Titel: | Erzeugung von Dextrin und Krümmelzucker durch den Einfluß von Schwefelsäure oder Salzsäure, von Diastase oder Diastase und Hefe, auf Stärkmehl; Ausziehung der Holzfaser aus dem Holze; Darstellung des Schleimzuckers mittelst Malz oder Schwefelsäure; von A. Payen. |
Fundstelle: | Band 164, Jahrgang 1862, Nr. XXXIX., S. 144 |
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XXXIX.
Erzeugung von Dextrin und Krümmelzucker durch den
Einfluß von Schwefelsäure oder Salzsäure, von Diastase oder Diastase und Hefe, auf
Stärkmehl; Ausziehung der Holzfaser aus dem Holze; Darstellung des Schleimzuckers
mittelst Malz oder Schwefelsäure; von A. Payen.
Aus den Comptes rendus, December 1861, t. LIII p.
1217.
Payen, über die Umwandlung der Stärke in Dextrin und
Krümmelzucker.
Wenn man in dem von Chevreul der (französischen) Akademie
erstatteten BerichteNouvelles Annales du Museum, t. III p. 239. die Geschichte der Arbeiten über das Stärkmehl liest, so sieht man, daß sich
seit 1716 zahlreiche Chemiker mit diesem Stoffe beschäftigt haben. Dennoch ist
dieser interessante Gegenstand, auch trotz aller neueren Forschungen, heute noch
nicht erschöpft.
So z.B. hatten die Gelehrten, wie die Fabrikanten, welche sich bis in die letzte Zeit
mit den Umwandlungen des Stärkmehls in Dextrin und Krümmelzucker (Traubenzucker,
Glykose) beschäftigten, keine directe Bestimmung des Verhältnisses der beiden
erzeugten Substanzen gemacht, wenn dieselben unter bestimmten Bedingungen der Zeit
und der Operationsweise entstanden.
Biot hat jedoch zuerst mittelst der von ihm geschaffenen
optischen Methode die fortschreitende Auflösung und Zuckerbildung verfolgt. Man nahm
allgemein an, daß die erste Stufe der Reaction das Maximum an Dextrin und das
Minimum an Krümmelzucker liefert, und dieser mit der Dauer der Wirkung zunimmt, ohne
daß man sich jedoch bemüht hätte, in experimenteller Weise die günstigsten
Bedingungen für diese Umwandlungen festzustellen oder die Grenzen derselben für die
verschiedenen Agentien zu ermitteln.
Als in einer Mittheilung, welche im vorigen Jahre an die Akademie gelangte,Von Musculus, polytechn. Journal Bd. CLVIII S. 424. das Verhältniß von 2 : 1 als dasjenige bezeichnet wurde, welches zwischen
den constanten Mengen von Dextrin und Krümmelzucker besteht, die sich gleichzeitig
auf Kosten des Stärkmehls durch Dazwischenkunft des Wassers und der Diastase oder
Schwefelsäure gebildet haben, wurde zugleich die Erzeugung einer größeren Menge von
Krümmelzucker durch Diastase als unmöglich und durch Schwefelsäure als so schwierig
bezeichnet, daß man geneigt war, in der Entstehung der beiden Producte viel eher
eine Zersetzung als eine bloße Wasseraufnahme von Seite der Stärkesubstanz zu
erblicken. Natürlich führte dieß darauf, eine namhafte Abänderung in der
gewöhnlichen Methode der Krümmel- oder Stärkezuckerfabrication durch
Schwefelsäure vorzuschlagen, und insbesondere die Anwendung geschlossener Gefäße und
die Erhöhung des Druckes bis auf eine Temperatur von 108º C. anzurathen.
Man betrachtete die Wirkung der Diastase auf das Stärkmehl als unfähig, mehr als den
dritten Theil desselben in Zucker überzuführen, während die beiden übrigen Drittel
so sehr aller weiteren Zuckerbildung durch dasselbe Mittel zu widerstehen schienen,
daß man z.B. in der Fabrication des Fruchtbranntweins, wo gekeimte Gerste den
gährungsfähigen Zucker erzeugt, einen unvermeidlichen Verlust von 2/3 des
alkoholischen Productes annehmen mußte.
