Titel: | Ueber Wurfscheiben-Geschütze. |
Autor: | Henry Darapsky |
Fundstelle: | Band 175, Jahrgang 1865, Nr. LXIV., S. 263 |
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LXIV.
Ueber Wurfscheiben-Geschütze.
Mitgetheilt vom
Artillerie-Hauptmann Dy. in Cassel.
Mit Abbildungen auf Tab.
V.
Ueber Wurfscheiben-Geschütze.
In neuerer Zeit ist in öffentlichen Blättern mehrfach von der in England gemachten
Erfindung eines Geschützes für linsenförmige Geschosse die Rede gewesen, worüber die
Allgemeine Zeitung vom 9. October 1864 S. 4592 folgende Mittheilung macht:
„Wieder sind Experimente mit einem Geschütz neuer Construction angestellt
worden. Der Erfinder und Patentinhaber, Generalmajor Hutchinson, gibt als die Hauptvorzüge seiner neuen Kanone an: 1) daß
sie wenig mehr als das zwanzigfache Gewicht des Geschosses haben soll, während
das gewöhnliche Verhältniß 800 : 1 sey; 2) daß sie dem Geschoß ohne Reibung
schnelle Rotation mittheilen soll; 3) daß das Geschoß die zweckmäßigste Form
habe, um die Luft und die Zielscheibe zu durchdringen, und 4) daß es keinen
luftleeren Raum hinter sich lasse, und nicht ricochettire wenn es aus das Wasser
ausschlage. Die Kanone hat die Gestalt eines verlängerten Mörsers. Die Kammer
ist in der gewöhnlichen Cylinderform, aber eben nur lang genug, um das Pulver
und den Pfropfen aufzunehmen. Die Haupteigenthümlichkeit findet sich an der
Mündung, welche bedeutend erweitert ist, um das discusförmige Geschoß
aufzunehmen, welches mit seinem scharfen Rand auf's genaueste in die Mündung
einpaßt. Die Achse der Kammer liegt oberhalb des Centrums des Geschosses, so daß
dem letzteren bei der Explosion des Pulvers eine um die Längenachse rotirende
Bewegung ertheilt wird. Wegen ihrer Kürze besitzt die Kanone alle Vortheile
eines Hinterladungsgeschützes, und wegen der Einfachheit ihrer Construction und
des geringen Volumens wird sie sowohl billig herzustellen als leicht zu
handhaben seyn. Der Erfinder behauptet mit einem dieser Geschütze, welches nicht
schwerer sey als der gewöhnliche 68 Pfünder, werde er einen Discus von 600 Pfund
schleudern. Die Versuche, welche „befriedigend“ abliefen,
wurden mit einem 200 Pfund schweren Geschütz der neuen Construction angestellt,
das Geschoß war 4 1/8 Pfund schwer, die Pulverladung betrug 6 Unzen, d. i. ein
Elftheil des Gewichts der Kugel, während das gewöhnliche Verhältniß 1/4.
ist.“
Die Idee, anstatt sphärischer, wurfscheibenförmige Geschosse anzuwenden, tritt in der
modernen Artillerie hierbei aber nicht zuerst auf, sondern es ist dem oben
angeführten Versuchsgeschütze schon manches andere verwandten Zweckes vorher
gegangen, worüber für einen Theil des Leserkreises dieses Journals einige Notizen
nicht unwillkommen seyn dürften.
