Titel: | Ueber die Fabrication des Orcins zur Erzeugung der Flechtenfarbstoffe; von Victor de Luynes. |
Fundstelle: | Band 169, Jahrgang 1863, Nr. LIV., S. 220 |
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LIV.
Ueber die Fabrication des Orcins zur Erzeugung
der Flechtenfarbstoffe; von Victor de Luynes.
Aus dem Bulletin de la
Société d'Encouragement, Mai 1863, S. 270.
de Luynes, über die Fabrication des Orcins zur Erzeugung der
Flechtenfarbstoffe.
Ursprünglich erzeugte man die Orseille, indem man gewisse Flechten der gleichzeitigen
Einwirkung der Luft und des gefaulten Harns unterwarf. Später ersetzte man den Harn
durch Ammoniak. Durch das Umrühren und unter dem Einfluß einer geeigneten Temperatur
stellte sich nach einiger Zeit eine Art Gährung ein, in deren Folge die Färbung sich
entwickelte. Man unterbrach die Operation, wenn die Nüance die gewünschte Intensität
erreicht hatte.
So erhielt man eine Substanz von violetter Farbe, welche im Zustande eines weichen
Teiges unter dem Namen Orseille und in Form eines trockenen Pulvers unter dem Namen
Persio in den Handel gebracht wurde.
Auf diese Weise dargestellt, ist die Orseille nichts anderes als die mit dem
Farbstoff imprägnirte Flechte; da aber der holzige Theil der Flechte bei gewissen
Anwendungen der Orseille hinderlich ist, so muß man ihn absondern, indem man den
Farbstoff mittelst Wasser auszieht und seine Lösung dann durch Abdampfen
einengt.
Während des Abdampfens wird jedoch der Farbstoff stets mehr oder weniger verändert,
daher die Orseille-Extracte nicht dieselben färbenden Eigenschaften zeigen
wie das ursprüngliche Material. Dadurch wurde man veranlaßt, aus der Flechte den in
Pigment verwandelbaren Bestandtheil abzuscheiden, um bloß diesen letzteren den zur
Entwickelung der Farbe dienenden Operationen unterziehen zu können.
Robiquet isolirte zuerst im Jahr 1829 den in Pigment
verwandelbaren Bestandtheil der Flechten, welchen er Orcin benannte. Sein Verfahren bestand darin, die Flechte Variolaria dealbata mit Alkohol zu behandeln, das
alkoholische Extract abzudampfen und den Rückstand durch Zerreiben mit Wasser in
einem Mörser zu erschöpfen. Die erhaltene wässerige Lösung, bei gelinder Wärme
abgedampft, liefert eine syrupartige braune Flüssigkeit, welche in langen Nadeln
krystallisirt, die sternförmig gruppirt und ohne Consistenz sind; von der
Mutterlauge durch starkes Pressen befreit und mit Thierkohle gereinigt, liefern sie
das Orcin als eine Masse, welche aus langen gelblichweißen, undurchsichtigen Prismen
von süßem Geschmack besteht.
Stenhouse gab in einer, im Januar 1848 veröffentlichten
Abhandlung eine Methode an, um aus den von den Orseille-Fabrikanten
angewandten Flechten die in Pigment verwandelbaren Bestandtheile behufs leichterer
Versendung auszuziehen. Er behandelt die Flechten (Roccella
Montagnei) mit Kalkmilch, und aus der so erhaltenen klaren Flüssigkeit
fällt er durch Salzsäure die Erythrinsäure aus, welche er hernach in gelinder Wärme
trocknet. Stenhouse sagt schließlich: fast sämmtliche,
als Farbstoff verwerthbare Bestandtheile einer Flechte könnten auf diese Weise mit
verhältnißmäßig geringen Kosten ausgezogen werden, und da der Werth des getrockneten
Extracts über 100 Pfd. Sterl. per Tonne beträgt, so
würde er die Bezugskosten des Rohstoffes aus den entferntesten Ländern, wie den
Cordilleren und dem Hymalaya, mehr als bezahlen.
Die nach diesem Verfahren erhaltene weiße Substanz ist nichts anderes als die von Heeren entdeckte Erythrinsäure, welche später von Schunck und Stenhouse
untersucht wurde.
Im August desselben Jahres ließ sich Frezon in Frankreich
ein interessantes Verfahren zur Abscheidung des in Pigment verwandelbaren Stoffes
patentiren. Die unter Wasser erweichten Flechten geben an dasselbe diesen Stoff ab,
indem sie es milchig machen; einige Tropfen einer Lösung von Zinnchlorid sind
hinreichend um diese Substanz gerinnen zu machen, welche sich dann rasch
absetzt.
Das kalte Wasser hat man durch heißes Wasser, sowie durch alkalische oder saure
Flüssigkeiten ersetzt, mittelst welcher man die Flechten erschöpft. Diese Lösungen,
durch Abdampfen eingeengt, liefern den in Pigment verwandelbaren Stoff in Form eines
flüssigen Extractes.
