Titel: Bericht über die chemischen Producte auf der internationalen Industrie-Ausstellung zu London im Jahre 1862, von Dr. A. W. Hofmann; im Auszuge bearbeitet von Dr. P. Bolley.
Fundstelle: Band 170, Jahrgang 1863, Nr. LXXXI., S. 272
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LXXXI. Bericht über die chemischen Producte auf der internationalen Industrie-Ausstellung zu London im Jahre 1862, von Dr. A. W. Hofmann; im Auszuge bearbeitet von Dr. P. Bolley. Aus der schweizerischen polytechnischen Zeitschrift, 1863, Bd. VIII S. 121. Hofmann's Bericht über die chemischen Producte auf der Londoner Industrie-Ausstellung im J. 1862. Es liegt vor uns die eben so vollständige, als von eminentem Wissen und geistreicher Darstellung zeugende Arbeit des berühmten Entdeckers des Anilinroth, eines unserer ersten Chemiker, A. W. Hofmann, von der unser französischer College und Freund E. Kopp sehr bezeichnend sagt, man dürfe sie: Geschichte der Fortschritte der technischen Chemie in den Jahren 1851–1862 nennen. Nicht nur daß es unsern Raum überschreiten würde, auch über unsere Zwecke hinaus würde es gehen, wollten wir den ganzen Bericht, wie es in sehr verdienstlicher Weise durch Mad. P. Kopp im Moniteur scientifique in französischer Sprache geschah, auch in deutscher Uebersetzung wiedergeben; dagegen wäre es unverzeihlich, wenn wir nicht wenigstens die Hauptparthien desselben unseren Lesern vorführten. In der Einleitung spricht sich der Verfasser wohlberechtigt dahin aus, daß das letzte Jahrzehnt in der Geschichte der technischen Chemie eine ganz ausgezeichnete Rolle einnehme. Nicht nur trete diese Thatsache dem Kenner in den Producten der Classe II entgegen, sondern finde sich bewiesen in einer Menge von anderen Industrien: Seifensiederei, Kerzenfabrication, Zucker, Weingeist, Essigfabrication, Gasbeleuchtung, Färberei, Bleicherei, Zeugdruck u.s.w. Es sey daher schwer den ganzen Fortschritt klar zu machen, wenn man nur den Producten in Classe II folge. Er verweist auf die mündliche und schriftliche Unterstützung, die ihm von anderen Jurymitgliedern, von Chemikern und Industriellen zu Theil geworden, hebt namentlich die Schriften von Gossage und von Schunck, Smith und Roscoe über die chemische Industrie in Lancashire hervor. Es sey die Anzahl der Aussteller in chemischen Producten im Jahr 1851 nur 297 gewesen, im Jahre 1862 aber auf 762 gestiegen; zu bedauern sey, daß durch die ethnologische Eintheilung der Producte diese oft an die verlorensten Winkel des Gebäudes gebracht worden seyen, und daß von den Ausstellern zu wenig Rücksicht auf systematische Aufstellung und jedem Beschauer ins Auge fallende Erläuterung Rücksicht genommen worden sey, daher sey es gekommen, daß oft sehr wichtige Dinge völlig unbeachtet geblieben seyen. Endlich wird hervorgehoben, es sey schwer für eine übersichtliche Aufstellung einen Plan zu entwerfen, da eine strenge chemisch-systematische Eintheilung sich oft wegen der Benutzungen, die durch die Praxis hineingeworfen werden, nicht durchführen lasse. Er theilt zunächst ein in Producte der unorganischen Chemie und solche der organischen Chemie. Erste Gruppe. Schwefelsäure, caustische Natronlauge, Soda, Salzsäure, Chlorkalk. Diese fünf Producte, wenn auch chemisch einander ferne stehend, greifen doch in der Praxis so sehr in einander über, daß man fast sagen darf, der Fabrikant des einen dieser Producte ist zugleich Fabrikant der übrigen. Die Fabrication der (englischen) Schwefelsäure im größern Maaßstab datirt von 1746, wo Dr. Roebuk von Birmingham die erste große Bleikammer zu Preston-Pans in Schottland errichtete. Während bekanntlich am Ende des vorigen Jahrhunderts Le Blanc den neuen Weg der Sodabereitung entdeckte, wurde doch erst im Jahre 1823 durch J. Muspratt in Liverpool die erste Sodafabrik nach diesem System eingerichtet. Die erste Chlorkalkfabrik gründete 1799 C. Tennant in Glasgow. Daß auch in dem kurzen Zeitraum zwischen der ersten und