Nachdem nämlich bereits im Jahre 1854 durch einen englischen Officier – Woolcombe – auf die Vortheile aufmerksam gemacht
worden warMan vergleiche: „Die Rotation der runden Artillerie-Geschosse, von
H. Müller II, Premier-Lieutenant in der
brandenburgischen Artillerie-Brigade Nr. 3.“
, welche sich durch die Verwendung von excentrischen Wurfscheiben für
Geschütze möglicherweise erreichen lassen würden, die dahingehörigen Vorschläge
genannten Officiers aber einem entscheidenden Versuche nicht unterworfen worden
waren, legte im Jahre 1855 der belgische Artillerie-Hauptmann G. de Puydt seinem General-Inspector ein Gutachten über diesen
Gegenstand vor, in Folge dessen vom 8. bis 15. September 1855 zu Braeschart Versuche
mit einem eigens dazu gegossenen Zwölfpfünder von entsprechender Einrichtung und excentrischen Wurfscheiben angestellt wurden, von denen
Fig. 12
einen Schnitt, rechtwinkelig durch die Seele des Rohres gelegt, und Fig. 13 den Durchschnitt
nach der Richtung des größten Geschoßdurchmessers hin gibt. – Diese Versuche
erlitten jedoch wegen ungenügender Haltbarkeit der Geschosse bald darauf eine
Unterbrechung. Neue Versuche stehen mit Wurfscheiben anderen Modelles in Aussicht,
welches letztere so eingerichtet seyn soll, daß dadurch jede Abweichung seiner
Gleichgewichtsachse aus der lothrechten Ebene vermieden wird, d.h. daß die
Abweichung sich selbst corrigirt und über die von diesem Projecte zu erwartenden
Vortheile spricht sich Capitain de Puydt in einer von ihm
verfaßten Abhandlung folgendermaßen aus:
„Der Widerstand, welchen die Luft Körpern von ähnlicher Figur unter
gleichen Verhältnissen entgegensetzt, wächst mit der Projection der Fläche, die
der Luft entgegensteht, auf die Verticale. – Obgleich für die
Wurfscheiben Vergleichsresultate fehlen, so liegt doch auf der Hand, daß. der
Widerstand, den sie erleiden, geringer ist als der für die Kugel, und zwar um so
geringer, je dünner die Scheibe ist. Selbst bei gleicher
vorderer Oberfläche ist der Widerstand für die Wurfscheibe geringer als
für die Kugel, denn jene hat größere Masse, – Gewicht – die
Scheibenform des Projectils ist also gleich einer Dichtigkeits-Vermehrung.
„Die Abnahme des Widerstandes bei Abnahme der Wurfscheibendicke, geht aus
der Betrachtung hervor, daß, wenn sie z.B. nur ein Punkt wäre, der Widerstand
vorn gleich Null würde, und eine Reibung nur an den Seitenflächen entstände. Je
mehr die Scheibe sich, durch Zunahme des kleinen Durchmessers, der Kugel nähert,
desto mehr wächst der Widerstand; – die Masse aber, und das größte
Trägheitsmoment wachsen in einem kleineren Verhältniß. In Folge dessen wird die
Stabilität der
Rotation schwächer, die Flugbahn nicht so gestreckt und die Schußweite nimmt
ab.
„Die rotirende Bewegung der Lufttheilchen an der rotirenden
Geschoßoberfläche ist am lebhaftesten an dem größten Kreise der
Geschoßoberfläche, welcher in der Schußebene liegt. Dreht sich das Geschoß dabei
von unten nach oben, so wirkt bekanntlich diese rotirende Bewegung der Luft
hebend, und zwar an dem genannten größten Kreise am stärksten. Verwandelt man
also die Kugel in eine Scheibe, so werden die Verhältnisse für die hebende Kraft
immer günstiger, wobei die Rotation auch noch kräftiger wird und der directe
Luftwiderstand abnimmt. Wenn man nun die Scheibe durch eine innere Höhlung
excentrisch machen will, so wird – bei sonst gleichen Umständen –
diese Excentricität um so größer, je größer und dünner die Scheibe ist. –
Diese große Excentricität ist aber für die Rotationsbewegung sehr wichtig.
„Andererseits gibt es eine Grenze für die Abnahme der Scheibendicke und
sonach eine bestimmte Dicke, welche, offenbar günstiger als die der reinen
Kugel, in einem bestimmten Verhältnisse zum Durchmesser der Scheibe stehen
muß.“
Am Schlusse dieser Abhandlung weist Capitain de Puydt auch
noch darauf hin, daß, wie Robins durch Versuche bewiesen
habe, auch concentrischen Wurfscheiben durch leichte Krümmung der Rohrseele eine
Rotation gegeben werden könne, die Einwirkung des excentrischen Discus auf die Luft
aber eine viel kräftigere sey und dieses führt nun unmittelbar zu der concentrische Wurfscheiben behandelnden Schrift:
„Ein neues Geschoß und eine neue Feuerwaffe“ von Graf Paolo di San Roberto, Oberstlieutenant der königl.
sardinischen Artillerie, hin, welche im April 1847 in Turin verfaßt und übersetzt
1859 von Oberst Otto in Bd. XLVI des Archivs für die
Officiere der königl. preußischen Artillerie- und Ingenieur-Corps mitgetheilt wurde;
der Ideengang derselben ist in den wesentlichsten Punkten etwa nachstehender:
Um den Abweichungen vorzubeugen, welche von der Umdrehungsbewegung des Geschosses
herrühren, kann man zwei verschiedene Wege einschlagen, indem man nämlich entweder
die Umdrehungsbewegung verhindert, oder Sorge trägt sie so zu regeln, daß daraus
Wirkungen von bestimmtem Maaße hervorgehen.
