Titel: | Zur Kenntniß der Zuckerrübe; von Dr. C. Stammer. |
Autor: | Karl Stammer [GND] |
Fundstelle: | Band 174, Jahrgang 1864, Nr. XCVIII., S. 391 |
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XCVIII.
Zur Kenntniß der Zuckerrübe; von Dr. C. Stammer.
Stammer, zur Kenntniß der Zuckerrübe.
I. Ungleichheit der Rüben gleicher Herkunft.
Am 25. September 1863 wurden 10 Rüben auf einem Felde ausgezogen, von welchem eben
die Ernte begonnen hatte. Die 10 Rüben standen neben einander in einer Zeile und
waren, nach Anschein der welken Blätter, in gleichem Stadium der Reife, sowie auch
die noch grünen Blätter so gleichartig erschienen, daß man dem äußeren Anscheine
nach sich für berechtigt halten konnte, eine gleiche Qualität aller 10 Rüben zu
erwarten.
Die Rüben wurden nach sorgfältiger Reinigung und Entfernung der grünen Theile
gewogen, zerrieben und ausgepreßt, der Saft mit der Balling'schen Spindel gewogen
und dann polarisirt. Aus den beiden so erhaltenen Procentzahlen ist der Factor oder
Zuckerquotient in Procenten der (scheinbaren) Trockensubstanz berechnet. Da nun
ferner der Werth der Rübe abhängig ist von dem absoluten Zuckergehalt einerseits und
von diesem Factor andererseits, so ergibt das Product dieser Zahlen (die letztere
als Procent betrachtet, oder das Product durch 100 dividirt) eine Zahl, welche den
Werth der Rüben unter einander zu vergleichen gestattet. Diese Vergleichszahl ist in
der folgenden, die Resultate der Ermittelungen nach der Reihenfolge der 10 Rüben
enthaltenden Uebersicht als „Werthzahl“ aufgeführt.
Alle Bestimmungen wurden in gleicher Weise, bei möglichst gleicher Temperatur und
unter fast gleichen Umständen ausgeführt, so daß sie jedenfalls unter einander
vergleichbar sind.
ReihenfolgederRüben
SchwereinGrammen
Gewichtdes Saftesin Proc. Ball.
Zuckergehaltdes Saftes nachd.
PolarisationProcent
FactoroderZuckerquotient
Werthzahl.
1
350
18,1
14,9
82,3
12,2
2
760
15,7
12,9
82,4
10,7
3
640
16,0
12,8
79,7
10,1
4
655
15,3
12,8
83,7
10,7
5
585
15,3
12,4
81,1
10,1
6
650
16,4
13,9
78,8
11,0
7
690
15,8
13,8
87,2
12,0
8
290
16,5
13,1
79,5
10,4
9
532
19,0
17,1
90,0
15,4
10
660
16,2
13,5
83,0
11,2
Diese Zahlen sprechen so deutlich, daß es kaum nöthig ist, die nahe liegenden
Schlüsse daraus zu ziehen. Im Allgemeinen will ich nur auf Folgendes aufmerksam
machen: Erstens erweisen sich die gewöhnlichen Annahmen über eine Beziehung zwischen
Güte und Gewicht der Rüben, zwischen Zuckergehalt und Saftqualität u.s.w. als nicht
stichhaltig, und zweitens zeigte dieser Versuch klar, wie unberechtigt die Schlüsse
sind, welche noch so häufig aus der Beschaffenheit einzelner oder weniger Rüben auf
die Ernte eines ganzen Feldes gezogen werden. Die Grundsätze, welche ich in Betreff
der Ausdehnung der Anbauversuche und der Untersuchung der betreffenden Ernten früher
ausgesprochen habePolytechn. Journal Bd. CLVII S.
454., erweisen sich nach der so bestätigten Möglichkeit großer Ungleichheiten
einzelner Rüben als die der Natur der Sache entsprechenden. Eine Mittelzahl, welche
aus 3, 6 oder gar allen 10 Rüben, wie sie oben dargestellt sind, gezogen würde, kann
unmöglich berechtigt seyn, den Zustand des ganzen Feldes darzustellen, und
Folgerungen, welche ohne Berücksichtigung solcher Ungleichheiten gezogen werden,
müssen in vielen Fällen zu Fehlschlüssen führen.
