Titel: Eine Gegenbemerkung zu der Bemerkung des Hrn. Professor Seidel in Betreff der nassen Gasuhr; von J. C. Ullherr.
Autor: J. C. Ullherr
Fundstelle: Band 166, Jahrgang 1862, Nr. XXVI., S. 112
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XXVI. Eine Gegenbemerkung zu der Bemerkung des Hrn. Professor Seidel in Betreff der nassen Gasuhr; von J. C. Ullherr. Ullherr, über die nasse Gasuhr. Mein Artikel über die nasse Gasuhr (in diesem Journal Bd. CLXV S. 259) hat den Hrn. Prof. Seidel zu einer Bemerkung (S. 435) veranlaßt, durch welche er Zweifel gegen die daselbst in Anwendung gebrachten Hülfsmittel zu erregen sucht, und einen nächsten Versuch macht, mir eine Schlußweise unterzuschieben, gegen die ich mich auf das Entschiedenste verwahre. Was jene Hülfsmittel betrifft, so glaube ich behaupten zu können, daß der ganze Streit über die Gasuhr sich um ein gut Theil besser ansehen würde, wenn dabei nicht bedenklichere Waffen gebraucht worden wären, als die von mir gewählten. Wenn freilich der sachkundige Herr Akademiker das ganz allgemeine, auf jede Bewegung anwendbare Princip der Uebertragung der Arbeit, diesen Haupthebel der heutigen Maschinenlehre, mit dem berüchtigten, nur unter ganz besonderen Verhältnissen geltenden Satz von der Erhaltung der lebendigen Kraft, der noch gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts die ganze gelehrte Welt entzweite, verwechselt: dann wird es allerdings begreiflich, daß er den Folgerungen aus jenem Princip keinen rechten Sinn abzugewinnen weiß, und die Gleichungen, welche sie übersichtlich darstellen, für gehaltlose Zierrathen ansieht. Doch für so ganz schlimm sieht er diese Gleichungen nicht einmal an. Er hat ja gefunden, daß sich die letzte von ihnen, die auf das vereinigte System aus Luft, Sperrflüssigkeit und Trommel bezügliche, ganz gut in Worten geben läßt, und daß kein Mensch an ihrer Aussage zweifelt. Nur die vorhergehenden, für Sperrflüssigkeit und Trommel einzeln aufgestellten Gleichungen, von denen die erste noch dazu mit dem Beisatz versehen ist: die Unterhaltung des Kreislaufs in der Sperrflüssigkeit geschieht also so gut wie ganz allein auf Kosten der von der Trommel aus übergehenden Kräfte, haben ihm unaussprechlich und für die vermeintliche Controverse so ganz und gar nichtssagend geschienen, daß er sie der Erwähnung nicht werth gehalten hat; wenn nicht allenfalls die ihm noch auf dem Herzen liegenden (nicht gemachten) Bemerkungen darauf bezogen werden müssen. Er sagt nämlich: „Bereits einige der Aufstellungen, durch welche der Hr. Verfasser dabei vorgeht, würden Anlaß zu Anmerkungen bieten, die aber hier bei Seite bleiben können, weil die Folgerungen über Controverse erst an die Endgleichungen angeknüpft sind, deren Gültigkeit dabei wenig berührt wird.“ Unter diesen Endgleichungen versteht er, wie sich im weiteren Verlauf seiner Bemerkung zeigt, die erwähnte, aussprechbare Gleichung und einen Näherungsausdruck für das bei jeder Umdrehung der Trommel geförderte Gasvolumen. Man sollte nun allerdings glauben, daß Jeder, dem die in der Maschinenlehre allgemein üblichen Vorstellungen nicht völlig fremd sind, gerade die für Sperrflüssigkeit und Trommel besonders aufgestellten Gleichungen in Verbindung mit der ausführlich motivirten Relation W'' + W' = – W als entscheidend für die (unter Fachmännern nicht wohl zulässige) Controverse erscheinen müßten. Der Beisatz zu der ersten von diesen Gleichungen enthält ja doch wohl diese Entscheidung. Er sagt mit anderen Worten: die Trommel ist so gut wie ganz allein der Motor, welcher die mit der Bewegung der Sperrflüssigkeit verbundenen Arbeitsverluste deckt. Und wenn man dieß noch nicht für ausreichend hält, so sagt die Relation W'' + W' = – W noch weiter: den sämmtlichen Einwirkungen der Sperrflüssigkeit auf die Trommel entspricht bei jeder Umdrehung die negative ArbeitsgrößeW – W. Hierin ist doch, dächte ich, deutlich genug ausgesprochen, daß die Sperrflüssigkeit im Sinne eines Widerstandes bei