Zur Hervorbringung einer vorherbestimmten Rotation des Geschosses ist es
erforderlich, daß dessen Umdrehungsbewegung eine stabile sey, wozu gehört, daß sie
um eine der beiden Hauptachsen erfolge, denen das größte oder das kleinste
Hauptträgheitsmoment angehört. – Hierzu hat man einmal vorgeschlagen der
inneren Höhlung von (sphärischen) Geschossen die Form eines durch Umdrehung entstandenen länglichen
Ellipsoids zu geben, dessen größere von der anderen hinreichend verschiedene Achse
perpendicular zur Schußebene gelegt wird; ferner ist es bereits versucht worden
diesen Zweck auch dadurch zu erreichen, daß man längliche Geschosse zwingt
spiralförmigen Rohrzügen zu folgen und so, während ihrer fortschreitenden Bewegung
längs der Seelenachse der Waffe, zugleich auch eine Umdrehungsbewegung um diese
Linie anzunehmen. – Die Kugelform mußte hierbei verlassen werden, weil bei
ihr das Trägheitsmoment um jeden beliebigen ihrer Durchmesser immer ein und dasselbe
ist, für diese Form also alle Achsen gleichmäßig stabil, oder, so zu sagen,
gleichgültig gegen jede etwa vorkommende Verrückung sind; wohingegen, wenn das
Geschoß nach der Richtung der Achse abgeflacht oder länglich ist, die Umdrehung um
eine der Hauptachsen erfolgt, denen das größte oder das kleinste Trägheitsmoment
angehört, das Geschoß sich also durch die Beibehaltung des Parallelismus seiner
Rotationsachse in einer günstigeren Lage befindet, wozu noch kommt, daß es, bei
gleichem Gewichte, einen geringeren Luftwiderstand erleidet als die Kugel.
Beide Methoden, die Geschoßrotation zu regeln, lassen aber noch Manches zu wünschen
übrig, indem die Ellipsoidalgranate in der mit dem Gefechte verbundenen Hast und
Aufregung nicht immer genau so verwendet werden dürfte, als es die Sicherstellung
des Schusses erfordert und ferner die Bahnen der aus gezogenen Rohren abgeschossenen
Geschosse bis jetzt wegen geringerer Anfangsgeschwindigkeit der letzteren gewöhnlich
noch immer der gestreckten Form ermangeln, welche auf dem Schlachtfelde so
wünschenswerth ist.
Es entsteht also die Frage, ob den drei Bedingungen der Rotationsachsen-Stabilität,
möglichst geringen Luftwiderstandes und einer Anfangsgeschwindigkeit, welche gleich
der von gewöhnlichen Geschossen ist, nicht auf einem dritten Wege zu genügen steht,
und in dieser Beziehung bietet sich der Versuch mit einem linsenförmigen Geschosse
dar, welches so abgeschossen wird, daß seine kleine Achse senkrecht auf der
verticalen Richtungsebene steht, und das Geschoß um diese kleine Achse herum rotirt.
Fig. 14
stellt ein solches Geschoß dar; der geradlinige Pfeil bezeichnet die Richtung der
fortschreitenden, der gekrümmte Pfeil die der Umdrehungsbewegung. – Die
abgeplattete Form läßt dasselbe die Luft leicht durchschneiden, seine
Umdrehungsbewegung um die kleine Achse, welcher als Hauptachse das größte
Trägheitsmoment entspricht, sichert die Stabilität derselben, der senkrechte Stand
der Umdrehungsachse gegen die verticale Richtungsebene schützt vor
Seitenabweichungen und erfolgt endlich die Richtung der Umdrehungsbewegung von unten
über vorn nach oben, so
erzeugt der Luftdruck dadurch eine Hebung dieses Geschosses und mit ihr eine
Vergrößerung der Wurfweite desselben.
Welches Zahlenverhältniß für die Längen beider Achsen des Geschosses das
zweckmäßigste ist, kann nur die Erfahrung entscheiden. Man wird den Versuch mit dem
Verhältnisse von 4 zu 1 beginnen können und es bleibt dann auch noch die Art und
Weise zu betrachten, in welcher dem Geschosse seine Rotationsbewegung mitzutheilen
ist. Hierher gehören etwa folgende Einrichtungen:
1) Anbringung einer Kammer, deren Durchmesser geringer als der der Seele ist, am
Boden und am unteren Theile der Rohrausbohrung, so daß das Geschoß beim Entzünden
der Ladung einen Stoß bekommt, welcher nicht durch den Schwerpunkt geht, und also
gleichzeitig die zwei Bewegungen des Fortschreitens und der Umdrehung erzeugen
wird.