Als ich diese interessanten Beobachtungen erfuhr, schienen mir die theoretischen
Schlüsse nicht hinreichend gerechtfertigt zu seyn. Wenn man nämlich bedenkt, daß die
stärkmehlhaltigen Bestandtheile in den einzelnen Körnern und in den 10–15
einzelnen concentrischen Lagen, die jedes Korn bilden, einen sehr verschiedenen
Aggregatzustand besitzen, und daß diese Lagen abwechselnd von außen nach innen ein
Maximum und ein Minimum der Cohäsion zeigen, so kann man es wohl für wahrscheinlich
halten, daß dieser verschiedene Zustand nicht allein manche schon früher von mir
angegebene merkwürdige Erscheinungen hervorruft, sondern auch die schnelle
Umwandlung des Stärkmehls in zwei Producte zu erklären vermag, indem das eine von
der Auflösung und fast unmittelbaren Zuckerbildung herstammt, während das andere dem
Stillstand nach der schwierigeren Lösung der dichteren Theile entspricht. Es scheint
ferner wahrscheinlich, daß dieser Widerstand durch die Gegenwart des schon
entstandenen Krümmelzuckers sich vermehren könne, und daß es möglich wäre, diese
Hindernisse entweder theilweise durch längere Einwirkung, oder vollständiger durch
Entfernung des Krümmelzuckers mittelst der Gährung zu beseitigen.Im Jahre 1835 gab Hr. Guerin-Vary an, daß
es ihm gelungen sey, das Dextrin durch Diastase fast ganz in Zucker
überzuführen, und zwar durch wiederholte Einwirkung nach jedesmaliger
Entfernung des Productes durch Alkohol. Die Trennung in dieser Weise ist
freilich sehr langwierig, schwierig und fast immer unvollständig; übrigens
wurde von Musculus das Endresultat bestritten. A.
d. O.
Diese Ansicht war auf ein aufmerksames Studium der Erscheinungen im Großen gegründet;
ich habe eben dahin zielende Beobachtungen im Conservatoire
des arts et métiers unter der Mitwirkung des Hrn. Billequin gemacht, deren Resultate ich hier kurz
zusammenfassen will.Der ausführliche Bericht befindet sich in einer (noch nicht veröffentlichten)
Abhandlung, die der Verf. der französischen Akademie eingereicht hat.
Die Thatsachen, welche ich aus meinen Untersuchungen ableite, und die auf der
Anwendung genauerer Bestimmungen der verschiedenen Producte der Einwirkung von
Diastase und von Säure auf Stärkmehl und Dextrin beruhen, sowie diejenigen welche
sich auf den doppelten Einfluß der Diastase und der Hefe beziehen, stehen indessen
in keinem Punkt im Widerspruch mit denjenigen Beobachtungen, welche in meiner im
Jahr 1843 veröffentlichten Denkschrift enthalten sind,Recueil des Savants etrangers, t. VIII. oder mit denjenigen Thatsachen, die ich seit jener Zeit besprochen habe. Es
bleiben also die Mittheilungen über verschiedene Formen, Größen und über die
Structur des Stärkmehls in den verschiedenen Pflanzen unverändert richtig; dasselbe
gilt für den verschiedenen Wassergehalt und die verschiedene Cohäsion in demselben
Korn, und je nach dem Alter der Stärkekörner, so wie für die Art der Auflösung des
Stärkmehls und seines Durchganges durch die Gewebe während des Lebensprocesses,
endlich für die zuweilen vorkommende Rückkehr desselben in den ursprünglichen
Zustand und die ursprüngliche Structur. Ebenso unberührt bleiben die
Elementarzusammensetzung und die Aequivalente der verschiedenen Producte, welche
unter dem Einfluß der Temperatur und der verschiedenen Agentien entstehen; so wie
auch die Darstellung und die charakteristischen Eigenschaften des reinen
Dextrins.
Dagegen erstreckten sich diese experimentellen Untersuchungen auf die numerische
Bestimmung der Umwandlungsproducte unter verschiedenen Verhältnissen, und zwar
sowohl hinsichtlich der Ueberführung des Stärkmehls in Dextrin und Zucker, als des
Dextrins in Krümmelzucker.
Es war dabei meine Absicht, entweder die merkwürdigen im vorigen Jahre angekündigten
Resultate zu constatiren, oder auch neue Thatsachen festzustellen, die zur Erklärung
mancher Vorgänge in der Industrie und der Landwirthschaft dienen können.
1) Die erste der angegebenen Beobachtungsreihen führte zur Ermittelung derjenigen
Umstände, unter welchen man – ohne die Wasser- oder Säuremenge zu
ändern, ohne die Temperatur über den Siedepunkt der Flüssigkeit zu erhöhen, und ohne
die Gesammtdauer der Einwirkung zwischen weiteren Grenzen als 3 1/2 bis 5 Stunden
variiren zu lassen – direct aus der Stärkesubstanz mittelst 3 Proc.
