Titel: Ueber die Weizenstärkefabrication nach Martin, und die Verwerthung des Klebers als Nahrungsmittel für Menschen wie als Viehfutter; von Rudolph Günsberg, Assistenten an der k. k. technischen Akademie zu Lemberg.
Autor: Rudolph Günsberg
Fundstelle: Band 162, Jahrgang 1861, Nr. CXXI., S. 440
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CXXI. Ueber die Weizenstärkefabrication nach Martin, und die Verwerthung des Klebers als Nahrungsmittel für Menschen wie als Viehfutter; von Rudolph Günsberg, Assistenten an der k. k. technischen Akademie zu Lemberg. Günsberg, über die Weizenstärkefabrication nach Martin etc. Wenn auch die Perückenzeit längst vorüber ist, wo eine beträchtliche Menge von Weizenstärke als Haarpuder verbraucht wurde, und man in den Gewerben, wo Stärke gebraucht wird, in neuerer Zeit meistens Kartoffelstärke verwendet, bildet doch die Fabrication der Weizenstärke wegen ihrer ausschließlichen Verwendung in der Haushaltung noch immer einen nicht unbedeutenden Gewerbszweig, welcher in jedem Lande betrieben wird. Die möglichste Verwerthung der Rückstände von der Weizenstärkefabrication, welche größtentheils die nahrhaftesten Bestandtheile des edlen Weizens ausmachen, theilweise zur unmittelbaren Nahrung für Menschen und theilweise vermittelst der Viehfütterung durch Umwandlung in Fleisch, Fett und Dünger, muß daher immer als eine sehr wichtige Aufgabe angesehen werden. Der Grund, daß die Weizenstärkefabrication nicht ihre gebührende Stellung unter den landwirtschaftlichen Gewerben einnimmt, daß sie nämlich größtentheils in Städten betrieben wird, und man sie so selten in engerer Beziehung mit der Landwirtschaft findet, liegt hauptsächlich in der geringen Qualität und Quantität des Viehfutters, welches nach den jetzigen Fabricationsmethoden in den Rückständen gewonnen wird. Nach dem alten Verfahren der Stärkegewinnung mittelst Gährung, welches noch jetzt häufig genug angetroffen wird, eignen sich die Rückstände bekanntlich höchstens zur Fütterung der Schweine, einer Viehgattung, welche sich am allerwenigsten zur Düngerproduction bei der Landwirtschaft eignet. Bei dem sogenannten verbesserten Verfahren der Stärkeerzeugung aus ungeschrotener Frucht durch bloßes Einweichen, also ohne Gährung, sind wohl die Rückstände in den Tretsäcken auch zur Fütterung des Hornviehes geeignet; allein beim Treten der zu einem Brei zerquetschten Körner geht der meiste Kleber, welcher durch das lange Weichen einen Theil seines Zusammenhanges bereits eingebüßt hat, durch die Tretsäcke, und bleibt theils im Waschwasser suspendirt, theils der Stärke beigemengt, so daß der Rückstand in den Säcken wohl alle Hülsen aber nur einen geringen Theil des Klebers in sich enthält; und da man bekanntlich auch nach diesem Verfahren die milchige Flüssigkeit aus den Säcken zur Entfernung des Klebers gähren läßt, so gehen alle Nährstoffe der Waschwasser für die Viehfütterung verloren. Die neueste, von C. Martin angegebene Verbesserung der Stärkefabrication bietet ihrem Principe nach wohl die Möglichkeit einer vollständigen Verwerthung aller Rückstände, allein die Anwendung von gebeuteltem Mehl, wie sie Martin vorschreibt, macht die Fabrication umständlich und kostspielig, welche nur bei einer höheren Verwerthung des reinen Klebers als Nahrungsmittel für Menschen, wie sie durch Martin's Verfahren in Aussicht gestellt wurde, lohnend seyn könnte. Die Schwierigkeiten in der praktischen Ausführung, an welchen bekanntlich alle Versuche scheiterten den Kleber als Nahrung für Menschen zu verwenden, sind auch als Ursache zu bezeichnen, daß man trotz der vielen Vortheile welche Martin's Verfahren bieten könnte, dasselbe doch verhältnißmäßig sehr wenig in Anwendung findet. In einer von mir hier in Galizien auf dem Gute des Hrn. Thaddens Ritter von Wiktor zu Swirz nach Martin's Methode errichteten Weizenstärkefabrik