Titel: Ueber die Getreidemühlen der Londoner Ausstellung vom Jahre 1862.
Fundstelle: Band 172, Jahrgang 1864, Nr. IX., S. 14
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IX. Ueber die Getreidemühlen der Londoner Ausstellung vom Jahre 1862. Ueber die Getreidemühlen der Londoner Ausstellung vom Jahre 1862. Hierüber findet sich in dem IX. Hefte des amtlichen Berichtes der Zollvereins-Commissäre und Preisrichter Nachstehendes. Getreidemühlen und Zubehör waren in der Londoner Ausstellung von 1862 verhältnißmäßig äußerst schwach vertreten und unter den vorhandenen fand sich so sehr wenig Neues, daß es jedem Berichterstatter schwer wurde, dem Gegenstande überhaupt Stoff zur Besprechung abzugewinnen. Nichtsdestoweniger konnte dem unparteiischen deutschen Sachkenner eine Thatsache, nämlich die nicht entgehen, daß Oesterreich die schönsten und besten Mahlproducte der Welt aufzuweisen hatte, wenn man die Weizenmehle der Wiener, Pesther, Prager, Teschner u.a. Kunstmühlen mit denen anderer Nationen verglich. Als Hauptursache der Erzeugung eines so vorzüglichen Mahlproductes bezeichnete man richtig die sog. Griesmüllerei (Hochschroten, Sortiren, Poliren, Putzen etc.), welche sich in Oesterreich derartig ausgebildet hat, daß zur Zeit kein anderes Land dem gleich zu kommen vermag und die Producte der sogenannten Flachmüllerei, wie sie die amerikanischen, englischen, französischen, sowie die meisten übrigen deutschen Mehlfabrikanten liefern, unter allen Umständen dahinter zurückbleiben müssen. Durch den österreichischen Grießproceß scheint die deutsche Müllerei wieder zu dem Rufe allseitig anerkannter Tüchtigkeit gelangen zu wollen, welcher ihr und in zwar ganz entschiedener Weise von den Amerikanern, Engländern und Franzosen entzogen worden war. Die einzigen beachtungswerthen Concurrenten dürften zur Zeit, außer den Schweizern, vorzüglich noch die französischen Müller seyn, die neben ihren anerkannt mechanisch vollkommenen Constructionsweisen ebenfalls anfangen, die Griesvermahlung theilweise zu adoptiren. Repräsentirt war das österreichische Weizenmahlsystem durch ein von Lorenz Nemelka in Wien unter Nr. 574 ausgestelltes Modell einer completen Kunstmühle mit 5 Mahlgängen sammt allen in Anwendung kommenden Hülfsmaschinen, um die Frucht vor dem Mahlen zu reinigen, die verschiedenen Griesgattungen zu gewinnen, zu sortiren etc. und vermittelst Cylinderbeutel mit Seidengaze die verschiedenen Mehlgattungen bis zur feinsten Qualität zu erzeugen. Das Modell war im Ganzen wie in allen einzelnen Theilen vortrefflich gearbeitet, und konnte nur bedauert werden, daß bei der Ausstellung keine Gelegenheit geboten war, das Innere mit wünschenswerther Specialität studiren zu können. Das französische Mahlmühlensystem war ebenfalls durch einige Modelle des bekannten C. Touaillon in Paris unter Nr. 1136 vertreten, der zugleich in der Ausstellung eine Broschüre vertheilen ließ, durch welche das Publicum auf seine Gesammtleistungen im Fache der Müllerei aufmerksam gemacht werden sollte. Auf dem Titel hatte er besonders bemerkt, daß er der Constructeur der 40 Mahlgänge von St. Maur sey. Mit Hinsicht auf die steten Mittheilungen, welche Armengaud über Touaillon's Constructionen, einschließlich seiner Maschine zum Behauen der Mühlsteine,Touaillon's Maschine zum Behauen der Mühlsteine ist im polytechn. Journal Bd. CLXX S. 92 beschrieben. und über die Mühle zu St. Maur sowohl in seinem Werke Publication industrielle, als in der Zeitschrift Le Génie industriel ausführlich machte, dürfte hier ein specielles Eingehen auf die Sache überflüssig seyn. Eine französische beachtungswerthe transportable Getreidemahlmühle, in wirklicher Größe unter Nr. 1243 ausgestellt, war übrigens noch die von Buisson in Tullins (Isère), da