Titel: Theorie der Bildung des Anilinroths; von Hugo Schiff.
Fundstelle: Band 168, Jahrgang 1863, Nr. CXVIII., S. 446
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CXVIII. Theorie der Bildung des Anilinroths; von Hugo Schiff. Vorgetragen den 14. März 1863 in der Berner naturforschenden Gesellschaft. – Aus den Berner Mittheilungen Nr. 538. Schiff, über die Theorie der Bildung des Anilinroths. Einer Reihe von Untersuchungen über metallhaltige Ammoniumderivate, welche im chemischen Laboratorium der medicinischen Facultät ausgeführt wurden, schloß sich eine Untersuchungsreihe über metallhaltige Anilinderivate an. Das Studium der Zersetzungen dieser Verbindungen führte auf die Theorie der Bildungsweise des Anilinroths. Einige Hauptresultate der letzteren Untersuchungen fassen wir in folgenden Sätzen zusammen: 1) Als Metallanile bezeichnen wir eine den „Metallaminen“ analoge Reihe von Verbindungen. Ebenso wie letztere durch directe Vereinigung von Metallsalzen mit Ammoniak entstehen, bilden sich erstere durch Vereinigung jener Salze mit Anilin. 2) Analog den Mono-, Di- und Tri-Metallaminen unterscheiden wir auch: Textabbildung Bd. 168, S. 446 und zwar ist in den von uns bis jetzt dargestellten Verbindungen der Monanile: M' = Zn Cd Sn Hg Cu Dianile: M'' = Sn Trianile: M''' = Sb Bi As. 3) Die Metallanilverbindungen sind fast sämmtlich gut krystallisirt und an der Luft unveränderlich. Sie sind theils löslich, theils lassen sie sich ohne Zersetzung schmelzen und sublimiren oder destilliren. Alle sind in reinem Zustande farblos. 4) In allen Fällen, in welchen Anilinroth durch Einwirkung von Metallsalzen auf Anilin erzeugt wird, bildet sich zuerst ein Metallanilderivat und erst dieses liefert, bei höherer Temperatur zersetzt, das Anilinroth. 5) Hierbei verlangen zwei Aeq. Anilin entweder zwei Aeq. Chlor, Brom etc. oder ein Molecül Säureanhydrid + ein Mol. Sauerstoff (O = 16). In letzterem Falle bleibt die Säure unverändert und der Sauerstoff wird durch theilweise oder völlige Reduction des Metalls geliefert. 6) Die Umsetzung erfolgt nach der allgemeinen Bildungsgleichung: 20 Aeq. Monanilverbindung (oder 10 Aeq. Dianilsalz) liefern: 3 Aeq. Rosanilinsalz C60 H60 N⁹   6 Anilinsalz C36 H48 N⁶ X⁶   4 Anilin C24 H28 N⁴     1 Ammoniaksalz   H⁴ N X   10 Metalloxydulsalz       X10 M'20 –––––––––––––––––––––––– 20 Aeq. Metallanilsalz = C120 H140 N20 X20 M'20 wobei aber noch secundäre Reactionen auftreten (C = 12; X = Säurebestandtheil). Vorstehende Gleichungen wurden in einigen Fällen durch quantitative Bestimmungen controlirt. 7) Eine werthvolle Controle erhält unsere Theorie in der scheinbar einer anderen Reihe von Reactionen angehörenden Einwirkung von Arsensäure. Bei der Fuchsinbildung mittelst dieser Säure wird nach Bolley's neuesten ResultatenS. 51 in diesem Bande des polytechn. Journals. ungefähr ein Drittel zu arseniger Säure reducirt. Aber nach Satz 5 verlangen 2 Aeq. Anilin zur Umwandlung As²O⁵ + O; das Aeq. Sauerstoff wird durch Reduction eines weiteren halben Mol. Arsensäure gewonnen, d.h. von 3 Mol. Arsensäure muß eines in arsenige Säure umgewandelt werden. 8) Die Arsensäure wirkt auf das Anilin nach der von der neueren Chemie fast allgemein anerkannten Formel Textabbildung Bd. 168, S. 448 d.h. als arsensaures Arsenyl. Diese Anschauungsweise dient zur Controls des zweiten Theiles von Satz 5. – Da das Säureradical αAsO unverändert bleiben soll, so müssen wir, falls wir βAsO durch ein nicht reducirbares Radical ersetzen, eine Verbindung erhalten, welche aus Anilin keinen Farbstoff erzeugt. In der That bildet Kalium- oder Natrium-Arseniat keinen Farbstoff, dagegen bildet ihn Quecksilber-Arseniat sehr leicht; aber Quecksilber-Oxyd ist leicht reducirbar, Kali und Natron nicht. 9) Das bei Einwirkung von Quecksilbernitrat auf Anilin entstehende Azalein muß nach Satz 6 Rosanilinnitrat seyn, und nicht, wie man bisher angenommen hat, ein direct oxydirtes oder ein nitrirtes Anilin. Wir haben dieß bei dem vergleichenden Studium der aus Merkuranilnitrat, aus Rosanilinhydrat durch Salpetersäure und aus salzsaurem Rosanilin durch Silbernitrat dargestellten Präparate bestätigt gefunden. 