Titel: | Ueber die Schießbaumwolle; von Pelouze und Maurey. |
Fundstelle: | Band 174, Jahrgang 1864, Nr. LVII., S. 210 |
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LVII.
Ueber die Schießbaumwolle; von Pelouze und Maurey.
Aus den Comptes rendus, t. LIX p. 363, August
1864.
Pelouze und Maurey über die Schießbaumwolle.
Die Schießbaumwolle (das Pyroxylin) ist seit bald zwei Jahrzehnten, wo man das
gewöhnliche Pulver für die Schußwaffen und die bergmännische Bohr – und
Schießarbeit durch sie zu ersetzen suchte, in der verschiedenartigsten Weise
beurtheilt worden. In Frankreich ist ihre Anwendung nach zahlreichen Versuchen wegen
ihrer zerstörenden Wirkungen auf die Läufe der Waffen, sowie wegen der durch ihre
freiwillige Zersetzung und Explosion verursachten Unfälle, auf die zuerst Einer von
uns in einem der Akademie vorgelegten Aufsatze (polytechn. Journal, 1849, Bd. CXII
S. 138) aufmerksam machte, wieder aufgegeben worden.
In Oesterreich beschäftigte sich General v. Lenk mit der
Darstellung und Anwendung dieses explosiven Präparats specieller. Die ihm
eigenthümliche Darstellungsmethode, welche zu Hirtenberg in großem Maaßstabe
praktisch ausgeführt wurde, blieb mehrere Jahre lang tiefes Geheimniß; seit dem
vorigen Jahre sind jedoch mehrere auf dieselbe bezügliche Documente sowohl von
verschiedenen deutschen Chemikern als vom General Lenk
selbst veröffentlicht worden.
Diesen zufolge wäre die Hirtenberger Schießbaumwolle spontanen Explosionen nicht
unterworfen, wie es der Fall mit der französischen, in der Pulverfabrik zu Bouchet
dargestellten der Fall ist, ja die erstere soll sogar eine von der der letztern
abweichende chemische Zusammensetzung haben, und ihre (die Feuerwaffen)
zersprengenden Eigenschaften sollen durch die Art wie man die Fäden zu einem Ganzen
vereinigt, beseitigt werden können. Wir wollen im Nachfolgenden untersuchen,
inwiefern diese Behauptungen gegründet sind, und zu dem Zwecke die Resultate der von uns beiden
unter Assistenz des Commissär-Adjuncts der kaiserlichen Pulverfabriken, Hrn.
Faucher und des Hrn. Chapoteaut, unseres Präparateurs, angestellten Versuche und Analysen
mittheilen.
Die zu Hirtenberg und zu Bouchet
befolgten Methoden zur Darstellung der Schießbaumwolle.
Die zu Hirtenberg nach dem Verfahren des Generals Lenk
dargestellte Schießbaumwolle wird, gleich der zu Bouchet präparirten, durch
Eintauchen von Baumwolle in ein Gemisch von einfach-gewässerter Salpetersäure
und Schwefelsäure von 66° Baumé gewonnen. Indessen weichen die beiden
Methoden doch in mehreren Punkten von einander ab.
Zunächst ist das Verhältniß beider Säuren bei den beiden Methoden nicht gleich; das
Lenk'sche Gemisch wird aus 1 Gewichtstheil
Salpetersäure auf 3 Th. Schwefelsäure, das zu Bouchet angewendete dagegen aus 1 Vol.
Salpetersäure und 2 Vol. Schwefelsäure, entsprechend 1 Gewichtstheil jener auf 2,46
Gewichtstheile der letzteren zusammengesetzt. In dem erwähnten Aufsatze von 1849
wird das Gemisch von 3 Vol. Salpetersäure mit 7 Vol. Schwefelsäure (1 Gewth. auf
2,86 Gewth.), welches den von General Lenk endgültig
angenommenen Verhältnissen noch näher kommt, als das am vortheilhaftesten wirkende
angegeben.
Zu Hirtenberg wird die Baumwolle in Quantitäten von 100 Grammen in 30 Kilogr. des
Säuregemisches eingetaucht. Nachdem sie im Bade einen Augenblick umgerührt worden,
wird sie aus demselben herausgenommen: das hierbei verbrauchte Bad wird jedesmal
durch neues Gemisch ersetzt, so daß die Operationen in dieser Weise beliebig lang
fortgesetzt werden können, indem das Gewicht des Säuregemisches fortwährend 300 mal
größer ist als das der Baumwolle.
Ist eine genügende Quantität eingetauchter Baumwolle vorräthig, so wird dieselbe in
einen Behälter gebracht, in welchem sie mit dem von ihr aufgesogenen Säuregemische
48 Stunden liegen bleibt. Nach Verlauf dieser Zeit kommt sie in eine Centrifuge, in
welcher binnen wenigen Minuten der größte Theil der nicht gebundenen Säuren
ausgeschleudert wird. Der Rest wird durch Waschen und sechswöchentliches Einhängen
in fließendem Wasser beseitigt. Darauf wird die Baumwolle nochmals in der Centrifuge
ausgeschleudert und zwei bis drei Minuten lang in einer Lösung von kohlensaurem Kali
von 2° Baums gekocht, dann zum dritten und letzten Male ausgeschleudert und
bei günstigem Wetter an freier Luft, sonst aber in einem Trockenraume, dessen
Temperatur 20° C. nicht übersteigen darf, getrocknet.
In der letzten Zeit wandte General v. Lenk eine 12°
Baumé starke Lösung von Natron-Wasserglas an, mit welcher die auf die
angegebene Weise behandelte Baumwolle getränkt wird; dann kommt dieselbe zum
Trocknen und wird so lange an die Luft gehängt, bis die atmosphärische Kohlensäure
sich mit dem Natron des Wasserglases verbunden hat, wodurch ein unlösliches Silicat
auf der Pflanzenfaser niedergeschlagen wird, welches nach Lenk „die
Baumwollenfaser geschlossener macht und die Entwickelung der Gase
verzögert.“
Zu Bouchet wurde die Behandlung mit dem Säuregemische in Gefäßen vorgenommen, welche,
auf je 200 Grm. Baumwolle, nur 2 Liter von jenem enthielten und eine einstündige
Imprägnirung mit dem Säuregemische wurde für hinlänglich gehalten.