habe ich über die Verwerthung des reinen Klebers zur Nahrung für Menschen, wie der anderen Rückstände zur Viehfütterung, vielfältige Versuche in großem Maaßstabe angestellt, deren Ergebnisse ich in Folgendem mittheile. I. Ueber die Verwerthung des Klebers zur Nahrung für Menschen. Die großen Schwierigkeiten, welche namentlich in der ersten Zeit dem Absatze eines neuen Nahrungsmittels von Seite der Consumenten entgegentreten, machen es, damit ein solches Nahrungsmittel fabrikmäßig erzeugt werden könne, bei der vorausgesetzten Güte und Brauchbarkeit des Productes, noch zur Hauptbedingung: daß das fertige Product von Zeit und Ort unabhängig seyn soll, d.h. es muß haltbar, dem Verderben nicht unterworfen, und dabei zur Versendung geeignet seyn. Von den vielen Vorschlägen, welche bisher zum Behufe der Verwerthung des Weizenklebers als Nahrung für Menschen gemacht wurden, scheint nur die Methode des Körnens nach VéronPolytechn. Journal Bd. XCVI S. 118. geeignet diesen Anforderungen der Praxis zu genügen. Das Körnen nach Véron, welches meines Wissens bis jetzt in Deutschland noch nicht in Anwendung gebracht worden ist, geschieht auf folgende Art:Knapp's chemische Technologie, Bd. II S. 139. Der frische Kleber wird mit seinem gleichen Gewichte Mehl versetzt, der daraus gebildete Teig dann in lange Streifen gestreckt und mit Mehl bestäubt, um das Aneinanderkleben derselben zu verhindern; diese Streifen werden mittelst eines Walzenpaares, von welchen die untere kleiner, mit hervorstehenden Pflöcken versehen ist und sich rascher um die Achse dreht, in Bröckchen zerzupft, welche letztere bei 40º R. getrocknet und durch Siebe sortirt, als gekörnter Kleber in den Handel gebracht werden. – Um die Eigenschaften dieses fremden, uns nur dem Namen nach bekannten Nahrungsmittels, näher kennen zu lernen, und seine Brauchbarkeit für unsere Verhältnisse zu ermitteln, habe ich mir ein größeres Quantum dieses gekörnten Klebers genau nach dieser Vorschrift bereiten lassen, mit dem einzigen Unterschiede jedoch, daß ich in Ermangelung eines Walzenpaares die Streifen durch Handarbeit in kleine Krümchen zerzupfen ließ. Schon die äußere Beschaffenheit dieser getrockneten Körner, welche im Bruche grau, hornartig, und von getrocknetem reinen Kleber äußerst wenig verschieden sind, ließ für die Brauchbarkeit derselben als Nahrungsmittel wenig Hoffnung. Ernährungsversuche, welche ich durch längere Zeit mit diesem Stoffe an verschiedenen Individuen ausgeführt habe, führten mich auch wirklich zur vollkommensten Ueberzeugung, daß der auf diese Art bereitete gekörnte Kleber zur Nahrung für Menschen im Allgemeinen sich nicht eignet; denn es ist durchaus nicht hinreichend, wenn man diese Körner zu Suppe verwendet, in geringer Quantität genießen kann, sondern eine gesunde und nahrhafte Speise muß sich zur ausschließlichen Nahrung für längere Zeit eignen, wozu aber dem nach Véron dargestellten gekörnten Kleber alle Eigenschaften abgehen. Jeder, welcher die Lebensweise unserer galizischen Bauern kennt, wird wohl zugeben, daß sie staunenswerthe Verdauungsorgane besitzen, und Speisen genießen, deren Ansehen schon einem deutschen Bauern Kolik verursachen müßte. Indessen konnte ein solcher gesunder, kräftiger junger Bauer (Fabrikarbeiter) bei ausschließlicher Nahrung mit nach Véron dargestelltem, gekochten gekörntem Kleber, mit Zusatz von Fett oder Milch, kaum drei Tage aushalten; den vierten Tag wollte er davon nichts mehr genießen, und konnte kaum in einigen Tagen seinen sonst vortrefflichen normalen Appetit wieder erreichen. Dieselbe Erscheinung wiederholte sich bei einem zweiten und dritten Bauern, mit welchem ich dasselbe Experiment ausgeführt habe; ich selbst und andere Personen von zarterer Constitution konnten dieses Nahrungsmittel in nur etwas größerer Dosis, in Milch oder Wasser gekocht, durchaus nicht vertragen. – Wenn