10) Das Rosanilinnitrat krystallisirt in kleinen Mengen nur undeutlich, ist ziemlich hygroskopisch, aber doch nur sehr wenig in Wasser löslich. Die weingeistige Lösung besitzt eine ins Violette ziehende rothe Farbe (kirschroth). Die Nuance ist diesem Präparate eigenthümlich und rührt nicht von einer Verunreinigung her. Von Verunreinigungen abgesehen, scheint Schneider ein nur wenig verändertes Salz analysirt zu haben. 11) Eine Veränderung tritt nämlich bei schärferem Trocknen ein, indem Säure entweicht und ein noch in Weingeist vollständig lösliches Gemenge von Rosanilinhydrat und Nitrat zurückbleibt. Bolley und Schulz scheinen ein derart verändertes Azalein analysirt zu haben. Ziehen wir von ihren Zahlen allen Sauerstoff als Azalein ab und fügen diesem Abzug noch das Molecül Wasser des Rosanilinhydrats bei: C H N O 72,6 5,5 14,2 7,74 ab: 29,0 2,7   6,8 7,74 ––––––––––––––––––– so bleibt: 43,6 2,8   7,4   in Procenten: 81,0 5,2 13,8   in 100 Th. Rosanilin: 80,0 6,2 13,8   12) Eine Veränderung kann ferner auch durch die Ausfällung mittelst Salzlösungen bewirkt werden.Wie ich jetzt erfahre, ist dieses bereits früher von Bolley erkannt und veröffentlicht worden. Unsere Versuche geben also die Verhältnisse nur bestimmter an. Nach unseren Versuchen findet eine solche Veränderung in der Kälte kaum statt. Bei 50 bis 60° C. wird sie bereits sehr merklich und beim Kochen kann sich dieselbe auf einen ziemlich bedeutenden Antheil des Materials erstrecken. Salzsaures Rosanilin wird durch Kochen mit Salpeterlösung leichter in Azalein übergeführt, als umgekehrt Azalein durch Chloralkalien in Chlorür. Eine vollständige Umwandlung konnte ich nicht bewirken. 13) Ein durch Salpeter gefälltes Fuchsin, welches Bolley und Schulz Polytechn. Journal Bd. CLX S. 57. analysirten, scheint ein solches Mischproduct gewesen zu seyn. Wir umgehen den Sauerstoff, auf welchen sich ein großer Theil der Fehler concentrirt und ziehen sämmtliches Chlor als salzsaures Rosanilin ab. C H N Cl O Bolley und Schulz = 64,23 5,46 12,49 7,12 10,70 ab: 47,70 4,03   8,33 7,12   ––––––––––––––––––––––––––––––––––– Rest: 16,53 1,43   4,16     entsprechend: 100 : 8,6 : 25,1     im Azalein: 100 : 8,4 : 23,2   Gestützt auf die Sätze 9 und 12 können wir also berechnen, daß das analysirte. Mischproduct enthielt: 67,2 Proc. Fuchsin, 25,4 Azalein und 7,4 Wasser und Salze. 14) Das nach der allgemeinen Methode der Einwirkung von Anilin auf Fuchsin dargestellte Anilinblau läßt auf Zusatz von Alkalien das Hydrat einer neuen Base in krystallinischen Flocken fallen. Die Base ist im reinen Zustande wahrscheinlich farblos, aber sie färbt sich sehr schnell röthlich und violett. Ihre weingeistige Lösung färbt sich mit Säuren tief blau, indem eine Reihe von Salzen entsteht, welche mit kupferartigem Glanze krystallisiren. 15) Ebenso wie viele andere gefärbte Flüssigkeiten absorbiren auch die Anilinfarbstoffe einen Theil des Spectrums und bewirken dunkle Zonen in demselben, wenn man sie unmittelbar vor den Eintrittsspalt des Spectralapparates bringt. – Ich suche die Bestimmung der Farbenintensität auf ein vergleichbares Maaß zurückzuführen, indem ich – cæteris paribus – bestimme, bei welcher Verdünnung die dunkle Zone zuerst deutlich begrenzt auftritt, und bei welcher Verdünnung noch die letzten Spuren der Zone sichtbar sind. Die Dicke der Schicht beträgt in allen Versuchen einen Centimeter. Der Merkwürdigkeit halber führe ich hier die Bestimmung für das Acetat, das gewöhnliche Färbematerial, an. Die Farbe ist so intensiv, daß die dunkle Zone erst bei einer Verdünnung von 1/40'000 deutlich begrenzt erscheint. Die letzten deutlichen Spuren treten bei 1/1'000'000 auf; aber selbst bei 1/1'500'000 ist die Lösung noch deutlich, wenn auch sehr schwach, rosa gefärbt. Es konnte nach dieser Methode dargethan werden, daß bei scharf getrocknetem Azalein – entsprechend Satz 11 – ein Theil der Masse ohne bedeutenden Einfluß auf die Intensität der Färbung seyn muß.