Von den nicht gebundenen Säuren wurden etwa 70 Proc. mittelst einer Presse entfernt,
dann ward die Baumwolle eine oder anderthalb Stunden lang in fließendem Wasser
gewaschen, von einem großen Theile des Waschwassers durch starkes Auspressen befreit
und hernach zur Neutralisirung der letzten Spuren von Säuren vierundzwanzig Stunden
lang in Holzaschenlauge gelegt. Darauf wurde sie zum zweitenmale in fließendem
Wasser ausgewaschen, wieder ausgepreßt und schließlich auf einem weit gewobenen
Leintuchs, durch welches mittelst eines Ventilators kalte Luft getrieben wurde,
getrocknet.
Wasserglas ist für die Schießbaumwolle in Bouchet niemals angewendet worden; wir
werden auch zeigen, daß dieser Zusatz die ihm von General v. Lenk beigelegte
Wichtigkeit nicht zu haben scheint.
Quantität der durch ein gegebenes
Gewicht Cellulose erzeugten Schießbaumwolle.
Nach einem Berichte der deutschen Chemiker Redtenbacher, Schrötter und Schneider
Der Bericht der genannten Chemiker wurde im Juni 1863 an den Feldmarschall
Johann Freiherrn Kempen von Fichtenstamm als
Präsidenten der k. k. Kommission für die Schießbaumwolle erstattet und der
chemischen und mechanischen Section der zu Newcastle versammelten British Association mitgetheilt; er wurde dann
vollständig in englischer Uebersetzung im Practical
Mechanics' Journal October 1863, S. 172 veröffentlicht.A. d. Red. wird die Zusammensetzung der Lenk'schen
Schießbaumwolle durch die Formel
C¹²H⁷O⁷, 3NO⁵ oder
C¹²H⁷ 3(NO⁴)O¹º
ausgedrückt, welche der folgenden procentischen
Zusammensetzung entspricht:
Kohlenstoff
24,24
Wasserstoff
2,36
Sauerstoff
59,26
Stickstoff
14,14
–––––
100,00
Die Reaction selbst läßt sich in zweierlei Weise auffassen:
1) Indem man annimmt, daß die Pflanzenfaser bei der Berührung mit dem Gemische von
Salpetersäure und Schwefelsäure, Wasser verliert, an dessen Stelle Salpetersäure
tritt, entsprechend der Gleichung
C¹²H¹ºO¹º + 3NO⁵
= C¹²H⁷O⁷, 3NO⁵ + 3HO.
2) Indem man annimmt, daß ein Theil des Wasserstoffs der Cellulose durch eine gleiche
Anzahl von Aequivalenten Untersalpetersäure ersetzt wird, nach dem Ausdrucke
C¹²H¹ºO¹º + 3NO⁵
= C¹²H⁷ 3(NO⁴)O¹º + 3HO
Demzufolge müßten 100 Theile Baumwolle 183 Th. Schießbaumwolle geben. Wir haben
indessen bei mehr als hundert Versuchen, bei welchen wir die Gewichtsverhältnisse
der Substanzen, aus deren gegenseitiger Reaction der explosive Körper resultirt,
jedesmal abänderten, niemals mehr als 178 Gewichtstheile erhalten.
Der Bericht der genannten Chemiker schweigt bezüglich des Ausbringens an
Schießbaumwolle, und doch bildet dasselbe nach unserer Ansicht den zuverlässigsten
Anhaltspunkt zur Berechnung der Zusammensetzung der Schießbaumwolle. Wir wollen
damit keineswegs sagen, daß eine genaue Bestimmung der aus einer bestimmten Menge
Baumwolle erhaltenen Schießbaumwolle die Elementaranalyse dieser letzteren ganz
entbehrlich macht; die Ergebnisse der Analyse müssen aber mit der Ausbeute an
explosivem Präparate in Einklang stehen.
Unsere Versuche über die Quantität der erhaltenen Schießbaumwolle wurden mit
Baumwolle von guter Qualität angestellt, welche vor der Behandlung mit Säuren in
einer kochend heißen Lösung von kohlensaurem Kali oder von Seife gewaschen und
möglichst vollständig von allen fremden Körpern, namentlich von Samenkörnern,
gereinigt, dann aber in einem Gay-Lussac'schen
Trockenapparate bei einer Temperatur zwischen 100 und 115° C. sorgfältig
getrocknet wurde.
Die Schwefelsäure hatte 66° Baumé; die Salpetersäure zeigte bei +
9° C. ein spec. Gewicht von 1,50, enthielt eine geringe Menge Salpetrigsäure
und war gelblich gefärbt.
Die Säuren wurden in verschiedenen Verhältnissen mit einander gemischt, und zwar so,
daß sie: 1) die Zusammensetzung des Lenk'schen Gemisches,
2) diejenige des zu Bouchet angewendeten Gemisches, 3) verschiedene, zwischen den
Verhältnissen von 2 SO³ zu 1 NO⁵ und von 3 SO³ zu 1 NO⁵
liegende Mischungsverhältnisse zeigten.
Ebenso wurden auch die relativen Mengen des Säuregemisches und der auf einmal zu
behandelnden Baumwolle variirt, so daß dieselben gleichfalls den früher zu Bouchet
üblichen, dann den von Lenk angegebenen und außerdem
verschiedenen anderen Verhältnissen entsprachen, in denen die Menge des
Säuregemisches gesteigert wurde, so daß dasselbe im extremen Falle das 500fache
Gewicht der Baumwolle betrug.
Die Dauer des Eintauchens der Baumwolle in das Säuregemisch variirte von 1 Stunde bis
zu 66 Stunden.
Bei diesen sämmtlichen Versuchen schwankte die Ausbeute an Schießbaumwolle in engen
Grenzen, ohne jedoch mehr als 178 auf 100 angewendeter Baumwolle zu betragen.
Bei der fabrikmäßigen Darstellung des Präparats erreicht die Ausbeute an
Schießbaumwolle weder zu Hirtenberg, noch in der Pulverfabrik zu Bouchet die Höhe
des mit kleinen Quantitäten im Laboratorium erzielten Ertrags. Nach Lenk's Angaben sind zur Darstellung von 100 Kilogr.
Schießbaumwolle 64,5 Kil. nicht ausgetrockneter Baumwolle erforderlich, was einer
Ausbeute von 155 entspricht. Vorausgesetzt, daß die Baumwolle 6 bis 7 Proc.
