Titel: | Ueber ein in Seraing erbautes Turbinen-Dampfboot; aus einem Berichte des Schiffsbaumeisters A. Seydell in Grabow bei Stettin. |
Fundstelle: | Band 168, Jahrgang 1863, Nr. CIX., S. 407 |
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CIX.
Ueber ein in Seraing erbautes
Turbinen-Dampfboot; aus einem Berichte des Schiffsbaumeisters A. Seydell in Grabow bei Stettin.
Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des
Gewerbfleißes in Preußen, 1862 S. 317.
Ueber ein Turbinen-Dampfboot.
Eine Privatgesellschaft, welcher das auf der Maas fahrende Ruder-Dampfschiff
Seraing I eigenthümlich zugehört, hat bei der
Gewerkschaft John Cockerill zu Seraing ein
Turbinen-Dampfschiff, als ein solches Dampfschiff bei welchem die
hydraulische Reaction als Motor dient, erbauen lassen. Dieses Schiff, welchem nach
seiner im Sommer 1862 erfolgten Vollendung der Name Seraing II beigelegt worden ist, hat der Schiffsbaumeister und Ingenieur
Hr. A. Seydell, aus Grabow, bei Stettin, bei Gelegenheit einer
Reise nach Belgien besichtigt und über die Resultate seiner dabei gemachten
Beobachtungen an das kgl. preuß. Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche
Arbeiten Bericht erstattet. Aus dem ebengedachten Berichte, welcher von dem
genannten königlichen Ministerium zur geeigneten Benutzung für die Verhandlungen des
Gewerbe-Vereins mitgetheilt worden ist, sind die nachstehenden Angaben in
derjenigen Beschränkung entnommen, welche als ihrem Zweck, die Aufmerksamkeit der
Techniker auf das genannte Fahrzeug hinzulenken, entsprechend erschienen sind.
Jenes aus Eisen erbaute Schiff hat eine Länge von 140, eine Breite von 13 und einen
Tiefgang von 27 englischen Fußen. Der Flächenraum seines Querschnitts unter Wasser
beträgt in seiner größten Ausdehnung 22,626 Quadratfuß, und was die Schärfe des
Schiffes anlangt, so verhält sich das Deplacement zu dem umschriebenen
Parallelepipedon wie 0,484 : 1.
Die Dampfmaschine des Schiffes besteht aus zwei festliegenden horizontalen
Dampfcylindern von je 25'' Durchmesser und 22'' Kolbenhub. Die gleichfalls
horizontal gelagerte doppeltwirkende Luftpumpe hat einen Durchmesser von 9 1/2''.
Das Triebrad ist von einem Durchmesser von 7 1/4' und macht 63 bis 66 Umgänge in der
Minute. Die beiden Abflußröhren haben zusammen im Querschnitt einen Flächenraum von
2061 Quadratfußen. Der Dampfkessel ist nach dem bekannten Röhrensystem construirt
und arbeitet mit 20 Pfd. Ueberdruck. Die Länge des ganzen Raumes für die
Maschinerie, einschließlich des Kessels, beträgt, wie bei dem Ruderschiffe Seraing
I, 27 3/4'.
Der hydraulische Apparat des Schiffes ist ganz ähnlich dem des Dampfschiffes
„Albert,“ von welchem eine nähere Beschreibung in Erbkam's Zeitschrift für Bauwesen, Jahrgang 1859, sich
vorfindet. Das Betriebswasser gelangt wie bei dem „Albert“
durch den Boden des Schiffes an den hydraulischen Apparat. Letzterer bildet eine
Centrifugal-Pumpe, welche das Wasser durch die Wurfkraft des darin
befindlichen Rades in die seitswärts angebrachten Canäle tangential abwirft; aus
diesen gelangt dasselbe sodann in die außerhalb des Schiffes an jeder seiner Seiten
angebrachten, gekrümmten, drehbaren Ausflußröhren, und tritt demnächst, indem es aus
denselben entweder ober- oder unterhalb der Wasserlinie sich entladet, wieder
in Vereinigung mit der Wassermasse, aus welcher es ursprünglich entnommen worden
ist.
Das Schiff, welches als Passagierboot seit Mitte des vorigen Sommers die Maas
zwischen Lüttich und Seraing befährt, entspricht in seiner Leistungsfähigkeit den an
dasselbe allseitig gemachten Anforderungen. Es steht an Schnelligkeit dem vorerwähnten
Räder-Dampfschiffe Seraing I, welches in dieser
Beziehung den beiden anderen auf der bezeichneten Strecke der Maas früher in Fahrt
gesetzten Räder-Dampfschiffen den Rang abgelaufen hatte, nicht nach, und wird
von demselben auch in der Oekonomie des Betriebes nicht übertroffen. Einen
wesentlichen Vorzug vor demselben aber hat es durch seine bei weitem größere
Manövrirfähigkeit, indem ihm vermöge der ihm eigenthümlichen Verstellbarkeit der
obengedachten beiden gekrümmten Abflußröhren jede beliebige Richtung des Laufes ohne
Beihülfe des Steuerruders gegeben werden kann.
Die Bezeichnung des Schiffes als Turbinenschiff ist dem System der schottischen
Turbinen entlehnt. Wenn nämlich die beiden Ausflußröhren an den Seiten des Schiffes
mit ihren Mündungen horizontal nach entgegengesetzten Richtungen gestellt werden, so
dreht sich das Schiff stehend um seine senkrechte Achse. Die Dampfmaschine in
Verbindung mit der Centrifugal-Pumpe bilden alsdann ein Substitut für die bei
der Turbine wirkende Wassersäule. Die Drehbarkeit des Schiffes um seine senkrechte
Achse gewährt Schiffen von der Constructionsart des Seraing II noch einen Vorzug bei engen Ankerplätzen, wie sich dieß
namentlich auch schon bei dem eben erwähnten Schiffe praktisch gezeigt hat.
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Aus der ferneren praktischen Benutzung des Schiffes Seraing II und den dabei ferner zu machenden Beobachtungen werden ohne
Zweifel sich noch mancherlei Erfahrungen auf dem noch nicht genugsam aufgeklärten
Gebiete der Nutzbarkeit hydraulischer Motoren für die Schifffahrt ergeben, und
erscheint es daher wünschenswerth, daß sachkundige Schiffer, Schiffsbaumeister und
Schiffs-Ingenieure jenem Schiffe und dessen ferneren Leistungen ihre
aufmerksamen Blicke zuwenden mögen.