Titel: Die neueren Verbesserungen des Bessemer-Verfahrens, besonders hinsichtlich der Erzeugung eines Gußstahls von bestimmtem Kohlenstoffgehalt; vom Ingenieur Ferdinand Kohn.
Fundstelle: Band 175, Jahrgang 1865, Nr. LXXIV., S. 295
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LXXIV. Die neueren Verbesserungen des Bessemer-Verfahrens, besonders hinsichtlich der Erzeugung eines Gußstahls von bestimmtem Kohlenstoffgehalt; vom Ingenieur Ferdinand Kohn.Aus einem Vortrage desselben in der Wochenversammlung des nieder-österreichischen Gewerbevereins vom 28. October 1864. Kohn, über die Verbesserungen des Bessemer-Verfahrens zur Gußstahl-Erzeugung. Der Bessemer-Proceß besteht bekanntlich in der Entkohlung des Roh- oder Gußeisens durch Einblasen von atmosphärischer Luft in eine geschmolzene Masse desselben. Der Sauerstoff der atmosphärischen Luft verbindet sich dabei mit dem Kohlenstoff und den anderen oxydirbaren Beimengungen des Eisens, wodurch das letztere entkohlt und gereinigt wird. Für die Stahlbereitung durch dieses Verfahren gibt es zwei verschiedene Methoden, welche man nach den Ländern, in denen sie meist angewendet werden, schwedischen und englischen Proceß nennt. Der schwedische ist vom englischen Processe dadurch unterschieden, daß man bei dem ersteren in dem Momente, wo die Kohlenstoffvertilgung soweit gediehen ist, daß sich Stahl bildet, die Operation unterbricht und den Stahl im flüssigen Zustande ausgießt; bei dem letzteren hingegen die Entkohlung gänzlich vorgenommen und nachher das zur Stahlbildung nothwendige Quantum Kohlenstoff von außen zugesetzt wird. Zu dem Ende nimmt man eine bestimmte Menge Spiegeleisen (meist von Deutschland nach England importirt), schmelzt dieselbe und bringt sie zu dem ganz entkohlten Eisen in den Apparat. – Die Verbindung beider Eisensorten geschieht mit außerordentlicher Lebhaftigkeit und ohne ferneres Hinzuthun seitens des Arbeiters – und in einem Zeitraum von wenigen Secunden ist das Ganze zu einer homogenen Masse von flüssigem Stahl umgewandelt. So war der Proceß, wie er bis zum Jahre 1862 in England und Schweden ausgeübt wurde. Später suchte man die Spectralanalyse für den schwedischen Proceß verwendbar zu machen, um den Moment genauer zu erkennen, wenn gewisse Bestandtheile aus der Substanz hinausgebrannt sind; dennoch ist bis jetzt in Schweden das geübte Auge des Arbeiters das einzige Mittel geblieben, um den richtigen Moment zu erkennen. Eine neuere wesentliche Verbesserung des Bessemer-Verfahrens bildet die Möglichkeit der Verwendung von nur theilweise geschmolzenem oder ganz ungeschmolzenem Material dabei. Es wird dann nur ein Theil des zu entkohlenden Eisens geschmolzen, der andere rothglühend in Stücken in den Apparat hineingegeben, darauf dann das geschmolzene Metall gegossen. Das Ganze kommt durch das Einblasen von Luft zu jener außerordentlich hohen Temperatur, in welcher selbst Schmiedeeisen in der kürzesten Zeit schmilzt, und man ist daher im Stande, alles Schmiede- oder Walzeisen, Eisenbahnschienen u. dgl. direct im Bessemer-Apparate zu verwenden und durch Zusatz einer entsprechenden Quantität von geschmolzenem Roheisen in wenigen Minuten in Gußstahl zu verwandeln. Es ist Hrn. Bessemer in der neueren Zeit