Feuchtigkeit enthält, würde der Ertrag der trockenen Baumwolle zu Hirtenberg 165 bis
167 von 100 gewesen seyn.
Zu Bouchet war, nachdem der Betrieb ein regelmäßiger geworden, der Ertrag 165,25 von
100.
Ohne aus diesen Zahlen theoretische Folgerungen bezüglich der Entstehung der
Schießbaumwolle ziehen zu können, durften wir doch einen so wichtigen Punkt wie den
der Ausbeute nicht mit Schweigen übergehen, zumal da dieselbe bei der Darstellung im
Großen in den beiden in Rede stehenden Fabriken nahezu gleich ist.
Zusammensetzung der
Schießbaumwolle.
Der Eine von uns hatte i. J. 1847 die Zusammensetzung der Schießbaumwolle
untersuchtPelouze, über die
Elementar-Zusammensetzung der chemisch reinen Schießbaumwolle oder
des Pyroxylins, im polytechn. Journal Bd.
CIII S. 224. und für diese Verbindung die Formel
C²⁴ H¹⁷ O¹⁷, 5
NO⁵
aufgestellt. jetzt lag uns ob, zu ermitteln, ob die damals
analysirte Schießbaumwolle gleiche Zusammensetzung mit der Lenk'schen hatte, und welche Formel dem Präparate wirklich zukommt, wenn
dasjenige von Bouchet mit dem Lenk'schen chemisch ganz
übereinstimmt.
Auf diese Versuche verwendeten wir die größte Sorgfalt und wir glauben alle mit der
Verbrennung der Schießbaumwolle verbundenen Schwierigkeiten glücklich überwunden zu
haben. Das Resultat unserer Untersuchungen war, daß die Schießbaumwolle des Generals
Lenk mit der zu Bouchet dargestellten chemisch ganz
identisch ist, und wir halten uns demnach zur Aufstellung einer Formel berechtigt,
welche von der i. J. 1847 angenommenen nur um 1 Aequivalent Wasser abweicht. Diese
Formel ist
C²⁴ H¹⁸, O¹⁸, 5
NO⁵
dieselbe nähert sich der älteren
C²⁴ H¹⁷ O¹⁷, 5
NO⁵
so sehr, daß die Ergebnisse unserer Analyse allein zur
Rechtfertigung dieser Abänderung jenes chemischen Ausdruckes nicht genügend gewesen
seyn würden; wir haben uns vielmehr bei der Wahl der letzteren auf die oben näher
erörterte Ausbeute an dem explosiven Präparate gestützt. Die neue Formel verlangt
einen Ertrag von 177,78 Schießbaumwolle auf 100 Baumwolle, während die ältere einem
Ertrage von nur 175 entspricht. Unsere oben aufgeführten directen Versuche haben
aber die Ausbeute von 178 herausgestellt.
Alle von uns analysirten Proben von Schießbaumwolle wurden zunächst in einem Gemisch
von Alkohol und Aether gewaschen, durch welches ihnen einige Tausendtel fettiger
Substanzen und löslicher Theile entzogen wurden, dann mehrere Stunden lang in einem
Trockenapparat bei einer Temperatur zwischen 40 und 50° C. getrocknet.
Sämmtliche Proben zeigten die folgende Zusammensetzung:
Kohlenstoff
25,00
Wasserstoff
3,13
Sauerstoff
59,72
Stickstoff
12,15
–––––
100,00
Wirkung der Wärme auf die
Schießbaumwolle.
General Lenk schreibt die in Frankreich von der betreffenden Commission i. J. 1846
erhaltenen ungünstigen Resultate dem Umstande zu, daß man sich vorher nicht genugsam
mit der Darstellungsweise der Schießbaumwolle vertraut gemacht hatte und nicht mit
einem genügend nitrirten Producte operirt hatte. Er wählte daher ein Verfahren,
welches für die Nitrirung am günstigsten zu seyn scheint und glaubt so ein Präparat
erhalten zu haben, welches der Zersetzung mehr widersteht.
Nach unserer Ansicht ist es aber im Gegentheil wahrscheinlich, daß sich eine Schießbaumwolle um so
leichter zersetzt, je größer ihre Verschiedenheit von der typischen Cellulose, je
stärker sie also nitrirt ist. General Lenk behauptet, daß
die nach seinem Verfahren dargestellte Schießbaumwolle erst bei der Temperatur von
136° C. explodirt, jeder niedrigeren Temperatur aber widersteht. Eine nähere
Erörterung dieses Punktes ist von Wichtigkeit; wir haben bezüglich desselben
zahlreiche Versuche angestellt.
Dieselben wurden zunächst in offenen und verschlossenen Probirkölbchen vorgenommen,
welche man in ein kochendes Wasserbad tauchte. Sämmtliche auf diese Weise bis
100° erhitzte Proben zersetzten sich binnen kürzerer oder längerer Zeit; in
allen Fällen ließ sich binnen einiger Minuten die Entwickelung salpetrigsaurer
Dämpfe beobachten.
Es lassen sich vier Zersetzungsweisen bei 100°C. unterscheiden, deren
gemeinsamer Charakter die Entwickelung von Salpetrigsäuredämpfen ist:
1) Die Schießbaumwolle detonirt heftig.
2) Sie zersetzt sich ohne Detonation, mit Hinterlassung eines weißen pulverförmigen,
sauer reagirenden, in Wasser unvollständig löslichen, stickstofffreien Rückstandes,
dessen Menge ungefähr die Hälfte des Gewichts der angewendeten Schießbaumwolle
beträgt.
3) Sie hinterläßt einen gelblichen, amorphen, nicht explodirbaren, in Wasser
theilweise löslichen Rückstand, welcher wie die Glykose das weinsaure
Kupferoxyd-Kali reducirt.
4) Sie gibt einen geringen Rückstand (8 bis 10 Procent ihres Gewichtes) einer
schwarzen Substanz vom Ansehen der Kohle.