zweiten Londoner allgemeinen Industrieausstellung in diesen Industrien enorme Fortschritte gemacht worden sind, kann schon aus der Masseproduction und aus dem Sinken des Preises derselben gefolgert werden, da doch das Rohmaterial ziemlich auf seiner früheren Höhe blieb. Es geht aus der Anzahl genommener Patente hervor, daß große Bewegung in diesem Theile der Technik stattfindet; sind auch bei weitem die meisten spurlos verschollen, so haben sie doch den großen Nutzen, daß man daran erkennt, nach welchen Richtungen die genannten Industrien nach dem Urtheil der darin beschäftigten Chemiker einer Verbesserung bedürfen und fähig sind. Schwefelsäure. Da sie der Schlüssel für eine lange Reihe anderer chemischen Industrien ist, müssen auch kleinere Fortschritte in ihrer Fabrication als wichtig betrachtet werden. Dieß Fabricationsprincip ist das alte: Umwandlung des Schwefels in schweflige Säure und Oxydation derselben durch Zwischenkunft einer Stick-Sauerstoffverbindung in den sogenannten Bleikammern. Das Bestreben nach Ersatz der Bleikammern rechtfertigt sich aus den hohen Kosten derselben und den nachtheiligen Wirkungen des Bleies auf das Product. Man schlug andere Materialien vor: Steingut (Leyland), vulcanisirte Gutta-percha, eine Mischung von Sand und Schwefel (Simon). Keine dieser Substanzen drang durch, namentlich hat man gefunden, daß Gutta-percha noch weniger dauerhaft sey als Blei. Die Einführung von Glastafeln in die Bleikammern, die P. Weerd vorschlug, und welche man früher schon in Frankreich brauchte, fand mit Recht keine Verbreitung, da die Wirkungen nicht von der Oberfläche abhängen. Seit 1832, wo Phillipps und Kuhlmann versuchten Schwefelsäure aus erhitztem atmosphärischem Sauerstoff und schwefliger Säure durch Platinschwamm zu erzeugen, ist man nie ruhig gewesen im Nachsuchen nach Mitteln zur Schwefelsäureerzeugung ohne Bleikammern. Es soll (so sagt der Ausstellungsbericht von 1851) in Javel bei Paris anstatt der Bleikammern ein System von Bonbonnen aus Steingut im Gebrauch gewesen seyn, mit welchen man noch 1857 beiläufig 3,600,000 Kilogramme Schwefelsäure erzeugt habe. Die darüber eingezogenen Erkundigungen machen nicht nur das Factum zweifelhaft, sondern stellen auch mit aller Gewißheit heraus, daß gegenwärtig Aehnliches dort ganz aufgegeben ist. Persoz's Vorschlag, schweflige Säure in Gasform durch sechsfach verdünnte auf 100° C. erwärmte Salpetersäure oder ein Gemisch eines Nitrates mit Salzsäure zu leiten und die durch Desoxydation entstandenen Stickstoffverbindungen in Condensationskammern wieder zu oxydiren und zu verdichten, fand, so wohldurchdacht die Idee seyn mag, keinen Eingang, und zwar gewiß nur darum, weil man kein Material ausfindig machen kann, das dem gleichzeitigen Einfluß solchen Säuregemisches widersteht. Kuhlmann's Vorschlag (Patent 1850), Schwefelwasserstoffgas (von SodafabricationsrückständenSodafäbricationsrückständen stammend) und Luft in Krüge von Steingut mit Salpetersäure gefüllt zu leiten, wurde ebensowenig praktisch gefunden als der von Petrie, welcher schwefligsaures Gas und Luft in regulirbarer Menge von einer, und Salpetersäure von der andern Seite in Steingutcylinder leitet, welche mit Kieselsteinen gefüllt sind. Gossage schlug vor, die Sodafabricationsrückstände des Schwefelcalciums durch unreine, mittelst Verbrennung von Steinkohlen erzeugte Kohlensäure zu zerlegen, den stark verunreinigten Schwefelwasserstoff zu verbrennen, die Verbrennungsproducte abzukühlen und in kaltem Wasser die schweflige Säure zu lösen, die Flüssigkeit durch einen von heißer Luft durchströmten Kohksthurm fallen zu lassen, wobei schweflige Säure in Gasform sich ausscheidet und größtentheils sofort in Schwefelsäure umgewandelt wird, während der Rest nach gewöhnlicher Art in der Bleikammer oxydirt, also nur hiefür eine Stick-Sauerstoffverbindung gebraucht wird. So rationell und Ersparnisse erzielend dieser Vorschlag seyn mag, in die Praxis ist er nach