man bedenkt, daß aus feinem Weizenmehl nur etwa 25 Proc. feuchter Kleber erhalten werden, daß also der Klebergehalt des gekörnten Klebers gegen den des Mehls sich wie 5 : 1 verhält, und daß der hornartig eingetrocknete Kleber zuerst im Magen längere Zeit liegen bleiben muß, bis er erweicht, um aber dann eine rasche Zersetzung zu erleiden, so wird es klar, daß dieser Stoff sich zur ausschließlichen Nahrung unmöglich eignen kann, und daß erst durch Zusatz von mehr Mehl und Herbeiführung eines normalen Verhältnisses zwischen Blutbilder und Respirationsmittel daraus ein Nahrungsstoff von allgemeiner Anwendbarkeit zu bilden wäre. – Als Resultat vieler Versuche, welche ich mit Zusätzen von verschiedenen Quantitäten Mehl zum frischen Kleber anstellen ließ, habe ich ein Verfahren abgeleitet, welches ich zur fabrikmäßigen Erzeugung eines vorzüglichen Nahrungsmittels aus dem Kleber in der Weizenstärkefabrik zu Swirz mit sehr gutem Erfolge in Anwendung brachte, und welches in Folgendem besteht. Der frische feuchte Kleber wird mit so viel Mehl versetzt, als er ohne Wasserzusatz aufnehmen kann, um damit einen homogenen steifen nicht mehr klebrigen Teig zu bilden, wozu ungefähr 2 Pfd. Mehl auf 1 Pfd. feuchten Kleber erforderlich sind. Das Kneten dieser Masse ist etwas schwierig, läßt sich aber noch sehr gut durch Handarbeit ausführen; viel leichter geschieht dieses Kneten jedoch mittelst einer Vorrichtung, welche einer Stampfe, wie sie zum Walken der Tücher gebraucht wird, ähnlich construirt ist. Der auf die eine oder andere Art bereitete Teig wird durch einen verticalen Preßcylinder aus Messing mit durchlöcherter Einsatzplatte, wie solche bei der Maccaroni-Fabrication im Gebrauche sind, in 3–4 Linien dicke massive Streifen durchgepreßt, welche in etwa ein Fuß langen Stücken abgeschnitten, auf Stangen dicht neben einander aufgehängt und in Trockenkammern bei etwa 40º R. getrocknet werden. Die getrockneten Streifen werden dann in kleinere Stücke zerbrochen und zwischen den Mühlsteinen einer gewöhnlichen Mühle in Graupen verwandelt, welche durch Drahtsiebe in verschiedene Größensorten getrennt werden. Man bekömmt bei diesem Verfahren auch eine geringe Quantität eines kleberreichen Mehles, welches sich wie gewöhnliches Weizenmehl sowohl zum Kochen als Backen verwenden läßt. Die auf die angegebene Art bereiteten Klebergraupen sind von sehr gefälligem Ansehen, können für unbeschränkte Zeit in trockenen Magazinen aufbewahrt werden, lassen sich wie Heidegraupen mit Wasser waschen ohne zu erweichen, bilden bei noch so langem Kochen keinen Kleister, und sind dabei äußerst wohlschmeckend und sehr nahrhaft. Die Fabrik zu Swirz bringt 5 Größensorten solcher Klebergraupen in Handel (unter dem polnischen Namen Glutenki), von welchen die Sorte Nr. 1 so fein wie Gries ist, und sich besonders zur Nahrung für Kinder eignet. Als Mittel zweier Analysen enthalten diese Klebergraupen in wasserfreiem Zustande 4,267 Proc. Stickstoff und lufttrocken etwa 10 Proc. Wasser. Nach vielfältigen Versuchen, welche ich mit den Klebergraupen angestellt habe, hat sich dieser Nahrungsstoff als zur ausschließlichen Nahrung für Menschen aller Classen geeignet erwiesen; auch von Seite der k. k. Militär-Sanitätscommission in Wien sind mit den Klebergraupen auf meine Veranlassung Versuche in kleinem Maaßstabe angestellt worden, welche zu denselben günstigen Resultaten geführt haben. II. Ueber die Verwerthung aller Rückstände als Viehfutter. Man ist nach Martin's Verfahren durchaus nicht gebunden, die Stärke aus gebeuteltem Mehl zu bereiten, und also den Kleber zu einem höheren Preise als Nahrung für Menschen zu verwerthen, sondern es läßt sich sehr gut nach demselben Verfahren auch fein geschrotene Frucht verwenden. Man hat nämlich aus dem Schrote auf dieselbe Art einen möglichst steifen Teig zu bilden, diesen jedoch länger