diese zu der Gattung von Mahlmühlen gehörte, bei welcher, abweichend von der gewöhnlichen Anordnung, der Oberstein ruht, dagegen der Unterstein läuft, bekanntlich ein System, was sich trotz anerkannter Vorzüge hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit immer noch nicht allgemeinen Eingang verschaffen kann, wahrscheinlich und hauptsächlich deßhalb, weil die Construction manche für den Betrieb und die Unterhaltung nicht vortheilhafte und zu complicirte Anordnung mit sich führt.Buisson theilte nachstehende Resultate aus vergleichenden Versuchen mit, welche er bei Steinmühlen verschiedener Anordnung erhalten haben wollte, an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, Berichterstatter keine Veranlassung fand:Es wurden an Weizenmehl gewonnen, bei gleichbleibender Triebkraft und unter sonst ganz einerlei Umständen:Kil. per Stunde1.Wenn der obere Stein alleinlief und ventilirt wurde125Gewöhnliches gutes Mehl.2.Wenn der untere Stein alleinlief und ebenfalls ventilirt wurde166Weit schöneres Mehl alsbei Nr. 1, und die Schalennicht so sehr zermalen.3.Wenn beide Steine zugleich, abernach entgegengesetzten Richtungenumliefen und gleichfalls ventilirt wurde207Noch weniger gutes Mehlwie bei Nr. 1. Was die Arbeiten englischer Mechaniker im Fache der großen Mehlfabrication betraf, so war dießmal leider W. Fairbairn in Manchester mit seinem ganz gußeisernen tulpenartig geformten Mühlgerüste gar nicht vertreten, obwohl es Thatsache ist, daß dieses System seit 1851, wo dasselbe zuerst auf der damaligen Weltausstellung erschien, sich vielseitig bewährt und eine höchst ausgebreitete Verwendung gefunden hat.Abbildung und Beschreibung in Karmarsch's und Heeren's Handbuch der Gewerbekunde, Artikel „Mühlen“ Seite 696. Bemerkenswerth dürfte in letzterer Beziehung seyn, daß Fairbairn's System es war, welches seiner Zeit im Krimmkriege (allerdings nicht beim Anfange desselben!) der englischen Armee so wesentliche Dienste leistete, weil es in dem eisernen Schraubenschiffe The Bruiser zu vier Gängen in der Reihe aufgestellt, im Stande war, täglich durchschnittlich 24,000 Pfd. Weizenmehl zu liefern, ja zuweilen trotz Wind und Wetter, wenn das Schiff mit 7 1/2 Knoten oder 7 1/2 Meilen pro Stunde fahren und Schiff wie Mühle von derselben Dampfmaschine, 80pferdig von Robert Stephenson construirt; getrieben werden mußten, 20 Bushels oder 1120 Pfd. Weizenmehl pro Stunde zu schaffen vermochte.In deutschen Schriften und Journalen ist dem Berichterstatter Ausführliches über diese interessante Mahlmühle nach Fairbairn's System nicht bekannt geworden. Es möchte deßhalb wohl zweckdienlich seyn, Fachmänner auf einen von W. Fairbairn selbst geschriebenen Aufsatz (mit Abbildungen) zu verweisen, welcher in den Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers von 1858, S. 155, unter der Ueberschrift sich findet: Description of a Floating Steam Corn Mill and Bakery.“ Daß man in Deutschland nach Fairbairn's System so sehr wenig Mahlmühlen angeordnet hat, dürfte seinen Grund erstens darin haben, daß es, bei Vermeidung alles Holzes, verhältnißmäßig zu theuer zu stehen kommt, und zweitens ein Kegelrad am Mühleisen, welches beliebig gehoben und gesenkt werden muß, sehr leicht nachtheilige Eingriffe veranlaßt. Die einzige englische größere, gangbare, durch speciell dazu gehörige Dampfmaschine betriebene Getreidemahlmühle hatten Whitmore und Söhne in Wickham (Suffolk) unter Nr. 2023 eingesendet, die jedem Besucher des Western Annex der Ausstellung nicht unbekannt bleiben konnte, da ein besonderer illustrirter Katalog mit ungewöhnlicher Freigebigkeit vertheilt wurde, abgesehen davon, daß der officielle illustrirte Katalog (Classe VIII, S. 85) seine Abbildungen den ersteren entlehnte. Für den Laien hatte