Gossage's eigenem Geständniß nie tiefer eingedrungen. Ebenfalls auf Verminderung der Salpetersäure oder überhaupt der Sticksauerstoffverbindung zielt das Verfahren von Petrie, der ein Gemisch von schwefliger Säure und Luft auf 30° C. erwärmt durch einen Wasserregen, welcher durch einen mit Kieselsteinen gefüllten Steingutcylinder fällt, streichen läßt. Aehnlich ist der Vorschlag von Schmersahl und Bouck, die ein Gemisch von schwefliger Säure, Luft und Dampf durch horizontale erhitzte, mit Asbest oder Bimsstein gefüllte Röhren streichen lassen und die gebildeten Dämpfe von Schwefelsäure nachher verdichten. Die im Jahre 1852 von Wöhler gemachte Beobachtung, daß Kupferoxyd, Eisenoxyd und Chromoxyd zu dunkler Rothglühhitze gebracht, ein Gemisch von schwefligsaurem Gas und Sauerstoffgas in Schwefelsäure umzuwandeln im Stande sind, wurde von Ocker zu Darstellungen im Großen benutzt, jedoch wegen unbefriedigender Resultate bald wieder aufgegeben. Andere Versuche, die Stickstoffoxyde zu umgehen, sind eben so fruchtlos geblieben. Man hat versucht, die große Menge beispiellos wohlfeil gewordener Salzsäure, die sich beim Sodagewinnungsproceß ergibt, zu Nutzen zu ziehen. Dieß geschah auf folgende Weise: Es wurde Chlor daraus bereitet und dieß mit wässeriger schwefliger Säure in Berührung gebracht, wobei sich Salzsäure und Schwefelsäure bilden nach dem Schema SO² + HO + Cl = SO³HO + ClH. Ob ein solches Verfahren praktisch werden könne, hängt ab zunächst vom Preise des Braunsteins gegenüber dem des Natronsalpeters und vom Werth der Nebenproducte. Die auf diesem Wege gewonnene Schwefelsäure enthält natürlich Salzsäure, von der sie durch Destillation befreit werden kann. Das Gemisch wäre übrigens auch direct in der Sodafabrication verwendbar. Interessant und in der großen Fabrik von C. Tennant u. Comp. in Glasgow seit längerer Zeit in Ausführung ist das Verfahren von C. Tennant-Dunlop.Man sehe über dieses Verfahren Krieg's Abhandlung im polytechn. Journal Bd. CLI S. 48. Danach wird nicht das Natronnitrat allein, sondern ein Gemisch desselben mit Natriumchlorid durch Schwefelsäure zerlegt: es bildet sich neben desoxydirter Salpetersäure (wahrscheinlich salpetriger Säure) auch Chlor: NaO No⁵ + 2NaCl + 3SO³HO = 3NaOSO³ + 2Cl + NO³ + 3HO. Man leitet dieses Gasgemisch in Schwefelsäure von 1,75 spec. Gew., worin NO³ absorbirt wird, während Chlor hindurchgeht und zur Chlorkalkfabrication dient. Die mit NO³ gesättigte wasserhaltige Schwefelsäure wird in geeigneten Apparaten in die Bleikammer, ähnlich wie es mit NO⁵HO, aq. geschieht, eingeführt. Es springt in die Augen, daß hiedurch für die Chlorbereitung der Braunstein erspart und durch Natronsalpeter ersetzt, oder was dasselbe ist, das Oxyd des Stickstoffs als Nebenproduct erhalten wird. Von höchstem Interesse sind die Bestrebungen, die schweflige Säure durch andere Mittel als Verbrennen von Schwefel herzustellen. Hiezu dienen Schwefelmetalle und schwefelsaure Salze, Gyps, Schwerspath, Anhydrit. Die Zerlegung der letzteren durch Kieselsäure sieht als Schema sehr einfach aus, ist aber in der Praxis der allzuhohen nothwendigen Temperatur wegen viel zu schwierig, als daß sie praktisch werden könnte. Man kann Gyps auch durch wasserfreie Salzsäure zerlegen, und Cary-Mantrand wollte dieß im Großen ausführen, scheiterte aber an dem Umstande, daß das bei der zu dem Proceß nothwendigen Hitze schmelzende Chlorcalcium den noch unangegriffenen Gyps einhüllte. Den Gyps durch Kohle in Schwefelcalcium umzuwandeln, daraus durch Kohlensäure den Schwefelwasserstoff auszutreiben, hat man auch versucht, es ist indeß hievon schon oben gesprochen worden, da wir von der Benutzung der Sodafabricationsrückstände redeten. Zu den Bestrebungen, die Schwefelsäure aus ihren Salzen direct zu deplaciren, gehören die Vorschläge von Seckendorf und Shanks. Nach denselben wird in Wasser vertheilter Gyps mit Chlorblei in Bleisulfat und Chlorcalcium zerlegt. Ersteres wird durch