Schwefelsäure 51 bis 83,6 Proc. des Gesammtproductes an Krümmelzucker (C¹²H¹²O¹²) erhalten kann.
Es ist also klar, daß das Stärkmehl und hierauf die größte Menge des Dextrins
allmählich in Zucker übergeführt wird; es ist folglich nicht nothwendig in
geschlossenen Gefäßen zu arbeiten, um das Stärkmehl in so viel Krümmelzucker zu
verwandeln, daß dieser durch freiwillige Krystallisation zur festen Masse
erstarrt.
2) Ein directer Versuch hat bewiesen, daß das Dextrin des Handels unter ähnlichen
Umständen ein Product von 84 Proc. Krümmelzuckergehalt liefert.
3) Eine andere Reihe von Versuchen beweist, daß die Salzsäure noch etwas kräftiger
wirkt. Bei gleichem Aequivalent und je nach der Operationsmethode liefert sie mit
Stärkmehl ein Product welches 62 1/2 bis 85 1/2 Proc. reinen Krümmelzucker
enthält.
4) Wenn man Salzsäure unter ähnlichen Umständen, aber längere Zeit hindurch auf
Holzgewebe wirken läßt, so erhält man zuerst Dextrin, dann gährungsfähigen Zucker
aus der weniger festen Fasersubstanz und einer der derselben ähnlichen
inkrustirenden Substanzen, während der dichtere Faserstoff unverändert bleibt. Man
erhält so zwei unterschiedene Producte: leicht abzudestillirenden Alkohol und
Faserstoff von hinreichender Festigkeit, um zur Papierfabrication benutzt werden zu
können. Aus dem Buchen-, Tannen-, Pappelholz und dem Getreidestroh
kann man so 10 bis 15 Proc. Alkohol und 25 bis 30 Proc. reinen trockenen Zellstoff
erhalten.
5) Während der Einwirkung der Diastase auf die Stärke enthielten die durch
viermaliges Fractioniren im Zeitraum von 2 1/2 Stunden erhaltenen Producte immer
größere Mengen Krümmelzucker, und zwar 17,9 Proc., 20,97 Proc., 25,83 Proc. und
26,03 Proc. der trockenen Substanz. Also verwandelt sich das nach der Verflüssigung
der Stärke gebildete Dextrin nach und nach in Krümmelzucker, bis dieser Umwandlung
ein Hinderniß aus der Umwandlung selbst erwächst, indem sich in der Flüssigkeit eine
zu große Menge Zucker gebildet hat. Es war in der That möglich, nachdem aller
Krümmelzucker durch Gährung entfernt war, die Zuckerbildung aus dem Dextrin mittelst
Diastase, so stark wie früher, wieder einzuleiten.
Da ähnliche Producte durch Einwirkung der Diastase auf das Dextrin des Handels
erzielt wurden, so ist es vollkommen erwiesen, daß die Diastase wirklich das Dextrin
in Zucker überführen kann.
6) Eine weitere Versuchsreihe hat dargethan, daß die Bierhefe (wie dieß auch Guérin erkannt hatte) das Dextrin nicht in Gährung
zu versetzen vermag;
aber durch die vereinigte Wirkung von Diastase und Hefe wird das Stärkmehl zuerst in
Dextrin und Krümmelzucker, und dieser dann in Weingeist und Kohlensäure verwandelt.
Es ist also jetzt klar, daß wenn man den von mir vorgeschriebenen Weg befolgt, man
bis zur fast gänzlichen Umwandlung des Stärkmehls in Alkohol gelangen müsse. Diese
neuen Untersuchungen geben den Schlüssel zum Verständniß der Resultate, wie sie die
besseren Operationen in Getreidebrennerein und Brauereien erlangen lassen; sie geben
die Bedingungen an, welche erfüllt werden müssen, wenn das Maximum des Effectes
erreicht werden soll, und sie erklären die bisweilen beobachteten merkwürdigen
Unregelmäßigkeiten bei diesen großen fabrikmäßigen Operationen.
7) In einer andern Reihe von Versuchen wurde Stärkmehl in der Wärme mit Wasser
verbunden und durch einen Ueberschuß von Wasser in Kleister verwandelt, und hierauf
der Einwirkung der Diastase bei verschiedenen bestimmten Temperaturen unterworfen.
