Titel: Beschreibung einer Verbesserung der Greifer-Nähmaschine, wodurch dieselbe zwei neue Nahtarten zu erzeugen im Stande ist; von Dr. Robert Schmidt, Civilingenieur in Berlin.
Autor: Robert Schmidt
Fundstelle: Band 168, Jahrgang 1863, Nr. CXI., S. 420
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CXI. Beschreibung einer Verbesserung der Greifer-Nähmaschine, wodurch dieselbe zwei neue Nahtarten zu erzeugen im Stande ist; von Dr. Robert Schmidt, Civilingenieur in Berlin. Mit Abbildungen auf Tab. VII. Schmidt's Verbesserung der Greifer-Nähmaschine. Bereits im vorigen Jahre habe ich in diesem Journal (Bd. CLXIV S. 90) darauf hingewiesen, daß ein hiesiger Nähmaschinenfabrikant, F. Schmidt, eine Verbesserung an der von Wheeler und Wilson erfundenen Greifer-Nähmaschine gemacht hat, durch welche man im Stande ist, außer der bisher mit dieser Maschine hergestellten Naht noch zwei verschiedene Nahtarten, die die bis jetzt mit anderen Maschinen hergestellten Nähte vollständig ersetzen, zu machen; jetzt bin ich in den Stand gesetzt, die bezüglichen Constructionen den Interessenten hier mitzutheilen. Die speciellere Construction der Greifermaschine voraussetzend, erwähne ich nur, daß dieselbe im Allgemeinen folgende ist: Eine horizontale Welle, die Greiferwelle, welche in Fig. 6 im Durchschnitt dargestellt ist und an dem gezeichneten Ende die Spule P enthält, wird durch Schwungrad in Umdrehung gesetzt. Durch diese Umdrehung wird einerseits, durch Excentric und Zahnstange, der zu nähende Stoff J' in der Richtung des Pfeils vor jedem neuen Stich um die Länge desselben transportirt; andererseits ein oberhalb desselben befindlicher Körper in schwingende Bewegung gesetzt, so daß die mit letzterm verbundene Nadel bei jeder Umdrehung der Greiferwelle eine ab- und aufwärtsgehende Bewegung, und damit einen Stich macht, während die Nadel sich dabei den Faden (Oberfaden) von einer oberhalb des Stoffes angeordneten Rolle holt. Bei der Aufwärtsbewegung der Nadel bildet der mit ihr verbundene Faden eine Schleife, die von dem Greifer derart aufgezogen wird, daß die Spule, welche den Unterfaden enthält, durch die Schleife gelangt. Die Naht, die sich bei dieser Manipulation bildet, ist in Fig. 9 im großen Maaßstabe abgebildet. Die hier in Rede stehenden Nahtarten, welche durch dieselbe Maschine mit veränderter Spule hergestellt werden können, werden in folgender Art gebildet: 1) In die wie vorhin gebildete Schleife tritt, aus demselben (Ober-) Faden gebildet, eine neue Schleife ein: Kettenstichnaht mit verdrehter Schleife, in Fig. 10 dargestellt. 2) In die wie vorhin gebildete Schleife tritt, aus demselben (Ober-) Faden gebildet, eine neue Schleife ein, und es legt sich außerdem ein Unterfaden durch die gebildete Schleife: Kettenstichnaht mit verdrehter Schleife und Unterfaden, in Fig. 11 dargestellt. Da die unter 2) erwähnte Naht als Combination der unter 1) und der bisher mit dieser Maschine gemachten Naht (Hakenstichnaht) erscheint, so kommt es darauf an zu zeigen: A. wie der Unterfaden in die Schleife gelangt; B. wie die neue Schleife in die alte gelangt. Zur Erläuterung dieser Manipulationen dienen die Fig. 1 bis 8, welche sämmtlich in doppelter Größe gezeichnet sind. Die zu verbindenden Stoffe sind hier überall mit J', das Nadelöhr mit n bezeichnet. In allen Stirnansichten des Greifers (Fig. 1 bis 5a) ist außerdem die in Fig. 6 und Fig. 6a im Durchschnitt gezeichnete Spule fortgedacht und nur bei den Figuren 1 bis 5 der auf derselben befindliche Unterfaden wie auch überall der Oberfaden gezeichnet. Die Pfeile in den Stirnansichten des Greifers bezeichnen außerdem die Drehungsrichtung desselben. A. Wie der Unterfaden in die Schleife gelangt. Fig. 1 bis 8. Die eigenthümliche Form des Greifers wird sich einerseits durch die in Fig. 1 bis 5 gegebenen Stirnansichten, außerdem durch die in Fig. 6, 7 und 8 gegebenen Durchschnitte erklären. Um zugleich eine Vergleichung der alten Greifer- und Spulenform mit der neuen möglich zu machen, ist hier, in Fig. 6, die alte Form beider beibehalten. Beim Anfang des Nähens werden die Enden a und a' des Ober- und Unterfadens mit den Fingern gehalten. Fig. 1 zeigt eine solche Lage, während dabei das Oehr n der Nadel seinen tiefsten Punkt erreicht hat, und der Unterfaden vor dem Oberfaden liegt. – In Fig. 2 hat sich die Nadel bereits gehoben, dadurch eine Schleife gebildet, welche, da sich auch der Greifer um ein Entsprechendes gedreht hat, bereits von der Greiferspitze v erfaßt ist. – Fig. 3 zeigt eine Stellung des Greifers, in welcher er sich, von Fig. 1 ausgegangen, um mehr als 2 rechte Winkel gedreht hat; er hat dabei, während er den Faden von der Oberfadenrolle zog, die Schleife verdreht