Titel: Neue photographisch-chemische Untersuchungen, die Lichtempfindlichkeit des Jodsilbers betreffend; von Dr. Hermann Vogel.
Fundstelle: Band 177, Jahrgang 1865, Nr. CXIV., S. 471
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CXIV. Neue photographisch-chemische Untersuchungen, die Lichtempfindlichkeit des Jodsilbers betreffend; von Dr. Hermann Vogel. Aus Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie, 1865, Bd. CXXV S. 329. Vogel, über die Lichtempfindlichkeit des Jodsilbers. Zahlreiche Untersuchungen über die Theorie der Photographie, über das Wesen jener eigenthümlichen Veränderungen, welche Chlorsilber, Bromsilber und Jodsilber im Licht erleiden und ihren Einfluß auf die photographische Bilderzeugung sind seit einer Reihe von Jahren veröffentlicht worden. So großer Fleiß nun auch auf dieselben verwendet worden ist, so interessante Daten auch an das Tageslicht gefördert worden sind, so ist doch der Einfluß derselben auf die photographische Praxis nur von untergeordneter Bedeutung gewesen. Die Praxis ist der Theorie vorangeeilt, und hat die letztere mehr gelehrt als von ihr gelernt. Dieß gilt namentlich mit Bezug auf den Negativ-Proceß. In sofern ist es kein Wunder, daß die Praxis mehr Verehrer gefunden hat, als die Theorie, daß verhältnißmäßig nur wenige Forscher sich mit der letzteren beschäftigen, während die Zahl derer, welche die erstere zu vervollkommnen suchen, Legion ist. Dennoch kann ich mich der Ueberzeugung nicht verschließen, daß die Zukunft der Photographie nur auf gründlicher Erkenntniß der physikalischen und chemischen Processe, welche das Licht bewirkt, beruhe und deßhalb habe ich unverdrossen meine Untersuchungen über dieselben, deren erster Theil bereits veröffentlicht ist,Poggendorff's Annalen Bd. CXIX S. 497; im Auszug im polytechn. Journal CLXXIV S. 302. weiter geführt und übergebe hiermit dem Publicum eine weitere Frucht meiner Studien, eine Reihe von Resultaten, die wie ich glaube, das Dunkel aufhellen, welches über viele photographisch-chemische Processe noch verbreitet ist. Das Licht wirkt auf viele chemische Verbindungen ganz analog der Wärme. Es gibt viele Verbindungen, die unmittelbar durch Wärme zersetzt werden, z.B. Quecksilberoxyd, Silberoxyd, die durch bloße Erwärmung in ihre Bestandtheile zerfallen, andere dagegen werden durch die Wärme nur zersetzt bei Gegenwart eines Körpers, der sich mit einem der freiwerdenden Bestandtheile verbindet; so Kupferoxyd und Eisenoxyd bei Gegenwart von Wasserstoff. Aehnlich sind die Wirkungen des Lichtes. Gewisse Körper – wie Silberoxyd, Chlorsilber, Quecksilberoxyd – werden direct durch das Licht zersetzt, andere nur bei Gegenwart eines Körpers, der sich dabei mit einem der freiwerdenden Bestandtheile verbindet, so Eisenchlorid, Uransalze, chromsaure Salze etc. bei Gegenwart von organischen Substanzen (Aether, Papier etc.), die das freiwerdende Chlor, eventuell den Sauerstoff, absorbiren; Wasser bei Gegenwart von Chlor, das sich mit dem entwickelnden Wasserstoff zu Chlorwasserstoff verbindet. Diese fremden Substanzen, welche die Zersetzung vieler Körper durch das Licht bedingen, spielen in der Photographie eine wichtige Rolle, selbst dann, wenn man mit einem direct lichtempfindlichen Körper zu thun hat, dessen Zersetzung bei Gegenwart solcher Substanzen eine viel energischere ist. Beruht doch die ganze Differenz zwischen Davanne und mir über die Frage, ob Chlorsilber im Lichte zu Chlorür oder zu metallischem Silber reducirt wird, einfach auf der Bedingung, ob das Chlorsilber im reinen Zustande oder in Berührung mit organischen Substanzen (Papier) belichtet wird. Im ersteren Fall bildet sich Silberchlorür, im letzteren metallisches Silber. Daher der tiefgehende Einfluß, den das Papier, die Leimung desselben, das Collodium auf die photographischen Processe ausübt. Das Verhalten des Chlorsilbers und Bromsilbers im Licht ist ziemlich einfach. Beide zersetzen sich im reinen Zustande unter Freiwerden von Chlor und Brom, und unter Zurücklassung von einem violetten resp. grauvioletten Körper, der an