Titel: | Untersuchungen über die Fäulniß; von L. Pasteur. |
Fundstelle: | Band 170, Jahrgang 1863, Nr. LXV., S. 220 |
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LXV.
Untersuchungen über die Fäulniß; von L. Pasteur.
Aus den Comptes rendus, t. LVI p. 1189.
Pasteur's Untersuchungen über die Fäulniß.
Wenn thierische oder pflanzliche Stoffe sich freiwillig unter Entwickelung
übelriechender Gase zersetzen, so sagt man, es sey Fäulniß vorhanden. Diese
Begriffsbestimmung ist aber einerseits zu allgemein, andererseits zu beschränkt, wie
sich im Verlauf dieser Untersuchungen herausstellen wird.
Die Resultate, welche ich, nachdem mich meine Untersuchungen über die GährungPolytechn. Journal Bd. CLXV S.
292. natürlich auch auf die Fäulniß leiteten, im Folgendem mittheile, beziehen
sich nur auf die Ursache der Fäulnißerscheinungen, die ich vor Allem aufzuklären
hatte, und worüber ich schon jetzt mich dahin aussprechen kann, daß die Fäulniß
durch Fermente von der Gattung der Vibrionen veranlaßt wird.
Ehrenberg hat sechs Vibrionenarten beschrieben (Vibrio lincola, tremulans, subtilis, rugula, prolifer,
bacillus), welche sämmtlich ebenso viele Arten thierischer Fermente und
zwar Fermente der Fäulniß sind. Alle diese Vibrionen können, wie ich mich überzeugt
habe, ohne freien Sauerstoff leben und sterben in Berührung mit diesem Gase, wenn
sie nicht vor seiner directen Einwirkung geschützt werden.
Die Umstände, unter welchen sich die Fäulniß zeigt, sind sehr verschiedenartig.
Handelt es sich um eine Flüssigkeit, d.h. um eine
fäulnißfähige Substanz, deren sämmtliche Theile der Luft ausgesetzt waren: so kann
diese sich entweder in einem geschlossenen, also vor der Berührung mit Luft
geschützten Gefäße, oder in einem Gefäße mit mehr oder weniger großer Oeffnung
befinden. Ich werde beide Fälle für sich untersuchen.
Es ist allgemein bekannt, daß die Fäulniß erst nach einer gewissen Zeit auftritt,
welche nach der Temperatur der Flüssigkeit sowie ihrer neutralen, sauren oder
alkalischen Beschaffenheit variirt. Unter den günstigsten Umständen vergehen 24
Stunden, ehe die Erscheinung äußerlich wahrnehmbar wird. In dieser Zeit findet eine
innerliche Bewegung der Flüssigkeit statt, in Folge deren der Sauerstoff der
aufgelösten Luft verschwindet und durch Kohlensäure ersetzt wird. Das gänzliche
Verschwinden des Sauerstoffs aus einer neutralen oder schwach alkalischen
Flüssigkeit ist im Allgemeinen eine Folge der Entwickelung der kleinsten Infusorien,
namentlich von Monas crepusculum & Bacterium termo.
Es zeigt sich eine sehr schwache Trübung, da diese Thiere sich nach allen Richtungen
bewegen. Nach Entziehung des Sauerstoffes sterben sie und fallen nach und nach auf
den Boden des Gefäßes wie ein Niederschlag, und wenn nun die Flüssigkeit zufällig
keine Keime der gleich zu besprechenden Fermente enthält, so bleibt sie weiterhin in
diesem Zustand, ohne zu faulen. Solche Fälle sind selten, doch habe ich sie zuweilen
beobachtet. Meistentheils aber zeigen sich alsbald nach dem Verschwinden des
Sauerstoffes die Ferment-Vibrionen, welche dieses Gas zum Leben nicht nöthig
haben, und die Fäulniß stellt sich sofort ein. Sie wird immer stärker und folgt in
ihrem Wachsthum der Entwickelung der Vibrionen. Dabei wird der Fäulnißgeruch so
intensiv, daß die mikroskopische Untersuchung eines einzigen Tropfens, wenn sie nur
einige Minuten dauert, äußerst mühsam ist. Indessen ist dieser Geruch namentlich von
dem Schwefelgehalt der Flüssigkeit bedingt, und bei ganz schwefelfreien Lösungen
kaum bemerklich, wie z.B. bei der Gährung der aus der Bierhefe durch Wasser
ausgezogenen eiweißartigen Substanzen. Auch die Buttersäuregährung gehört nach der
Natur ihres Ferments hierher, woraus die zu enge Fassung des gewöhnlichen Begriffs
der Fäulniß sich ergibt.
