Titel: Bemerkungen zu der von C. W. Williams aufgestellten neuen Theorie der Erwärmung des Wassers; von Dr. H. Meidinger.
Autor: Heinrich Meidinger [GND]
Fundstelle: Band 161, Jahrgang 1861, Nr. I., S. 1
Download: XML
I. Bemerkungen zu der von C. W. Williams aufgestellten neuen Theorie der Erwärmung des Wassers; von Dr. H. Meidinger. Meidinger, über Williams' Theorie der Erwärmung des Wassers. Die im ersten Maiheft dieses Journals (Bd. CLX S. 161) dargelegten Ansichten von Williams über die Erwärmung des Wassers durch an den Wandungen der Gefäße sich bildenden, in das Wasser diffundirenden und darin diffundirt bleibenden Wasserdampf enthalten so viele innere Widersprüche und wissenschaftliche Unmöglichkeiten, daß sie für die meisten unserer deutschen Leser wohl keiner ernstlichen Widerlegung bedürften, wären die aus denselben gezogenen praktischen Folgerungen nicht der Art, daß sie einem jeden Dampfkesselbesitzer für die Zukunft übertriebene, ungerechtfertigte Besorgnisse hinsichtlich der aus übermäßiger Zuführung des Speisewassers vergrößerten Gefahr der Explosion des Kessels einzuflößen vermöchten. Hauptsächlich um das Unbegründete derartiger Befürchtungen für den Praktiker nachzuweisen, soll in dem Folgenden die fragliche Theorie einer kurzen Besprechung unterworfen werden. 1) Die wenigen Versuche, welche als Stütze der neuen Theorie angegeben sind, beweisen durchaus nichts gegen die seitherigen Ansichten über die Erwärmung des Wassers; es läßt sich nach letzteren recht wohl begreifen, daß die am Boden eines Gefäßes im Wasser suspendirten Stoffe nicht in die Höhe steigen, wenn das Wasser gleichmäßig vom ganzen Boden aus langsam erwärmt wird. Es entsteht dann nämlich keine Strömung der ganzen Wassermasse in einer bestimmten Richtung, wie sie z.B. stets stattfindet, wenn die Wärme bloß auf den mittleren Theil des Gefäßbodens einwirkt, sondern die ganze Bodenschicht des erwärmten Wassers diffundirt langsam nach oben, hie durch senkt sich aber nach unten ganz gleichmäßig das kalte Wasser von der Oberfläche aus. Man findet somit in einem jeden Querschnitt der Flüssigkeit stets eine gleiche Anzahl nach oben strömender warmer und nach unten strömender kalter Wassertheilchen, abwechselnd das eine neben dem andern. Die im Wasser suspendirten Stoffe, welche als feste Körper jedenfalls einen geringeren Ausdehnungscoefficienten wie das Wasser besitzen, und bei der Erwärmung der Wassermasse somit relativ schwerer werden, also sich schneller zu Boden zu senken suchen, können deßhalb keinenfalls nach oben steigen, sie erhalten bloß einen einseitigen Druck oder Stoß aufwärts, dem auf der anderen Seite ein gleichstarker Druck abwärts entspricht. Es ist höchst wahrscheinlich, daß diese Stoffe dadurch in eine rotirende, aber nicht fortschreitende Bewegung versetzt werden. Wäre es in der That der Dampf, der durch seine Diffusion von unten nach oben die Wassermasse erwärmt, so sollte man es gerade erwarten, daß die suspendirten Stoffe von demselben mit in die Höhe gerissen werden, da er sie natürlich ebenfalls aber bloß in einseitiger Richtung treffen wird. Der Versuch findet somit seine Erklärung weit einfacher nach der bis jetzt allgemein angenommenen Theorie; ebenso erklären sich darnach ganz ungezwungen die übrigen Versuche. 