auch gelungen, ein vollkommen feuerfestes Material zur Bekleidung seiner Gefäße zu entdecken. Dieß ist ein in Sheffield unter dem Namen „Ganister“ bekannter Stein, der sich in großen Massen unterhalb der Kohle vorfindet. Der Stein wird pulverisirt und mit Wasser zu einer lehmartigen Substanz angemacht, mit welcher alle Tiegel ausgestrichen werden. Die Masse wird durch Feuer getrocknet und bildet dann eine äußerst feuerbeständige Kruste, welche im Stande ist, eine ganze Reihe von Operationen auszuhalten, ohne durch die Hitze zerstört zu werden. Das Vorkommen dieses Steines ist nicht selten. Einige preußische Stahlfabrikanten, die den Proceß von Hrn. Bessemer gelernt haben, pflegten Quantitäten desselben von Sheffield zu beziehen. Nach einiger Zeit jedoch wurden auch in Preußen solche Steine gefunden. Die zweite Verbesserung besteht darin, daß man außer der atmosphärischen Luft Gase, z.B. Hohofengase, Leuchtgas oder Verbrennungsgase vom Kohksofen zur Stahlbereitung benützen kann. Man verbindet den Bessemer-Apparat mit einem Gasbehälter, aus welchem man zugleich mit der eingeblasenen atmosphärischen Luft eine beliebige Menge von Gas in den Apparat führen kann. Dadurch kann im Apparate selbst eine mächtige Gasflamme erzeugt werden. Es ist dann nicht nothwendig, das Roheisen in einem Flammofen zu schmelzen, sondern es kann im festen Zustande in den Apparat gebracht werden und wird durch die Gasflamme geschmolzen, dann wie gewöhnlich durch Luft entkohlt. Sobald in dem englischen Bessemer-Processe die gänzliche Entkohlung des Rohmateriales stattgefunden hat, schreitet man zu der zweiten Abtheilung des Processes, nämlich zu dem Zusatze des Spiegeleisens, durch welches der Kohlenstoffgehalt des Stahles bestimmt wird. Die Quantitäten des in den Schmelzofen gebrachten Roheisens sowohl als auch die Menge des zuzusetzenden Spiegeleisens werden ganz genau gewogen, und es läßt sich dadurch der Procentgehalt des Kohlenstoffes in dem erzeugten Stahl sehr genau bestimmen. Die bei solchem Vorgange existirenden Fehlerquellen sind von sehr geringer Bedeutung. Man betrachte z.B. eine Masse von 100 Centnern Roheisen, die in einem Bessemer-Apparate auf einmal entkohlt wird. Es können Variationen in den Procenten von Calo beim Schmelzen und Entkohlen eintreten, die sich zwar gegenseitig nicht selten compensiren, die jedoch in einem unglücklichen Falle einen Fehler erzeugen können, welcher der Summe aller jener Unregelmäßigkeiten gleichkommt und dann bis zu 5 Procent, also bis zu 5 Centnern, wachsen kann. Man könnte nun glauben, eine Differenz von 5 Centnern in der Masse des entkohlten Eisens werde einen merklichen Einfluß auf die Qualität des Stahles haben, der daraus erzeugt wird. Gesetzt z.B. man wünschte sehr weichen Stahl von 1/3 Proc. Kohlenstoffgehalt, so würde der Zusatz von 1/3 Ctr. Kohle im Spiegeleisen anstatt mit 100 Ctr. Eisen bloß mit 95 Ctr. gemengt werden und der Kohlengehalt wäre um 1/60 Proc. zu groß. Nachdem man jedoch ein- für allemal auf einen Fehler von 2 1/2 Procent rechnet, so kann selbst in diesem extremen Falle der Fehler nur die Hälfte des genannten, also 1/120 Procent oder 1/12000 der ganzen Masse seyn. Dazu könnte sich eine Reihe von Fehlern addiren, die von