Endlich nahm am 6. September 1855 Fouacier in Frankreich
ein Patent auf die industrielle Anwendung des Robiquet'schen Verfahrens. Seine Methode besteht darin, die Flechten durch
Alkohol zu erschöpfen, in Apparaten, welche allen Alkohol zu sammeln gestatten, um
denselben fortwährend benutzen zu können. Das alkoholische Extract wird abgedampft,
und der Rückstand, mit Wasser behandelt, gibt eine Flüssigkeit, welche man filtrirt
um das Harz abzusondern. Die filtrirte Lösung liefert durch Abdampfen das Orcin,
welches man in aufgelöstem Zustande aufbewahrt oder der Krystallisation
überläßt.
Es ist leicht einzusehen, daß letzteres Verfahren kein reines Orcin geben kann, und
daß es insbesondere nicht gestattet die in Pigment verwandelbaren Bestandtheile der
Flechte vollständig im Zustande von Orcin auszuziehen. Das Orcin ist nämlich bloß
ein Zersetzungsproduct von in Wasser wenig löslichen Substanzen; man muß daher
letztere vollständig zersetzen, damit das Wasser alles aus denselben gewinnbare
Orcin aufnehmen kann; dieß ist aber durch eine bloße Behandlung mit Alkohol nicht
erreichbar.
Es ist offenbar sehr wünschenswerth, das Orcin im Großen zu dem möglich niedrigsten
Preise darstellen zu können, um die in Pigment verwandelbaren Bestandtheile eines
beträchtlichen Gewichtes der Flechten in fester Form und in kleinem Raume zu
erhalten; als ein unveränderlicher und leicht krystallisirender Körper würde das
Orcin dem Fabrikanten den Vortheil gewähren, eine stets identische Substanz zur
Bereitung der Farbstoffe beziehen zu können.
Die vortheilhaftesten Verfahrungsarten zur Bereitung des Orcins verdankt man Schunck und insbesondere Stenhouse.
Nach Schunck erhält man das Orcin vollkommen rein durch Kochen der Lecanorsäure mit concentrirtem
Barytwasser, darauffolgende Entfernung des überschüssigen Baryts durch einen Strom von
Kohlensäure, Aufkochen der Flüssigkeit, Filtriren und Eindampfen zur
Krystallisation.
Stenhouse empfiehlt in folgender Weise zu verfahren, wenn
man das Orcin in großer Menge bereiten will, ohne einen besonderen Werth darauf zu
legen, daß es vollkommen farblos sey. Man läßt eine der Varietäten von Roccella tinctoria, oder eine der verschiedenen Arten
von lecanora in Kalkmilch weichen. Die erhaltene klare
Auflösung wird in einem offenen Gefäß einige Stunden lang im Sieden erhalten und die
Flüssigkeit auf beiläufig ein Viertel eingeengt. Man leitet einen Strom von
Kohlensäure hindurch, um den Kalk zu fällen, und die filtrirte Flüssigkeit muß dann
im Wasserbad sorgfältig abgedampft werden. Der Rückstand wird mit seinem
3–4fachen Volum absoluten Alkohols gekocht, und die filtrirte Flüssigkeit der
Krystallisation überlassen. In 2–3 Tagen setzt sich eine große Menge braun
gefärbter Krystalle ab, welche man auf Fließpapier trocknet und durch mehrere
Krystallisationen in Aether reinigt.
Letzteres Verfahren gibt die besten Resultate, ist jedoch mit mehreren Uebelständen
behaftet. Erstens entzieht der Kalk der Flechte, außer dem in Pigment verwandelbaren
Bestandtheil, eine in den Säuren und Alkalien lösliche gelbliche Substanz, welche
der Orcinlösung beigemischt bleibt.
Ferner muß man, wenn man eine große Menge Orcin bereiten will, mit einem sehr
beträchtlichen Volum von Flüssigkeit operiren, dessen Abdampfung viel Zeit
erfordert. Das Orcin verändert sich aber hierbei unter dem Einfluß des Kalks und des
Sauerstoffs der Luft; dadurch entsteht eine harzige Substanz in desto größerer
Menge, je länger die Operation gedauert hat, so daß man bei der Behandlung größerer
Massen von Flechten einen mehr oder weniger dicken Syrup erhält, woraus das Orcin
nur schwierig krystallisirt, daher derselbe dem Fabrikanten keinen wirklichen
Vortheil gegen das Extract gewähren würde, welches man bekommt, wenn man die durch
das Erschöpfen der Flechten mit kochendem Wasser gewonnene wässerige Lösung
abdampft.
Man vermeidet die erwähnten Uebelstände, wenn man vorerst aus den Flechten den
einzigen hinsichtlich der Orcinerzeugung nützlichen Bestandtheil, nämlich die
Erythrinsäure abscheidet und dieselbe hernach durch Kalk ohne Berührung mit Luft
zersetzt. Um letztere Bedingung zu erfüllen, bewerkstelligt man die Zersetzung der
Erythrinsäure in einem geschlossenen Gefäß, welches überdieß den wesentlichen
Vortheil gewährt, die Dauer der Operation zu vermindern, indem es dieselbe unter
Druck bei höherer Temperatur auszuführen gestattet. Man erzielt so eine vollständige und rasche
Zersetzung, ohne daß sich dabei harzige Substanz bildet.