Aus dem Vorhergehenden folgt, daß die Berührung mit der Luft für die Entwickelung der
Fäulniß durchaus nicht nöthig ist. Ja, wenn der in einer fäulnißfähigen Flüssigkeit
aufgelöste Sauerstoff nicht gleich anfangs durch die Wirkung besonderer Wesen
entfernt würde, so könnte gar keine Fäulniß eintreten, da derselbe die Vibrionen
tödtet, welche die Fäulniß veranlassen.
Wir gehen nun auf die Fäulniß bei freiem Luftzutritt über. Nach dem eben Gesagten
möchte es scheinen, daß sie dabei gar nicht auftreten könne, da die
Ferment-Vibrionen in Sauerstoff sterben. Die Fäulniß ist aber bei Luftzutritt
sogar noch stärker als bei Luftabschluß.
Denken wir uns die obige lufthaltige Flüssigkeit, und zwar der Luft in einem weit
offenen Gefäße ausgesetzt. Die Entziehung des gelösten Sauerstoffs geschieht wie in dem
ersten Fall. Ein Unterschied findet nur insofern statt, als die Batterien etc. nach
Entfernung des Sauerstoffs bloß in dem Innern der Flüssigkeit absterben, während sie
sich an der Oberfläche in Unmasse fortpflanzen, weil diese mit der Luft in Berührung
steht. Sie bilden daselbst ein dünnes Häutchen, welches immer dicker wird, und dann
in Stücken auf den Boden sinkt, um sich von neuem zu bilden, wieder niederzusinken
u.s.w. Dieses Häutchen, nebst den zumeist hinzukommenden Mucedineen verhindert die
Auflösung des Sauerstoffs in der FlüssigkeitFlüssigekit und ermöglicht dadurch die Entwickelung der Ferment-Vibrionen, für
welche also das Gefäß so gut wie gegen die Luft geschlossen ist. Sie können sich
sogar in dem Oberfläche-Häutchen vermehren, weil sie darin durch die
Bacterien und Schimmelpflanzen gegen die zu directe Einwirkung des atmosphärischen
Sauerstoffes geschützt sind.
Die fäulnißfähige Flüssigkeit wird nun der Sitz zweier ganz verschiedenen chemischen
Thätigkeiten, welche der physiologischen Function der zwei darin lebenden
Thierclassen entsprechen. Die Vibrionen, welche ohne Sauerstoff leben, veranlassen
im Innern der Flüssigkeit Gährungserscheinungen, d.h. die Umwandlung der
stickstoffhaltigen Substanzen in einfachere obwohl noch zusammengesetzte Producte,
und die Bacterien (oder der Schimmel) andererseits verbrennen letztere Stoffe und
verwandeln sie in die einfachsten binären Verbindungen, Wasser, Ammoniak und
Kohlensäure.
Wir haben noch den besondern Fall zu betrachten, wo die fäulnißfähige Flüssigkeit nur
eine dünne Schichte bildet und der Luft leicht zugänglich ist. Ich werde durch
Versuche darthun, daß hierbei die Gährung und die Fäulniß vollkommen verhindert
werden können, indeß die organische Substanz bloß eine Verbrennung erleidet.
Dieß sind die Erscheinungen bei der Fäulniß unter freiem Luftzutritt. Bei
Luftabschluß dagegen bleiben die Spaltungsproducte der fäulnißfähigen Substanz
unverändert. Ich habe dieß schon oben ausgesprochen, als ich sagte, daß die Fäulniß
bei Luftzutritt eine, wenn auch nicht immer raschere, so doch vollendetere
Erscheinung ist, welche die organische Substanz mehr zerstöre als die Fäulniß bei
Luftabschluß. Dieß wird sich in einigen Beispielen deutlicher zeigen. Man lasse
milchsauren Kalt bei Luftabschluß faulen. Die Ferment-Vibrionen verwandeln
dieses Salz dabei in verschiedene Producte, unter denen sich stets der buttersaure
Kalk befindet. Diese neue Verbindung, welche die Vibrionen, die sie gebildet haben,
nicht zersetzen können, bleibt ohne weitere Veränderung in der Flüssigkeit. Nun
wiederhole man diesen Versuch bei Luftzutritt. Hier verbrennt in demselben Maaße,
wie der buttersaure Kalk im Innern gebildet wird, das Oberflächehäutchen dieses Salz wieder
vollständig. Wenn die Gährung sehr kräftig ist, so hört die Verbrennung an der
Oberfläche auf, weil die sich entwickelnde Kohlensäure den Zutritt des Sauerstoffs
verhindert; sie fängt aber wieder an, wenn diese Entwickelung nachläßt. Ebenso
verwandelt sich eine natürliche zuckerhaltige Flüssigkeit beim Gähren ohne
Luftzutritt in eine Lösung von unzerstörbarem Alkohol, während bei Luftzutritt erst
Essigsäure und schließlich Wasser und Kohlensäure entstehen; dann erscheinen die
Vibrionen, und in ihrem Gefolge die Fäulniß, wenn die Flüssigkeit nur noch Wasser
und stickstoffhaltige Körper enthält. Endlich werden auch die Vibrionen und die
Fäulnißproducte durch die Bacterien oder den Schimmel verbrannt, von denen die
zuletzt überlebenden auch noch die Verbrennung der vorhergehenden veranlassen, so
daß schließlich Alles zur Atmosphäre und zum Mineralreich zurückgekehrt ist.