Unregelmäßigkeiten im Kohlenstoffgehalte des Spiegeleisens herrühren, zumal da letzteres im Flammofen während des Schmelzens etwas Kohlenstoff verliert und auch während der Mischung mit dem entkohlten Eisen ein Theil des Kohlenstoffes verbrennt. Um allen diesen Unregelmäßigkeiten vorzubeugen, hat Hr. Bessemer die Verbesserung getroffen, das entkohlte Eisen erst in der Gußschale (Birne) mit Spiegeleisen zu versetzen, dabei die Gußschale so einzurichten, daß das hineingefüllte entkohlte Eisen darin genau gewogen werden kann und das Spiegeleisen im granulirten Zustande zuzusetzen, nachdem dasselbe in einer luftdicht verschlossenen Büchse rothglühend gemacht worden ist. Dadurch werden alle die genannten Fehlerquellen beseitigt und man wird in die Lage gesetzt, die Qualität des zu erzeugenden Stahles mit vollkommener Genauigkeit im Vorhinein zu bestimmen, und zwar viel genauer als dieß durch Sortiren oder andere empirische Mittel geschehen kann. Aus der Gußschale wird der Stahl in die gewöhnlichen, sogenannten Königsformen gegossen und kommt unter den Hammer, zwischen die Walzen oder in die hydraulische Presse, noch ehe das Innere der Gußstahlmasse erkaltet ist. In diesem Zustande sind die Stahlkönige zur Verarbeitung vorzüglich geeignet, weil sie im Innern aus einer weichen bildsamen Masse bestehen und außen eine härtere Kruste besitzen, im Gegensatze zu den gewöhnlichen Schmiedestücken, welche außen weich und innen hart und unbildsam sind, so daß der Schlag oder Druck auf das Innere fast keinen Einfluß übt. Durch diesen außerordentlich merkwürdigen Proceß stellen sich die Erzeugungskosten des Gußstahles um nur wenig höher, als der Preis des Roheisens, aus dem derselbe gemacht worden ist, und dieser niedrige Erzeugungspreis macht den Bessemer-Stahl für die mannichfachsten Zwecke verwendbar, für welche ehemals nur Guß- oder Schmiedeeisen gebraucht wurde. Man producirt Eisenbahnschienen, welche an Dauerhaftigkeit die besten Eisenschienen um mehr als das Zehnfache übertreffen. Zahlreiche Versuche auf englischen Bahnen an Kreuzungsstellen u.s.f. haben den Bessemer-Schienen einen ausgezeichneten Ruf und eine ausgebreitete Verwendung gesichert. Einer der entscheidendsten Versuche dieser Art wurde in London auf der Camden-Station der London- und North-Western-Eisenbahn gemacht. Auf einer der stärkst befahrenen Stellen, über welche in je 24 Stunden 8000 Lastwaggons gehen, wurde in einem Geleise ein Schienenstrang aus Bessemer-Schienen, der andere aus den gewöhnlichen Eisenschienen gelegt. Die Bessemer-Schienen liegen seit 9. Mai 1862 bis jetzt. Sie wurden Ende September 1864 untersucht und zeigten eine sehr geringe Abnutzung. Bis dahin waren ungefähr sieben Millionen Lastwaggons über dieselben gefahren. Die Eisenschienen, welche den andern Strang des Geleises bildeten, mußten von Zeit zu Zeit gewendet oder ausgewechselt werden, und zwar: Neue Schienen gelegt. Dieselben gewendet. 1)   9. Mai 1862    –  Juli    1862 2)   9. Sept.    „         6. Nov.    „ 3)   6. Jan. 1863   1. März 1863 4) 29. April    „         3. Juli      „ 5) 29. Sept.    „       16. Dec.    „ 6) 10. Febr. 1864 12. April 1864 7)   6. Aug.    „              – Bei diesem Versuche hat daher die Stahlschiene bereits die siebente Eisenschiene überdauert und es ist unbestimmt, wie viele Eisenschienen noch folgen dürften, ehe die erstere nur des Umwendens bedürfen wird. Solche und ähnliche Resultate haben mehrere englische Bahnen zur Annahme von Stahlschienen in großen Quantitäten bewogen und insbesondere hat die London-North-Western-Bahn begonnen, ihre ganze Strecke von mehr als 1200 englischen Meilen mit Bessemer-Schienen zu legen, welche die Eisenbahn-Gesellschaft selbst in ihrem Walzwerke zu Crewe mit Bewilligung und Anleitung des Hrn. Bessemer erzeugt. Man hat die Erfahrung gemacht, daß Bessemer-Stahl mit gewöhnlichem Gußeisen in entsprechenden Verhältnissen gemengt, eine Art Gußeisen von beinahe doppelter absoluter Festigkeit als das gewöhnliche producirt, das auch nicht die gewöhnliche Sprödigkeit besitzt. Dieses Material ist für den Guß hydraulischer Preßcylinder und ähnlicher Maschinenbestandtheile in England sehr gesucht und auch zum Construiren von Walzen, mit denen Schienen, Bleche und ähnliche Körper gewalzt werden, allgemein verwendet. Für Kettenbrücken ist Bessemer-Stahl außerordentlich vortheilhaft, da er eine Tragfähigkeit von 40 Tonnen auf den Quadratzoll besitzt, während das Schmiedeeisen höchstens nur 25 Tonnen besitzt; daher könnten wir unter solchen Umständen mit den Dimensionen der Kettenbrücke herabgehen, dadurch auch das Eigengewicht der Brücke sehr erniedrigen und so abermals an Material ersparen. In England wird besondere Aufmerksamkeit der Erzeugung von Kanonen aus solchem Stahl gewidmet. Kanonen aus Stahl sind bekanntlich die besten; nur der bisherige Preis hinderte in England und anderen Ländern die allgemeine Verwendung für die Armee, wie dieß trotz der großen Kosten in Rußland zum Theile geschehen ist. Den Uebelstand des hohen Preises haben die Kanonen aus Bessemer-Stahl nicht; man kann daher sicher darauf rechnen, daß die theuren Armstrong-Kanonen in Kurzem aus den englischen Arsenalen verschwinden und Stahlkanonen Platz machen werden. Auch für Kanonenkugeln, wenn es sich darum handelt, ein Projectil zu erzeugen, das Panzerplatten durchschlägt, leistet Bessemer-Stahl gute Dienste, was seinen Grund darin hat, daß die Stahlgeschosse eine größere Festigkeit besitzen als die Platten. Solche Kugeln werden einfach gewalzt, und es sind die Maschinen dazu gleichfalls Erfindung Bessemer's. Eine andere wichtige Verwendung des Bessemer-Stahles ist die Erzeugung von Blechen für Dampfkessel und Schiffe. Die Dimensionen der Stahlblechkessel und ihre ganzen Constructionsverhältnisse sind sehr vortheilhaft im Vergleiche mit eisernen Kesseln. In der Fabrik von Platt Brothers in Oldham sind seit mehr als drei Jahren sechs Kessel aus Bessemer-Stahl im Betriebe, wovon jeder 30 Fuß Länge, 6 1/2 Fuß Durchmesser, einen innenliegenden Feuerzeug von 4 Fuß Durchmesser und eine Bleichdicke von nicht mehr als 5/16 Zoll für eine Dampf-Spannung von 7 Atmosphären besitzt. Diese Kessel haben sich als vorzüglich und besonders ökonomisch bewährt. Durch die Verwendung von Bessemer-Stahl werden auch die Dimensionen von Locomotivkesseln, Schiffskesseln, Schiffsdampfmaschinen u.s.f. bedeutend geändert. (Verhandlungen und Mittheilungen des niederösterreichischen Gewerbevereins, 1864 S. 527.)