2) Sehen wir davon ab, ob es nach physikalischen Grundsätzen, insbesondere nach der neuerdings so weit entwickelten mechanischen Wärmetheorie wahrscheinlich ist, daß Dampf und Wasser in demselben Raum vereinigt seyn können, daß Dampf in Wasser diffundire, so wird uns jedenfalls der Beweis nicht vorher geliefert, ob die Diffusion der gasförmigen Körper überhaupt in Flüssigkeiten so schnell stattfinde, wie sie von Williams angenommen wird, um daraus die Geschwindigkeit, womit sich das Wasser vom Boden aus durch seine ganze Masse so gleichmäßig erwärmt, zu erklären. Wir wissen bloß ganz im Allgemeinen, daß solche Gase, welche in sehr großen Quantitäten von Flüssigkeiten aufgenommen werden, auch sehr schnell davon absorbirt werden, so z.B. Ammoniak, schweflige Säure, Salzsäure von Wasser, wo ohne Zweifel chemische Affinität in erhöhterem Grade vorhanden ist. Die Absorption von Sauerstoff, Kohlensäure durch Wasser erfolgt jedoch vergleichungsweise sehr langsam, und um das Wasser vollständig damit zu sättigen, müssen diese Gase längere Zeit durch dasselbe hindurch geleitet werden. Ueber die Art der Anziehung des Wasserdampfes zu Wasser, die Quantität, welche sich von ersterem in letzterem lösen sollte und die Schnelligkeit womit dieser Vorgang stattfinden könnte, gehen uns jedoch auch alle Vorstellungen ab. 3) Durch einige ganz bekannte Versuche läßt sich jedoch auch die völlige Unmöglichkeit der Williams'schen Theorie nachweisen. Wasser, von der Oberfläche aus erwärmt, leitet die Wärme nicht nach unten fort; also z.B. man gießt kochendes Wasser auf Wasser von 0° sorgfältig auf, um eine Mischung beider Flüssigkeiten zu verhindern – nach sehr langer Zeit besitzt das Wasser am Boden noch seine ursprüngliche Temperatur von 0°, während es auf der Oberfläche heiß geblieben ist. Wäre im heißen Wasser Dampf von entsprechender Dichtigkeit diffundirt gewesen, so hätte er doch naturgemäß auch in das kalte Wasser nach unten diffundiren und eine gleiche Temperatur in der ganzen Masse erzeugen müssen. Wo möglich noch schlagender spricht der folgende Versuch. Jedermann kennt die Savery'sche Dampfmaschine. Aus einem Dampfkessel leite man Dampf von beliebiger Spannung in ein mit Wasser fast vollständig angefülltes verschlossenes Gefäß, so zwar, daß der Dampf über dem Wasserspiegel eintritt. Am Boden des Gefäßes mündet eine Röhre ein, die senkrecht emporsteigt. Der einströmende Dampf condensirt sich zuerst an der Oberfläche des Wassers, bis die Temperatur gleich der des Dampfes geworden, dann drückt er das gesammte Wasser in der Röhre bis zu einer Höhe, welche dem Druck im Kessel entspricht. Anfangs fließt kaltes Wasser aus der Röhre, erst gegen Ende kommt eine geringe Quantität kochenden Wassers. Hätte sich der Dampf im Wasser diffundiren können, so wäre dieses unzweifelhaft durch seine ganze Masse auf die Temperatur des Dampfes vorgewärmt worden und Savery hätte seinen Apparat wohl nirgends zur Anwendung gebracht. 