Dieses Resultat ist leicht zu begreifen: die Erythrinsäure, der nützliche
Bestandtheil der Flechten ist nämlich ein wahrhafter Aether; sie zerfällt beim
längeren Sieden mit Wasser (und noch viel leichter beim Erhitzen mit einer Base
unter Druck) in Pikroerythrin und Orsellinsäure, und später durch neue Spaltung der
letzteren in Orcin und Kohlensäure.
Ich will nun mein Verfahren zur Darstellung des Orcins näher beschreiben.
Man läßt die FlechtenRoccella Montagnei. in Wasser eine Stunde lang weichen; man bestreut sie dann mit einer kleinen
Menge gelöschten Kalkes und rührt das Gemisch stark um. Nach Verlauf von beiläufig
einer Viertelstunde decantirt man die Flüssigkeit und bringt die Flechten unter die
Presse, um alle Flüssigkeit auszuziehen. Man behandelt die Flechte zum zweitenmal
mit Kalkmilch und preßt sie hernach.
Die erhaltene Flüssigkeit wird rasch filtrirt, und dann mit einem schwachen
Ueberschuß von Salzsäure behandelt, welche alle Erythrinsäure in Form einer dicken
Gallerte ausfällt. Die Erythrinsäure wird auf große Leinenfilter gebracht und
gewaschen bis alle Salzsäure ausgezogen ist; das Auswaschen ist sehr bald geschehen,
wenn man besorgt war nur einen sehr schwachen Ueberschuß von Salzsäure
zuzusetzen.
Die gewaschene Erythrinsäure läßt man an der Luft so lange austrocknen, bis sie
rissig zu werden beginnt.
Man bringt sie hernach in einen Kessel von Eisenblech mit einer Quantität
pulverisirten gelöschten Kalks, welche etwas geringer als die zu ihrer vollständigen
Zersetzung nach der Theorie erforderliche ist, und vermischt beide gehörig durch
Umrühren.
Nachdem der Kessel geschlossen ist, erhöht man die Temperatur bis auf ungefähr
150° C., und unterhält diese Temperatur beiläufig zwei Stunden lang.
Mein Kessel hat außer dem Mannloch zwei Oeffnungen, welche mit Hähnen versehen sind;
die erste dient für den Austritt des Dampfes, durch die zweite geht ein Heberrohr,
welches bis auf den Boden des Kessels hinabreicht und ihn vollständig zu entleeren
gestattet. Eine unten geschlossene und in den Deckel des Kessels geschweißte
schmiedeeiserne Röhre füllt man mit Oel, um die Temperatur mittelst eines in sie
getauchten Thermometers bestimmen zu können.
Nach Verlauf von zwei Stunden läßt man den Druck sich vermindern und öffnet dann die
Heberröhre, damit die Flüssigkeit, welche den kohlensauren Kalk suspendirt enthält,
sich entleert. Man filtrirt den kohlensauren Kalk ab, welcher sich übrigens in der
Ruhe vollständig absetzt. Nachdem die Masse auf dem Filter hinreichend abgetropft
ist, braucht man nur die Flüssigkeit der Abkühlung zu überlassen; wenn die
Erythrinsäure zu wasserhaltig in den Kessel gebracht wurde, ist es nothwendig die
Lösung ein wenig einzudampfen. In beiden Fällen setzt sich das Orcin beim Erkalten
in schwach gefärbten schönen Krystallen ab. Die Mutterlaugen enthalten den Rest des
Orcins und eine süße Substanz (durch das Kochen mit Kalkwasser zerfällt nämlich das
Pikroerythrin in eine neue Materie, Erythroglucin neben Orcin und Kohlensäure); nach
schwachem Eindampfen erstarren sie zu einer krystallinischen Masse. Die so
erhaltenen Orcinkrystalle kann man zur Verminderung ihres Volums in gelinder Wärme
schmelzen; sie verlieren dann 14 Proc. ihres Gewichts Krystallwasser und liefern
wasserfreies Orcin als eine harte, spröde Masse. Dieses wasserfreie Orcin löst sich
im Wasser eben so leicht auf, wie das krystallisirte, und besitzt dieselben
Eigenschaften.
Diese neue Methode gestattet also die in Pigment verwandelbaren Bestandtheile der
Flechten in Form von krystallisirtem Orcin vollständig auszuziehen; sie hat vor den
bisher, zu diesem Zweck angewandten Verfahrungsarten den Vorzug, ein stets
identisches, reines Product zu liefern; die Behandlungskosten sind sehr gering, denn
sie beschränken sich auf ein wenig Kalk und Salzsäure, nebst der geringen Menge
Brennmaterial, welche das Erhitzen des die Mischung enthaltenden Kessels
erfordert.