des Jacquard-Webstuhls bezeichnet man der mit dem Ausdrucke:
„Vorrichtung mit
Doppelharnisch,“ und es hat sich dieselbe als so vortheilhaft
erwiesen, daß sie mit Recht die Empfehlung zur Nachahmung verdient.
Das Weben wird durch diese Einrichtung in keiner Weise erschwert; im Gegentheil
bietet dieselbe ein bequemes und leichtes Arbeiten und gestattet ein eben so
schnelles Weben als auf dem gewöhnlich vorgerichteten Jacquard-Webstuhle.