Salzsäure zerlegt, d.h. wieder in Bleichlorür umgewandelt, kann also nochmals zur Gypszerlegung dienen u.s.f. Leider sind diese Reactionen für die Praxis im Großen zu umständlich. Aehnlich oder noch unsicherer im Erfolg verhalten sich die Vorschläge von Margueritte, die auf Folgendem beruhen. Das Bleiphosphat wird durch Salzsäure in Bleichlorür und freie Phosphorsäure zerlegt. Letztere zerlegt beim Rothglühen den Gyps in freie condensirbare Schwefelsäure und phosphorsauren Kalk. Wird letzterer in Gegenwart von Wasser der Einwirkung von Bleichlorür ausgesetzt, so wird aufs neue Bleiphosphat erhalten und die Reihe der Reactionen beginnt von neuem. Ohne alle Aussicht auf Gelingen im größeren Maaßstab ist der von Keller empfohlene Proceß: das aus Gyps auf oben angegebene Weise erhaltene Bleisulfat durch Schwefelwasserstoff, der aus Kohle und Gyps durch Glühen und Mischen mit Wasserdampf erzeugt werden soll, zu zerlegen und die Schwefelsäure frei zu machen. Unbedingt der bedeutendste Umschwung in der Schwefelsäurefabrication datirt von der Einführung der Pyrite an der Stelle des sicilianischen Schwefels. Noch vor 20 Jahren wurde nahezu sämmtliche Schwefelsäure aus gediegenem Schwefel, meist aus sicilianischem gemacht, während jetzt vielleicht 9/10 der producirten Schwefelsäure oder noch mehr aus Pyriten dargestellt wird. Nach der allgemeinen Meinung wäre die Idee aus Pyrite Schwefelsäure zu machen, aus den engherzigen Beschränkungen hervorgegangen, welche die neapolitanische Regierung der Ausfuhr des Schwefels 1838 auferlegte. In Wirklichkeit ist aber dieß nicht richtig, indem wenigstens indirect schon seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts die Pyriten zur Darstellung des Schwefels (Casselerfeld, Altsattel, Radoboj etc.) dienten: eine Industrie, die namentlich zur Zeit der napoleonischen Kriege sich der hohen Schwefelpreise wegen sehr hob. Die Verfahren zu diesem Zweck sind verschieden, man destillirt in Röhren oder conischen Retorten mit äußerer Heizung oder im Ofen, indem die unteren Lagen des Schwefelmetalls angezündet werden und durch die von ihnen entwickelte Hitze den Schwefel aus den oberen Schichten austreiben. Die Gesammtproduction solchen Schwefels ist aber immerhin unbedeutend; in ganz Preußen erreichte sie z.B. 1858 nur 10000 Centner. Daß man die gerösteten Pyrite, die in Eisenvitriol und wasserfreies basisches schwefelsaures Eisenoxyd umgewandelt werden, schon lange zur Darstellung von rauchender (Nordhäuser) Schwefelsäure brauchte, ist ebenfalls bekannt. Die beim Rösten der Pyrite in Fahlun (Schweden) sich ergebende schweflige Säure wurde ebenfalls schon lange zur Speisung von Bleikammern verwendet. In Frankreich hatte schon früher Clement-Desormes durch Mischen der Pyrite mit Kohle und Anzünden schweflige Säure für die Bleikammern zu erzeugen versucht, aber keine guten Resultate erhalten, da die beigemengte Kohlensäure sehr schädlich war. Erst Perret und Sohn in Chessy bei Lyon, die aus den dortigen Kupferkiesen das Kupfer auszogen und immer Klagen der Nachbarn, wegen der massenhaft entwickelten schwefligen Säure erfuhren, haben die Bedingungen einer gleichmäßigen und vollständigen Röstung der Pyrite festgestellt und schon 1833 nach einem Verfahren, das sie sich 1835 patentiren ließen, englische Schwefelsäure aus den Schwefelverbindungen des Eisens und Kupfers fabrikmäßig dargestellt. In Böhmen übten das gleiche Verfahren 1837 aus Wehrle und Braun. In England scheint man erst 1838 damit begonnen zu haben. In diese Zeit fällt das unvernünftige Monopol, das die Regierung von Neapel den Herren Taix und Comp. in Marseille gewährte, in Folge dessen der Preis der Tonne Schwefel von 5 Pfd. Sterl. auf 14 Pfd. Sterl. stieg. In demselben Jahre wurden 15 Patente für Verarbeitung der Pyrite auf Schwefelsäure genommen. Während nach Angaben von J. Muspratt die Schwefelsäurefabrication aus Pyriten ältern Datums seyn soll, gibt der Bericht der Jury der