die Anordnung dieser zweigängigen Mühle mit Riemenbetrieb hinsichtlich gefälliger Formen und mancherlei Eigenthümlichkeiten der Anordnung viel Ansprechendes, was sich jedoch bei näherer Untersuchung der Sachverständigen zu einem minder günstigen Urtheile gestaltete. Das Mühlgerüst, die passiven Treibriemenscheiben mit ihren Spannungsrollen nebst dem Stellzeuge der Steine bildeten eine besondere Aufstellung, welche von dem Triebwerke, activen Riemenscheiben, Königswelle und Dampfmaschine völlig getrennt, und letztere Theile vielmehr in einem besonderen Gestelle enthalten waren. Dabei gehörte die Dampfmaschine zur Gattung der sogenannten Kirchthurm-Maschinen (steeple engines), die hier wohl zum erstenmale mit horizontalliegendem (unbeweglichem) Cylinder in Anwendung gekommen seyn dürfte. Das zugehörige Schwungrad war völlig unsichtbar, indem es der Constructeur (in horizontaler Lage an verticaler Achse) unterhalb der Dampfmaschinen-Fundamentplatte im cylindrischen, hohlen gußeisernen Gestellkörper verborgen hatte. Im Eastern Annex unter Nr. 1940 wurde dem Besucher Thomas Neal's „Patent-Steinmühle“ auf niedrigem, nur mannhohen gußeisernen Gerüste besonders angepriesen, bei welcher, ähnlich der oben erwähnten Mühle des Franzosen Buisson, der obere Stein unbeweglich, dagegen der untere beweglich zum Laufen um seine verticale Treibachse angeordnet war. Ueber die Leistung dieser Mühle ist dem Berichterstatter nichts Zuverlässiges bekannt geworden; nur war sie mit sehr guten Verhältnissen in constructiver Hinsicht ausgestattet und auch Material wie Ausführung gleich lobenswerth. Neal's Mühle glich übrigens auch sehr den transportablen Kornmühlen auf eisernen Gestellen, welche unter Anderen Ransomes und Sims in Ipswich seit längerer Zeit construiren; bei diesen Mühlen läuft ebenfalls der untere Stein, während der obere fest ist. Beutelmaschinen (Siebzeuge) für Getreidemahlmühlen hatten Coombe und Comp. (Nr. 1828) und Hughes und Söhne (Nr. 2132), beide in London (letztere Firma unter Classe IX, landwirtschaftliche Maschinen und Geräthe), ausgestellt. Coombe und Comp. lieferten nur Beutelmaschinen des bereits 1829 eingeführten und 1857 verbesserten Smith'schen (in Bradford) Systems, bei welchen Drahtgewebe statt Seidengaze in Anwendung gebracht werden, der Drahtcylinder eine langsame und der innerhalb laufende Bürstenapparat eine sehr rasche Umdrehbewegung erhält.Der Berichterstatter fand in den englischen Getreidemahlmühlen fast ausschließlich noch Cylinderbeutel mit Drahtsiebwerken in Anwendung.In der großen Old-Union-Flower-Mill zu Birmingham, eine der jüngsten Aufstellungen von 20 Gängen des Fairbairn-Systems in zwei parallelen Reihen, sollten bei den 6 Fuß langen und 20 Zoll im Durchmesser haltenden Drahtcylinderbeuteln die Bürsten 600 (?), die Cylinder 3 Umläufe per Minute machen. Die vierfüßigen französischen Steine arbeiteten bei 120 Umgängen per Minute etc. In Hughes und Comp. illustrirtem Kataloge waren jedoch auch Seidenbeutel (silk dresser or bolting machine) aufgeführt und diesen ein nicht geringes Lob gesungen! Nach und nach werden wohl auch die englischen Müller zur rechten Einsicht gelangen. Neues und besonders Empfehlenswerthes von Getreidereinigungsmaschinen ist dem Berichterstatter auf der Ausstellung gleichfalls nicht vorgekommen, da die von Coombe und Comp. mit eingesendete Ashby'sche (Smith'sche) Maschine bereits im polytechn. Journal Bd. CLI S. 103 beschrieben und abgebildet wurde, und eine Art Universalmaschine des Belgiers Louis Jean Marie in Marchienne-au-Pont (Hainaut) unter Nr. 246 des belgischen Kataloges aus einer Zusammenstellung der bekannten französischen, complicirten Systeme ähnlicher Art bestand. (Monatsblatt des hannoverschen Gewerbevereins, 1863 S. 91.)