Titel: Ueber die Natur des Sauerstoffes, eine neue Quelle des Antozons und die Salpeterbildung; ein Vortrag von Prof. Schönbein.
Fundstelle: Band 161, Jahrgang 1861, Nr. XII., S. 35
Download: XML
XII. Ueber die Natur des Sauerstoffes, eine neue Quelle des Antozons und die Salpeterbildung; ein Vortrag von Prof. Schönbein. Aus Buchner's neuem Repertorium für Pharmacie, Bd. X S. 208. Schönbein, über die Natur des Sauerstoffes, eine neue Quelle des Antozons und die Salpeterbildung. Am 10. April d. J. waren im Hörsaal des v. Liebig'schen Laboratoriums in München die Mitglieder der mathematisch-physikalischen Classe der k. Akademie nebst vielen Freunden der Wissenschaft versammelt, um einen mit einer Reihe ebenso überraschender als beweiskräftiger Versuche begleiteten Vortrag des Prof. Schönbein von Basel anzuhören, wodurch er dieselben mit dem Resultat seiner neuesten wichtigen Forschungen über die Natur des Sauerstoffes, besonders aber mit einer neuen Quelle des Antozons und mit seinen Ansichten über die Salpeterbildung bekannt machte. Im Eingange erinnerte der Redner an die Resultate, welche er bei feinen bisherigen Untersuchungen über den Sauerstoff erhalten hat. Namentlich hob er die von ihm beobachtete merkwürdige Eigenschaft des gewöhnlichen Sauerstoffes hervor, in zwei verschiedenen activen Modificationen auftreten zu können, welche zu einander im ausgezeichneten chemischen Gegensatze stehen und bei ihrer Wirkung auf einander wieder den gewöhnlichen neutralen oder unthätigen Sauerstoff erzeugen. Der eine von diesen beiden chemisch-thätigen Sauerstoffen oder Zuständen des Sauerstoffes ist das Ozon, auch ozonisirter oder negativer Sauerstoff genannt, und der andere das Antozon (antozonisirter oder positiver Sauerstoff). Diesen merkwürdigen Vorgang der Spaltung oder chemischen Zerlegung des gewöhnlichen Sauerstoffes in Ozon und Antozon und aus diesen beiden einander entgegengesetzten activen Zuständen wieder jenen zu erhalten, nennt Schönbein die chemische Polarisation und Depolarisation des Sauerstoffes. Aus zahlreichen Beobachtungen folgert Schönbein, daß von den Hyperoxyden die einen, wie z.B. die Säuren des Mangans, die Chromsäure, das Bleihyperoxyd, einen Theil ihres Sauerstoffes als Ozon und die anderen, darunter namentlich das Wasserstoffhyperoxyd, das Baryumhyperoxyd und die Hyperoxyde der Alkalimetalle überhaupt, denselben im Zustande von Antozon enthalten. Diese Annahme von Hyperoxyden mit einander entgegengesetztem Sauerstoff, oder, wie Schönbein sagt, von Ozoniden und Antozoniden, erklärt auf eine sehr befriedigende Weise die auffallende Thatsache, daß bei der gegenseitigen Berührung solcher Stoffe Reductionserscheinungen beobachtet werden, indem die beiden Ozone zu gewöhnlichem Sauerstoff vereinigt entweichen, daß z.B. Bleihyperoxyd und Wasserstoffhyperoxyd unter heftiger Sauerstoffentwicklung zu Bleioxyd und Wasser werden, daß das Wasserstoffhyperoxyd die Uebermangansäure entfärbt und reducirt, daß dadurch die Chromsäure zu grünem Chromoxyd reducirt wird etc. Hierauf brachte der Redner den dunkelblauen Flußspath von Wölsendorf in der Oberpfalz zur Sprache – jenes merkwürdige Mineral, von dem die Bergleute schon lange wußten, daß es beim Zerschlagen einen sehr unangenehmen Geruch entwickelt, und worauf Prof. Schafhäutl Annalen der Chemie und Pharmacie, 1843, Bd. XLVI S. 244. zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Schafhäutl suchte die von ihm ganz richtig beobachteten Erscheinungen durch die Gegenwart einer chlorigsauren oder vielmehr unterchlorigsauren Verbindung in diesem Flußspath zu erklären. Schönbein machte nun die sehr interessante Beobachtung, daß der Wölsendorfer Flußspath freies Antozon eingeschlossen enthalte und daß der chlorähnliche Geruch, den man beim Zerreiben desselben in so auffallender Weise wahrnimmt, vom Entweichen des Antozons herrühre. Als Schönbein diesen Flußspath mit Wasser zusammenrieb, erhielt er Wasserstoffhyperoxyd eben so gut wie beim Eintragen von Baryumhyperoxyd in mit Schwefelsäure angesäuertes Wasser. Nur das Antozon theilt sich nach den Erfahrungen des Redners dem Wasser unter Umwandlung dieses in Hyperoxyd mit, aber nicht das Ozon. Bei dieser Gelegenheit wurden die Zuhörer mit einem empfindlichen Reagens auf Wasserstoffhyperoxyd und Antozonide überhaupt bekannt gemacht. Dasselbe ist verdünnter Stärkekleister, der etwas Jodkalium und schwefelsaures Eisenoxydul oder überhaupt ein Eisenoxydulsalz aufgelöst enthält und welcher durch die geringste Menge Wasserstoffhyperoxyd oder Antozon in Folge Freiwerdens von Jod blau gefärbt wird. Auch gab der Redner ein Beispiel von chemischer Polarisation des Sauerstoffes, indem er granulirtes Zink mit Wasser und Luft schüttelte, wobei einerseits Zinkoxyd und andererseits Wasserstoffhyperoxyd gebildet wurde. Diese Polarisation