allgemeinen Ausstellung von 1855 an, daß diese zuerst 1839 von Th. Farmer betrieben wurde. Sey dem wie ihm wolle, das, wenn auch bald wieder, auf die Vorstellung der europäischen Regierungen zurückgenommene neapolitanische Patent gab den Anstoß zu rascher Verbreitung der Pyritröstung behufs der Schwefelsäurefabrication und einer gründlichen Reform derselben. Die Pyrite enthalten nicht selten fremde Substanzen. Im Bleikammerschlamm in Fahlun wurde das Selen, in neuerer Zeit im Bleikammerschlamm einer Fabrik, die Pyrite verarbeitet, von Crookes das Thallium aufgefunden. Beide Körper, wenn auch spurweise in der Schwefelsäure sich findend, sind indeß minder bedenklich, dagegen anders ist es mit dem Arsen, das sich in Pyriten und in der daraus fabricirten Schwefelsäure, als arsenige Säure findet. Zur Sodafabrication läßt sich solche Säure unbeanstandet verwenden, da die arsenige Säure weggeht, aber andere Verwendungen sind unzulässig, z.B. Darstellungen von Weinsäure, Citronsäure u.s.w., die als Speise oder Arznei dienen sollen. Zum Verzinnen des Eisenblechs darf sie nicht angewendet werden, weil die auf das Eisen sich ablegende Arsenschichte die Verzinnung hindert. Brod, das anstatt durch Gährung, mittelst Soda und Salzsäure durch Kohlensäureentwickelung locker gemacht war, wurde arsenhaltig gefunden, und zwar, weil die Salzsäure durch arsenhaltige, aus Pyriten gewonnene Schwefelsäure aus Kochsalz dargestellt war. Die Reinigung der Schwefelsäure von Arsen geschieht von mehreren Fabrikanten durch Kochen mit Kochsalz, wodurch Arsenchlorür in Dampfgestalt weggeht (die Säure enthält dann aber schwefelsaures Natron). In Chessy wird Schwefelbaryum zugesetzt. In einigen Fabriken am Harz, wie in derjenigen von Wagenmann und Seybel bei Wien, verwendet man Schwefelwasserstoff, wodurch zugleich der etwaige Gehalt an Stickstoffoxyden entfernt wird. Hunt hat sich letzteres Verfahren für England patentiren lassen. Eine einfache Methode, das Arsen, wenigstens zum größten Theil aus der Säure zu entfernen, ist von Kuhlmann in Lille vorgeschlagen und in seinen Fabriken ausgeführt. Man führt dort die schweflige Säure (aus Pyriten) in eine kleine Vorkammer von 1/30 Inhalt des Gesammtvolums der Kammern durch ein Bleirohr, das durch eiserne, mit Blei überzogene Ringe vor Senkung geschützt ist. In der Kammer schlägt sich mit der schon fertig gebildeten Schwefelsäure der größte Theil des Arsens nieder, und mit ihm etwas Eisen, Selen und Thallium.Man s. die betreffende Abhandlung Kuhlmann's im polytechn. Journal Bd. CLXVII S. 455. Die Säure der Vorkammer wird gesondert verbraucht zur Sodafabrication, aus ihr hat Lamy schöne Thalliumstücke und F. Kuhlmann Selen für die Ausstellung bereitet. Nach Versicherung des Besitzers fallen bei diesem Verfahren die Klagen anderer Fabrikanten über schnellere Zerstörung der Bleikammern weg. Ganz arsenfreie Schwefelsäure aus Pyriten zu erhalten scheint übrigens bis jetzt noch immer sehr schwierig, und wo solche gefordert wird, fabricirt man sie aus sicilianischem Schwefel. Wenn man nach diesen Verhältnissen erwarten sollte, daß in dem Consum sicilianischen Schwefels Stillstand oder Rückschlag eingetreten sey, so ist dieß keineswegs der Fall. Im Jahre 1853 wurden ausgeführt aus Sicilien 97,268 Tonnen, 1854 111,993 1855 101,393 1856 121,550 1857 125,987 1858 163,629 1859 152,487 1860 137,745 also wenn auch Schwanken stattfindet, die Zunahme ist nicht zu verkennen. Diese kommt wohl von dem vermehrten Verbrauch von Schwefel für die Schießpulverfabrication und gegen die Traubenkrankheit. Auch der Preis ist gestiegen (im Jahre 1857 kostete er im Elsaß 15 Frc., im Jahre 1860 24 Frc. der metrische Centner); dennoch haben einzelne Fabriken immer fortgefahren, natürlichen gediegenen Schwefel zu gebrauchen, andere würden bei mäßigeren Preisen wieder zu demselben zurückkehren, wenigstens für die zum Verkauf bestimmte Säure. Methoden der Verbrennung des Schwefels. Weil ein zu