Titel: | Comprimirte Patronen. |
Fundstelle: | Band 177, Jahrgang 1865, Nr. LXXXIV., S. 356 |
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LXXXIV.
Comprimirte Patronen.
Mitgetheilt vom
Artillerie-Hauptmann Dy. in Cassel.
Ueber comprimirte Patronen.
In den Nummern 9 und 10 der Allgemeinen Militär-Zeitung vom 1. und 8. März
1865 findet sich eine, von E. v. H. nach der Rivista
militare bearbeitete Mittheilung über comprimirte Patronen, aus der
folgender Auszug hier eine Stelle finden möge:
„Da das Pulver sich erst bei Temperaturgraden von 250 bis 290°
Reaumur entzündet, so kann dasselbe ohne Explosionsgefahr füglich bis zu
80° R. erwärmt werden, wobei dann der im Pulver enthaltene Schwefel, dessen
Schmelzpunkt bei 89° R. liegt, sich erweicht, und so den Pulverkörnern
die Fähigkeit ertheilt wird, ohne Zerbrechung comprimirt werden zu können. Es
hängen sich bei Temperaturen von 60 bis 80° R. die Pulverkörner nämlich
schon ganz von selbst aneinander, und dabei verdunstet auch noch die
Feuchtigkeit des Pulvers, so daß letzteres bei gleichzeitigem Pressen dann nicht
nur an Volumen verliert, sondern auch an Qualität gewinnt. – Daher schlug
schon im Jahre 1852 der sardinische Graf Paolo di San
Roberto, welcher das Wasser als den größten Feind des Pulvers
bezeichnet, in seiner damals erschienenen, das Schießpulver und seine
Anfertigung behandelnden Schrift vor, zur Bildung des
Pulverkuchens mit Ausschluß von Wasser nur Wärme und Verdichtung
anzuwenden und diese Verdichtungsmethode wird, als amerikanische
Erfindung, in neuester Zeit auch auf bereits
gekörntes Pulver ausgedehnt, indem aus demselben, etwa in von heißem
Wasser umspülten Metall-Matrizen entsprechender Form comprimirte Patronen angefertigt werden, bezüglich
deren physikalischer Eigenschaften bereits durch Versuche, an denen auch
England, Belgien und Frankreich sich betheiligt haben, festgestellt worden ist,
daß das Volumen der Patrone durch combinirte Wirkung von Wärme und Verdichtung
merklich abnahm und folglich das kubische Gewicht derselben wuchs, daß ferner
auf diese Weise dem gekörnten Pulver jede gewünschte Härte gegeben werden
konnte, daß weiter die Körner sich an ihren Berührungspunkten comprimirten, die
Zwischenräume theilweise ausfüllten und eine schmale flache Gestalt annahmen,
und daß die Körner endlich stark aneinander hafteten, dabei sich aber keineswegs
gegenseitig durchdrangen und vermengten, sondern vollständig kenntlich blieben
und von einander unterschieden werden konnten.
Man fertigte comprimirte Patronen für Geschütz und Gewehr. Sie wurden so hart und
widerstandsfähig, daß sie auf die Erde geworfen werden konnten, ohne zu
zerbrechen. Ihre Entzündung in der Seele gieng anstandslos unter Anwendung der
gewöhnlichen Zündmittel (Zündhütchen, Reibzündung) und ohne vorherigen Gebrauch
der Aufstechnadel vor sich.
Vergleichende Versuche zwischen comprimirten und gewöhnlichen Patronen, mit dem
Gewehr- und Geschützpendel angestellt, ergaben folgende Thatsachen: Die
Stärke der Pressung, als Ursache des größeren oder geringeren kubischen
Gewichtes, äußert einen sehr merklichen Einfluß auf die Wirkung. Für jede
Pulvergattung oder besser für jede Körnergröße gibt es einen Grad der Pressung,
welcher der größten Wirkung entspricht. Die bis zum passenden Grade comprimirten
Patronen verleihen den Projectilen unter sonst gleichen Umständen eine größere
und constantere
Anfangsgeschwindigkeit. Bei dem französischen Pulver scheint diejenige Pressung,
welche die Patrone um etwa 1/3 ihres Volumens vermindert, die größte Wirkung zu
ergeben. Die Vermehrung der Anfangsgeschwindigkeit betrug hierbei 20 Proc.
Diese wichtigen Resultate führten zu einer Prüfung der neuen Patronen mittelst
Serien aufeinander folgender Schüsse, um die Wurfweite, Präcision und
Schnelligkeit der Schüsse und die Wirkung auf die Waffe selbst festzustellen.