Im letzteren Falle überzieht sich der Kolben innen gänzlich mit einem gelblichen, in
Alkalien unter starker Entwickelung von Ammoniak
löslichen Pulver (welches ulminsaures Ammoniak zu seyn scheint). Aus der alkalischen
Lösung dieser Substanz wird durch Säuren ein schmutzig gelber Körper
niedergeschlagen, welcher sich wieder in Alkalien löst. Mit Kali behandelt, gibt
auch der erwähnte kohlige Rückstand Ammoniak. Diese Ammoniakbildung durch die bloße
Wirkung der Wärme auf eine aus Salpetersäure und Cellulose bestehende Substanz ist
sehr bemerkenswerth Andere, mit den verschiedenen Proben Schießbaumwolle bei
90°, dann bei 80° C. angestellte Versuche gaben ganz dieselben
Resultate, nur traten die Zersetzungserscheinungen, anstatt nach wenigen Minuten,
erst nach mehreren Stunden ein.
Die Schießbaumwolle zersetzt sich auch bei 60°, ja selbst bei 55° C.
Nach Verlauf einiger Tage füllen sich die Kolben mit dicken, röthlichen Dämpfen und
es bleibt derselbe pulverförmige, stickstofffreie Rückstand, von dem vorhin die Rede
war. Eine Entzündung wurde bei diesen letzteren Versuchen nicht beobachtet.
Wir dürfen indessen einen Fall von Detonation nicht unerwähnt lassen, die in dem
Augenblick stattfand, als Einer von uns etwa 1 Grm. Schießbaumwolle in einen Gay-Lussac'schen kupfernen Trockenapparat brachte,
dessen Oelbad nur eine Temperatur von 47° C. hatte. Die auf diese Weise
zersetzte Schießbaumwolle rührte von einer, durch achtundvierzigstündige
Säureimprägnirung dargestellten und nach dem Lenk'schen
Verfahren ausgewaschenen Probe her.
Aus allen diesen Versuchen geht der unwiderlegliche Beweis hervor, daß, entgegen
General Lenk's Behauptung, seine Schießbaumwolle der
Wirkung der Wärme nicht besser widersteht, als die zu Bouchet dargestellte.
Die mit Wasserglas behandelte österreichische Schießbaumwolle verhielt sich unter
allen Umständen ganz so wie die übrigen Sorten.
Gegenüber diesen Thatsachen, der Zersetzung der Schießbaumwolle bei der Temperatur
von etwa 50° C., drängt sich die Frage auf, ob sich dieselbe nicht sogar
schon bei gewöhnlicher Temperatur zersetzt. Kann sie in Folge dessen freiwillig
detoniren, wenn sie in den Magazinen in beträchtlichen Massen aufbewahrt wird? Fälle
von Zersetzung der Schießbaumwolle bei gewöhnlicher Temperatur sind bereits von
mehreren Chemikern angegeben worden. Als Producte dieser Zersetzung wurden
salpetrigsaure Dämpfe, ferner hoch oxydirte Körper, namentlich Ameisensäure,
Oxal- und Essigsäure, und als Rückstand gummi- und zuckerartige
Substanzen aufgeführt. Diese Beispiele von Zersetzung des Präparats bei gewöhnlicher
Temperatur suchte man durch unvollständiges Auswaschen zu erklären.
Hierauf entgegnen wir zunächst, daß bei kleineren Mengen Substanz ein vollständiges
Auswaschen leicht zu bewerkstelligen ist. Da ferner schon seit Entdeckung der
Schießbaumwolle erkannt wurde, daß die Schwefelsäure zerstörend auf das Präparat
einwirkt, so mußte man stets auch die geringsten Spuren jener Säure vollständig zu
entfernen suchen, und somit mußte man auf das Auswaschen die größte Sorgfalt
verwenden.
Ohne hier auf die Einzelheiten der bekannten Fälle von Zersetzung der Schießbaumwolle
bei der Temperatur der Aufbewahrungsorte einzugehen, beschränken wir uns auf die
Zersetzungen, welche wir bei verschiedenen, von der Fabrication im Jahr 1847
herrührenden, mit ganz besonderer Sorgfalt sowohl in reinem, als in alkalihaltigem
Wasser ausgewaschenen Proben beobachteten.
Von achtundzwanzig dieser, in kleinen Flaschen mit eingeschliffenen Glasstöpseln
aufbewahrten Proben, deren jede einige Gramme wog, erlitten sechszehn Zersetzungen
verschiedener Art.
Eine dieser letzteren, auf's Geradewohl ausgewählten Proben untersuchten wir näher.
Ursprünglich bestand dieselbe in 6 Grm. Schießbaumwolle, welche mit kalihaltigem
Wasser ausgewaschen und seit dem 17. März 1850 – also seit vierzehn Jahren
– in einer mit Glasstöpsel nicht ganz dicht verschlossenen Flasche aufbewahrt
worden war. Sie hatte einen dunkelgelben Rückstand von 79 Procent hinterlassen,
welcher deutlich sauer reagirte, aber von Schwefelsäure
frei war; derselbe war in Wasser vollkommen löslich und reducirte, wie Glykose, das
weinsaure Kupferoxyd-Kali. Seine Lösung verbreitete beim Kochen einen
deutlichen Essiggeruch, und entwickelte bei der Behandlung mit Kali merkwürdiger
Weise Ammoniak.
Demnach können unter den gewöhnlichen atmosphärischen Umständen spontane Zersetzungen
der Schießbaumwolle, und zwar sogar der mit alkalihaltigem Wasser sorgfältig
ausgewaschenen, unbestreitbar stattfinden.
Nun sahen wir aber, daß in der Wärme die Schießbaumwolle sich unausbleiblich
zersetzt, daß sie dabei in gewissen Fällen detonirt, während sie in anderen
scheinbar identischen Fällen sich ohne Entzündung oder Detonation zersetzt. Warum
sollte dieß nun nicht auch bei Schießbaumwolle stattfinden, welche bei niederen
Temperaturen aufbewahrt wird? Warum sollte in den Fällen wo die bloße Zersetzung bei
gewöhnlicher Temperatur stattfindet, nicht auch Detonation erfolgen können? Die
Analogie tritt zu deutlich hervor, als daß man genöthigt seyn sollte zur Erklärung
der Entzündungen dieses Präparats ein schlechteres Auswaschen anzunehmen.