großes Luftvolum wegen der Diffusion des Stickstoffoxydes und der schwefligen Säure, Verlust an diesen beiden zur Folge haben muß, ist das Bemühen der Fabrikanten stets dahin gerichtet, daß nicht mehr Luft, als nöthig ist, eintrete. Es braucht theoretisch so viel Luft, daß ihr Sauerstoff zu dem Schwefel sich wie 3 Aequivalente zu 1 Aequivalent verhält, allein dieses Minimum wird in der Praxis nicht erreicht, und wollte man sich demselben zu sehr nähern, so wäre Gefahr, daß zu viel unverbrannter Schwefel als Dampf sich mit in die Kammern begeben würde. Damit dieß vermieden werde, läßt man in den gewöhnlichen Fällen Luft in einigem Ueberschuß zutreten und vergrößert das Volum der Kammern, damit darin vollständigere Gelegenheit zur Reaction der in Luft vertheilten Gase und Dämpfe aufeinander gegeben werde. Ein von Harrison Blair angewendeter Apparat soll diesen Uebeln in anderer Weise begegnen. Derselbe beruht auf der Idee, die Verflüchtigung des Schwefels zuerst in einem „Schwefelofen“ durch wenig Luft und Verbrennen nur eines Theils des Schwefels, die Oxydation sodann in einem zweiten Ofen, dem „Verbrennungsofen,“ durch nochmaligen Luftzutritt und endlich die Bildung des Stickstoffoxydes in einem dritten Ofen, dem „Nitrumofen,“ zu bewirken und dieß Product in den Verbrennungsofen zur schwefligen Säure zu leiten, worin sie sich mischen. Ohne Zeichnung würde die Beschreibung dieser Apparate wenig helfen. In den Fabriken von Kuhlmann zu Loos, la Madeleine, St. André und Amiens hatte man ebenfalls bemerkt, daß die Hitze beim Verbrennen des Schwefels zu hoch stieg und Verflüchtigung von unverbranntem Schwefel zur Folge hatte, und half ab durch Einlegen der Dampfkessel über das Schwefelgewölbe, welche der Dampfbildung wegen abkühlend wirkten und, was ein ganz interessantes Factum ist, verhältnißmäßig sehr wenig durch die schweflige Säure litten. Ein mit dieser Einrichtung verknüpfter Uebelstand war aber die sehr unregelmäßige Dampfbildung; darum gieng man zu einer anderen über, bestehend in vier gußeisernen Halbcylindern für je ein Kammersystem von 1500 Kubikmeter Inhalt, die eine Art Retorten bilden, auf deren Boden der Schwefel verbrennt. Sie haben vorn Oeffnungen für Luftzutritt und Einführung des Schwefels, das Hintertheil communicirt durch lange Röhren mit einer Vorkammer, von der aus die schweflige Säure in die eigentlichen Bleikammern gelangt. Der Apparat ist nach des Erfinders Meinung durchaus empfehlenswerth. In anderen Fabriken regelt man den Luftzutritt durch Regulatoren für die austretenden Gase; diese bestehen in einem zum Kamin führenden winkelförmigen Bleirohr, worin eine siebartige Scheidewand, auf der ein Schieber liegt, eingeschaltet ist. Scheurer-Kestner bedient sich zum gleichen Zwecke eines Anemometers, der in einem Rohr hinter dem Schwefelofen angebracht ist. In Belgien schlug Stas vor, in den Schwefelofen ofen nur so viel Luft einzulassen, als gerade zum Verbrennen des Schwefels nöthig ist, und den weiteren Sauerstoff durch ein besonderes, mit genauem Register versehenes Rohr einzuführen. Durch sorgfältige Regelung des Sauerstoffzutritts ist man dahin gelangt, daß in den austretenden Gasen nicht mehr als 2 bis 3 Proc. Sauerstoff sich befinden und man eine Ausbeute erreichte, die der theoretischen nahe kommt, nämlich 306 Theile Schwefelsäure von 1,843 spec. Gewicht aus 100 reinem Schwefel, während man nach der gewöhnlichen Weise fabricirend oft nur 280–290 Gewichtstheile Säure gewinnt. Methode der Verbrennung der Pyrite. Hiebei ist ein gut geregelter Luftzutritt noch viel wichtiger, und zwar darum, weil Sauerstoff zur Oxydation des Eisens gebraucht, deßhalb viel Stickstoff in die Kammer geführt und dadurch das Volum nutzloser Gase beträchtlich vermehrt wird. Daher die Nothwendigkeit verminderter Production oder einer Vergrößerung der Kammern, die trotz aller Bemühungen nach Reduction der Masse doch immer an Volum zunehmen. Man findet in den englischen