Titel: | Zur Genesis der Seide; von Prof. Dr. Bolley. |
Fundstelle: | Band 176, Jahrgang 1865, Nr. XVIII., S. 53 |
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XVIII.
Zur Genesis der Seide; von Prof. Dr. Bolley.
Aus der schweizerischen polytechnischen Zeitschrift, 1864
S. 130.
Boley, zur Genesis der Seide.
Aeltere und neuere Untersuchungen der Seidenfaser ergaben, daß dieselbe aus mehreren
organischen Substanzen gemischt sey, die sich gegen Lösungsmittel verschieden
verhalten.
Mulder, der nach Roard die
erste vollständigere Untersuchung über die Seidenfaser anstellte, fand 28 bis 29
Proc. in Wasser lösliche Stoffe und ungefähr 16,5 Proc. in starker Essigsäure
lösliche Substanzen darin. Er hält den in Essigsäure löslichen Theil für Albumin;
den in Wasser löslichen und nach dem Eintrocknen der Lösung noch löslich
gebliebenen, eine leimähnliche Substanz, nennt er Seidengallerte. E. Cramer
Untersuchung der Seide und des thierischen Schleims. Inauguraldissertation.
Zürich 1863. zeigte, daß Eiweiß in der Seide fehle, was früher schon Städeler, in dessen Laboratorium Cramer seine Untersuchung vornahm, als wahrscheinlich aussprach.
Der Seidenleim, die Seidengallerte, kann durch längeres Kochen mit Wasser ausgezogen
werden. Cramer erhielt durch längeres Kochen mit Wasser
im papinianischen Topf 66 Proc. Fibroin. Mulder bemerkte
nach längerem Kochen
mit starker Essigsäure einen Fibroinrückstand von 53 bis 54 Proc. Wird nach Cramer die lange Zeit mit Wasser gekochte Seide,
beziehungsweise der ungelöste Rückstand, noch mit concentrirter Essigsäure
behandelt, so verliert er noch 6 Proc. Die Zusammensetzung des Rückstandes aber ist
nach diesem neuen Verlust nicht geändert, so daß angenommen werden muß, die
Essigsäure habe etwas Fibrom gelöst. Cramer beobachtete,
daß selbst Wasser unter gewissen Umständen ein Lösungsmittel für das Fibroin seyn
könne. Wurde das mit Wasser und Essigsäure durch Kochen vollständig ausgezogene
Fibroin längere Zeit der Luftberührung ausgesetzt, so ließ sich durch Kochen mit
Wasser auf's neue etwas davon lösen.
Die Elementarzusammensetzung des Fibroins ist nach den Analysen von
Mulder
Städeler
Cramer
im Mittel
a
b
C = 47,83
48,60
48,39
48,06
H = 6,54
6,40
6,51
6,02
N = 17,36
18,89
18,40
18,21
O = 28,27
26,11
27,70
27,71
Städeler stellt dafür die Formel auf:
C³⁰H²³N⁵O¹².
Die Zusammensetzung der Seidengallerte im Mittel von zwei Analysen ist nach Cramer
C = 44,32
H = 6,18
N = 18,30
O = 31,20
was sich durch die Formel
C³⁰H²⁵N⁵O¹⁶ ausdrücken läßt.
Es wird in Cramer's Abhandlung darauf aufmerksam gemacht,
daß zwischen den beiden Körpern eine nahe liegende Relation besteht, wornach der
Seidenleim ein Fibroin wäre, das 2 Atome Sauerstoff und 2 Atome Wasser aufgenommen
hat:
C³⁰H²³N⁵O¹² + 2
O + 2 HO = C³⁰H²⁵N⁵O¹⁶
Am angeführten Orte wird ferner gesagt, daß die Annahme, der Seidenleim sey ein
oxydirtes Fibroin, dadurch an Wahrscheinlichkeit gewinne, daß ersteres durch
Luftberührung an kochendes Wasser etwas abzugeben vermöge. Ob das vom Wasser nach
längerer Luftberührung Aufgenommene die Eigenschaften der Seidengallerte habe, ist
nicht untersucht.