Die Hirtenberger Schießbaumwolle selbst explodirte in dem Simmeringer Magazin, und
das Protokoll vom 31 Juli 1862 erklärt diesen Unfall nur durch freiwillige
Entzündung. Es wurde damals die Behauptung aufgestellt, daß derselbe ebenso gut auch
dem gleichzeitig in jenem Magazin aufbewahrten gewöhnlichen Schießpulver
zugeschrieben werden könne. Die Richtigkeit dieser Behauptung können wir aber
durchaus nicht zugeben, denn seit mehreren Jahrhunderten sind weder in
Pulvermagazinen, noch bei der Kriegsmunition, noch bei Jagd- und
Grubenpulvervorräthen Fälle von freiwilliger Entzündung beobachtet worden. Man darf
wahrlich nicht, wie dieß in einem österreichischen Actenstücke geschehen, die durch
Unfälle bei der Fabrication, z.B. durch einen Stoß, ein Sandkorn, eine
Unvorsichtigkeit von Seiten der Arbeiter, eine Störung im Mechanismus u. dgl.
verursachten Explosionen denjenigen zugesellen, welche einzig und allein durch die
Reactionen zwischen den Bestandtheilen des Präparats hervorgerufen werden.
Vergleichung der Leninschen mit der
Bouchet'schen Schießbaumwolle bezüglich ihrer ballistischen und zersprengenden
Eigenschaften.
Wir haben nunmehr noch die Resultate der mit dem ballistischen Pendel mit beiden
Kategorien von Schießbaumwolle abgeführten Versuche mitzutheilen.
Mit dem Lenk'schen Präparate wurden 25, mit der
Schießbaumwolle von Bouchet 15 Schüsse, bei einer Ladung von 3 Grammen mit runden
Kugeln von 25,50 Grm. Gewicht, abgefeuert. Indem wir für jede der beiden Arten von
Schießbaumwolle das Mittel aus den Geschwindigkeiten der Kugeln, dann den stärksten
und den schwächsten Schuß (Anschlag) nahmen, fanden wir:
Lenk'scheSchießbaumwolle.
Schießbaumwollevon Bouchet.
Mittlere Geschwindigkeit
385,36 Met.
394,32 Met.
stärkster Schuß
441,53 „
445,94 „
schwächster Schuß
357,63 „
357,63 „
Beim Schießen mit einer und derselben Probe von Schießbaumwolle können sich noch
größere Verschiedenheiten ergeben, als die durch die vorstehenden Zahlen
angedeuteten. So wurde mit der Schießbaumwolle welche General Lenk aus Oesterreich mitgebracht hatte, zweimal geschossen:
am 17. Februar gab sie
374,40 Met.
am 18. März gab sie
408,40 „
Wir glauben daher aus den angegebenen Resultaten folgern zu dürfen, daß beide Sorten
Schießbaumwolle, die Lenk'sche und die von Bouchet,
gleiche ballistische Kraft haben.
Bei diesen Proben nahm die Schießbaumwolladung im Laufs eine Höhe von 5 Centimeter
ein. Als durch festeres Aufsetzen des Ladstocks die letztere auf 3 Centim. reducirt
worden war, zersprang mit einer Ladung von 3 Grm. nach Lenk's Methode dargestellter Schießbaumwolle der Gewehrlauf beim ersten
Schusse.
Diese Thatsache ist den beim Schießen mit dem Präparate von Bouchet wiederholt
beobachteten ganz analog. Wir sehen darin einen Beweis für die Aehnlichkeit der
österreichischen und der französischen Schießbaumwolle auch in Bezug auf ihre
zersprengenden Eigenschaften. Wir wollen hier nicht die sämmtlichen Versuche in
Erinnerung bringen, welche die (französische) Commission von 1846 zur Beseitigung
dieses Uebelstandes der
zu raschen Verbrennung der Schießbaumwolle anstellte,Bericht über die Versuche, welche bei der Direction der Pulverfabriken zu
Paris über die Bereitung und ballistischen Eigenschaften der Schießbaumwolle
bis zum November 1846 angestellt wurden, im polytechn. Journal Bd. CIII S. 48. müssen aber über die zu gleichem Zwecke von Lenk
gemachten Versuche Einiges sagen.
Zuerst wendete er gepreßte Patronen an, mit welchen er keine günstigen Resultate
erzielte; dann bediente er sich dazu mit gesponnener Schießbaumwolle überzogener
Papiercylinder. Mit letzteren Patronen konnte ein österreichischer Zwölfpfünder,
ohne daß die Seele angegriffen wurde, mit einer Ladung von beiläufig 481 Grm.
Schießbaumwolle, 1000 Schüsse abgeben, bei denen das Projectil eine Geschwindigkeit
von 427 Meter hatte.
Diese Geschwindigkeit aber, bei welcher die fraglichen Versuche stehen blieben, ist
geringer als die, welche man in Frankreich mit Zwölfpfündern bei einer Ladung von 2
Kilogr. gewöhnlichen Pulvers erhält und welche beiläufig 480 Meter beträgt. Diese
letztere Geschwindigkeit beabsichtigte die (französische) Commission von 1846 durch
eine Ladung von 667 Grm. Schießbaumwolle zu erreichen. Es ist noch keineswegs
erwiesen, daß die nach Lenk'schen System angefertigten
Patronen die Geschütze nicht benachteiligen würden, wenn man, um eine gleiche
Geschwindigkeit, wie in Frankreich, zu erhalten, die Schießbaumwolladung verstärken
würde.
Uebrigens gibt der Verfasser des einen der österreichischen Berichte selbst zu, daß
das Ziel noch nicht erreicht ist, und daß durch die zur Verhinderung der
zersprengenden Wirkungen der Schießbaumwolle angewendeten mechanischen Mittel deren
Propulsivkraft zum Theil neutralisirt wird.
Er gelangt zu dem Schlusse, daß das Problem erst dann als gelöst betrachtet werden
kann, wenn man Geschütze herstellen wird, bei denen die zersprengende Kraft der
Schießbaumwolle unberücksichtigt bleiben kann. Diese Ansicht theilen auch wir;
allein es fragt sich, ob es möglich ist, diesen Weg einzuschlagen, wenn der unserer
Ansicht nach die ganze Frage beherrschende Einwurf bezüglich der freiwilligen
Explosionen der Schießbaumwolle als ein so bedeutendes Hinderniß entgegentritt.
Aus unseren Untersuchungen ergibt sich, daß wenn auch die Schießbaumwolle
hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, ihrer Darstellung und ihrer chemischen
Eigenschaften jetzt allerdings besser gekannt ist, dennoch ihre Anwendung in den
Feuerwaffen immer noch beinahe auf demselben Standpunkt geblieben ist, auf welchem sie bei den
Untersuchungen der französischen Kommission vom Jahr 1846 sich befand.