Salpetersäure kein metallisches Silber abgibt. (A. a. O.) Räthselhafter ist dagegen das Verhalten des Jodsilbers. Das mit Ueberschuß von Jodkalium gefällte verändert sich im Lichte gar nicht, das mit Ueberschuß von Silbersalzen gefällte färbt sich blaß graugrün, ohne daß aber eine Spur Jod frei würde; ein Umstand der mich veranlaßte anzunehmen, daß Jodsilber überhaupt keine Zersetzung im Licht erleidet. Silberlösung befördert die Veränderung des Jodsilbers im Licht bedeutend. Warum ist mit Ueberschuß von Jodid gefälltes reines Jodsilber lichtunempfindlich? Warum das mit Ueberschuß von Silbersalz gefällte lichtempfindlich? Welcher Art ist die Veränderung, welche das letztere erleidet? Warum befördert Silbernitrat so beträchtlich die Wirkung des Lichtes auf Jodsilber? etc. Das Dunkel was über diesen Wirkungen des Lichtes liegt, mußte sich noch mehr verdichten, als Poitevin mit der seltsamen Entdeckung hervortrat, daß auch Tannin und ähnliche Substanzen als Sensibilisatoren wirken, d.h. die Veränderung des Jodsilbers im Lichte ebenso begünstigen wie salpetersaure Silberlösung (Photogr. Archiv 1863). Tannin, dieser von Silbersalz so durchaus verschiedene Körper, der eine Reductions-, der andere ein Oxydationsmittel, wirkt analog dem Silbersalz!! Wer löst dieses Räthsel? Langes Nachdenken und mehrfache darauf gegründete Versuche zeigten mir nun, daß beide Körper salpetersaures Silberoxyd und Tannin, so different sie auch seyn mögen, dennoch etwas Gemeinsames haben: beide absorbiren mit großer Leichtigkeit freies Jod. Man tröpfle Silberlösung zu Jodstärke, die Entfärbung erfolgt augenblicklich (darauf beruht ja meine Silbertitrirmethode).Polytechn. Journal Bd. CLXXVI S. 31. Man tröpfle Tanninlösung oder Gallussäurelösung zu Jodstärke, sie wird ebenfalls entfärbt. Diese Thatsachen führten mich auf die Vermuthung, daß sich Jodsilber im Licht ähnlich wie Uransalze, Eisensalze verhalte, d.h. nur bei Gegenwart eines Körpers zersetzbar sey, der das Jod zu absorbiren im Stande ist. Um diese Vermuthung zu prüfen, wählte ich einen dritten Körper, der ebenfalls freies Jod leicht absorbirt, aber in seinen sonstigen Eigenschaften vom Silbersalz sowohl als auch vom Tannin wesentlich verschieden ist, nämlich das arsenigsaure Natron. 5 Grm. arsenige Säure, 2 1/2 Grm. kohlensaures Natron wurden in 50 Kub. Cent. Wasser gelöst und diese Lösung auf etwas mit Ueberschuß von Jodkalium gefälltes, also lichtunempfindliches Jodsilber gegossen. Trotz des trüben Tageslichtes war schon nach wenigen Minuten eine leichte Verdunkelung wahrnehmbar. Am nächsten Morgen hatte sich das Jodsilber genau ebenso grünlich gefärbt, wie bei der Exposition unter salpetersaurer Silberlösung. Der Versuch wurde mit directem Sonnenlicht wiederholt. Hier färbte sich das Jodsilber beim Schütteln schon binnen wenigen Secunden graugrünlich. Eine gleichzeitig in's Dunkle gestellte Probe veränderte sich nicht im geringsten. Jetzt versuchte ich noch mehrere das Jod kräftig absorbirende Körper. Zunächst möglichst neutrale salpetersaure Quecksilberoxydullösung. Schon im diffusen Licht färbte sich das Jodsilber unter dieser Lösung innerhalb weniger Minuten grün. Eine zweite Probe, ins Dunkle gestellt, blieb vollkommen hellgelb. Ein dritter das Jod absorbirender Körper ist der Brechweinstein. Jodstärke wird von einer Lösung desselben, obgleich nur langsam, entfärbt, schneller bei Gegenwart von kohlensaurem Natron; dem analog war sein Verhalten als Sensibilisator. Jodsilber färbte sich in Berührung damit im Licht langsam grau, schneller bei Gegenwart von kohlensaurem Natron. Ein vierter das Jod kräftig absorbirender Körper ist das Zinnsalz (Zinnchlorür). Ich löste dieses mit Salmiak in Wasser und brachte es auf unempfindliches Jodsilber. Es färbte sich schon nach wenigen Minuten im diffusen Lichte schnell graugrün, das freie suspendirte Pulver braun. Eine im Dunkeln stehende Probe veränderte sich nicht im geringsten. Von allen hier versuchten Körpern scheint Zinnsalz der kräftigste Sensibilisator zu seyn. Tannin kam ihm in seiner Wirkung am nächsten; auch