der Bewegung der Trommel betheiligt ist, und daher unmöglich als Motor für sie gelten kann. – Oder irre ich mich vielleicht? Hat man denn nicht glauben machen wollen, daß die Sperrflüssigkeit, und zwar in Folge einer geringen Niveauverschiedenheit zu beiden Seiten der den Luftweg sperrenden Schaufel, zum Motor für die Trommel wird? Hat man nicht gerade darin die Aehnlichkeit der Gasuhrtrommel mit dem Tretrad gefunden, und für diese neue Ansicht sogar größere theoretische Strenge(!) in Anspruch genommen? In der Arbeitsgleichung für die Sperrflüssigkeit ist freilich der Einfluß der geringen Niveauverschiedenheit nicht durch ein besonderes Glied vertreten. Der Grund hievon ist bei der Aufstellung der betreffenden Gleichung angegeben, so wie dort überhaupt kein Umstand unberührt geblieben seyn dürfte, der für die Zusammensetzung dieser Gleichungen aus den einfachsten Elementen der Maschinenlehre von Belang ist. Gesetzt aber, die negative Arbeitsgröße – W – W, mit welcher die Sperrflüssigkeit an der Drehung der Trommel betheiligt ist, müßte bei weiter gehender Näherung um einige Procente ihres Werthes, in dem einen oder anderen Sinne, geändert werden: würde denn dadurch die Art der Wechselwirkung zwischen Sperrflüssigkeit und Trommel die umgekehrte, so daß nun auf einmal die Sperrflüssigkeit als Motor für die Trommel erscheinen könnte? Mein Herr Gegner hat, wie bereits vorhin bemerkt, die eben gedachten Gleichungen, als seine Controverse nicht berührend, bei Seite gelassen und sich dafür bloß an die aussprechliche Schlußgleichung, welche für das ganze System (Luft, Sperrflüssigkeit und Trommel im Verein) durch Addition der vorhergehenden Gleichungen erhalten wurde, und den zur Gleichung umgestempelten Näherungsausdruck für das Luftvolumen gehalten; an die Gleichung also, welche begreiflicherweise selbst im günstigsten Falle (wo alle die Arbeitsgrößen, die sie enthält, ganz vollkommen ausgedrückt sind) eben so wenig über die Wechselwirkung zwischen Sperrflüssigkeit und Trommel unmittelbar aussagen kann, wie der Ausdruck für das Luftvolumen. Dabei ruft er dann voll Verwunderung „Nach welcher Logik kann aus zwei Dingen, welche beide die Streitfrage nichts angehen, geschlossen werden etc.“ Dann: „Der Mathematiker schließt nach denselben Gesetzen etc.“ Ich zweifle nicht daran, daß unser Herrgott den Mathematiker aus demselben Stoff geschaffen hat wie andere Menschenkinder und für sein Denken und Schließen keine Ausnahmsgesetze walten läßt. Die Hauptsache dabei scheint mir aber zu seyn, daß er denkt. Eine kleine Verwirrung wird ihm mit und ohne Rücksicht auf den stellenweise etwas dunklen Codex der Denkgesetze nie ganz erspart werden können. Wenn mein Herr Gegner die ganz einfachen aus dem Princip der Uebertragung der Arbeit gezogenen Folgerungen für nichtssagende Zierrathen hält, wie mag er sich dann überhaupt bemühen, die Verbindung zwischen ihnen und seiner Streitfrage errathen zu wollen? Die Schlußweise, die er dazu für nothwendig hält, hätte sich ja Wohl mit ganz gleichem Rechte wie an jene Schlußgleichung und den Ausdruck für das Gasvolumen, an die zufällige Bezeichnung, nach welcher a + b die Länge des Trommelmantels vorstellt, anknüpfen lassen. Dabei wäre dann jedenfalls die Auswahl von Beispielen, an denen sich aufs Schlagendste zeigen läßt, wie man nicht schließen darf, und wie freilich auch Niemand geschlossen hat, eine noch viel größere gewesen. Uebrigens scheint mir die freie Bewegung, selbst wenn sie vom Himmel stammt, wenig zur Illustration eines Falles wie der Gasuhr geeignet, bei welcher vorderhand bloß das Arbeitsgesetz Platz greift und die Bewegung selbst als vollendete Thatsache gelten muß. Den Wink anbelangend, welchen ich am Schlusse Meiner Beschreibung und Erläuterung der Gasuhr bezüglich der Begründung der entgegenstehenden neuen Ansicht anzubringen mir erlaubt habe, so kann ich, trotz der brusquen Zurückstoßung, mit welcher mein vornehmer Herr Gegner seine Ungeneigtheit, darüber zu