Nichts berechtigt nämlich zu glauben, daß es bei dem jetzigen Stande unserer
Kenntnisse möglich ist, einerseits die freiwilligen Explosionen der Schießbaumwolle
zu verhüten, andererseits auf praktische Weise ihre zersprengende Wirkung mit
Beibehaltung des für das gewöhnliche Pulver gebräuchlichen Materials aufzuheben.
Bemerkungen zu der vorstehenden
Mittheilung von Séguier.
Der Vortrag von Pelouze in der (französischen) Akademie
gab Hrn. Séguier Anlaß, der Akademie mitzutheilen,
daß er schon vor längerer Zeit eine Reihe von Versuchen begonnen, um mit der
Schießbaumwolle bei tragbaren Schußwaffen gute ballistische Resultate zu
erhalten.
Um den mit der zu raschen Verbrennung dieser Substanz verknüpften Nachtheil zu
beseitigen und das durch die Trägheit des Projectils verursachte Zerspringen der
Läufe zu vermeiden, wendet Séguier gemengte Ladungen an, welche aus
Schießbaumwolle und grobkörnigem Grubenpulver zusammengesetzt sind; der
Entzündungsmoment ist von ihm in der Art berechnet, daß das langsamer verbrennende
Pulver sich zuerst entzündet. Auf diese Weise wird das Projectil allmählich zur
Bewegung angeregt und seine Trägheit leistet nicht mehr einen Widerstand, welcher
bei der augenblicklich erfolgenden Detonation von Schießbaumwolle allein ein
Zerspringen der Waffen verursachen würde.
Der Gedanke einer gemengten, aus langsam und aus rasch verbrennendem Pulver
zusammengesetzten Ladung, deren Gemengtheile einer nach dem andern verbrennen, und
zwar so, daß das langsamer verbrennende Pulver sich zuerst entzündet, ist das
Resultat der Beobachtung des in gut construirten Windbüchsen stattfindenden
Vorganges. Bei dieser Art von Waffen enspricht ein größerer ballistischer Effect
einem anfänglich langsamen, dann rascheren Oeffnen des am Reservoir für die
comprimirte Luft befindlichen Ventils.
Mit derartigen gemengten Ladungen gelang es Séguier, in Handfeuerwaffen gewisse Knallpulver ohne Nachtheil
detoniren zu lassen; indem er dieselben mit anderen langsam verbrennenden
Compositionen verband, erzielte er bemerkenswerthe ballistische Effecte, worüber er
nach Beendigung seiner Versuche der Akademie zu berichten beabsichtigt.
Bemerkungen zu der vorstehenden
Mittheilung von Morin.
General Morin bemerkt, daß durch die Arbeit von Pelouze und Maurey die
Folgerungen welche die Commission von 1846 aus ihren Versuchen zog, in allen Punkten
bestätigt werden.
Er bemerkt ferner, daß Fälle von freiwilliger Zersetzung der Schießbaumwolle bei
Temperaturen von 50 bis 60° C. bereits mehrfach beobachtet worden sind und
daß in gedeckten Munitionskästen von Eisenblech, sowie selbst im Innern mancher
Gebäude solche Temperaturen sich gar nicht selten erzeugen.
Er führt mehrere ganz neue Beobachtungen an, welche ihm den Beweis geliefert haben,
daß in Folge der Wirkung der Sonnenstrahlen auf Glasdächer die Temperatur der sie
berührenden Luft innen auf 40 bis 42°C. steigen kann, wenn diejenige der
äußeren Luft nur 24° beträgt. Aehnliche, an einem dießjährigen Augusttage in
der Magdalenen-Kirche zu Paris angestellte Versuche zeigten, daß die
Temperatur in der Nähe des gemauerten Gewölbes innen auf 38 bis 40° L.
gestiegen war, während diejenige der äußeren Luft nur 24'' betrug.
Demnach können Temperaturverhältnisse, durch welche die spontane Zersetzung der
Schießbaumwolle herbeigeführt wird, im Sommer sehr häufig wirklich eintreten, schon
in Frankreich, viel leichter aber in Algerien.
Schließlich glaubt General Morin noch bemerken zu müssen,
daß die österreichische Regierung dem General Lenk die
Erlaubniß, sein Verfahren zur Fabrication der Schießbaumwolle in Frankreich in
Vorschlag bringen zu dürfen, erst dann ertheilte, als sie sich, nach zahlreichen und
kostspieligen Versuchen, entschieden hatte, dieselbe für ihren eigenen Dienst nicht
anzuwenden (?).
Zusatz der Redaction.
Bericht des Comité's der British Association über die österreichische
Schießbaumwolle.
In der Versammlung der British Association im J. 1862
wurde aus den Mitgliedern der chemischen und mechanischen Sectionen ein
Comité erwählt, um über die neue österreichische Schießbaumwolle Bericht
zu erstatten. Dieser Bericht wurde in der Versammlung der genannten Gesellschaft
zu Newcastle-on-Tyne im J. 1863 verlesen und findet sich in dem Journal of the Society of arts vom 25. September
1863. Wir theilen daraus das Wichtigste mit:Nach dem württembergischen Gewerbeblatt, 1863, Nr. 41.
Das Comité gelangte zu den folgenden Mittheilungen durch Professor Abel, Chemiker beim englischen Kriegsdepartement,
welcher demselben mit Erlaubniß der Behörden sowohl die von Seiten der
österreichischen Regierung dem englischen Kriegsdepartement gemachten
Mittheilungen, als auch die Resultate seiner eigenen hierüber gemachten Versuche
zur Verfügung stellte. Ueberdieß erhielt General v. Lenk, der Erfinder des neuen Verfahrens zur Verwendung von
Schießbaumwolle, die Erlaubniß von der österreichischen Regierung, dem
Comité persönlich das ganze Verfahren, sowie Zeichnungen und Proben aus
dem kaiserlichen Laboratorium mitzutheilen.