Fabrikbezirken oft Kammern von einem Inhalt bis zu 120,000 Kubikfuß, während sie auf dem Continent gewöhnlich kleiner sind; die von Hrn. Kuhlmann z.B. haben nicht ganz 53,000 Kubikfuß und bestehen aus sechs Abtheilungen. Ein ganz rationeller Grund für diese Dimensionen ist die Beobachtung der Fabrikanten, daß unter sonst gleichen Umständen mit den Dimensionen der Kammer die Ausbeute an Säure aus gleichen Schwefelmengen wächst. Ein weiterer Unterschied zu Ungunsten der Pyrite ist der, daß der Schwefel derselben nicht so leicht verbrennt als der freie. Der continuirliche Kalkofen, in welchem man oben Material einwirft, um es unten fertig auszuziehen, ist bekannt; eine diesem ähnliche Construction hat man in mannichfachen Modificationen auf die Pyritverbrennung angewendet; unter diesen verdient vornämlich die von Hunt angeführt zu werden. Am häufigsten bedient man sich indessen des gewöhnlichen Schwefelverbrennungsofens und zwar ohne Nachtheil da, wo gröbere Pyritstücke zu verbrennen sind, da von den 50 Procent des in dem Material enthaltenen Schwefels kaum 2–3 Proc. zurückbleiben. Für feineren Pyritgrus eignet er sich jedoch nicht gut, da nicht selten 8 bis 10 Proc. Schwefel darin zurückbleiben. Man mengt sie zwar mit feuchtem Thon zu Broden von 2–3 Zoll Durchmesser, die mit abgehender Wärme zuerst getrocknet der Verbrennung unterworfen werden. Das Schlimme ist hiebei, daß die Verbrennung langsam geht und Zeitverlust veranlaßt, weßhalb man die Röstung gewöhnlich nur bis zu 4 Proc. Schwefelrückstand treibt. Ein Herd aus feuerfesten Backsteinen mit einem flachen Gewölbe dient am besten; es sind zwar auch hiefür sehr abweichende Constructionen ausgeführt, unter welchen jedoch die von Spence Man s. die Patentbeschreibung des Spence'schen Apparats im polytechn. Journal Bd. CLXIV S. 449. sich auszeichnen soll. Es besteht aus einer feuerfesten Sohle von 40 Fuß Länge und 6–7 Fuß Breite, auf welche die feineren, durch Siebe gefallenen Pyrite an der vom Feuer entferntesten Stelle die unter der Sohle liegt, eingeführt und allmählich dem Feuer durch Haken von Seitenthüren aus näher gebracht werden. Die Luft tritt am Vordertheile ein und streicht über die Pyrite hin. Bei ganz pulverigem Material erreicht man vollständige Entschwefelung. Die langsame Steigerung der Hitze in den Pyriten und ihr Zusammenkommen mit frischer Luft ganz zu Ende des Processes bewirkt diesen Erfolg, der in 24 Stunden erreicht ist. Man bemerkt hiebei immer Dämpfe von wasserfreier Schwefelsäure. Seyen diese durch Vereinigung der schwefligen Säure mit Sauerstoff unter Einfluß glühenden Eisenoxyds, oder durch Bildung von schwefelsaurem Eisenoxyd an den weniger heißen Stellen und dessen Zerlegung an den heißeren entstanden, immerhin beweisen sie Ersparniß an Stickstoffoxyd bei der Anwendung dieses wohlfeileren Materials. Früher bezog man in England die Pyrite von Wicklow und Cornwallis, jetzt kommen deren viele aus Spanien, Portugal, Belgien, die viel weicher sind. Erstere enthalten etwa 33 Proc., letztere 42–50 Proc. Schwefel. Zweckmäßig, ja nöthig ist es zum Behufe geordneter Calculation, die Pyrite immer technisch zu prüfen. Dieß geschieht am besten nach dem Verfahren von Pelouze durch Glühen von Pyritpulver mit Kochsalz, chlorsaurem Kali und Soda, Auswaschen und Titriren des kohlensauren Natrons. Viele Pyrite enthalten Kupferkies, die spanischen bis zu 3, die inländischen 1 Proc. Man hat begonnen, das Kupfer aus den Rückständen auszuziehen. In England geschieht es noch meist durch ein Schmelzverfahren, in Frankreich auf nassem Wege. Neuerlich beginnt man die Extraction durch Bildung von Chlorkupfer (durch Rösten der Rückstände mit wenig Kochsalz) und Niederschlagen mit metallischem Eisen zu bewerkstelligen. Der Gebrauch des bei der Gasbereitung aus Steinkohlen sich ergebenden Schwefels ist ebenfalls eine neue Industrie. Der in den Steinkohlen enthaltene Schwefel, meist von Schwefeleisengehalt herrührend, entweicht