und bedeutend vergrößert. Die Nadel hat dabei nicht nur ihre höchste Stelle erreicht, sondern hat sich bereits wieder so weit abwärts bewegt, daß die Spitze derselben den Stoff J' berührt, um einen neuen Stich zu bilden. Die eigenthümliche Form des Greifers, welche sich aus den Figuren 68 ergibt, veranlaßt, daß bei noch weiterer Drehung des Greifers der Theil a₂, a₃, a₄, der Schleife über die äußere Fläche der Spule fällt, während der andere Theil a, a₁, a₂ schon einige Zeit sich hinter der Spule befand. – Die Lage des Greifers, bei welcher das Abwerfen der Schleife bereits stattgefunden hat, stellt Fig. 4 dar. Man erkennt, daß, da der Unterfaden bereits vor dem Theil a, a₁, a₂ der Schleife liegt, es nur darauf ankommt, den anderen Theil a₂, a₃, a₄, vollständig über die Spule zu bringen. In dieser Lage hat übrigens das Oehr der Nadel bereits den Stoff erreicht, und beginnt von hier ab zunächst die alte Schleife zu verkleinern, welche sich bei weiterer Umdrehung des Greifers gegen ein Lederläppchen w (Fig. 5) legt, und von diesem bis zu einem gewissen Punkte festgehalten wird. – In Fig. 5 und 6 ist der Greifer in solcher Stellung gezeichnet, worin die Nadel, wie in Fig. 1, bereits wieder ihre tiefste Stellung eingenommen hat. Man erkennt, namentlich aus dem Durchschnitte, daß der Theil a₃, a₄ der Schleife bereits vollständig über dem Unterfaden, der letztere also überhaupt in der Schleife sich befindet. Beim weiteren Fortgang der Maschine bildet sich, theils auf Kosten der alten, eine neue Schleife, und Fig. 2 bezeichnet die Lage, in welcher das Lederläppchen die alte Schleife losläßt, um sich durch das weitere Aufziehen der neuen Schleife vollständig zusammenziehen zu lassen, und sich mit dem Unterfaden vollständig zu verbinden. – Bei fortgesetzter Thätigkeit der Maschine entsteht die in Fig. 9 gezeichnete Hakenstichnaht, welche, je nach der Spannung des Oberfadens, verschiedene, in der Zeichnung vorgeführte Formen annehmen kann. B. Wie die neue Schleife in die alte gelangt. Fig. 3a bis 6a. Um die erwähnte Manipulation mittelst einer Greifermaschine vollziehen zu können, erhält die in Fig. 6a im Durchschnitt gezeichnete Spule P' eine ganz neue, sowie der Greifer eine nur wenig veränderte Form, so daß sich die in Rede stehende Verbesserung an jeder Maschine ohne weiteres mit sehr geringen Kosten wird machen lassen. – Als Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen wählen wir hier eine Greiferlage, bei welcher bereits die erste Schleife vollständig gebildet und aufgezogen ist, die Lage nämlich, welche der Fig. 3 entspricht. Fig. 3a stellt die erwähnte Greiferlage bei Anwendung der Spule P' dar. Der Theil a₁, a₂ des hinter der Spule liegenden Fadens hat hier nicht die gerade, sondern, wegen der Spulenform, eine kreisbogenförmige Gestalt angenommen; ein Gleiches gilt von der Lage Fig. 4a, in welcher die Schleife bereits abgeworfen ist, und, wegen der Schlaffheit des Fadens, der Kreisbogen sich etwas kleiner gestaltet hat. – Fig. 4b zeigt eine Lage des Greifers, in welcher er in Bezug auf 4a um 1/2 rechten Winkel gedreht worden ist. Die Nadel ist dabei abwärts gegangen, hat von der alten Schleife Faden gezogen, und dieselbe dadurch derart verkürzt, daß der Theil a₁, a₂ des hinter der Spule liegenden Fadens sich an den kleinen Wulst derselben gelegt hat. – Beim weiteren Drehen des Greifers und Abwärtsgehen der Nadel wird von letzterer noch mehr Faden verlangt: dadurch gleitet derselbe über den Wulst der Spule, und wird dabei von der Nadel aufgefangen. Fig. 5a und 6a zeigen die Stellung der in Rede stehenden Theile, wobei, wie in Fig. 5, die Nadel ihre tiefste Stellung hat, und sich schon ganz in der Schleife befindet. Beim weitern Fortgehen der Maschine bildet sich, wie unter A, eine neue Schleife, welche von der Greiferspitze v erfaßt wird, während wiederum, wenn der Greifer die Lage Fig. 2 erhalten hat, die alte Schleife von dem Lederläppchen losgelassen und die neue Schleife durch die alte gezogen wird. Wie ersichtlich, wird, wenn die Spule P' ohne Unterfaden zur Anwendung gebracht wird, eine Naht sich bilden, wie solche Fig. 10 dargestellt ist, und die wir oben: Kettenstichnaht mit verdrehter Schleife genannt haben. Wird dagegen, wie wir dieß in den Figuren 1 bis 6 angenommen haben, auf der Spule ebenfalls Garn und dieselbe in derselben Lage wie oben zu dem (Ober-) Faden gebracht, so wird sich – da bei der neuen Anordnung das Ueberziehen der Schleife über die Spule ganz in derselben Weise erfolgt – eine Naht bilden, wie solche in Fig. 11 dargestellt ist, und die wir oben: Kettenstichnaht mit verdrehter Schleife und Unterfaden genannt haben.

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