4) Das Wasser nimmt, von 0 bis 100° C. und noch weiterhin sich erwärmend, für einen jeden Temperaturgrad annähernd dieselbe Quantität Wärme in sich auf. Das Verhalten des Dampfes ist dagegen ein ziemlich complicirtes. Wäre nun nach Williams' Annahme bloß der Dampf Träger der Wärme, indem das Wasser als solches immer die Temperatur von 0° behielte, so ließe sich in der That jene Gesetzmäßigkeit nicht begreifen. Die in ein und derselben Quantität Dampf enthaltene Wärme ist bei höheren Temperaturen um ein geringes größer wie bei niederen Temperaturen. Die Spannung des Dampfes wächst aber in viel rascherem Verhältniß wie die Temperaturen. Da nun der Dampfspannung entsprechend auch die Quantität im Wasser gelösten Dampfes zunehmen sollte, so würde unzweifelhaft auch die für die Erwärmung des Wassers zu liefernde Wärme in einem weit rascheren Verhältniß steigen wie die Temperatur. Dieß widerspricht aber durchaus der Erfahrung; man müßte denn etwa wiederum zu der Annahme seine Zuflucht nehmen, daß der im Wasser diffundirte Dampf andere physikalische Eigenschaften besitze – also in anderem Verhältniß Wärme aufnehme wie der freie Dampf. Dieß hieße jedoch jeden experimentellen Boden unter den Füßen verlieren. 5) Auch unter dem Gefrierpunkte existiren Wasserdämpfe; ja man weiß sogar, daß Schnee, daß Eis verdunsten, sich in Dampf verwandeln, ohne vorher geschmolzen zu seyn. Aehnlich verhält sich z.B. auch der Kampher. Sind hier etwa ebenfalls die Dämpfe in den festen Substanzen diffundirt gewesen? Es ist aber thatsächlich erwiesen, daß die von Flüssigkeiten absorbirten Gase beim Erstarren der ersteren entweichen, also z.B. Luft aus Wasser, wenn dieß gefriert, Sauerstoff aus geschmolzenem Silber, wenn dieses fest wird. 6) Erweist sich somit in Bezug auf das Wasser die Williams'sche Theorie ganz unstatthaft, so würden die Schwierigkeiten in erheblichem Grade sich vermehren, wollte man dieselbe consequent auch auf andere Flüssigkeiten, wie die Oele, das Quecksilber etc. anwenden, die sich beim Erwärmen dem Wasser ähnlich verhalten. Da die fetten Oele, das Quecksilber bei niederen Temperaturen so gut wie keine Dämpfe bilden, so würde die Verallgemeinerung der fraglichen Theorie auf diese Fälle geradezu absurd erscheinen. 7) Ebenso grundlos erweisen sich zum Schlusse die praktischen Folgerungen. Auch seither ist man immer der Ansicht gewesen, daß sich der Dampf mit großer Lebhaftigkeit aus dem Wasser entwickeln müsse, wenn letzteres unter einem geringeren Drucke sich befindet, als die seiner Temperatur entsprechende Dampfspannung anzeigt. Das Wasser erscheint gleichsam nur als Dampf in comprimirtem Zustand. Die Kraft, sey sie mechanischer oder physikalischer Natur, deren es bedarf um diesen Zustand zu erhalten, hängt ausschließlich von der Temperatur ab; sie wächst in weit rascherem Verhältniß wie die Temperatur; sie ist ausgedrückt durch die dem Dampf bei den verschiedenen Temperaturen zukommenden Spannungen. Bei rascher Abnahme des auf die Oberfläche des Wassers stattfindenden Druckes, sey es des Druckes eines in ganz gefülltem Gefäße beweglichen Stempels, oder des Druckes der Luft oder eines andern permanenten Gases, oder schließlich des Dampfdruckes selber, sucht sich die ganze Wassermasse alsbald allseitig in Dampf zu verwandeln. Die Folge ist ein äußerst heftiges Aufwallen der Flüssigkeit. In den physikalischen Vorlesungen zeigt man diese Erscheinung in einem niedlichen, von einem Jeden leicht zu wiederholenden Experiment. Ein Glaskolben, zur Hälfte mit Wasser gefüllt, wird bis zur lebhaften Dampfentwickelung über einem Feuer erhitzt; sodann wird die Oeffnung durch einen gut anschließenden Kork verschlossen. Man nimmt nun den Kolben vom Feuer hinweg und unterbricht dadurch die Dampfbildung. Nach wenig Augenblicken ist das Wasser ganz zur Ruhe gekommen; kühlt