streiten, zu erkennen gibt, nicht umhin, darauf noch mit einigen Worten, zu meiner vollen Rechtfertigung zurückzukommen. Ich habe die Richtigkeit gleich der ersten Aufstellung des Hrn. Prof. Seidel, durch welche die fundamentale Wichtigkeit einer dem Beginn der Drehung der Gasuhrtrommel vorangehenden kleinen Niveauveränderung in der Sperrflüssigkeit, und zugleich die größere theoretische Strenge der neuen (Tretrad) Anschauung erwiesen werden will, in Zweifel gezogen, und dabei die Vermuthung auf eine, über den Bereich des bekannten hydrostatischen Fundamentalsatzes hinausgehende Anwendung desselben ausgesprochen. Ich habe namentlich behauptet, daß beider Clegg'schen Gasuhr der Druck der in die Trommel gepreßten Luft zu keiner Zeit in der Art einseitig (durch die Flüssigkeit hindurch) auf die untergetauchten Schaufeln fortgepflanzt werden kann, daß dadurch der Ueberdruck, welcher an der den Luftweg sperrenden Schaufel vorhanden ist, aufgewogen werden müßte. Fassen wir nämlich den Zustand der Gasuhr von dem ersten Moment an, wo Trommel und Sperrflüssigkeit noch in Ruhe sind, und eben erst das Eindringen der Luft (vom Gasometer aus) beginnt, etwas näher ins Auge: Textabbildung Bd. 166, S. 115 Der nebenstehende Durchschnitt, welchem die stark gezogenen Radien A', B', C', D' die vier, nicht ganz an die Achse hineinreichenden Schaufeln vorstellen, soll dabei die Trommel versinnlichen. Der ganz kleine Kreis stellt die Achse (Welle), der mittlere die Conturen der schraubenförmigen Riegel der Schaufeln, der äußerste den Trommelmantel vor. D' sey die den Luftweg sperrende Schaufel. Wegen des Näheren über die Einrichtung wolle die ausführliche Beschreibung (Bd. CLXV S. 260) nachgesehen werden. – Alle Trommelräume, zu deren Unterscheidung die vier Schaufeln mit ihren schraubenförmigen Riegeln Anlaß geben, communiciren mit einander und mit dem äußeren Raum (dem Gehäuse) nicht bloß durch die Zwischenräume dieser Riegel, sondern auch durch die vier um die Achse herumliegenden, auf die ganze Länge der Trommel sich erstreckenden Oeffnungen, welche zwischen den inneren Rändern der Schaufeln und der Achse frei bleiben. – Die Sperrflüssigkeit reicht so weit über die Achse hinauf, daß nie eine Schaufel mit ihrem inneren Rand über den Wasserspiegel auftauchen kann. αβ zeigt für den gegenwärtigen Moment und auch für die Folge den äußeren Wasserspiegel an, wenn man annehmen will, wie es hier geschehen mag, daß er unbegrenzt ist. Es hängt also die Sperrflüssigkeit durchaus in Querschnitten zusammen, die im Vergleich zur Ausdehnung der Trommelräume als sehr beträchtlich gelten müssen. Denkt man sich nun der Eintritt der Luft in den Raum, der hinter der sperrenden Schaufel D' liegt, werde ungewöhnlich verzögert, so daß daselbst erst nach sehr geraumer Zeit die zur Drehung der Trommel erforderliche Spannung erreicht wird, dann ist klar, daß zunächst bloß das Niveau, so weit es diesen Raum begrenzt, eingedrückt, daß Wasser aus diesem Raume ausgetrieben wird. (Die Drehung der Trommel kann dabei nicht sogleich beginnen, weil an ihrer Achse Widerstände, Reibungen, von gegebener, merklicher Größe zu überwinden sind. Wenn diese Widerstände nicht vorhanden wären, dann würden Trommel und Sperrflüssigkeit gleichzeitig anfangen sich zu bewegen.) Denken wir uns nun von dem Moment an, welcher der eben beginnenden Drehung unmittelbar vorausgeht, den Luftdruck hinter D' stationär geworden, so ist klar, daß nun der zur Drehung der Trommel erforderliche Ueberdruck an der sperrenden Schaufel und die fundamental wichtige Niveaudifferenz erreicht ist, ohne daß dabei die untergetauchten Schaufeln nur irgend merklich einseitig gedrückt worden wären. (Der Wasserspiegel innerhalb des Raumes, der hinter D' liegt, habe jetzt die Lage α' β'.) Man kann begreiflicherweise den Eintritt der Luft sich so verzögert denken, daß während desselben kein Beobachtungsmittel, so empfindlich es auch seyn mag, einen einseitigen Druck an den untergetauchten Schaufeln