unter diesem färbten sich die gröberen Theile des Jodsilbers grün, die feineren braun. Auf Grund dieser Versuche, welche sämmtlich meine oben geäußerte Vermuthung bestätigen, glaube ich den Satz aussprechen zu dürfen: Diejenigen Körper, welche freies Jod leicht absorbiren und dasselbe chemisch binden, wirken sensibilisirend auf Jodsilber, d.h. sie veranlassen die Veränderung desselben im Licht. Mit Rücksicht darauf kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Veränderung des Jodsilbers im Licht in einer chemischen Zersetzung besteht. Reines Jodsilber ist wahrscheinlich im Lichte überhaupt nicht zersetzbar. Ob die gedachten Sensibilisatoren selbst bei der Jodaufnahme eine Zersetzung erleiden (wie dieß in den meisten Fällen der Fall seyn wird) lasse ich vorläufig außer Acht. Daß diese Substanzen in gleicher Weise, je nach ihrer Fähigkeit Brom und Chlor zu absorbiren, auch die Zersetzung des Bromsilbers und Chlorsilbers im Licht befördern, versteht sich nach den bereits vorliegenden Erfahrungen wohl von selbst und ist durch meine früheren Untersuchungen bereits erwiesen. Nur ist ihre Gegenwart hier nicht Bedingung der Zersetzbarkeit im Licht. Die Erklärung des räthselhaften Verhaltens des Jodsilbers etc. etc. hat jetzt keine Schwierigkeit mehr. Mit Ueberschuß von Jodkalium gefälltes Jodsilber hält eine Spur Jodkalium zurück. Letzteres ist nicht im Stande Jod chemisch zu binden, daher folgt keine Zersetzung.Nach einer Privatmittheilung von meinem Freunde Carey Lea in Philadelphia soll mit Ueberschuß von Jodkalium gefälltes Jodsilber dennoch bei starkem Licht lichtempfindlich seyn und schreibt derselbe, daß er sogar darauf Bilder erzeugt habe. Hier haben jedenfalls die organischen Substanzen des Collodiums wesentlich mitgewirkt. Ich habe neuerdings gefunden, daß selbst Jodsilberpapier sich nach monatelanger Exposition im Lichte bräunt. Mit Ueberschuß von Silbersalzen gefälltes Jodsilber enthält noch eine Spur Silbersalz, welches Jod bindet, daher erfolgt Zersetzung. Selbstverständlich kann die vorhandene Spur Silbersalz nur eine sehr kleine Quantität Jod absorbiren, daher ist die vorgehende Zersetzung nur schwach und hört bald auf. Zugleich erklärt es sich hieraus, warum ich früher bei der Veränderung des Jodsilbers im Licht kein freies Jod nachweisen konnte. Ist dagegen Silbersalz im Ueberschuß vorhanden, wie bei nassen Platten, so ist die Zersetzung eine bedeutend energischere und länger dauernde, daher die größere Empfindlichkeit. Tannin Wirkt als Sensibilisator, weil es ebenso wie freies Silbersalz das Jod zu absorbiren im Stande ist. Noch eine ganze Reihe anderer Erscheinungen lassen sich aus dem gegebenen Satze leicht und ungezwungen erklären. Ich behalte mir das für den nächsten Artikel vor. Es wird, nachdem dieser photographische Fundamentalsatz aufgefunden ist, nicht schwer halten, noch Hunderte von unorganischen und organischen festen, flüssigen und gasförmigen Körpern zu finden, welche in gleicher Weise wie Silberlösung und Tannin, sensibilisirend wirken und dürften bei näherer Prüfung derselben sich bald bedeutsame Resultate für die photographische Praxis ergeben. Man wird Trockenplatten construiren, die erst unmittelbar vor der Belichtung durch irgend einen gasförmigen Sensibilisator in der Camera lichtempfindlich gemacht worden, man wird vielleicht unter den ätherischen Oelen, Aldehyden, Oelsäuren etc. Jod absorbirende Körper finden, welche sich durch leichte Löslichkeit in Alkohol und Aether auszeichnen und in den Collodium-Negativ- und Positiv-Processen ohne Silberbad als Sensibilisatoren dem in Alkohol schwer löslichen Silbersalz vorzuziehen seyn dürften etc. etc. Auf Eines will ich hier noch aufmerksam machen, nämlich auf die grüne, im fein zertheilten Zustande braune Substanz, welche sich bei der Zersetzung des Jodsilbers im Licht bildet. Diese ist wahrscheinlich Silberjodür. Ich habe dieses Ag²J durch Einwirkung von Jodkalium auf Silberchlorür als ein grünes Pulver dargestellt, das in seinem Aussehen vollkommen dem im Licht veränderten Jodsilber glich.