II. Eigenthümlichkeit von
Samenrüben.
Auf einem benachbarten Gute ist im Herbste 1863 die merkwürdige Erscheinung
beobachtet worden, daß von einem Felde Samenrüben ein sehr großer Theil der Rüben
keine Samenstengel getrieben hatte.
Diese Rüben hatten an Volumen sehr zugenommen, viele einzelne starke Blattbüschel
getrieben und erschienen, nach Entfernung der Blätter von oben gesehen, wie aus
mehreren Rüben zusammengewachsen. Einzelne Rüben zeigten 16 und mehr wohl getrennte
Blattbüschel. Das Gewicht der von den grünen Theilen befreiten Rüben wechselte
zwischen 1 1/2 und 3 1/2 Pfund und darüber.
Diejenigen Rüben desselben Feldes, welche dagegen Samenstengel getrieben hatten,
ergaben eine so reiche Samenernte, daß der Morgen Land außer 120 Ctr. geernteter
(zweijähriger) Rüben noch einen höheren Samenertrag lieferte als die übrigen
Samenrübenfelder. Das Feld, welches den Standort dieser meines Wissens anderweit
noch nicht beobachteten merkwürdigen Rüben bildete, lag in unmittelbarer Nähe einer
kleinen Rohzuckerfabrik, und war während der vorhergehenden Campagne mit einem Theil
der Abflußwässer derselben, namentlich mit den Wasch- und Spülwässern, auch
der Kohlenwäsche und dem Condensationswasser bewässert worden. Durch Drainröhren war
das Wasser dann ziemlich klar und ununterbrochen abgeflossen.
Hiernach ließ sich erwarten, daß der Boden, der im Uebrigen ein vorzüglicher
Rübenboden war und keine weitere Düngung erhalten hatte, irgend eine Veränderung
erlitten haben mochte, welche die Ursache dieses abnormen Verhaltens der Samenrüben
bilden konnte. Namentlich schienen mit die Chlormetalle hier durch Ueberschuß oder
Mangel (Entfernung durch Auswaschen) eine Rolle gespielt zu haben. Eine Untersuchung
der beiden Arten der hier vorliegenden zweijährigen Rüben, namentlich auf ihren
Aschengehalt, wurde demnach ausgeführt und die Resultate mit denjenigen verglichen,
welche Rüben benachbarter Felder ähnlicher Beschaffenheit lieferten; hieraus, wie
aus dem Vergleiche mit den Angaben anderer Analytiker, glaubte ich eine Erklärung
für die in Rede stehende Erscheinung gewinnen zu können.
Die Resultate der Untersuchung sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt, zu
deren Angaben nur wenig hinzuzufügen ist. Der Saft ist mit Aräometer und
Polarisationsinstrument, wie gewöhnlich geprüft, die Trockensubstanz der ganzen Rübe
direct bestimmt; der Aschengehalt bezieht sich gleichfalls auf die Rübe (nicht den Saft) und wurde durch Verbrennen der
nicht zur Polarisation benutzten Rübenhälfte, Auslangen des kohligen Rückstandes und
wiederholtes Einäschern desselben, der Chlorgehalt in dem wässerigen Aschenauszug
durch Titriren mit Silberlösung, der Kaligehalt ebenfalls in den wässerigen Auszügen
durch Platinchlorid bestimmt.
Textabbildung Bd. 174, S. 394
Laufende Nummer; Bezeichnung der
Rüben und des Standortes; Datum der Entnahme vom Felde; Sacharometeranzeige des
Saftes, Proc. Saftes; Berechneter scheinbarer Zuckerquotient des Saftes;
Trockensubst. der Rübe: auf 100 Thle. Rüben; auf 100 Thle. Zucker; Asche der
Rübe; auf 100 Thle. frische Rüben; auf 100 Thle. Zucker im Safte der Rübe;
Chlorgehalt in Proc. der Asche; Chlorgehalt in Proc.; Chlorgehalt, berechnet als
Chlornatrium in Procenten der Aschen; Auf 100 Thle. Zucker im Saft kommt
Chlornatrium in der Rübe; Auf 100 Thle. Trockensubstanz d. Rübe kommt
Chlornatrium; Kaligehalt; auf 100 Thle. Asche; auf 100 Thle. Trockensubstanz;
Zweijährige, nicht in Samen gezogene Rüben von dem bewässert gewesenen Felde; 3
1/2 Pfd. schwer; Eben solche Rüben, 1 1/2 Pfd. schwer; Eben solche Rüben, 3 1/2
Pfd. schwer; Eben solche Rüben; Fabrikprobe von etwa 1 Ctr. Rüben; Zweijährige,
Samen tragende Rüben 3 Stück; Gewöhnliche, einjährige Rüben, von dem
benachbarten, eben so bewässerten Felde, a. 1 Stück; b. 2 Stück; c. 2 Stück;
Gewöhnliche, einjährige Rüben, von einem anliegenden, nicht bewässerten Felde, 4
Stück; Gewöhnl. Rüben nach Karmrodt*; Imperialrüben, nach Demselben**;
Schlesische Rüben, nach Demselben**; Durchschnitt verschiedener Rüben nach
Bretschneider***.