So wurde bis 52 7/10 Proc. vom trockenen Producte an Krümmelzucker erlangt. Wenn es
also in keinem meiner zahlreichen Versuche gelang, durch directe Zuckerbildung
mittelst Diastase diese Zahl zu übertreffen, so konnte um so weniger die von einem
anderen Experimentator angegebene Zahl von 87 9/10 Proc. erreicht werden.
8) Wenn man aber auch das Maximum an Zucker erreicht, so bleibt doch der erhaltene
Syrup von Dextrin und Krümmelzucker nicht direct krystallisirbar.
9) Ebenso ergab sich nur ein negatives Resultat, als ich versuchte, bei 85º C.
die Umwandlung der Stärke in Dextrin ohne Zuckerbildung zu bewirken; in der Nähe der
Grenze, wo die Wirksamkeit der Diastase aufhört, bilden sich noch die beiden
Producte der speciellen Reaction unter ihrem Einfluß; es findet also hier keine
Ausnahme von der allgemeinen Regel statt.
Wenn übrigens die Diastase auf den Kleister bei 85º C. wirkt, so kommt dieß
nur daher, daß sie nicht vorher in ihrer wässerigen Lösung auf diese Temperatur
gebracht wurde; denn wenn man dieß thut, so sinkt die wirkliche Grenze ihrer
Wirksamkeit auf 80º C.
10) Es ist eine merkwürdige, auch von uns beobachtete Erscheinung, daß die Diastase
ihre Wirkung noch bei Temperaturen von 5° und 10° C. unter 0º
äußert; allein es bildet sich unter diesen Umständen nicht Dextrin allein, wie man
angegeben hatte, sondern wir fanden bis 38 2/10 Proc. Krümmelzucker im Producte.
Also auch hier findet keine Ausnahme der allgemeinen Regel statt.
11) Die klaren, dicken Syrupe, fast ohne Farbe und Krystallisationsfähigkeit, wie sie jetzt fabricirt
und als „unwägbare Syrupe“
Dieser Name (sirops impoderables) bezieht sich
darauf, daß das Aräometer nicht leicht genug einsinkt, um die Dichtigkeit
damit messen zu können. von Weizen, Korn oder geleimter Gerste in den Handel kommen, werden aus dem
Stärkmehl der Kartoffeln mittelst etwa 7/1000 seines Gewichtes Schwefelsäure
dargestellt; eines der schönsten Muster enthielt nur 11 1/10 Proc. Wasser und auf
100 Thle. Trockensubstanz 41,73 Krümmelzucker.
Indem man diese Syrupe an Stelle der mit Stärkmehl und Diastase erzeugten
Dextrinsyrupe anwandte, hat man ohne Zweifel dem Fabrikant die Arbeit erleichtert;
man hat außerdem den eigenthümlichen Geschmack des Malzes vermieden, dabei aber
weder einen so reinen Zuckergeschmack, noch so viel Schleimsubstanz erhalten, welche
die Anwendung der Dextrinsyrupe in der Medicin empfehlen, und ebenso wenig die
Vortheile erreicht, welche für die Bierbrauerei die Anwendung von Syrupen aus Malz
und Stärke gewährt.
Die geringe Menge von 7/1000 Schwefelsäure reicht hin, um unter den angegebenen
Verhältnissen den Gehalt der Syrupe an Krümmelzucker auf 69 Proc. des Gewichtes an
organischer Materie zu bringen, indem man in offenen Gefäßen arbeitet.
12) Obwohl man so wenig Säure anwendet, so bleibt doch ein Rückhalt an Schwefelsäure
und Gyps in den erhaltenen Syrupen, selbst noch nach ihrer Filtration durch eine
dicke Schicht gekörnter Knochenkohle.Wir haben in 100 Theilen des „unwägbaren“ Syrups das
Aequivalent von 0,31 Gyps und in 100 Theilen des krystallinischen
Krümmelzuckers das Aequivalent von 0,50 Gyps gefunden.
Indessen ist der Gypsgehalt in diesen unkrystallisirbaren Syrupen geringer als in den
Syrupen von 33º Baumé und in dem krystallinisch erstarrten
Krümmelzucker von 40º B. Dieß deutet darauf hin, daß man in der Bierbrauerei
diese Producte durch die mittelst Diastase erzeugten Syrupe ersetzen sollte. Eine
solche Aenderung würde ohne Zweifel von großem Nutzen für die Heilsamen
Eigenschaften dieses Getränkes seyn.