findet auch bei der Oxydation anderer oxydabler Körper unter denselben Verhältnissen statt, z.B. bei der Berührung der Indigoküpe oder des flüssigen pyrogallussauren Kalis mit Luft. In allen diesen Fällen bildet sich, wie Schönbein nachwies, gleichzeitig mit dem neuen Oxyd Wasserstoffhyperoxyd und durch diese Thatsache wird die Frage, warum zu solchen Oxydationen Wasser nothwendig ist, ganz befriedigend beantwortet. Der Redner ging dann auf einen anderen Gegenstand von hohem Interesse über, nämlich auf die Nitrification oder Salpeterbildung. Wie bekannt, wurde von ihm schon vor einigen Jahren auf das Bestimmteste nachgewiesen, daß, wenn in durch erhitztes Platin oder auf andere Weise ozonisirter Luft Ammoniak verdunstet, dieses zunächst in salpetrige Säure, resp. salpetrigsaures Ammoniak und nicht sogleich in salpetersaures Salz verwandelt werde. Schönbein bewies dieß durch einen einfachen Versuch, indem er in einen Glaskolben etwas wässeriges Ammoniak goß und in die darüberstehende Luft einen spiralförmig gewundenen und zuvor über der Lampe glühend gemachten Platindraht hing. So oft der erhitzte Platindraht in den Kolben kam, bildeten sich weiße Dämpfe, und nachdem dieß ein paarmal wiederholt worden, war in der ammoniakalischen Flüssigkeit genug salpetrige Säure vorhanden, um ihre Gegenwart sehr leicht wahrnehmen zu können. Zur Entdeckung dieser Säure in den Nitriten und zur Unterscheidung dieser von den Nitraten bedient sich Schönbein der verdünnten Schwefelsäure und des mit Jodkalium vermischten Stärkekleisters. Eine sehr geringe Menge Nitrit gibt sich schon durch die entstehende blaue Färbung der Flüssigkeit zu erkennen; die Nitrate hingegen werden durch dieses Reagens gar nicht angezeigt, weil die Salpetersäure das Jodkalium nicht zersetzt. Schönbein wurde durch diese Beobachtung zu der Vermuthung geführt, daß der Salpeterbildung in der Natur diejenige der salpetrigsauren Salze vorhergehe, und er fand diese Vermuthung durch eine Untersuchung des rohen Chilisalpeters bestätiget, indem er in diesem die Gegenwart eines Nitrites leicht nachweisen konnte. Was die Umwandlung der Nitrite in Nitrate betrifft, so hat sich Schönbein überzeugt, daß dieselbe eben so wenig im gewöhnlichen Sauerstoff als im Antozon, sondern nur im ozonisirten Sauerstoff erfolge, und es darf daher wohl angenommen werden, daß auch die in der Natur gebildeten Nitrite nur durch den zuvor ozonisirten Sauerstoff der Luft allmählich zu Nitraten oxydirt werden. Uebrigens wies der Redner nach, daß eben so leicht, als die Nitrite sich in Nitrate verwandeln lassen, die Reduction dieser zu Nitriten erfolge und zwar schon bei gewöhnlicher Temperatur durch mehrere Metalle, namentlich durch Kalium und Zink und besonders rasch durch Cadmium. Aber noch interessanter als alles dieses war es für die Zuhörer zu vernehmen, daß es Schönbein gelungen, die unmittelbare Bildung von salpetrigsaurem und salpetersaurem Ammoniak aus dem Stickstoffe der Luft zu beweisen. Wer kennt nicht die Eigenschaft des Phosphors, an der Luft zu rauchen und weiße Nebel zu bilden? Diese Eigenschaft äußert dieser Körper, wie der Redner zeigte, nur in feuchter Luft, denn bringt man Phosphor in ganz trockene Luft, hängt man ihn z.B. in einem Kolben auf, welcher etwas concentrirte Schwefelsäure enthält, so nimmt man nicht das mindeste Rauchen wahr. Man hat bisher geglaubt, daß dieser Phosphorrauch von der bei der Oxydation des Phosphors allerdings entstehenden phosphorigen Säure herrühre, allein daß diese die fragliche Nebelbildung nicht verursacht, geht daraus hervor, daß Lackmuspapier von den Phosphordämpfen gar nicht geröthet wird und daß, wenn man mit Wasser befeuchtete Schwämmchen in einem Kolben aufhängt, worin Phosphor raucht, und man hierauf die Schwämmchen auspreßt, das so erhaltene Wasser ebenfalls nicht sauer reagirt. Hingegen konnte Schönbein leicht nachweisen, daß dieses mit solchen Dämpfen beladene Wasser salpetrigsaures Ammoniak nebst kleinen Mengen von salpetersaurem Ammoniak enthalte, und daß demnach das Rauchen des Phosphors an feuchter Luft auf der Bildung von jenem Salze beruhe. Dieses kann aber im vorliegenden Falle offenbar nur aus dem atmosphärischen Stickstoff, durch Aufnahme der Bestandtheile des Wassers entstehen; 2 Mischungsgewichte Stickstoff werden, indem sie die Elemente von 3 Mischungsgewichten Wasser binden, in 1 Mischungsgewicht salpetrigsaures Ammoniak verwandelt, wie folgende Gleichung versinnlicht: 2 N + 3 HO = H³N, NO³. Schönbein hält es nicht für unwahrscheinlich, daß eine solche Nitritbildung noch in manchen anderen Fällen von langsamer Oxydation in atmosphärischer Luft stattfinde und daher die zwar kleinen, aber doch nachweisbaren Mengen von salpetrigsaurem Ammoniak rühren, die er in jedem atmosphärischen Wasser, sey es Schnee oder Regen, angetroffen hat.