Titel: Untersuchungen über die künstlichen Farbstoffe. – Ueber die Zusammensetzung der blauen, von dem Chinolin und seinen Homologen abstammenden Verbindungen; von A. W. Hofmann.
Fundstelle: Band 168, Jahrgang 1863, Nr. XL., S. 135
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XL. Untersuchungen über die künstlichen Farbstoffe. – Ueber die Zusammensetzung der blauen, von dem Chinolin und seinen Homologen abstammenden Verbindungen; von A. W. Hofmann. Aus den Comptes rendus, t. LV p. 849; durch die Zeitschrift für Chemie und Pharmacie, 1863 S. 36. Hofmann's Untersuchungen über die künstlichen Farbstoffe. Die Entdeckung blauer, von dem Chinolin und seinen Homologen abstammenden Verbindungen geschah im Jahre 1856. G. Williams Jahresbericht für 1856, S. 532. unternahm zu jener Zeit von Neuem die Untersuchung der von Runge Poggendorff's Annalen Bd. XXXI S. 65 und 315, und Bd. XXXII S. 308. aus dem Steinkohlentheer und von Gerhardt Berzelius' Jahresbericht Bd. XXIII S. 357. aus den Alkaloiden der Chinarinde dargestellten Basen, deren identische Zusammensetzung der VerfasserAnnalen der Chemie und Pharmacie, Bd. LIII S. 427. nachgewiesen hat. Williams bemerkte zuerst bei der Behandlung des Jodürs, welches durch die Einwirkung von Methyljodür auf das durch trockne Destillation von Cinchonin erhaltene Chinolin gebildet worden war, mit Silberoxyd eine prachtvolle Färbung, die ihn zur Entdeckung des neuen, unter dem Namen Cyanin bekannten Farbstoffes führte. Aehnliche Erscheinungen wurden später 1857 durch v. Babo Jahresbericht für 1857, S. 407. durch Behandlung des Chinolins mit Schwefelsäure-Methyl- und Aethyläther beobachtet und die so erhaltenen Farbstoffe unter dem Namen Methyl- und Aethyl-Irisin beschrieben. Williams sah die Bildung dieser blauen Substanz, an welcher er entschieden basische Eigenschaften bemerkte, als Resultat eines Oxydationsprocesses an; v. Babo drückt die von ihm dargestellten Substanzen, freilich mit Vorbehalt, durch die folgenden wenig wahrscheinlichen Formeln aus: C²²H¹⁴N²O⁴ und C²⁶H¹⁸N²O⁴. Seit dieser Zeit wurde merkwürdigerweise keine genauere Untersuchung über die Zusammensetzung dieser eigenthümlichen Substanzen angestellt. Das Cyanin bildet eine sehr glänzende, aber leider sehr vergängliche Farbe. Hr. Ménier in Paris, welcher das Cyanin in großem Maaßstabe erzeugt und auf der Londoner Industrie-Ausstellung in prachtvollen Krystallen ausgestellt hatte, hat dem Verf. einige von diesen Krystallen zur näheren Untersuchung überlassen. Es sind Prismen, welche so gut ausgebildet sind, daß man sie krystallographisch bestimmen kann. Auf ihren Flächen zeigen sie grünen metallischen Glanz, mit einem goldähnlichen Reflex, wodurch sie in Verbindung mit ihrer Krystallform von dem ihnen in anderer Beziehung ähnlichen essigsauren Rosanilin unterschieden werden können. Sie sind in Aether fast unlöslich, schwer in Wasser, aber leicht löslich in Alkohol. Die Lösung besitzt eine prachtvoll blaue Farbe, mit einem Kupferglanz an ihrer Oberfläche. Säuren zerstören die Farbe, Ammoniak und fixe Alkalien scheinen sie nicht zu verändern. Es entsteht dadurch ein dunkelblauer Niederschlag, und die ablaufende Flüssigkeit ist farblos. Die grünen Krystalle wurden als das Jodür einer besonderen Base erkannt; das Jod kann aus der alkoholischen Lösung durch Silberoxyd niedergeschlagen und die Base in Freiheit gesetzt werden. Ebenso kann an die Stelle des Jods Brom oder Chlor eingeführt werden, wenn man die Lösung mit Brom- oder Chlorsilber behandelt. Die Analyse des Jodürs führte den Verf. zu der Formel C⁶⁰H³⁹N²J, welche außerdem durch die Untersuchung eines in kleinen rhomboidalen Tafeln krystallisirenden Platinsalzes sehr annähernd festgestellt wurde. Die nicht vollkommene Uebereinstimmung der Resultate der Analyse mit den aus der angegebenen Formel berechneten Zahlen ließ den Verf. vermuthen, daß in den Krystallen die homologe Verbindung C⁵⁶H³⁵N²J enthalten seyn möchte. Trotzdem daß nach drei- bis viermaligem Umkrystallisiren die Zusammensetzung constant blieb, ist