Wenn bei der Darstellung der Lenk'schen
Schießbaumwolle die Bedingungen (wie sie in vorstehender Abhandlung von Pelouze und Maurey
mitgetheilt sind) genau eingehalten werden, so erhält man ein Product, welches
von den fehlerhaften Eigenschaften der bisher dargestellten Präparate völlig
frei ist. Eine Probe dieser neuen Schießbaumwolle hat sich während 15 Jahren
unverändert erhalten. Sie entzündet sich erst bei einer Temperatur von
136° Celsius,Was von Pelouze und Maurey in vorstehender Abhandlung bestritten
wird. nimmt aus der Luft nur wenig Feuchtigkeit auf, hinterläßt nach dem
Verbrennen wenig Asche, und bildet keinen Rauch. Auch greifen die beim
Verbrennen im verschlossenen Raum sich bildenden Gase, bestehend nach Karolyi
Polytechn. Journal Bd. CLXIX S.
426. aus Stickstoff, Kohlensäure, Kohlenoxyd, Wasser, etwas Wasserstoff und
leichtem Kohlenwasserstoff, die Schießwaffen nicht an, und üben auch keinen
schädlichen Einfluß auf die dieselben bedienende Mannschaft aus, welcher Vorwurf
sowohl die käufliche Schießbaumwolle als auch das Schießpulver trifft. Ferner
ist die Bereitung der Schießbaumwolle im Vergleich zu der des Schießpulvers
weniger gefahrvoll, indem die Substanz bis auf den Zeitraum während des
Trocknens beständig unter Wasser ist; überdieß könnte auch die Aufbewahrung im
Großen unter Wasser geschehen, da sich die Lenk'sche
Schießbaumwolle im Wasser unverändert erhält und man bloß nöthig hätte, den
augenblicklichen Bedarf zu trocknen. Um beim Gebrauch der Schießbaumwolle eine
langsamere Verbrennung zu erzielen, empfiehlt v. Lenk
dieselbe nach dem
Auswaschen der Säuren noch mit einer Lösung von Natron-Wasserglas zu
behandeln, wobei sie nach dem Trocknen um etwa drei Procent an Gewicht zunehmen
würde.
Was den mechanischen Effect anbelangt, so scheinen die aus dieser Schießbaumwolle
durch Verbrennung erzeugten Gase eine größere Wirkung hervorzubringen als die
Gase des Schießpulvers, was in Anbetracht der niederen Temperatur, bei welcher
die Verbrennung der Schießbaumwolle vor sich geht, sehr auffallend ist, sich
aber aus der Thatsache erklärt, daß bei Anwendung von Schießpulver 68 Procent
seines Gewichts ohne Wirkung bleiben, und daß diese 68 Procent nicht nur
verloren gehen, sondern auch noch einen Theil des mechanischen Effects der übrig
bleibenden 32 Procent unnütz für sich in Anspruch nehmen, während im Falle der
Schießbaumwolle die ganze angewendete Menge zur Wirkung kommt. Ein anderer
Vortheil der letzteren besteht in dem Umstand, daß je nach der Behandlung
derselben die Schnelligkeit der Explosion vergrößert oder vermindert und z.B.
von 1 Fuß per Secunde auf 1 Fuß in 1/1000 Secunde
gebracht werden kann. Es ist klar, daß wenn die ganze in Anwendung gebrachte
Menge gleichzeitig und plötzlich explodirt, der größt mögliche dynamische Effect
erzielt wird, indem das Ganze vollständig in Gasform übergeht, ehe die Bewegung
erfolgt. Diese Bedingung wird durch möglichste Verengerung des Raumes, in
welchen die Schießbaumwolle eingeschlossen wird, erreicht, und kommt bei
Verwendung derselben zum Sprengen von Felsen und für Minen in Betracht. Zum
Gebrauche für Schießwaffen muß im Gegentheil die
Schnelligkeit der Explosion gemindert werden, was man dadurch erreicht, daß man das Volum der Schießbaumwolle durch mechanische
Ausdehnung, sowie auch den Raum, in welchen sie eingeschlossen wird,
vergrößert, wodurch man es sogar dahin bringen kann, daß die
Verbrennung eine ebenso langsame ist, wie die des Schießpulvers. Nach den
Erfahrungen des Generals v. Lenk bringen im
Allgemeinen 11 Pfund Schießbaumwolle, in einem Raume von 1 Kubikfuß
eingeschlossen, eine den Bedingungen gewöhnlicher Schießgewehre entsprechend
stärkere Wirkung hervor, als eine denselben Raum einnehmende Menge von 50 bis 60
Pfund Schießpulver.
Schießgewehre sowohl als Geschütze erfordern aber je nach ihrer Verschiedenheit
verschiedene Stärken von Patronen. Schießbaumwolle zeigt sich praktisch am
wirksamsten, wenn sie im Gewichte von 1/4 bis 1/3 der sonst angewendeten
Pulvermenge und in einem Volum von 1 1/10 der Länge der Pulverpatrone verwendet
wird. Nicht weniger von Bedeutung für die Wirksamkeit der Schießbaumwolle ist
die Art und Weise, wie die Fäden zu einem Ganzen
vereinigt werden. Zum Gebrauche für Schießgewehre wird sie zu Fäden
versponnen (bei welcher Form die Verbrennung an der Luft nicht schneller als im
Verhältniß von 1 Fuß per Secunde fortschreitet) und
diese in cylindrische Stücke von verschiedener Größe verwoben, aus welchen man
dann die Patronen für gewöhnliche gezogene Büchsen fertigt, indem man sie der
erforderlichen Länge entsprechend zuschneidet und in steife
Pappdeckel-Cylinder einschließt. (Bei dieser Form ist die Schnelligkeit
der Verbrennung an der Luft 10 Fuß per Secunde.)
Auch zum Füllen von Bomben dient dieselbe
Cylinderform. Zum Sprengen von Felsen und für
Minenzwecke wird die Schießbaumwolle in Taue bis zu 2 Zoll im Durchmesser
geflochten, die im Innern hohl gelassen werden. Die Patronen für Kanonen werden direct aus dem Schießbaumwollegarn
durch Aufwickeln auf Spulen, welche aus hohlen Röhren von Papier oder Holz
bestehen, gefertigt, um daraus Spindeln, ähnlich den in den Spinnereien
gebrauchten, zu bilden. Zum Zwecke von Zündschnüren
wird das oben beschriebene cylindrische Gewebe in Röhren von
Kautschuk-Leinwand eingeschlossen.