Jahresbericht für Zuckerfabrication von Scheibler und Stammer, III S. 79.
Ebendas. S. 76, 77.
Ebendas. I, II S. 46.
Procente der Rübe.
Der Zuckergehalt ist nach Annahme von 97 Proc. Saft auf Saftprocente reducirt
und hiernach diese Zahl berechnet worden.
Berücksichtigt man mm einerseits das oben über die Ungleichheit der einzelnen Rüben
Gesagte, und andererseits die Schwierigkeit der Vergleichung mit den wenigen hier
überhaupt in Betracht kommenden fremden Angaben, so kann man nicht wohl einen
anderen Schluß aus diesen Zahlen ziehen, als den, daß bei den in Rede stehenden
merkwürdigen Rüben der Chlorgehalt ein sehr hoher gewesen
sey, und daß also der Boden durch die Bewässerung mit den Fabrikwässern eine
unverhältnißmäßige Menge Chlormetalle aufgenommen habe. Ob diese aus Chlornatrium,
Chlorkalium oder Chlorcalcium bestanden, so wie welches die Verbindung gewesen, in
welcher die Rüben das Chlor enthielten, ja ob dieser Chlorüberschuß die Veranlassung
des abnormen Verhaltens der Rüben gebildet habe, alles dieß kann aus den
vorliegenden Thatsachen nicht erschlossen werden und muß es etwaigen Beobachtungen
ähnlicher Erscheinungen vorbehalten bleiben, mehr Licht hierüber zu verbreiten. Der
hohe Chlorgehalt ist, auch abgesehen von der Zahl unter 11, unbestreitbar ein
charakteristischer für die auf dem bewässerten Felde gewachsenen Rüben, da die
Unterschiede sehr in die Augen springende sind; der Vergleich von 1–5 mit 6
und 7 ist hier jedenfalls entscheidend.
Die Zahlen für den Kaligehalt zeigen ebenfalls Abweichungen, doch berechtigen
dieselben in Anbetracht der Umstände keineswegs zu bestimmten Schlüssen. Gerade hier
sind die zum Vergleiche angeführten Analysen am wenigsten vergleichbar, da
bekanntlich die betreffenden Zahlen für „Asche nach Abzug der Kohlensäure
und Sand“ gelten, was für die übrigen Bestimmungen, wo solche
Reductionen nicht stattfanden, nicht der Fall ist.
Die Beurtheilung der physiologischen und etwaiger anderer Ursachen lag außer meiner
Absicht, da sich nichts Bemerkenswerthes in dieser Hinsicht beobachten ließ. Auch
hierüber dürften erst wiederholte Wahrnehmungen Klarheit geben.
Anzuführen ist noch, daß 12 Stück der nicht in Samen gegangenen Rüben im Keller
aufbewahrt wurden, um zu versuchen, ob sie im folgenden (dritten) Jahre noch
Vegetation entwickeln würden. Die meisten derselben
„verstockten“ aber während des Winters und die übrigen
zeigten weder im Keller noch nach dem Auspflanzen Blattentwickelung, wornach wohl
angenommen werden muß, daß mit dem zweiten Jahre die Vegetation beendet war.
III. Saftasche und
Rübenasche.