es doch dem Verf. möglich gewesen, durch methodische partielle Fällung des Chlorürs mit Platinchlorid zwei verschiedene Platinsalze zu erhalten, von denen eines, weniger löslich, 30 Atome Kohlenstoff und das andere zwei Atome Kohlenstoff weniger enthielt. Das erstere leitet der Verf. ab von dem Lepidin C²⁰H⁹N während er die Gegenwart der sehr geringen Menge des letzteren einer kleinen Beimischung von Chinolin C¹⁸H⁷N zuschreibt. Es war dem Verf. möglich, in einer größeren Quantität des rohen Destillats von Cinchonin, aus welchem Hr. Ménier das Cyanin dargestellt hatte, die Gegenwart des Lepidins und Chinolins nachzuweisen, indem er deren Platinsalze darstellte. Der Verf. unterscheidet zwei verschiedene Phasen in der Bildung des neuen Jodürs: zuerst die Ueberführung des Lepidins in das Jodür des Amyllepidylammoniums C²⁰H⁹N + C¹⁰H¹¹J = C³⁰H²⁰NJ. Lepidin Amyljodür Amyllepidylammoniumjodür, hierauf die Verdichtung unter dem Einfluß des Kalihydrats von 2 Mol. der letzteren Verbindung zu 1 Mol. einer höheren Ordnung 2 C³⁰H²⁰NJ + KHO² = C⁶⁰H³⁹N²J + KJ + H²O²                neues Jodür. Die grünen Krystalle lösen sich leicht in verdünnter kochender Jodwasserstoffsäure; die farblose Lösung setzt beim Erkalten gelbe Nadeln von großer Schönheit ab, deren Analyse folgende Zusammensetzung ergab: C⁶⁰H⁴⁰N²J² = C⁶⁰H³⁹N²J, HJ. Diese Krystalle sind isomer mit dem Amyllepidylammoniumjodür, von dem sie sich in allen ihren Eigenschaften unterscheiden. In kaltem Wasser lösen sie sich ohne Zersetzung, aber bei der Behandlung mit heißem Wasser oder Alkohol erscheint sofort die blaue Farbe wieder, indem das erste Jodür wieder entsteht. Dieselbe Veränderung tritt ein bei 100°, so daß es nöthig ist, zum Zwecke der Analyse die Verbindung im Vacuum zu trocknen. Das grüne Jodür löst sich ebenfalls leicht in Chlorwasserstoff- und Bromwasserstoffsäure zu vollkommen farblosen Flüssigkeiten, welche wohlkrystallisirte Salze von entsprechender Zusammensetzung liefern. Unterwirft man das grüne Jodür in einer alkoholischen oder wässerig salzsauren Lösung der Wirkung des Chlorsilbers, so wird alles Jod ausgeschieden, und es bildet sich eine blaue Lösung, welche bei langsamem Verdunsten ein in grünen Prismen mit metallischem Reflex krystallisirendes Chlorür von der Zusammensetzung C⁶⁰H³⁹N² Cl absetzt. Dieses liefert beim Behandeln mit Salzsäure eine Lösung, aus welcher durch Abdampfen im Vacuum strohgelbe Nadeln anschießen, die sehr zerfließlich sind und bis jetzt nicht analysirt werden konnten. Sie liefern mit Platinchlorid ein schön gelbes, schwer lösliches Doppelsalz von der Zusammensetzung C⁶⁰H⁰⁴N²Cl² 2PtCl² Die grünen Krystalle des Jodürs schmelzen leicht zu einer blauen Flüssigkeit mit kupferspiegelnder Oberfläche; bei höherer Temperatur findet Zersetzung statt und man kann in einer Vorlage ein Gemenge von Lepidin und Amyljodür sammeln, deren Wiedervereinigung zu Amyllepidylammoniumjodür sich verhindern läßt, indem man sie in Salzsäure auffängt. Gleichzeitig entwickelt sich Amylen, und wenn die Temperatur gut geleitet war, so findet man in der Retorte eine verhältnißmäßig geringe Menge von Kohle. Die so erfolgte Zersetzung versinnlicht der Verf. durch folgende Gleichung         C⁶⁰H³⁹N²J = 2C²⁰H⁹N + C¹⁰H¹¹J + C¹⁰H¹⁰    Lepidin. Bei dieser Gelegenheit konnte der Verf. durch Nachweisung einer geringen Menge von Chinolin die Gegenwart einer geringen Menge der homologen Chinolinverbindung in den grünen Krystallen erkennen. Der Verf. hat durch Behandlung einer alkoholischen Lösung des grünen Jodürs mit Silberoxyd eine Base in Freiheit gesetzt, welche sich beim Abdampfen als eine undeutlich krystallinische Masse von dunkelblauer Farbe erhalten läßt, und sich in Wasser löst, leichter aber in Alkohol, jedoch nicht in wasserfreiem Aether, so daß sie aus ihrer alkoholischen Lösung mit Aether niedergeschlagen werden kann. Sie wurde bis jetzt nicht analysirt. Bei der Destillation liefert sie eine ölförmige Base, welche nach den bis jetzt angestellten Versuchen von dem Lepidin verschieden zu seyn scheint.