Wir kommen nun zur Fäulniß der festen Körper.
Ich habe früher gezeigt, daß der Körper der Thiere unter gewöhnlichen Umständen dem
Eintritt der Keime der niederen Wesen verschlossen ist; mithin beginnt die Fäulniß
zuerst an der Oberfläche, und verbreitet sich dann weiter nach dem Innern.
Der Körper eines todten ganzen Thieres ist stets, er mag von der Luft abgeschlossen
oder derselben zugänglich seyn, an seiner ganzen Oberfläche mit Luftstaub, also mit
Keimen niedriger Organismen bedeckt. Sein Darmcanal ist namentlich an der Stelle wo
die Fäces sich bilden, nicht allein mit Keimen, sondern mit entwickelten Vibrionen
angefüllt, welche schon Leuwenhoeck beobachtet hat. Diese
Vibrionen sind den Keimen an der Oberfläche weit voraus. Es sind erwachsene
Individuen, frei von Luft, von Flüssigkeiten umgeben und in voller Thätigkeit und
Vermehrung begriffen. Durch sie wird zunächst die Fäulniß des Körpers eingeleitet,
der bis dahin nur durch das Leben und die Ernährung der Organe geschützt und
erhalten worden war.
Dieß ist in den verschiedenen Fällen der Verlauf der Fäulniß, welchen ich später
durch alle erforderlichen Versuche belegen werde. Um jedoch Mißverständnisse zu
vermeiden, habe ich noch einiges hinzuzufügen.
Denken wir uns eine beträchtliche Masse Muskelfleisch; was geschieht wenn man die
äußere Fäulniß verhindert? Wird das Fleisch unverändert in Structur und
Eigenschaften bleiben? Dieß läßt sich nicht erwarten: bei der gewöhnlichen
Temperatur ist es unmöglich, das Innere dieses Fleisches der gegenseitigen
Einwirkung der darin befindlichen festen und flüssigen Stoffe zu entziehen. Es
werden sich nothwendig immer sogenannte Contactwirkungen, oder, man gestatte mir den
Ausdruck, Diastasewirkungen zeigen, welche im Innern des Fleischstückes die Bildung
kleiner Mengen neuer Stoffe veranlassen, deren Geruch und Geschmack neben dem des
Fleisches bemerklich ist.
Viele Mittel können die Fäulniß der Schichten an der Oberfläche verhindern. Man
braucht z.B. das Fleisch nur mit einem mit Weingeist getränkten Läppchen zu
umwickeln und es so in ein geschlossenes Gefäß (mit oder ohne Luft) zu bringen,
damit die Weingeistdämpfe sich nicht verflüchtigen können; es wird unter diesen
Umständen keine Fäulniß eintreten, da im Innern die Vibrionenkeime fehlen und an der
Oberfläche die Weingeistdämpfe die Entwickelung der Keime verhindern. Allein das
Fleisch erhält dabei, wie ich gefunden habe, in kleinen Stücken einen sehr starken
Wildgeruch, und in größeren Stücken wird es vom Brande angegriffen.
Dieß ist nach meiner Ansicht ein Fall, für welchen die bisherige Begriffsbestimmung
der Fäulniß zu weit geht, da die Fäulniß und der Brand in ihrer Natur und ihrem
Ursprung ganz verschieden sind.
Weit entfernt eine Fäulniß zu seyn, ist nach meiner Ansicht der Brand derjenige
Zustand eines Organs oder eines Organtheiles, welcher selbst nach dem Tode vor der
Fäulniß bewahrt bleibt, und dessen flüssige und feste Bestandtheile chemisch und
physikalisch in einer von der normalen, bei der Ernährung stattfindenden ganz
verschiedenen Weise auf einander einwirken.