Wenn man die verschiedenen Angaben über den Aschengehalt der Rüben vergleicht, so
findet man besonders in denjenigen Fällen große Unterschiede, wenn einmal der
Aschengehalt der Rübe als solcher, das andere Mal derjenige des Saftes bestimmt
wurde. Auch haben neuere Untersuchungen darauf hingewiesen, daß nicht alle löslichen
Bestandtheile der Rüben beim Auspressen in den Saft gelangen. Dieß veranlaßte mich,
Aschenbestimmungen für den Rübenkörper und für den Saft bei denselben Rüben vorzunehmen, um daraus zunächst über die Vertheilung der
Mineralbestandtheile in Bezug auf den Saft Aufklärung zu erhalten.
Zu diesem Behufe wurden zwei Rüben von normaler Beschaffenheit der Länge nach
durchgeschnitten. Sie waren vorher wohl gereinigt, und um alle Irrthümer durch
dennoch anhaftende Erdtheilchen vermeiden zu lassen, geschält. Die eine Hälfte jeder Rübe wurde nun zerrieben und in dem
ausgepreßten Saft Trockensubstanz, Zucker und Asche bestimmt. Die anderen Hälften
wurden in Scheiben geschnitten und Trockensubstanz und Aschengehalt der Rüben als
solche ermittelt. Der Versuch wurde hierauf mit zwei anderen Rüben in derselben
Weise wiederholt und so eine Bestätigung der Resultate des ersten: erlangt. Die
Säfte waren vor der Untersuchung durch Coliren möglichst von Fasern befreit
worden.
Der erste Versuch ergab:
a.
Rübenschnitte.
Trockensubstanz
18,6 Proc.
Asche
0,8135
Proc.
b.
Rübensaft.
Spec. Gewicht
16,4 Proc. Ball.
Polarisation
14,3 Proc.
Trockensubstanz
15,3 Proc.
Asche
0,700 Proc.
Aus dem Gehalte der Rüben und des daraus gewonnenen Saftes an Trockensubstanz läßt
sich der Saftgehalt der Rüben unschwer zu 96,1 Proc. (3,9
Proc. Faser) berechnen. Wenn nun der gesammte Aschengehalt im Safte enthalten wäre,
so hätte die Rübe, als aus reiner Faser und Saft bestehend gedacht, nur 96,1 Proc.
des Aschengehaltes des Saftes, also 0,6727 Proc. Asche ergeben können, während sie
0,8135 Proc. enthielt. Aber auch die Annahme, daß auf die Faser der Rüben verhältnißmäßig eben so viel Asche käme, wie auf ihren
Saft, ist unstatthaft, da der Unterschied zwischen obigem Aschengehalte (0,8135 und
0,700) groß genug ist, um diese Möglichkeit bestimmt verwerfen zu lassen.
Der zweite Versuch ergab bei wesentlich verschiedenen
Rüben ein ganz ähnliches Resultat:
a.
Rübenschnitte.
Trockensubstanz
17,0 Proc.
Asche
0,558 Proc.
b.
Rübensaft.
Polarisation
11,75 Proc.
Asche
0,460 Proc.
Auch hier war also der Aschengehalt des Saftes erheblich geringer als der der ganzen
Rübe. Stellt man dieselbe Rechnung wie oben an, so findet man den Aschengehalt der
Rübe aus demjenigen des Saftes zu 0,442, während er in Wirklichkeit 0,558
betrug.
Berechnet man nun noch in beiden Fällen den Aschengehalt auf 100 Theile Zucker,
sowohl für Saft wie für Rüben (unter Annahme von 3,9 Proc. Faser), so findet man
bei
Vers. 1.
Vers. 2.
ganze Rüben
5,92
4,94
Saft
4,89
3,91
Die große Uebereinstimmung in den gefundenen Unterschieden gestattet unzweifelhaft
den Schluß, daß der Aschengehalt der ganzen Rübe erheblich höher ist, als derjenige
des derselben entsprechenden Saftes, und daß also der Saft, wenn er sich unverändert
aus der Rübe erhalten ließe, nicht alle Aschenbestandtheile der Rübe in Lösung haben
könnte. In wie weit die verschiedenen Saftextractionsmethoden in dieser Beziehung
verschieden geartete Säfte geben können und müssen, ist der Gegenstand weiterer für
die Fabrication gewiß interessanter Untersuchungen, über die ich spätere
Mittheilungen nur vorbehalte.