Es ist dem Verf. ein Material zu anderen (technischen) Zwecken zur Hand gestellt
worden, welches ihm besonders geeignet schien, diese auch physiologisch interessante
Frage näher zu studiren.
Zum Behuf der Herstellung von Angelschnüren werden im südlichen Spanien die der
Verpuppung nahen Seidenwürmer getödtet und denselben der Schlauch, welcher den
Seidensaft enthält, ausgerissen. Man spinnt dort sofort aus der weichen zähen
Substanz die Fäden, die viel gröber als die von dem Thiere selbst gesponnenen
Coconfäden sind. Der Inhalt dieser Schläuche erstarrt sehr bald.
Eine Partie dieser noch gefüllten Organe, in der sogenannten Clark'schen Flüssigkeit, d. i. Alkohol und Essigsäure, eingelegt, waren
dem Verf. zugestellt worden. Die Haut des Schlauches läßt sich von dem harten
elastischen weißlichen transparenten Inhalt leicht abziehen. Dieser Inhalt wurde zur
Untersuchung genommen. Einer der Praktikanten des Verf., Hr. Rosa aus Ofen, befaßte sich mit der Aufgabe.
Zuerst wurde die Frage der Löslichkeit vorgenommen. Einige Gramme der von dem
Schlauch befreiten Seidensubstanz wurden mit einem großen Ueberschuß von starker
Essigsäure wenigstens 12 Stunden lang anhaltend gekocht. Es hatten sich gelöst 8,14
Proc. Die Seidensubstanz sammt dem Schlauch verlor durch ebenfalls 12stündiges
Kochen mit Essigsäure 7,64 Proc.
Einige Gramme der Masse, von welcher die Schlauchhaut abgezogen war, wurden mit viel
Wasser wenigstens 20 Stunden lang gekocht und in diesem Wasser gelöst gefunden 1,71
Proc.
Wenn nun einerseits früher von Städeler nachgewiesen
wurde, daß das Fibroin in Essigsäure keineswegs unlöslich ist, und wenn andererseits
so äußerst wenig in Wasser sich löste, so darf man wohl hieraus schon mit einiger
Wahrscheinlichkeit erwarten, daß der Schlauchinhalt aus Fibroin bestehe. Um indeß
mehr Sicherheit über diese Frage zu gewinnen, wurde die Elementaranalyse des nach 20
stündigem Kochen mit Wasser gebliebenen Rückstandes vorgenommen und es wurde in der
aschenfrei gedachten Substanz erhalten
Kohlenstoff
= 47,08
Wasserstoff
= 7,20
Stickstoff
= 17,70
Sauerstoff
= 27,02
Eine Aschenbestimmung ergab 0,71 Proc.
Vergleicht man diese Resultate mit denjenigen von Städeler,
Cramer und Mulder, so darf man mit
Berücksichtigung des Aschengehaltes annehmen, daß die Seidenraupe in diesen
Schläuchen nur Fibroin im weichen Zustande hat und daß dieß beim Einspinnen aus den
beiden Höhlen unter dem Munde des Thieres in zwei sehr feinen Fäden ausquillend,
durch Lufteinfluß oberflächlich in Seidengallerte übergeht. Farbstoff ist, was nachträglich
zu bemerken ist, weder in dem frischen Inhalt des Organes noch in den Abkochungen zu
erkennen. Ob Schleimsubstanz (wenn Eiweiß sich wirklich, wie der Verf. selbst
glaubt, nicht findet) in den in Essigsäure löslichen wenigen Procenten enthalten
sey, ist nicht in den Kreis der zu ermittelnden Fragen gezogen worden, weil hierzu
viel mehr Rohmaterial nöthig gewesen wäre, als zu Gebote stand. Das Vorhandenseyn
von wachsartiger und fettiger Materie wurde auch nicht constatirt, aus dem gleichen
Grunde und weil diese Dinge, selbst von Mulder in so
geringer Menge gefunden, auf die Elementaranalyse fast ohne Einfluß seyn mußten.