liegen zu lassen, damit alle Theile vom Wasser durchdrungen werden, und beim Waschen den Teig nur sehr gelinde anzudrücken oder zu kneten; man bekömmt dann eine eben so feine Stärke wie aus Mehl, und auf den Sieben bleibt der Kleber zusammenhängend, jedoch mit Hülsen gemengt, von welchen er sich aber durch längeres Waschen mit kaltem Wasser ganz befreien läßt. Die Vortheile, welche Martin's Verfahren auch in Betreff der Verwerthung aller Rückstände als Viehfutter bietet, sind von solcher Bedeutung, daß nur die Nichtbeachtung desselben es begreiflich macht, daß dasselbe nicht schon längst alle anderen Methoden der Stärkegewinnung verdrängt hat und ausschließlich bei der Landwirthschaft angewendet wird. Zur Begründung dieser meiner Behauptung will ich nur in Folgendem das Verfahren mittheilen, welches in der von mir errichteten und seit vier Jahren bestehenden Stärkefabrik zu Swirz befolgt wird; die Beweise, welche ich liefere, sind demnach nicht bloß am Schreibtische entwickelt, sondern der reinen Praxis entnommen. In der Stärkefabrik zu Swirz fließt die milchige Stärkeflüssigkeit von den Sieben worauf der Teig gewaschen wird, gleichmäßig vertheilt über eine Rinne von 50 Fuß Länge, 1 1/2 Fuß Breite und 1 Fuß Höhe, welche eine geringe Neigung besitzt, so daß die Flüssigkeit sich darauf langsam fortbewegt. An dem anderen Ende dieser Rinne angelangt, fließt sie durch ein verticales, am Boden angebrachtes Rohr in eine zweite gleichgroße Rinne, welche in entgegengesetzter Richtung geneigt ist. Alle gewinnbare Stärke setzt sich in diesen Rinnen ab; was daher von der zweiten Rinne abfließt, wird zur Fütterung verwendet und zu diesem Behufe außerhalb des Waschlocales in die sogenannte Futterkammer geleitet, wo die schlammhaltige Flüssigkeit sich in einem Bottich ansammelt. Unterhalb dieses Bottichs steht ein zweiter Bottich, an dessen Boden ein Dampfrohr einmündet, welches mit einem in der Nähe eingemauerten kleinen Dampfkessel in Verbindung steht; dreimal des Tages wird die schlammhaltige Flüssigkeit aus dem oberen in den unteren Bottich abgelassen, die Rückstände von den Sieben, bestehend in Kleber und Hülfen, werden dazu gegeben und das Ganze wird mittelst Dampf auf etwa 60º R. erwärmt, eine Stunde zugedeckt stehen gelassen, und dann die ganze Masse ungefähr 1/2 Stunde gekocht; mit dieser kochendheißen Masse werden die übrigen Zusätze, wie Häckerling etc. gebrüht, dann wird das Ganze gut gemengt und nach dem gehörigen Erkalten verfüttert. Durch das längere Erhitzen auf 60º R. erleidet der Stärkeschlamm durch den Kleber eine vortheilhafte Veränderung, und durch das darauf folgende Kochen verwandelt sich der Kleber in eine poröse schwammige Masse, welche nicht mehr klebrig ist und sich leicht vertheilen läßt, was zu einer gleichmäßigen Fütterung absolut nöthig ist, aber mit dem rohen Kleber nicht erreicht werden kann. Nach Grouven Annalen der Landwirthschaft des königl. preußischen Landesökonomie-Collegiums, Bd. XXXIII S. 283. ist das Weizenkorn in 100 Theilen (als Mittel von 51 Analysen) zusammengesetzt aus: Wasser 14,1 Fett 1,5 Eiweißkörpern 13,5 Kohlenhydraten 66,3 Cellulose 2,9 Salzen 1,7 Da man aus dem besten Weizen bekanntlich in der Praxis höchstens 50 Proc. Stärke gewinnt, so bleiben auf 100 Pfd. Körner in den festen Rückständen und dem Waschwasser: FettEiweißkörperKohlenhydrate   1,513,516,3 Die geringe Quantität wachsartiger Substanz   und Kleber, welche der Stärke anhängen,   unberücksichtigt gelassen. Cellulose   2,9 Salze   1,7 ––––– Zusammen 35,9 Trockensubstanz. Nimmt man die von Grouven aufgestellte Statik der Fütterung zu Hülfe, so läßt sich leicht die Menge der übrigen Futterstoffe berechnen, welche diesen Rückständen noch zugesetzt werden muß, um das richtige Verhältniß zwischen Trockensubstanz, Kohlenhydraten und Eiweißkörpern herzustellen. Lemberg, am 20. November 1861.