man jetzt den Hals des Kolbens mit kaltem Wasser ab, so sieht man alsbald die ganze Wassermasse wiederum in die lebhaftesten Wallungen gerathen – eine Erscheinung, die sich nach kurzen Intervallen wiederholt hervorrufen läßt. Man hat es deßhalb schon lange mit Gefahr verknüpft gesehen, die Ventile eines Kessels plötzlich vollständig zu öffnen, aber nicht unter den von Williams namhaft gemachten Umständen, sondern ganz umgekehrt, wenn der Wasserstand im Kessel so tief gesunken war, daß ein Theil der Kesselwandungen durch die Feuergase glühend gemacht werden konnte. Fällt damit jetzt noch zusammen, was wir häufig beobachtet haben, daß der Heizer aus Bequemlichkeit in grobem Unverstand das am Sicherheitsventil wirkende Gewicht verrückt oder übermäßig beschwert hat, so wird durch die im Kessel zunehmende Spannung des Dampfes das Ventil vielleicht erst bei 7, statt bei 5 Atmosphären geöffnet, dadurch nun augenblicklich ein noch um so lebhafteres Aufwallen des Wassers hervorgerufen, welches, mit den glühenden Kesselwandungen in Berührung kommend, momentan eine so große Quantität hoch gespannten Dampfes entwickelt, daß die Widerstandsfähigkeit des Eisens weit überschritten wird, insbesondere an den Stellen, die, im glühenden Zustand befindlich, von dem aufwallenden Wasser nicht getroffen und abgekühlt wurden. Es wird dann ohne Zweifel von hier aus ein Zerplatzen des Kessels stattfinden. – Ganz anders verhält sich jedoch die Sache, wenn der Kessel über feine normale Höhe mit Wasser gefüllt war und das Ventil sich öffnet. In Folge der durch das Entweichen von Dampf verringerten Spannung wird allerdings auch jetzt ein Aufwallen des Wassers erfolgen, dadurch aber nie und nimmer eine größere Dampfspannung erzeugt werden können, die Spannung wird sich im Gegentheil vermindern. Vorerst wird durch die, das Aufwallen des Wassers hervorrufende, verstärkte Dampfentwickelung eine große Menge Wärme gebunden werden, die Temperatur des Wassers also ansehnlich sinken; sodann ist klar, daß der aus dem Wasser lebhaft sich entwickelnde Dampf dennoch nie eine größere Spannung haben wird, als der Temperatur des Wassers entspricht; sobald aber schließlich eine größere Quantität sich entwickelt hat, als durch das geöffnete Ventil entweichen kann, so wird durch den wieder zunehmenden Dampfdruck eine verstärkte Dampfentwickelung verhindert. Sey also der Kessel übermäßig, oder bloß bis zu seiner richtigen Höhe mit Wasser angefüllt, so wird durch das Oeffnen des Ventils jederzeit eine stärkere Dampfentwickelung, aber bei etwas geringerer und auf die Dauer schnell abnehmender Dampfspannung eintreten, ohne die geringste Gefahr für den Kessel. Nur sobald das aufwallende Wasser bei zu niederem Stand an die glühenden Kesselwände gelangt, kann es, sich schnell zu einer höheren Temperatur erwärmend, Dämpfe von stärkerer Spannung wie vorher aussenden, welche, den vorhandenen Dampf vorerst comprimirend, in äußerst kurzer Zeit den Druck der gesammten Dampfmenge bis zu einer die Elasticität des Kessels überschreitenden Höhe zu steigern vermögen. Die Herren Dampfkesselbesitzer brauchen sich nach dem allem vorerst noch nicht aus ihrer Ruhe und Sorglosigkeit aufschrecken zu lassen, worin sie sich gewiegt haben werden, nachdem sie ihren Heizern dringend eingeschärft, den Wasserstand in den Kesseln eher zu hoch wie zu niedrig zu halten.