Aus zahlreichen Versuchen ergab sich Folgendes:
1) die bereits durch den Pendel gemachte Angabe der größeren und constanteren Wurfweite wurde
bestätigt;
2) die comprimirten Patronen hinterließen einen geringeren Rückstand. Man konnte
aus einem gezogenen Gewehr bis zu 200 Schüssen ohne Unterbrechung abgeben und
brauchte bei den Kanonen nicht nach jedem Schusse auszuwischen;
3) die comprimirten Patronen hatten die zerstörende Einwirkung des gekörnten
Pulvers auf die Waffe größtentheils verloren und griffen diese weniger an als
gewöhnliche Patronen.
Diese scheinbar mit der bis jetzt für richtig gehaltenen Ansicht von der
Verbrennung des Pulvers im Widerspruch stehenden Ergebnisse erläutern sich
dennoch leicht aus jener Theorie selbst. Die Vermehrung der
Anfangsgeschwindigkeit und die erhöhte Gleichförmigkeit der Wirkung rühren
daher, daß jene comprimirten Patronen, bei gleicher Pulvermenge wie die
gewöhnlichen, ein geringeres Volumen einnehmen, eine regelmäßigere und stets
sich gleichbleibende Gestalt haben, von Feuchtigkeit und Pulverstaub ganz
befreit sind und daher regelmäßiger, vollständiger und mit geringerem
Wärmeverlust verbrennen. Denselben Ursachen ist die geringere Verunreinigung der
Waffe zuzuschreiben.
Betrachtet man die Erscheinungen bei der Explosion einer comprimirten Patrone
näher, so ist es klar, daß die Entzündung derselben
durch ihre Härte und Dichte und die dadurch für die Flamme des Zündmittels
entstehende Schwierigkeit der Durchdringung verzögert wird. Sobald aber die
Flamme die Ladung ganz umhüllt, die Körner zertheilt und von einander getrennt
hat, geht die Verbrennung weit rascher vor sich, als
bei der gewöhnlichen Patrone; denn die Körner sind vollkommen trocken, frei von
Staub und haben eine flache Gestalt, d.h. sie bieten bei geringer Dicke der
Flamme eine große Oberfläche dar. Hieraus geht hervor, daß die Spannung der Gase
beim Beginne der Zersetzung mehr nach und nach auf das Geschoß wirken wird, um
es in Bewegung zu setzen. Dadurch aber ist der plötzliche Stoß, welcher bei der Verbrennung der
gewöhnlichen Patronen erfolgt und die Hauptursache für den Verderb des
Geschützes wird, vermieden.
Die comprimirten Patronen haben demnach in ihrer Wirkungsweise auf Geschoß und
Geschütz viel Aehnlichkeit mit den von Piobert zur
Verminderung der zerstörenden Einwirkung der Ladung auf das Rohr vorgeschlagenen
und allgemein im Gebrauch befindlichen verlängerten
Patronen. Durch die Verlängerung erhält nämlich der Cartouchbeutel zur Aufnahme
der gleichen Pulvermenge einen geringeren Durchmesser. In Folge dessen bleibt
zwischen den Seelenwänden und der Patrone ein freier Raum, in welchem sich die
zuerst entwickelten Gase ausdehnen können. Ihre Temperatur und somit ihre
Spannung steigert sich demnach langsamer und mindert den sonst zu heftigen Stoß
auf die Rohrwände. Mit der comprimirten Patrone läßt sich dieselbe Absicht durch
entsprechende Regelung der Härte und Zusammenpressung vollständiger erreichen,
indem diese Mittel, welche man ganz in der Hand hat, gestatten, die allzurasche
Verbreitung der Flammen zu hemmen. Die verlängerten Patronen haben nämlich den
Uebelstand, daß sie einen zu großen Raum einnehmen, was namentlich bei Schüssen
mit starker Ladung, wie sie gegenüber den zu durchbohrenden Schiffspanzerungen
immer nöthiger werden, sehr hervortritt. Die größte Ladung für die sardinische
gezogene 40pfündige Kanone beträgt z.B. 7 Kil. und nimmt in verlängerter Patrone
eine Länge von 50 Centimetern ein, so daß die Spitze des
cylindro-ogivalen Geschosses fast bis auf die Höhe der Zapfenachse zu
liegen kommt. Es folgt daraus, daß bei der dermaligen Construction der Rohre die
größte Kraftentwickelung der Ladung bei dem Gebrauche verlängerter Patronen zu
weit nach vorn an eine Stelle gerückt wird, an welcher die Rohrwände schon in
ihrer Stärke merklich abnehmen. Eine comprimirte Patrone von 7 Kil. Pulver würde
für dasselbe Geschütz eine Länge von nur 30 Centimetern erhalten, demnach 20
Centimeter Seelenlänge mehr nutzbar machen und dem Geschosse eine angemessenere
Stelle im Rohre anweisen.