Da die Schießbaumwolle beim Verbrennen keinen Ruß bildet, so setzt sich in den
Geschützen nur wenig Unreinigkeit ab, und es braucht daher bei deren
Construction weniger Spielraum für die Geschosse gelassen zu werden, als dieß
bei Anwendung von Pulver der Fall ist. Praktische Versuche zeigten in der That,
daß, wenn die Ladung aus Schießbaumwolle bestand, ohne Unterbrechung 100
Schüsse, wenn sie aus Schießpulver bestand, jedoch nur 30 abgefeuert werden
konnten; dabei ist die Erhitzung im ersteren Falle so gering, daß mittelst eines
Sechspfünders innerhalb 34 Minuten 100 Schüsse abgefeuert werden konnten, ohne
daß die Temperatur des Geschützes höher als 50° C. stieg, und daß das
Feuern ohne Nachtheil sogar bis zu 180 Schüssen fortgesetzt werden konnte,
während bei Anwendung von Schießpulver bei 100 Schüssen, welche 100 Minuten
erforderten, die Temperatur schon so gesteigert war, daß Wasser rasch auf den
Geschützen verdunstete. Ferner ist der Rückschlag der Geschütze bei einem
Schusse mit Schießbaumwolle nur 2/3 so stark, als bei einem Schusse mit
Schießpulver. Auch hinsichtlich der der Kugel mitgetheilten Schnelligkeit
zeichnet sich die Schießbaumwolle vortheilhaft vor dem Schießpulver aus: bei
einer Ladung mit 13 1/2 Unzen Schießbaumwolle (Krupp'sche Gußstahlkanone) ergab sich nämlich eine Schnelligkeit von 1563
Fuß per Secunde, mit der gewöhnlichen Ladung von 30
Unzen Schießpulver jedoch nur 1338 Fuß. Ebenso lehrte die Erfahrung, daß für
Schießbaumwolle leichtere und kürzere Geschütze ohne Nachtheil verwendet werden
können, und daß selbst nach Abfeuerung von 1000 Schüssen noch keine Spur von
Abnützung sich bemerklich macht. Endlich zeigte sich auch die zerstörende
Wirkung der Bomben bei einer Ladung mit Schießbaumwolle viel größer als bei
einer Ladung mit Schießpulver, indem dieselben im ersteren Falle mit Bildung
einer weit größeren Menge von Fragmenten zerplatzten. In gleicher Weise leistet
beim Sprengen von Felsen 1 Gewichtstheil Schießbaumwolle ebenso viel als 6,274
Gewichtstheile Schießpulver, wobei sich herausstellte, daß die Stärke der
Explosion mit dem Widerstande, den das Gestein bietet, zunimmt.
Von der englischen Regierung
ernanntes Comité zur Prüfung der Schießbaumwolle hinsichtlich ihrer
Anwendbarkeit für Schießwaffen, sowie zum Sprengen von Felsen und für
Minen.
Schon in der vorjährigen Versammlung der British
Association zu Newcastle erklärte das mit der Prüfung der
Schießbaumwolle hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit zu Kriegszwecken beauftragte
Comité in seinem erstatteten Berichte, daß die Gesellschaft nicht die
Mittel besitze, welche zur angemessenen Durchführung einer so wichtigen
Untersuchung erforderlich seyen und stellte den Antrag, die Gesellschaft möchte
bei der Regierung die Ernennung einer königl. Commission zu diesem Zweck
befürworten. Diesem Antrag wurde von der Gesellschaft zugestimmt und der
betreffende Beschluß dem Kriegsminister Lord de Grey
am 11. December v. J. überreicht. Im Januar dieses Jahres ernannte dann die
Regierung ein aus Officieren der Artillerie- und Ingenieurcorps, sowie
aus Civilingenieuren, Chemikern und Physikern zusammengesetztes Comité
Die Mitglieder dieses Comité's sind: General Sabine, Vorsitzender; General Hay;
Brandreth, Capitän der kgl. Marine; Liddell, Commodore der kgl. Marine; Artillerie-Oberst
Boxer; Ingenieur-Oberst Lovell; F. A. Abel, Chemiker beim Kriegsdepartement; T. Sopwith; Professor W. A. Miller;
Professor G. G. Stokes; Dr. J. H. Gladstone; Artillerie-Major Miller, Schriftführer. zur Prüfung des Gegenstandes in allen seinen Beziehungen.
In der dießjährigen Versammlung der British
Association zu Bath machte Prof. Abel,
Mitglied dieses Comité's, folgende Mittheilung: „Es freut mich,
sagen zu können, daß das königl. Comité in seinen Untersuchungen über
die Schießbaumwolle schon beträchtlichen Fortschritt gemacht hat, und es
gewährt mit noch mehr Vergnügen, beifügen zu können, daß die Resultate
dieser Untersuchungen befriedigender Natur sind. Diese Thatsache muß ich um
so mehr hervorheben, weil die in Frankreich veröffentlichten officiellen
Berichte sehr ungünstig sind. Die Versuche, welche ich mit den Herren Prentice anstellte, die in Stowmarket eine
Schießbaumwolle-Fabrik errichteten, haben bewiesen, daß die
Fabrication der Schießbaumwolle bei weitem einfacher und sicherer als
diejenige des Schießpulvers ist. Durch Befolgung einfacher
Vorsichtsmaßregeln werden Unfälle fast unmöglich gemacht. Einem anderen
Punkt – der Gleichförmigkeit des Products – habe ich die
größte Aufmerksamkeit geschenkt und gefunden, daß man sich auf das
österreichische Fabricationssystem verlassen kann. Die nächste und
wichtigste Frage betrifft die Haltbarkeit oder Unveränderlichkeit der
Schießbaumwolle, denn wenn man auf diese Eigenschaft derselben nicht das
vollkommenste Vertrauen setzen könnte, so ließe sie sich zu militärischen
Zwecken nicht anwenden. Der Behauptung der französischen Chemiker, daß die
Schießbaumwolle sich verändern und von selbst zersetzen kann, vermag ich
nicht beizustimmen, obgleich deren Versuche mit großer Sorgfalt angestellt
wurden. Ich bin gegenwärtig mit einer Anzahl von Versuchen beschäftigt, um
die Veränderungen zu ermitteln, welche die Schießbaumwolle durch die
Einwirkung sowohl der Wärme als des Lichtes erfährt.“ (Nach der
Chemical News vom 1. October 1864.)
E. D.