anzeigen könnte. Wenn man nun nicht übersieht, daß bei der Clegg'schen Gasuhr die Sperrflüssigkeit in vielen und beträchtlichen Querschnitten zusammenhängt, von denen ein Theil ganz nahe am Niveau liegt, und daß der Eintritt des Gases stets nur allmählich erfolgt, so wird man sich der Ueberzeugung nicht verschließen können, daß auch ohne ungewöhnliche Verzögerung desselben, nicht wohl von einem einseitigen Druck auf die untergetauchten Schaufeln die Rede seyn kann, der den Ueberdruck an der sperrenden Schaufel aufwiegen könnte, oder gar aufwiegen müßte. Und selbst wenn man eine plötzlich erfolgende beträchtliche Steigerung des Luftdruckes hinter D' (wie sie in Wirklichkeit weder vorkommt, noch vorkommen kann) supponiren und den Act seiner Fortpflanzung durch die Flüssigkeit mit ins Auge fassen wollte, so ist doch wohl klar, daß ein solcher Druck, wegen der Oeffnungen die um die Achse herumliegen, im nämlichen Moment beide Seiten jeder untergetauchten Schaufel erreichen würde, während die sperrende Schaufel, soweit sie in den Luftraum ragt, zuerst, und nur einseitig davon getroffen wird. Dieses zur Begründung meiner Behauptung. Kehren wir nun noch einen Augenblick zu dem Moment zurück, der der beginnenden Drehung unmittelbar vorangeht, in welchem also die Niveaudifferenz schon vorhanden ist, und die Flüssigkeit ruhend gedacht wird. Für diesen Moment, und nur für ihn, läßt eine bloß statische Betrachtung den Antrieb zur Bewegung der Gasuhrtrommel mit Sicherheit entnehmen. Weil dabei die untergetauchten Schaufeln an jeder Stelle von beiden Seiten her gleichen Druck durch die Flüssigkeit erleiden, so ist klar daß, bei centrischer Lage des Trommelmantels gegen die Achse, der Antrieb zur (im Sinne des Pfeils erfolgenden) Drehung der Trommel nur aus den Drückungen sich zusammensetzt, welche die sperrende Schaufel, so weit sie über dem Niveau α'β' liegt, erfährt: und ein Blick auf die Figur wird zeigen, daß der Antheil, welcher durch die Flüssigkeit übergeht, bloß den schmalen Streifen der Vorderseite dieser Schaufel angreift, der zwischen die beiden Niveaux αβ und α'β' eingeschlossen ist, – daß also dieser Antheil, für sich gedacht, 1) wegen seiner kleinen Angriffsfläche und ihrer Nähe an der Achse nur unbedeutend im Vergleich zu dem an der sperrenden Schaufel vorhandenen Ueberdruck der eingepreßten Luft ist, und 2) der wirklichen Drehung direct entgegen wirkt. Wenn von dem eben betrachteten Moment an die Spannung der Luft hinter D' noch weiter vermehrt wird, so beginnt die Drehung der Trommel, und die Wechselwirkung zwischen ihr und der Sperrflüssigkeit wird eine andere als bisher; denn nun müssen sich die untergetauchten Schaufeln den Weg durch die Flüssigkeit bahnen, wobei sie zu ihr in ein ähnliches Verhältniß wie die Schaufeln eines Ruderrades treten. Dieser neue Zustand der Dinge ist aber einer bloß statischen Betrachtung nicht mehr zugänglich; bei ihm müssen vollkommenere Hülfsmittel in Anwendung gebracht werden, die am Ende jenen gegenüber gar nicht so ganz mit Unrecht Präcisionswaffen heißen könnten. Nach der neuen, theoretisch strengeren Ansicht (vergl. Bd. CLXIV S. 173), bei welcher weder die Schaufeln A' und C' noch die Riegel der allein beibehaltenen Schaufeln B' und D' in Betracht kommen, wird für den nämlichen Moment, wie vorhin, der directe und indirecte (durch die Flüssigkeit fortgepflanzte) Druck der stärker gespannten Luft auf die hintere Seite von D' gegen den auf die vordere (bei der Drehung vorausgehende) Seite von B' und ebenso der directe und indirecte Druck der schwächer gespannten Luft auf die vordere Seite von D' gegen den auf die hintere Seite von B' aufgehoben, und nun bleibt bloß der Wasserdruck übrig, der (natürlich) für die hintere Seite von B' größer ist, als für die vordere – und das Tretrad ist fertig. Wer bei so viel Naivetät im Munde hochwissenschaftlich exacter Naturforschung unserer Tage nicht versteinert wird, der muß doch wenigstens aufs Tiefste gerührt werden!