2) Versehung der Geschoßoberfläche mit hervorragenden Theilen, welche den
Luftwiderstand gegen die eine Hälfte dieser Oberfläche größer machen als gegen die
andere, und so eine Umdrehung des Geschosses während seines Fortschreitens durch die
Luft anbahnen.
3) Einsetzen von Stiften in die ebengemachten und senkrecht zur Rotationsachse
gestellten Seitenflächen des Geschosses, und Führung dieser Stifte durch
cylindrische Cannelirungen in den entsprechenden Seitenflächen des Rohres.
4) Befestigung einer Leiste von Holz oder Metall dicht vor dem oberen Theile der
Rohrmündung, an welche das Geschoß beim Verlassen des Rohres anschlagen und so den
Impuls zur Rotation von unten über vorn nach oben hin erhalten muß.
5) Krümmung des Rohres, so daß die durch Centrifugalkraft bewirkte Reibung eine
Rotation des Geschosses bewirkt, welche, wenn die Curve der Rohrbiegung nach unten
hin concav ist, den vorderen Geschoßtheil von unten nach oben rotiren läßt.
Aus Gründen der Zweckmäßigkeit hat man sich für letztere Einrichtung entschieden,
welche bei der großen Geschwindigkeit des Geschosses durchaus nicht etwa eine solche
Krümmung der Seele des Rohres erfordert, daß dadurch das Laden der Waffe
beschwerlich gemacht würde; denn, gesetzt die Curve der Rohrbiegung sey ein
Kreisbogen, so findet sich für die Flinte, daß zur Hervorbringung einer
Rotationsbewegung von 100 Umläufen per Secunde der
Krümmungshalbmesser 21 Meter und der Pfeil 0,007 Meter zu betragen habe und ebenso
würde für eine 6pfündige Kanone in demselben Falle der Krümmungshalbmesser der
Rohrbiegung größer als 7 Meter und der Pfeil derselben kleiner als 0,04 Meter seyn.
Die Figuren
15, 16 und 17 geben beziehungsweise die Seitenansicht, die obere Ansicht und den Durchschnitt
durch die Schildzapfenachse einer Wurfscheiben-Kanone von 3 Kilogrammen
Geschoßgewicht in 1/10 der wahren Größe.
––––––––––
Hiernach hat man sich also durch die obenerwähnten Hutchinson'schen Versuche nur einer bestimmten Richtung der für
Wurfscheiben-Geschütze schon früher wissenschaftlich festgestellten
Versuchsmöglichkeiten zugewendet. San Roberto hat
befürchtet, daß die ad 1 seiner Vorschläge für
Wurfscheibengeschütz-Einrichtungen aufgeführte Anbringung einer engeren Kammer am
unteren Theile des Stoßbodens der Rohrseele nicht wirksam genug zur Hervorbringung
einer Winkelgeschwindigkeit seyn möchte, welche groß genug ist, die Stabilität der
Geschoßumdrehung zu sichern, und es ist nun lediglich von dem weiteren Verlaufe des
in Rede stehenden Versuchverfahrens eine Aufklärung über diesen Punkt zu hoffen,
weil der Umstand, daß die Kammer des Hutchinson'schen
Geschützes oberhalb des Geschoß-Centrums liegt, nur auf die Art der Rotation
– in der vorderen Geschoßhälfte von oben nach unten, anstatt bei
tiefliegender Kammer von unten nach oben und auf die davon abhängende
Flugbahngestaltung von Einfluß ist, ein Punkt dessen nähere Erörterung jedoch die
sachgemäßen Grenzen dieser monographischen Skizze überschreiten würde.
Versuche mit einem kleinen Wurfscheibengeschütze, dessen Pulverkammer unter der Seelenachse seines Rohres lag, wurden bereits
1861/62 hier angestellt; es ergaben dieselben wenigstens so viel, daß das
concentrische Scheibengeschoß im Anfange seiner Flugbahn bedeutend über die
horizontal gerichtete Seelenlinie des Rohres emporstieg. Weitere Untersuchungen
konnten aber leider nicht angestellt werden, da das aus Privatmitteln eines hiesigen
Artillerie-Officiers beschaffte Versuchsgeschützchen bald unbrauchbar wurde.