Sollten die hier entwickelten Vorzüge den Nutzen und die Wichtigkeit dieser neuen
Erfindung nicht hinreichend darthun, so möchte das lebhafte Interesse, mit
welchem die französische Artillerie sich des Gegenstands bemächtigt hat, als
weiterer Beweis dafür dienen.
Die Versuche in Frankreich sind nämlich mit solchem Eifer betrieben worden, daß
man dort in wenigen Monaten nicht allein die nöthigen theoretischen Daten
gesammelt, sondern auch die Schwierigkeiten überwunden hatte, welche die
praktische Anwendung auf die Handfeuerwaffen darbot. Die comprimirten Patronen,
welche dort in regelmäßiger Weise für die Handfeuerwaffen angefertigt werden, haben
cylindrische Gestalt und den gleichen Durchmesser wie das Geschoß. Der hintere
Theil der Patrone ist convex, der vordere endigt in einen abgestutzten Kegel,
welcher in die Höhlung des Geschosses paßt und auf 5–6 Millimeter Tiefe
in diese eindringt. Ein 14 Millimeter breiter Papierstreifen wird doppelt um die
Verbindungsstelle von Patrone und Geschoß gewickelt und geleimt, um die
Vereinigung zu sichern. Patrone und Papierstreifen werden schließlich mit
Collodium bestrichen, welches augenblicklich trocknet und ein gegen Feuchtigkeit
sicherndes, den Strahl des Zündmittels aber nicht hemmendes dünnes Häutchen
bildet.
Mit der Anwendung der comprimirten Patronen auf die Geschütze war man in
Frankreich noch nicht so weit vorgeschritten. Gestalt und kubisches Gewicht der
Patrone waren noch nicht bestimmt und insbesondere die Versuche nur mit
gezogenen Rohren angestellt worden. Ob die glatten Rohre ebenfalls Gebrauch von
dieser Erfindung machen können, müßte noch ermittelt werden. Man kann vielleicht
daran zweifeln, wenn man bedenkt, daß das Geschoß eine glatte Seele in fast
gerader Linie und deßhalb viel rascher durcheilt als eine gleich lange gezogene
in den Curven, welche ihm die Züge als Weg vorzeichnen. Es erweist sich dieß aus
dem Vergleiche der Anfangsgeschwindigkeiten und aus der Betrachtung, daß das
erste Ausweichen des Projectils in dem gezogenen Rohre merklich verzögert seyn
muß, weil das Geschoß selbst bei gleichem Durchmesser mit der Kugel fast das
doppelte Gewicht dieser besitzt, sodann von dem Widerstand der Züge behindert
wird und in Folge davon eine weit größere Gasspannung erfordert, ehe es seine
Bewegung beginnt. Es ist demnach zu vermuthen, daß die comprimirten Patronen bei
dem Gebrauch aus glatten Röhren nicht genug Zeit zur Verbrennung finden,
jedenfalls wird man ihnen eine von den für die gezogenen Rohre bestimmten
Patronen verschiedene Abmessung und anderes kubisches Gewicht geben müssen.
Weitere Schwierigkeiten bot der Wurf mit wechselnden Ladungen. Die in Frankreich
mit der 25 Centimeter-Haubitze und Scheiben aus comprimirtem Pulver
ausgeführten Versuche haben diese Anstände nicht gelöst. Man fand namentlich
keine passende Methode, die Scheiben zu laden und konnte den Einfluß der
zwischen denselben entstehenden leeren Räume auf die Verbrennung nicht fest
bestimmen.
Obwohl nun hiernach noch manche Studien gemacht werden müssen, ehe man die
comprimirten Ladungen auch für die Geschütze einführen kann, so unterliegt doch
die endliche Lösung dieser Schwierigkeiten und somit die Einführung comprimirter
Patronen an Stelle der seitherigen keinem Zweifel.
Vorräthe an gekörntem Pulver werden jedoch auch dann noch nöthig bleiben, ebenso
wie in den Belagerungsparks auch solches Pulver ferner nachzuführen ist. Doch
scheinen die Einrichtungen zur Herstellung comprimirter Patronen so einfach und
werden wohl noch derart verbessert daß es mit gleicher Leichtigkeit möglich zu
machen ist, comprimirte Patronen verschiedener Art für Festungen anzufertigen,
wie man jetzt gekörntes Pulver in Cartouchbeutel füllt.
Der Gebrauch der comprimirten Patronen führt demnach, um sämmtliche Vortheile
nochmals kurz zusammenzufassen, zu bedeutender Ersparung an Pulver durch größere
Transportfestigkeit und größere Kraftäußerung der Ladungen, sodann zur
vermehrten Präcision und Schnelligkeit des Schusses und endlich zu erhöhter
Dauer der Waffen.“