größtentheils als Schwefelwasserstoff. Dieß Gas wird in England aus dem Leuchtgas meist dadurch entfernt, daß man das Gemenge über eine Mengung von Eisenoxydhydrat und Sägespänen führt. Es bildet sich Eisenoxydulsulfat, Wasser und Schwefel. Ersteres wird durch Aussetzen an der Luft in Eisenoxydhydrat unter Abscheidung neuen Schwefels umgewandelt und wieder gebraucht. Nach 30–40 maligem Regeneriren hat sich darin eine bis zu 40 Proc. steigende Menge von Schwefel angehäuft. Diese Masse nun wird, ähnlich wie die Pyrite, zur Bildung von schwefliger Säure für die Bleikammern gebraucht. In einer einzigen Schwefelsäurefabrik zu Barking-Creek an der Themse hat 1861 J. B. Lawes 2180 Tonnen davon verwendet; sie soll eine dem eigenen Gewicht gleiche Menge wasserhaltiger Schwefelsäure hervorbringen. Nenn in London jährlich 1,100,000 Tonnen Steinkohle für die Gasbeleuchtung gebraucht werden und diese 1 Proc. Schwefel enthalten, so lassen sich aus den 1100 Tonnen Schwefel etwa 3600 bis 3900 Tonnen Schwefelsäurehydrat darstellen, ein Beweis, wie wichtig diese Verwendung der Gasreinigungsmateriale werden kann. Die Absorption der Stickoxyddämpfe durch den Gay-Lussac'schen Proceß. Bekanntlich läßt man nach Gay-Lussacs schon mehr als 20 Jahre in Gebrauch stehendem Vorschlag durch einen Kohksthurm concentrirte Schwefelsäure laufen, welche die aufsteigenden Stickoxyddämpfe absorbirt und bedient sich der Säure, um dieselben in die Kammer zurückzuführen. Es wird nach glaubhaften Versicherungen an 30 Proc. Natronsalpeter erspart. Trotzdem findet man in vielen englischen Fabriken das Verfahren aufgegeben, weil der Natronsalpeter im Preise sehr gesunken ist (100 Kilogr. 30 Frcs.) und die Fabrikanten, die nur Kammersäure für ihre Sodafabriken machen, sich scheuen, einen Theil desselben zu concentriren. Aber in einigen sehr gut administrirten Fabriken findet man dennoch die Gay-Lussac'schen Kohksthürme in Anwendung. Die Concentration der Kammersäure, die in Bleipfannen bis zum spec. Gewicht von 1,75 eingeleitet wird, wurde früher in Glasretorten beendigt. Die häufigen Brüche haben zu den Platinapparaten geführt. Leider sind diese, wozu die Monopolisirung des Platinhandels durch Rußland beiträgt, sehr theuer, und es ist constatirt, daß ihre Corrosion namentlich unter Gegenwart von Sticksauerstoffverbindungen ziemlich schnell vor sich geht. (Nach Scheurer-Kestner beträgt sie für 1000 Kilogr. Schwefelsäure durchschnittlich 2 Gramme Platin; in neuen Apparaten weniger, in alten aber oft ziemlich mehr. Das Iridiumplatin wird viel weniger angegriffen. Entfernen des Sticksauerstoffs durch Ammoniaksalze nach Pelouze's Vorschlag ist ein gutes Schutzmittel.) Daher überall das Bestreben nach Ersatz dieser theuren Apparate. Man schlug Abdampfen im luftleeren Raume vor (Keller, Kuhlmann), man benutzte den Umstand, daß die Schwefelsäure bei gewöhnlicher Temperatur nur sehr wenig angreift, in der Weise, daß man die in einen Bleikessel eingeschlossene Säure nur an der Oberfläche durch einen Strom heißer Gase erhitzte (Clough). Gossage führte heiße Luft über Schwefelsäure, die in sehr weitgehender Vertheilung durch einen geneigten Canal über Kieselsteine floß, erfuhr dabei zwar, daß die Concentration allerdings bei niedriger Temperatur möglich sey, daß aber auch viel Säure in der heißen Luft diffundire. In England ist man jetzt zu Glasretorten,Man s. die bezüglichen Bemerkungen von Deville und Debray im polytechn. Journal Bd. CLXV S. 206. die sehr groß und sehr sorgfältig aus bleihaltigem Glase gemacht sind, durch Erhitzung der Schale vor kaltem Luftzug geschützt sind, und immer mit heißer wässeriger Säure gefüllt werden, zurückgekehrt. Man läßt sie, um Temperaturwechsel zu verhindern, ununterbrochen fortarbeiten. Während in England, namentlich in Lancashire, die Platinretorten fast gänzlich verschwunden sind, werden sie in den bedeutendsten französischen Fabriken stets noch gebraucht. (Die Fortsetzung folgt.)